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Obergrenze für Emissionen im europäischen Emissionshandel muss schneller sinken: Potenziale dafür sind vorhanden

DIW Wochenbericht 27 / 2020, S. 483-491

Aleksandar Zaklan, Vicki Duscha, Claudia Gibis, Jakob Wachsmuth, Jan Weiß, Claudia Kemfert

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  • Paris-kompatible Emissionsbudgets können als Orientierung dienen, um die Mindestanforderung für Emissionsminderungen im EU-ETS zu definieren
  • Global kosteneffizientes Emissionsbudget für das EU-ETS im Einklang mit Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad beträgt 30 Gigatonnen CO₂-Äquivalente für die Jahre 2016 bis 2050
  • Zur Begrenzung der kumulierten Emissionen sollte die jährliche Obergrenze für Emissionen (Cap) bis 2030 deutlich schneller abgesenkt werden als geplant
  • Für einen global kosteneffizienten Emissionspfad müsste der lineare Kürzungsfaktor für 2021 bis 2030 von aktuell 2,2 auf mindestens vier Prozent angehoben werden
  • Berücksichtigung von EU-Zielen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie nationaler Kohleausstiege ermöglicht bereits linearen Kürzungsfaktor für 2021 bis 2030 von 3,6 Prozent

„Die Ambitionen bei erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Kohleausstiegen in Europa bieten die Chance, die Obergrenze für Emissionen im europäischen Emissionshandelssytem im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel zu gestalten.“ Aleksandar Zaklan

Aktuell wird eine Anhebung des europäischen Klimaschutzziels für das Jahr 2030 diskutiert. Anstatt um 40 Prozent sollen die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 laut Vorschlag der EU-Kommission um 50 bis 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Im Europäischen Parlament wird sogar eine Minderung um 65 Prozent diskutiert. Dazu sollen auch die vom europäischen Emissionshandel (EU-ETS) erfassten Sektoren angemessen beitragen. Entscheidend für die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius – im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen – ist jedoch die Einhaltung eines damit konsistenten Emissionsbudgets, also der Gesamtmenge kumulierter Treibhausgasemissionen. Im EU-ETS wird die Einhaltung eines Emissionsbudgets über Anpassungen der Emissionsobergrenze – des Caps – vorgenommen. Dieser Wochenbericht leitet aus einem global kosteneffizienten Emissionsbudget die Mindestanforderung für Emissionssenkungen in den EU-ETS-Sektoren her. Es wird gezeigt, dass eine zeitnahe Anpassung des Caps dringend erforderlich ist, um den europäischen Mindestbeitrag zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu sichern. Ansonsten wäre eine drastische Senkung der Emissionen nach 2030 erforderlich. Gleichzeitig bieten die gestiegenen Ambitionen in der europäischen Energiepolitik sowie nationale Kohleausstiegspläne das Potenzial, durch eine entsprechende Cap-Anpassung dem kosteneffizienten Pfad ohne zusätzliche Minderungslasten für die EU-ETS-Sektoren nahezukommen.

Die EU-Kommission beabsichtigt, als Teil des „Europäischen Green Deals“ im September 2020 einen Vorschlag zur Anhebung des europäischen Klimaschutzziels vorzulegen.infoDieser Wochenbericht ist eine persönliche Äußerung der Autorinnen und Autoren. Insbesondere gibt er nicht notwendigerweise die Position des Umweltbundesamtes oder des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung wider. Er basiert auf dem Papier von Aleksandar Zaklan, Jakob Wachsmuth und Vicki Duscha (2020): EU ETS up to 2030: Adjusting the Cap in light of the IPCC1.5°C Special Report and the Paris Agreement. Umweltbundesamt Climate Change 07/2020 (online verfügbar, abgerufen am 12. Juni 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Demnach sollen die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 50 bis 55 Prozent (im Vergleich zu 1990) sinken, anstatt, wie nach derzeitigem Ziel, um nur 40 Prozent.infoVgl. Europäische Kommission (2020): Annexes to the Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of Regions: Adjusted Commission Work Programme 2020, COM(2020) 440 final. Brüssel (online verfügbar). Von einigen AkteurInnen wird sogar eine Minderung um bis zu 65 Prozent diskutiert.infoVgl. z.B. den Berichtsentwurf von Jytte Guteland, Berichterstatterin im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, vom 29. April 2020. (2020/0036(COD)) (online verfügbar). Dabei geht es auch um die Frage, welche Minderungsbeiträge die vom europäischen Emissionshandel (EU Emissions Trading System, EU-ETS) erfassten Sektoren erbringen sollen und können (Kasten 1). Als Basis für die EU-Langfriststrategie hat die europäische Kommission zudem in ihrer „strategischen Vision“ das Erreichen von Klimaneutralität bis spätestens 2050 als Ziel formuliert.infoVgl. Europäische Kommission (2018): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the European Economic and Social Committee, the Committee of the Regions and the European Investment Bank: A Clean Planet for all – A European Strategic Long-Term Vision for a Prosperous, Modern, Competitive and Climate Neutral Economy. COM(2018) 773 final. Brüssel (online verfügbar).

