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Gefahr durch Armut: Corona macht eben doch nicht alle gleich

Medienbeitrag vom 13. Juli 2020

Dieser Gastbeitrag von Shan Huang erschien am 11. Juli 2020 in der Frankfurter Rundschau.

„The Great Equalizer“ – als den „großen Gleichmacher“ hatte unter anderem der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo das Coronavirus zu Anfang der Pandemie bezeichnet. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass das Gegenteil der Fall ist: Gerade Menschen mit einem schlechteren sozioökonomischen Status sind überproportional betroffen. Das Virus macht gesundheitliche Ungleichheiten zwischen gesellschaftlichen Gruppen in erschreckender Weise sichtbar – und verschärft sie.

Auch in Deutschland trifft Corona vor allem sozial Benachteiligte

In Deutschland haben die jüngsten Ausbrüche in Gütersloh, Berlin-Neukölln oder Starnberg gezeigt, dass diejenigen Menschen am schwersten vom Virus betroffen sind, die ohnehin sozial benachteiligt werden: Menschen mit prekären Beschäftigungen, mit Zuwanderungshintergrund und Asylsuchende.

Auch hinter den anhaltenden „Black Lives Matter“-Protesten steht die Erkenntnis, dass ethnische Minderheiten besonders schwere Verläufe erleiden: In den USA ist den Centers for Disease Control and Prevention zufolge das Risiko eines Krankenhausaufenthalts unabhängig vom Alter für sie vier- bis fünffach höher. Ähnliche Erhebungen von Public Health England ergeben, dass unter Berücksichtigung demografischer Effekte die Sterblichkeit in Großbritannien unter ethnischen Minderheiten bis zu doppelt so hoch ist.

Bleiben Schwächere nach Corona-Infektionen systematisch unerfasst?

Soziale Ungleichheit verzerrt aber auch das Bild gemeldeter Covid-19-Fälle, unter anderem durch Unterschiede im Zugang zum Gesundheitssystem und zu Corona-Tests. Besonders sichtbar ist eine Selektion von Testungen im US-amerikanischen Gesundheitswesen.

Studien der Harvard Kennedy School und der Columbia University deuten an, dass in Vierteln von New York mit mehr Armut oder einem höheren Anteil afroamerikanischer oder eingewanderter Bevölkerung nicht nur die Testwahrscheinlichkeit niedriger ist, sondern auch die Test-Positivraten deutlich höher sind. Diese Ungleichheiten können dadurch entstehen, dass Infektionen unter sozial Schwächeren systematisch untererfasst werden, bis einzelne schwere Verläufe erkannt werden.

Gesundheitssystem in Deutschland bietet besser Chancen aber nutzt nicht allen

Im Vergleich zu den USA verfügt Deutschland über ein umfassendes gesetzliches Gesundheitssystem, das in der Regel allen Einwohnerinnen und Einwohnern offensteht. Dennoch werden die Angebote nicht von allen Menschen gleichermaßen genutzt. So gab die Gesundheitsberichterstattung des Bundes im Jahr 2015 an, dass die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland seltener erfolgt, beispielsweise aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren oder als Folge von Diskriminierungserfahrungen.

Dieselben Mechanismen können auch eine Untererfassung milder Covid-19-Fälle abseits großer Ausbrüche beispielsweise bei Zuwanderinnen und Zuwanderern verursachen. Dazu bedingen Faktoren wie die Furcht vor Stigmatisierung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes eine Selbstselektion bei diagnostischen Testungen.

Der in Bayern geplante besonders niedrigschwellige Zugang zu Corona-Tests ist unter dem Aspekt sozioökonomischer Barrieren ein vielversprechender Ansatz. In der Auswertung der Fallzahlen sollte allerdings scharf zwischen individueller Diagnostik, die aufgrund der beschriebenen Selektionsmechanismen ein verzerrtes Bild der Bevölkerung wiedergibt, und der Beobachtung des Infektionsgeschehens unterschieden werden.

Viele Unterschiede werden in der Corona-Pandemie nicht erfasst

Beide Zielsetzungen sind wichtig, müssen aber getrennt voneinander betrachtet werden. Methodisch am einfachsten ließe sich eine Trennung erreichen, indem eigens zu Beobachtungszwecken Testungen in einer Zufallsstichprobe der Bevölkerung durchgeführt werden. Um Kapazitäten zu schonen, könnten Pool-Testverfahren, bei denen mehrere Testproben gebündelt analysiert werden, zum Einsatz kommen.

Zusätzlich sind für die Beobachtung des Infektionsgeschehens, im Gegensatz zur Rückverfolgung einzelner Infektionsketten bei der Diagnostik, nicht nur die Hintergründe einer Infektion, sondern auch die einer Testung relevant. Eine erste Analyse der AOK Rheinland/Hamburg und des Universitätsklinikums Düsseldorf weist auf ein erhöhtes Risiko von schweren Corona-Verläufen bei Arbeitslosigkeit hin. Sozioökonomische Komponenten wie diese sind angesichts beträchtlicher Unterschiede in Gesundheitsstatus und Infektionsrisiko entscheidend, werden im Zusammenhang mit Covid-19 aber kaum erfasst.

Für die richtige Politik braucht es die richtigen Daten

Es ist Aufgabe der Politik, Nutzen und Kosten möglicher politischer Maßnahmen abzuwägen und Entscheidungen zu fällen. Hierfür bilden die gemeldeten Fallzahlen eine wichtige Datengrundlage. Besonderes Augenmerk muss auch darauf gelegt werden, Disparitäten, die sich durch die Krise noch weiter verschärfen, auszugleichen. Umso notwendiger ist es, dass politische Entscheidungen nicht auf Daten basieren, in denen die am stärksten gefährdeten Mitglieder der Gesellschaft unterrepräsentiert sind.

Themen: Finanzmärkte

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