DIW aktuell ; 51, 6 S.
Sabine Zinn, Michaela Kreyenfeld, Michael Bayer
2020
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28. Juli 2020 – Die coronabedingten Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen im April und Mai 2020 haben viele Eltern vor eine immense Herausforderung gestellt. Plötzlich mussten Kinder ganztags zu Hause betreut und beschult werden. Wie aktuelle Ergebnisse der SOEP-CoV-Studie zeigen, lag die Hauptlast der Kinderbetreuung während des Lockdowns bei den Müttern. Gleichzeitig investierten die Väter überproportional mehr Zeit in die Betreuung ihrer Kinder als zuvor. Durch das Homeschooling waren insbesondere Alleinerziehende, aber auch weniger gut gebildete Eltern stark belastet.
Während des Lockdowns im April und Mai 2020 haben die Mütter mehr Zeit für die Kinderbetreuung aufgewendet als die Väter. Während sie ihre Kinder im Alter von bis zu elf Jahren werktags durchschnittlich 9,6 Stunden lang betreut haben, taten die Väter dies 5,3 Stunden lang. 2019 brachten Mütter durchschnittlich 6,7 Stunden und Väter 2,8 Stunden für die Kinderbetreuung auf60 Minuten entsprechen 1,0 Stunden. Somit sind 6 Minuten 0,1 Stunden und 0,7 Stunden 42 Minuten bzw. 0,8 Stunden 48 Minuten.. Somit ist coronabedingt die durchschnittliche Betreuungszeit bei den Müttern um 2,9 Stunden und bei den Vätern um 2,5 Stunden gestiegen. Das zeigen Auswertungen der ersten vier Teilstichproben der SOEP-CoV-Studie sowie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)Das SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 durchgeführt wird (vgl. Goebel et al., 2019). Das SOEP enthält eine Vielzahl an Informationen zu den Befragten ‒ auf Individual- und Haushaltsebene. Hierzu zählen neben soziodemografischen Charakteristika (Haushaltszusammensetzung, Wohnort, Alter und Geschlecht der Haushaltsmitglieder, Einkommen, etc.) Informationen zum Erwerbsstatus (Arbeitszeit, Branche, Erwerbseinkommen, Anzahl der Mitarbeiter im Betrieb, etc.) sowie Fragen zu Gesundheit, Sorgen oder Lebenszufriedenheit. aus dem Jahr 2019. Allerdings hat die Kinderbetreuungszeit der Väter während des Lockdowns im Vergleich zum Vorjahr überproportional stark zugenommen. Sie verbrachten im Mittel 89 Prozent mehr Zeit mit Kinderbetreuung als im Vorjahr. Bei den Müttern waren es im Mittel 43 Prozent. Dies kann als eine positive Entwicklung im Sinne einer stärkeren Einbindung der Männer in die Kinderbetreuung gesehen werden.
Wie stark die Betreuungszeit während des Lockdowns zugenommen hat, hängt auch vom Alter der Kinder sowie der Bildung der Eltern ab (Tabelle 1). Die Eltern von drei bis fünfjährigen Kindern haben die Betreuungszeit für ihre Kinder im Vergleich zum Vorjahr am stärksten erhöht. Bei Eltern jüngerer oder älter Kinder war die Zunahme geringer. Betrachtet man den Bildungsabschluss, zeigt sich: Bei Vätern mit geringer und mittlerer BildungDer elterliche Bildungsabschluss wird durch den formalen Bildungsabschluss operationalisiert. Hierfür nutzen wir die CASMIN Klassifikation in der folgenden Art: niedriges Bildungsniveau entspricht den CASMIN Klassen 0, 1a, 1b, 2b, ein mittleres Bildungsniveau den CASMIN Klassen 1c, 2a, 2c und ein hohes Bildungsniveau den CASMIN Klassen 3a, 3b. Zur CASMIN Klassifikation siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Casmin-Klassifikation. hat die Kinderbetreuungszeit am stärksten zugenommen. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass Väter mit höheren Bildungsabschlüssen bereits vor dem Lockdown mehr Zeit für die Kinderbetreuung verwendet haben als weniger gebildete Väter.
Tabelle 1: Kinderbetreuung an Werktagen in Paarbeziehungen
Durchschnitt in Stunden
Quelle: SOEPv35 und SOEP-CoV, Tranchen 1-4. Alle Werte gewichtet mit individuellen Hochrechnungsfaktoren. Anmerkung: Gewichtete Angaben. Werte, die auf Stichprobengrößen kleiner als 30 beruhen, sind eingeklammert.