Der europäische Emissionshandel (EU-ETS) erfasst die Emissionen aus rund 11000 Anlagen der Energiewirtschaft und energieintensiven Industrie in derzeit 31 Staaten (EU 27, Vereinigtes Königreich, Norwegen, Liechtenstein und Island). Insgesamt werden rund 40 Prozent der europäischen CO2-Emissionen durch das EU-ETS abgedeckt. Seit 2012 unterliegt außerdem der innereuropäische Luftverkehr dem Emissionshandel. Das EU-ETS funktioniert nach dem Prinzip des Cap-and-Trade: Die Gesamtemissionen der einbezogenen Anlagen werden durch eine Emissionsobergrenze, das so genannte Cap, gedeckelt. Dieses wird jährlich um eine definierte Menge, bestimmt durch den linearen Kürzungsfaktor (LKF), abgesenkt. Bis April eines Jahres muss jeder Anlagenbetreiber Emissionsberechtigungen (Zertifikate) im Gesamtumfang seiner Treibhausgasemissionen aus dem Vorjahr abgeben. Die Emissionsberechtigungen sind zwischen den Unternehmen handelbar. Dadurch bildet sich ein Marktpreis für den Ausstoß von Treibhausgasen. Dieser bewirkt, dass die Emissionsminderungen in den einbezogenen Sektoren dort erbracht werden, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind.

Neben dem Blick auf Emissionen in den einzelnen Zieljahren ist eine Betrachtung der kumulierten Gesamtemissionen über den Zeitverlauf essenziell. Denn die Höhe der kumulierten Emissionen entscheidet darüber, ob die Temperaturerwärmung in Einklang mit dem Übereinkommen von Paris auf 1,5 Grad CelsiusinfoIm Folgenden werden „im Einklang mit dem Paris-Übereinkommen“ sowie „im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel“ synonym verwendet. begrenzt werden kann.infoVgl. z.B. Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) (2020): Eine Entschlossene Umweltpolitik in Deutschland, Umweltgutachten 2020 (online verfügbar); Ilaria Perissi et al. (2018): Potential European Emissions Trajectories within the Global Carbon Budget. Sustainability 10 (11) (online verfügbar); Detlef P. van Vuuren et al. (2017): The Implications of the Paris Climate Agreement for the Dutch Climate Policy Objectives. Den Haag (online verfügbar). Im EU-ETS wird das Emissionsbudget über die Höhe des jährlichen Caps – der Obergrenze für die Gesamtemissionen aller vom EU-ETS erfassten Anlagen – und dessen Verlauf über die Zeit gesteuert. Eine Ambitionssteigerung zur Einhaltung des europäischen Beitrags zum 1,5-Grad-Ziel wird im EU-ETS dementsprechend durch eine Anpassung des Caps erzielt.

Dieser Wochenbericht leitet unter Anwendung des Kriteriums der globalen Kosteneffizienz zunächst ein Emissionsbudget für die Sektoren unter dem EU-ETS ab, das im Einklang mit dem Paris-Übereinkommen steht. Die Ableitung erfolgt bewusst anhand des Kriteriums der globalen Kosteneffizienz. Dies führt zu einem verhältnismäßig hohen Emissionsbudget für die EU, welches als Untergrenze der erforderlichen Minderungsbeiträge des EU-ETS angesehen werden kann. Ziel ist also nicht die Ableitung eines fairen oder angemessenen Beitrags zur Erreichung des Paris-Übereinkommens.

Darauf aufbauend wird analysiert, inwieweit die kumulierten Emissionen in den für die europäische Langfriststrategie entwickelten Szenarien dieses maximale Emissionsbudget einhalten. Hierzu werden in einer Szenarioanalyse Emissionspfade für die vom EU-ETS erfassten Sektoren abgeleitet. Neben global kosteneffizienten Szenarien werden Pfade entwickelt, welche die aktuellen europäischen und nationalen Energie- und Klimapolitiken berücksichtigen und zugleich das mit dem Übereinkommen von Paris kompatible Emissionsbudget einhalten. Abschließend wird der global kosteneffiziente Pfad mit Anpassungspotenzialen für das Cap verglichen, die sich aufgrund bestehender und geplanter europäischer und nationaler Energiepolitiken bieten.

Minimierung der kumulierten Emissionen erforderlich zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens

Aufgrund der langen Lebensdauer von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist es aus klimawissenschaftlicher Sicht erwiesen, dass der bestimmende Faktor für den Klimawandel die kumulierten Treibhausgas-Emissionen über lange Zeiträume sind.infoVgl. z.B. IPCC (2013): Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge, United Kingdom, New York, NY, USA (online verfügbar). Unter Anwendung verschiedener Verteilungsschlüssel der verbleibenden Emissionen können nationale Emissionsbudgets abgeleitet werden, die mit der Erreichung bestimmter Temperaturziele bei einer bestimmten Wahrscheinlichkeit kompatibel sind.infoVgl. z.B. Perissi et al. (2018), a.a.O. und Van Vuuren et al. (2017), a.a.O. Die Ableitung von Emissionsbudgets und insbesondere deren regionale Verteilung sind jedoch mit großen Unsicherheiten und normativen Entscheidungen verbunden.

Wird globale Kosteneffizienz als Kriterium für die internationale Lastenverteilung bei der Emissionsvermeidung angelegt, so liegt ein mit der Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius kompatibles Emissionsbudget für das EU-ETS für den Zeitraum 2016–2050 bei einer Höhe von rund 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten.infoCO2-Äquivalente erfassen neben Kohlendioxid (CO2) auch weitere Treibhausgase und rechnen ihre Klimawirkung auf die von CO2 um. Eine Gigatonne sind eine Milliarde Tonnen. Für diese Berechnung wurden Daten aus dem techno-ökonomischen Modell POLES-Enerdata verwendet (Kasten 2). Bei Anwendung des Kriteriums der Kosteneffizienz werden Anteile des globalen Emissionsbudgets so auf unterschiedliche Länder verteilt, dass zu jedem Zeitpunkt die globalen Grenzkosten der Emissionsminderung minimiert werden. Das heißt, dass weitere Emissionen global immer dort vermieden werden, wo dies zu den geringsten Kosten möglich ist. Die Anwendung dieses Kriteriums führt somit zu höheren Anteilen am globalen Emissionsbudget für entwickelte Volkswirtschaften wie die EU. Andere Verteilungsschlüssel berücksichtigen zum Beispiel die Bevölkerung, die ökonomische Leistungsfähigkeit oder die historischen Emissionen. Diese würden zu einem deutlich niedrigeren Budget für die EU führen. Das auf Grundlage von Kosteneffizienz für die EU-ETS-Sektoren abgeleitete Emissionsbudget stellt daher das maximale Budget für diese Sektoren dar, welches im Einklang mit den Anforderungen des 1,5-Grad-Ziels steht. Es ist nicht gleichzusetzen mit einem „angemessenen“ oder „gerechten europäischen Beitrag“ zum Übereinkommen von Paris und kann daher nur Teil eines europäischen Beitrags zum internationalen Klimaschutz sein.infoVgl. Umweltbundesamt (2018): Re-Aligning European Union’s Climate Policy to the Paris Agreement Short-term Implications of the IPCC Special Report “Global Warming of 1.5°C”. Dessau-Roßlau (online verfügbar).

Zweck der verwendeten Methodik ist die Entwicklung von verschiedenen Emissionsreduktionspfaden für das EU-ETS bis zum Jahr 2050 bei gleichbleibenden kumulierten Emissionen. Als zentraler Parameter zur Variation der Reduktionspfade wird das Cap im Jahr 2030 verwendet.

Kern der Methodik ist die Ableitung einer Obergrenze für die kumulierten Gesamtemissionen für das EU-ETS im Zeitraum 2016 bis 2050, die als kompatibel mit der Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter angesehen werden kann. Als Ausgangspunkt dafür wurden die im Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) beschriebenen, ambitioniertesten globalen Emissionspfade verwendet, die eine Erwärmung um 1,5 Grad mit weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit überschreiten. Für diese wurde aus der zugehörigen Datenbank der Median der energie- und prozessbedingten CO₂-Emissionen in Fünf-Jahres-Schritten ermittelt. Die Emissionen weiterer Treibhausgase wurden pauschal auf Basis ihres heutigen Anteils hinzugefügt, was wegen des geringen Anteils innerhalb des EU-ETS im Ergebnis kaum ins Gewicht fällt.

Die so ermittelten globalen Budgets wurden nach dem Kriterium der Kosteneffizienz auf Länder und Regionen verteilt. Das heißt, Emissionsreduktionen erfolgen zu jedem Zeitpunkt auf Basis der niedrigsten Grenzkosten, also der spezifischen Kosten pro weiterer vermiedener Tonne an CO₂-Äquivalenten. Fairness-basierte Ansätze legen andere Kriterien zu Grunde und kommen entsprechend zu anderen Verteilungen auf Länder und Regionen.

Zur Ermittlung der kosteneffizienten Verteilung wurden Grenzkosten der von Enerdata entwickelten Version des techno-ökonomischen Modells POLES herangezogen und die notwendigen Minderungen in der EU im Zeitverlauf bis 2050 ermittelt.infoWeitere Informationen zum Modell unter: https://www.enerdata.net/solutions/poles-model.html Dieselben Daten wurden ebenfalls genutzt, um einen kosteneffizienten Anteil der ETS-Sektoren zu bestimmen. Für die Jahre nach 2030 sind, selbst wenn auf Minderungspotenziale mit maximalen Grenzkosten zurückgegriffen werden muss (im Modell annahmegemäß bei 1200 Euro pro Tonne CO₂), diese nicht ganz hinreichend, um das globale Budget einzuhalten. Daher wurde angenommen, dass die darüber hinausgehenden Minderungen von einer sogenannten Backstop-Technologie (z.B. durch CO₂-Luftabscheidung) erbracht werden. Diese zusätzlichen Minderungen wurden proportional zu den ermittelten kosteneffizienten Minderungen über Länder und Sektoren aufgeteilt. Auf Basis der so ermittelten Pfade wurde ein Gesamtemissionsbudget für das EU-ETS bis 2050 ermittelt.

Dieses Emissionsbudget wurde in der Folge genutzt, um für verschiedene Caps für das Jahr 2030 den EU-ETS-Minderungspfad nach 2030 zu bestimmen. Dazu wurde unterstellt, dass die linearen Kürzungsfaktoren für das EU-ETS stets für Zeiträume von mindestens fünf Jahren festgelegt werden. Wurde für das Jahr 2030 ein höheres Cap, also eine geringere Minderung unterstellt, wurde gemäß dem Gesamtbudget ein entsprechend steilerer Minderungspfad nach 2030 abgeleitet. Vor 2030 wurde jeweils der Fall einer Cap-Anpassung ab 2021 oder ab 2026 unterschieden. Zur Ermittlung der verschiedenen Caps für das Jahr 2030 wurde einerseits die Folgenabschätzung zur EU-Langfriststrategie ausgewertet.infoVgl. Europäische Kommission (2018): In-Depth analysis in support of the Commission Communication COM(2018) 773 – A Clean Planet for all – A European Strategic Long-Term Vision for a Prosperous, Modern, Competitive and Climate Neutral Economy. Brüssel (online verfügbar) Andererseits wurde ein Cap für das Jahr 2030 auf Basis der Zahlen zu geplanten Kohleausstiegen der Mitgliedstaaten hergeleitet, unter der Annahme, dass jeweils ein entsprechender Zubau an erneuerbarer Stromerzeugung erfolgt.

Die Ende 2018 von der EU-Kommission veröffentlichte „strategische Vision“ für 2050 wurde mit dem Ziel entwickelt, den europäischen Emissionspfad mit den Erfordernissen des Übereinkommens von Paris in Einklang zu bringen.infoEuropäische Kommission (2018), a.a.O. Hierbei wird angenommen, dass dies die Senkung der Treibhausgas-Nettoemissionen auf null im Jahr 2050 erfordert.infoNetto-Null-Emissionen bedeuten, dass in einem Jahr eventuell verbleibende Emissionen durch Entzug von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden müssen. Eine Ableitung der kumulierten Emissionen auf Basis der zur strategischen Vision gehörenden 1,5-Grad-Szenarien ergibt ein Emissionsbudget in Höhe von etwa 33 Gigatonnen CO2-Äquivalenten in den Sektoren des EU-ETS für die Jahre 2016–2050. Somit übertrifft die in der strategischen Vision angenommene Entwicklung das hier ermittelte maximal verbleibende Emissionsbudget um etwa zehn Prozent und steht daher unter den getroffenen Annahmen nicht im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris.

Extreme Verringerung der Emissionen nach 2030 erforderlich, falls das Cap nicht frühzeitig angepasst wird

Zur zeitlichen Aufteilung des global kosteneffizienten Emissionsbudgets von etwa 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten für die EU-ETS-Sektoren im Zeitraum 2016–2050 werden mit Hilfe des POLES-Enerdata-Modells (Kasten 2) Emissionspfade berechnet, die den jährlichen Verlauf des Caps bis 2050 widerspiegeln. Hierzu wird für verschiedene Zeitabschnitte der erforderliche lineare Kürzungsfaktor ermittelt. Als zentrale Größe in dieser Analyse bestimmt dieser die jährliche Absenkung der Emissionsobergrenze. Zurzeit beträgt der lineare Kürzungsfaktor für den Zeitraum 2021–2030 2,2 Prozent des Ausgangswerts im Jahr 2010. Dies führt zu einer jährlichen Absenkung des Caps in Höhe von etwa 48 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten.

Drei Szenarien zeigen die Unterschiede im Emissionsverlauf auf, je nachdem wie lange mit einer Umsteuerung auf den kosteneffizienten Emissionspfad gewartet wird (Abbildung 1). Das Basisszenario zeigt den EU-ETS-Emissionspfad auf, wenn der lineare Kürzungsfaktor und somit das Cap bis 2030 unverändert bleibt. Bei zwei weiteren Szenarien wird das Emissionsziel für 2030 auf Grundlage einer global kosteneffizienten Verteilung der Emissionen gewählt.infoBei der Änderung des linearen Kürzungsfaktors wird angenommen, dass diese nur zu Beginn jeder der fünfjährigen ETS-Zuteilungsperioden in den Jahren 2021, 2026, 2031, 2036 und 2041 vorgenommen werden können. Alle drei Szenarien halten das Emissionsbudget von 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten zwischen 2016 und 2050 ein.

1. Im Basisszenario bleibt der lineare Kürzungsfaktor bis 2030 unverändert bei 2,2 Prozent. In diesem Fall beträgt das kumulierte Emissionsbudget des EU-ETS im Zeitraum 2016–2030 25,3 Gigatonnen CO2-Äquivalente, so dass für die Zeit nach 2030 noch etwa fünf Gigatonnen CO2-Äquivalente verbleiben. Die Einhaltung des Emissionsbudgets nach 2030 erfordert dann einen linearen Kürzungsfaktor von 9,6 Prozent für den Zeitraum 2031–2035, 2,5 Prozent für den Zeitraum 2036–2040 und die Erreichung von Netto-Null-Emissionen ab dem Jahr 2040.

2. Das Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2026“ geht davon aus, dass der lineare Kürzungsfaktor für den Zeitraum 2021–2025 bei 2,2 Prozent bleibt und ab 2026 angepasst werden kann. Für die Zeit nach 2026 wird ein Reduktionspfad mit frühzeitiger Minderung berechnet, um die Emissionsminderung bis 2050 zu geringstmöglichen Kosten zu erreichen. Demnach erfolgt bis 2030 eine Emissionsreduktion in den ETS-Sektoren um 61 Prozent im Vergleich zum Emissionsniveau 2005. Dies entspricht einem linearen Kürzungsfaktor von 5,8 Prozent für den Zeitraum 2026–2030, 3,8 Prozent für den Zeitraum 2031–2040, 0,4 Prozent für den Zeitraum 2041–2050 und die Erreichung von Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050.

3. Das Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2021“ geht davon aus, dass der lineare Kürzungsfaktor bereits 2021 angepasst werden kann. Auch hier wird ein Reduktionspfad mit frühzeitiger Minderung errechnet. Der kosteneffiziente Emissionspfad in diesem Szenario ergibt einen linearen Kürzungsfaktor von 4,0 Prozent für den Zeitraum 2021–2030, 3,4 Prozent für den Zeitraum 2031–2040 sowie 0,9 Prozent für den Zeitraum 2041–2050. Netto-Null-Emissionen werden im Jahr 2050 erreicht.

Die Ergebnisse für das Basisszenario zeigen, dass die Anwendung des aktuellen linearen Kürzungsfaktors von 2,2 Prozent bis 2030 bei gleichzeitiger Einhaltung des Emissionsbudgets von 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten drastische Emissionssenkungen nach 2030 erfordert. Ein linearer Kürzungsfaktor von fast zehn Prozent im Zeitraum 2031–2035 entspräche einer Absenkung des Caps von etwa 1,3 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2030 auf etwa 240 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten innerhalb von fünf Jahren. Außerdem müssten die Treibhausgas-Emissionen bereits 2040 auf netto Null gesenkt werden. Eine derart drastische Ambitionssteigerung nach 2030 scheint aus wirtschaftlicher, technischer und politischer Sicht unplausibel.

Bei einer Anpassung des linearen Kürzungsfaktors im Jahr 2021, wie im Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2021“ angenommen, würde das Cap von 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2021 auf etwa 930 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030 verringert, was einer jährlichen Reduzierung von etwa 90 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten oder einem linearen Kürzungsfaktor von etwa vier Prozent entspricht. Wenn eine Cap-Anpassung erst ab 2026 möglich ist, wie im Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2026“ angenommen, muss der lineare Kürzungsfaktor im Zeitraum 2026–2030 fast sechs Prozent betragen, um ab 2030 den kosteneffizienten Emissionspfad zu erreichen. In beiden kosteneffizienten Szenarien besteht zwischen 2040 und 2050 noch Spielraum für Emissionen, während im Basisszenario Netto-Null-Emissionen schon im Jahr 2040 erreicht werden müssen.

Je früher eine Erhöhung des Ambitionsniveaus durch eine Anhebung des linearen Kürzungsfaktors erfolgt, desto gleichmäßiger kann eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen im EU-ETS umgesetzt werden. Dies erhöht die Glaubwürdigkeit eines Transformationspfades und damit auch die Einhaltung eines Paris-kompatiblen Emissionsbudgets.

Die Anpassung des Caps sollte aktuelle politische Entwicklungen berücksichtigen

Bei der Anpassung des Reduktionspfades im EU-ETS ist es wichtig, Politikmaßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene zu berücksichtigen. Lässt das Cap zusätzliche Emissionsmiderungen in ETS-Sektoren außer Betracht, die sich etwa aufgrund höherer Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien oder der Erhöhung der Energieeffizienz ergeben, werden diese Emissionssenkungen durch Emissionssteigerungen an anderer Stelle neutralisiert.infoDies wird auch als Wasserbett-Effekt bezeichnet. Vgl. z.B. Grischa Perino (2018): New EU ETS Phase 4 rules temporarily puncture waterbed. Nature Climate Change 8, 262–264 (online verfügbar); Knut E. Rosendahl (2019): EU ETS and the Waterbed Effect. Nature Climate Change 9, 734–735 online verfügbar). Um einen solchen Wirksamkeitsverlust zu vermeiden, sollte das Cap daher Minderungseffekte der europäischen und nationalen Klima- und Energiepolitik berücksichtigen. Die hierzu erforderliche Cap-Anpassung bietet gleichzeitig das Potenzial, einen glaubwürdigeren Emissionspfad als im Basisszenario zu erreichen. Wie im Folgenden gezeigt wird, sind die aktuellen energiepolitischen Rahmenbedingungen bereits mit erheblichem Potenzial für Emissionsminderungen im EU-ETS verbunden. Diese Potenziale bieten gleichzeitig die Gelegenheit, das Cap im EU-ETS stärker an den Zielen des Paris-Übereinkommens auszurichten.

Zwei wesentliche Faktoren bestimmen die Emissionsreduktionen in den EU-ETS-Sektoren bis 2030, die im derzeitigen linearen Kürzungsfaktor von 2,2 Prozent nicht berücksichtigt sind. Erstens wurden 2018 auf europäischer Ebene stringentere energiepolitische Ziele bis 2030 vereinbart.infoVgl. Europäische Kommission (2019): Clean energy for all Europeans. Brüssel (online verfügbar). So wurde das Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien am europäischen Bruttoendenergieverbrauch von 27 auf 32 Prozent und das Ziel für Energieeffizienz von 27 auf 32,5 Prozent – im Verhältnis zu einem definierten Basisszenario – erhöht. Zweitens planen mehrere EU-Mitgliedstaaten den Ausstieg aus der kohlebefeuerten Stromerzeugung bis 2030.

Dass die derzeitigen Minderungsvorgaben angesichts der Entwicklung der Emissionen wenig ambitioniert sind, zeigen aktuelle Daten des EU-ETS: Im Jahr 2019 lagen die Emissionen um 36 Prozent unterhalb des Wertes von 2005. Das Minderungsziel für 2020 in Höhe von 21 Prozent wird somit deutlich übererfüllt, und auch das bisherige Minderungsziel für 2030 rückt bereits jetzt in greifbare Nähe.infoVgl. Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt (2019): Treibhausgasemissionen 2019 – Emissionshandelspflichtige stationäre Anlagen und Luftverkehr in Deutschland (VET-Bericht 2019). Dessau-Roßlau (online verfügbar).

Anpassung des EU-ETS an aktuelle europäische Energiepolitiken bietet erhebliche Annäherungs-Potenziale an 1,5-Grad-Pfad

In ihren Projektionen geht die EU-Kommission davon aus, dass die vollständige Umsetzung der auf europäischer Ebene beschlossenen energiepolitischen Ziele zu einer Verringerung der europäischen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 führen wird.infoVgl. Europäische Kommission (2019), a.a.O. In den stationären Sektoren, die vom EU-ETS erfasst sind, würde dies zu einer Emissionsminderung um rund 50 Prozent im Jahr 2030 im Vergleich zu 2005 führen,infoEuropäische Kommission (2019): Technical Note – Results of the EUCO3232.5 scenario on Member States. Brüssel (online verfügbar). während das derzeitige Emissionsreduktionsziel hier nur eine Minderung um 43 Prozent vorsieht.

Daher werden im Folgenden das Basisszenario und das Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2021“ mit zwei Szenarien verglichen, welche die 2018 beschlossenen energiepolitischen Ziele berücksichtigen (Abbildung 2). Wie bisher bleiben alle Szenarien im Rahmen des Emissionsbudgets von etwa 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten für den Zeitraum 2016–2050.

1. Im Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik ab 2026“ wird der lineare Kürzungsfaktor so gewählt, dass in den ETS-Sektoren bis 2030 eine Emissionsminderung um etwa 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005 erreicht wird. Hierbei kann annahmegemäß der lineare Kürzungsfaktor nicht vor 2026 geändert werden. Daraus resultiert ein linearer Kürzungsfaktor von 2,2 Prozent für den Zeitraum 2021–2025, 3,5 Prozent für den Zeitraum 2026–2030, 7,0 Prozent für den Zeitraum 2031–2035, 3,8 Prozent für den Zeitraum 2036–2040 und Netto-Null-Emissionen ab 2040.

2. Das Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik ab 2021“ erfüllt grundsätzlich dieselben Anforderungen wie das Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik ab 2026“. Alternativ wird aber davon ausgegangen, dass der lineare Kürzungsfaktor bereits 2021 geändert werden kann. In diesem Fall beträgt der lineare Kürzungsfaktor 2,9 Prozent für den Zeitraum 2021–2030, 6,3 Prozent für den Zeitraum 2031–2035, 4,5 Prozent für den Zeitraum 2036–2040, und ab 2040 werden Netto-Null-Emissionen erreicht.

Die Berücksichtigung der energiepolitischen Ziele von 2018 mildert die Notwendigkeit einer drastischen Ambitionserhöhung nach 2030 im Vergleich zum Basisszenario etwas ab. Jedoch erfordert das Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik ab 2026“ nach 2030 immer noch eine Cap-Reduktion um 780 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente innerhalb von nur fünf Jahren (entsprechend einem linearen Kürzungsfaktor von etwa sieben Prozent im Zeitraum 2031–2035) und Netto-Null-Emissionen im Jahr 2040. Auch das Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik ab 2021“ erfordert eine Senkung des Caps um 710 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (linearer Kürzungsfaktor von 6,5 Prozent) zwischen 2031 und 2035 und ebenfalls Netto-Null-Emissionen im Jahr 2040. Beide Szenarien sind mit sehr viel drastischeren Emissionsreduktionen nach 2030 verbunden als das Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2021“, bei dem zusätzlich ein Restbudget für Emissionen im Jahrzehnt 2041–2050 verbleibt.

Zudem wäre eine Minderung um 50 Prozent für den Bereich des EU-ETS kein hinreichender Beitrag zu dem von der Europäischen Kommission angestrebten gesamtwirtschaftlichen Klimaziel einer Emissionsreduktion von 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990,infoVgl. Europäische Kommission (2019): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: The European Green Deal, COM(2019) 640 final. Brüssel (online verfügbar). weil die Minderungen in den ETS-Sektoren wegen der niedrigeren Vermeidungskosten überproportional ausfallen müssten.

Nationale Kohleausstiege erfordern Cap-Anpassung bis 2030

Auch nationale Klima- und Energiepolitiken müssen bei der Anpassung des Caps im Zeitraum bis 2030 und darüber hinaus berücksichtigt werden. Mehrere Mitgliedstaaten planen derzeit Maßnahmen zur schrittweisen Einstellung der Kohleverstromung. Solche nationalen Politikmaßnahmen führen zu einer stärkeren Reduzierung der Emissionen in den ETS-Sektoren bis 2030 als im derzeitigen Rahmen vorgesehen. Wie die erhöhten Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz auf europäischer Ebene bieten daher auch nationale Maßnahmen kurzfristige Potenziale für eine Anpassung des ETS-Caps, um die Lücke zwischen dem derzeitigen ETS-Budget und einem Minderungspfad, der mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist, zu schließen.

Mehrere Mitgliedstaaten planen den vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030. Deutschland plant, einen Teil seiner kohlebefeuerten Kapazitäten vor 2030 und die verbleibenden Kapazitäten bis spätestens 2038 stillzulegen. Nach aktuellen Plänen – Stand Ende 2019 – ist davon auszugehen, dass EU-weit bis 2030 etwa 316 Terawattstunden (TWh) an jährlicher Kohlestromerzeugung im Vergleich zum Jahr 2018 wegfallen würden.infoVgl. Zaklan, Wachsmuth und Duscha (2020), a.a.O. Geht man von einer mittleren CO2-Intensität von 1142 Gramm pro Kilowattstunde für Braunkohle und 815 Gramm pro Kilowattstunde für SteinkohleinfoVgl. Petra Icha, Geschäftsstelle der AGEE Stat und Gunter Kuhs (2018): Entwicklung der spezifischen Kohlendioxid-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 – 2018. Umweltbundesamt Climate Change 10/2019 (online verfügbar). sowie einer vollständigen Substitution durch erneuerbare Energien aus, ergeben sich für 2030 Emissionsminderungen in Höhe von etwa 300 Megatonnen CO2 gegenüber 2018 (Tabelle). Das größte Potenzial für Emissionsminderungen ergibt sich aus dem Kohleausstieg Deutschlands. Er trägt fast zur Hälfte zum errechneten Minderungspotenzial bis 2030 bei.

Tabelle: Potenzielle Emissionsreduktionen im Jahr 2030 im Vergleich zu 2018 aufgrund aktuell geplanter nationaler Ausstiege aus der Kohleverstromung

In Megatonnen CO₂-Äquivalenten

Braunkohle Steinkohle Gesamt
Ausstieg bis 2030 124 176 300
Ausstieg bis 2025 3 49 52
(AT, BE, FR, IE, IT, SE, SK, UK)
Ausstieg bis 2030 29 81 110
(DK, EL, ES, FI, HU, NL, PT)
Partieller Ausstieg bis 2030 (DE) 92 46 138

Quellen: Zaklan, Wachsmuth und Duscha (2020), a.a.O., Icha, AGEE und Kuhs (2018), a.a.O., Agora Energiewende und Sandbag (2019): The European Power Sector in 2018. Berlin (online verfügbar).

Daher werden im Folgenden das Basisszenario und das Szenario „globale Kosteneffizienz ab 2021“ mit zwei Szenarien verglichen, die das Potenzial für zusätzliche Emissionsminderungen in ETS-Sektoren bis 2030 aufgrund nationaler Kohleausstiege berücksichtigen (Abbildung 3). Die Szenarien gehen davon aus, dass die durch Kohleausstiege erzielte Emissionssenkung im Jahr 2030 in Höhe von 300 Megatonnen CO2-Äquivalenten zusätzlich zur jährlichen Cap-Reduktion um 2,2 Prozent realisiert wird. Daher werden 300 Megatonnen CO2-Äquivalente vom aktuellen ETS-Cap im Jahr 2030 abgezogen. Alle Szenarien bleiben innerhalb des Emissionsbudgets von 30 Gigatonnen CO2-Äquivalenten für 2016–2050.

1. Das Szenario „Konsistenz mit nationalen Kohleausstiegen ab 2026“ geht davon aus, dass die Emissionseinsparungen in Höhe von 300 Megatonnen CO2-Äquivalenten durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 vollständig realisiert werden. Dies führt zu einer Emissionsreduktion von etwa 57 Prozent in den ETS-Sektoren bis 2030, verglichen mit dem Niveau von 2005. Es wird davon ausgegangen, dass der lineare Kürzungsfaktor erst ab 2026 geändert werden kann. Somit ergibt sich ein linearer Kürzungsfaktor von 2,2 Prozent für den Zeitraum 2021–2025, 5,0 Prozent für den Zeitraum 2026–2030, 4,5 Prozent für den Zeitraum 2031–2040, 0,2 Prozent für den Zeitraum 2041–2050 und Netto-Null-Emissionen ab dem Jahr 2050.

2. Das Szenario „Konsistenz mit nationalen Kohleausstiegen ab 2021“ verwendet dieselben Annahmen wie das Szenario „Konsistenz mit nationalen Kohleausstiegen ab 2026“, nimmt jedoch an, dass das Cap des EU-ETS bereits 2021 geändert werden kann. In diesem Fall ergibt sich ein linearer Kürzungsfaktor von 3,6 Prozent für den Zeitraum 2021–2030, 4,1 Prozent für den Zeitraum 2031–2040, 0,5 Prozent für den Zeitraum 2041–2050 und Netto-Null-Emissionen ab dem Jahr 2050.

Unter der Annahme, dass der lineare Kürzungsfaktor bereits 2021 geändert werden kann, kommt die vollständige Berücksichtigung der potenziellen Auswirkungen nationaler Kohleausstiege bis 2030 der kosteneffizienten Lösung nahe. Der Emissionspfad im Szenario „Konsistenz mit nationalen Kohleausstiegen ab 2021“ ähnelt dem des Szenarios „globale Kosteneffizienz ab 2021“. Der Rückgang der ETS-Emissionen um 57 Prozent bis 2030 liegt erheblich höher als der im Szenario „Konsistenz mit EU-Energiepolitik“ geschätzte Rückgang um 50 Prozent. Zudem kommt er dem Rückgang der ETS-Emissionen um 61 Prozent bis 2030 nahe, der in den kosteneffizienten Szenarien erreicht wird. Wenn der lineare Kürzungsfaktor jedoch erst 2026 angepasst werden kann, müssen die Emissionen nach 2026 sehr stark zurückgehen und Netto-Null-Emissionen ab 2040 erreicht werden, um im Rahmen des kosteneffizienten Emissionsbudgets zu bleiben.

Selbst wenn die nationalen Kohleausstiege nicht vollständig wie aktuell geplant umgesetzt werden können oder wenn die kohlebasierte Stromerzeugung nicht vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt wird, bieten nationale Politiken ein signifikantes Potenzial für eine Anpassung des ETS-Caps.

Fazit: Cap-Anpassung notwendig und möglich, um das EU-ETS mit langfristigen europäischen Klimazielen in Einklang zu bringen

Die Analyse in diesem Wochenbericht zeigt, dass die jährliche Absenkung der Emissionsobergrenze im EU-ETS, umgesetzt durch den linearen Kürzungsfaktor, aktuell erheblich von den klimapolitisch notwendigen Mindestanforderungen abweicht.

Erstens ist der lineare Kürzungsfaktor zu niedrig, um einen kosteneffizienten Pfad zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu erreichen. Die Beibehaltung des linearen Kürzungsfaktors von 2,2 Prozent im gesamten Zeitraum 2021–2030 würde drastische und unrealistische Maßnahmen nach 2030 erfordern, um innerhalb eines Emissionsbudgets zu bleiben, das auf einer kosteneffizienten internationalen Lastenteilung basiert. Würden Fairnesskriterien, etwa die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bevölkerung und historische Emissionen, im europäischen Emissionsbudget berücksichtigt, wäre die erforderliche Minderung noch größer.

Zweitens spiegelt der aktuelle lineare Kürzungsfaktor von 2,2 Prozent pro Jahr nicht mehr die veränderten klima- und energiepolitischen Rahmenbedingungen auf europäischer und nationaler Ebene wider. Im Jahr 2018 wurden neue europäische Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz beschlossen und mehrere EU-Mitgliedstaaten haben den Ausstieg aus der Kohleverstromung terminiert. Eine Beibehaltung des aktuellen linearen Kürzungsfaktors verringert damit das Knappheitssignal des EU-ETS und gefährdet seine Wirksamkeit. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf langfristige Preiserwartungen und somit Investitionsanreize. Die energiepolitischen Rahmenbedingungen bieten aber gleichzeitig erhebliche Potenziale, um das Cap im EU-ETS deutlich ambitionierter auszugestalten.

Eine angemessene Erhöhung des linearen Kürzungsfaktors kann daher das EU-ETS neu ausrichten, um die Effektivität des Emissionshandels abzusichern und ihn mit dem Übereinkommen von Paris kompatibel zu gestalten. Eine Erhöhung des linearen Kürzungsfaktors auf 2,9 Prozent für den Zeitraum 2021–2030 ist das Minimum, um das EU-ETS mit den 2018 festgelegten Zielen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Einklang zu bringen. Eine Anpassung des linearen Kürzungsfaktors auf 3,6 Prozent für den Zeitraum 2021–2030 würde zusätzlich die Potenziale nationaler Kohleausstiege abbilden. Die vollständige Anpassung des EU-ETS an den global kosteneffizienten 1,5-Grad-Minderungspfad erfordert nach den Modellrechnungen in diesem Bericht zwischen 2021 und 2030 einen linearen Kürzungsfaktor von mindestens vier Prozent. Dies würde das EU-ETS auf einen glaubwürdigeren langfristigen Kurs bringen. Ein linearer Kürzungsfaktor von mindestens vier Prozent würde auch einen entscheidenden Beitrag zur Anhebung des gesamtwirtschaftlichen Emissionsminderungsziels für 2030 leisten.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt



JEL-Classification: Q54;Q58
Keywords: EU-ETS, climate policy, Paris Agreement, cap adjustment
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-27-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/222953

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