© DIW Berlin
Erwartungsgemäß hängt die Zahl der Betreuungsstunden auch davon ab, wie viel Zeit die Eltern mit Erwerbsarbeit verbringen. So haben während des Lockdowns Eltern mit Vollzeitjob weniger Stunden mit Kinderbetreuung verbracht als Eltern, die in Teilzeit arbeiteten, anders erwerbstätig – zum Beispiel in Kurzarbeit – oder arbeitslos waren (Abbildung 1, Tabelle 2).
Dabei haben Väter mit einem Vollzeitjob weniger zusätzliche Zeit mit Kinderbetreuung verbracht als in Vollzeit arbeitende Mütter. Während sie im Vergleich zu 2019 etwa zwei Stunden zusätzlich investierten, waren es bei den in Vollzeit arbeitenden Frauen etwa drei Stunden. Auch im Vergleich zu Vätern, die in Teilzeit arbeiteten, erwerbslos waren oder einer anderen Art von Erwerbstätigkeit nachgingen, war ihr zusätzlicher Beitrag zur Kinderbetreuungszeit geringEine weitere Differenzierung der Betreuungszeiten, die Männer 2019 und 2020 geleistet haben, nach weiteren Erwerbsformen ist wegen der geringen Fallzahlen in den zugehörigen Gruppen mit sehr großen Unsicherheiten in Bezug auf die zugehörige Grundgesamtheit verbunden..
Auffällig ist der im Vergleich zum Vorjahr enorme Zuwachs an zusätzlichen Betreuungsstunden bei Vätern, die einer anderen Art der Erwerbstätigkeit nachgingen. Dies liegt vermutlich auch an dem großen Anteil an Vätern, die im April und Mai 2020 in Kurzarbeit waren.
Auch bei nicht erwerbstätigen Frauen hat die Betreuungszeit stark (um 4,8 Stunden) zugenommen – und dies trotz des bereits beträchtlichen Ausgangsniveaus von 9,8 Stunden in 2019.
Abbildung 1: Kinderbetreuung in den Jahren 2019 und 2020 nach Geschlecht und Erwerbsstatus
Durchschnitt in Stunden
Quelle: SOEPv35 und SOEP-CoV, Tranchen 1-4. Alle Werte gewichtet mit individuellen Hochrechnungsfaktoren
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Tabelle 2: Betreuungsumfang und dessen Veränderung nach Geschlecht und Erwerbsstatus
Durchschnitt in Stunden
Quelle: SOEPv35 und SOEP-CoV, Tranchen 1-4. Alle Werte gewichtet mit individuellen Hochrechnungsfaktoren Anmerkung: Gewichtete Angaben. Werte, die auf Stichprobengrößen kleiner als 30 beruhen, sind eingeklammert.
© DIW Berlin
Die Schulschließungen haben sowohl die Kultusministerien als auch die Lehrkräfte und die Eltern vor neue Herausforderungen gestellt. Obwohl sich bereits Anfang März abzeichnete, dass diese Maßnahme kommen könnte, hat sie alle Beteiligten relativ unvorbereitet getroffen. Sehr schnell wurden ExpertInnen-Stimmen laut, die deutlich machten, dass sich Schulkinder weiterhin mit dem Schulstoff beschäftigen müssten, um einen „Lernstopp“ zu vermeiden (z.B. https://www.ifo.de/node/53796). Schulen und Lehrkräfte mussten die Schulkinder also weiterhin mit Lernstoff versorgen und verteilten Lernmaterialien auf verschiedenen Wegen, zum Beispiel via E-Mail oder über eine Cloud. Beim Homeschooling waren Eltern und SchülerInnen gezwungen, ohne direkte Unterstützung durch eine Lehrkraft Schulaufgaben in angemessener Qualität und Zeit zu bearbeiten. Für die Eltern war dies eine Belastung, die zu ihren sonstigen Verpflichtungen hinzukam.
Um zu untersuchen, wie stark sich die Eltern durch das Homeschooling belastet fühlten, wurde in der SOEP-CoV-Studie folgende Frage in Bezug auf das jüngstes Schulkind gestellt: „Wie ist Ihre persönliche Einschätzung zu folgender Aussage: Dafür zu sorgen, dass das Kind den Schularbeiten nachkommt, wird mich überfordern.“ Die Befragten antworteten auf einer Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (stimme voll zu).
Wie die Auswertung dieser Einschätzungen zeigt, fühlten sich tendenziell alle Eltern durch das Homeschooling ähnlich stark belastet. Im Durchschnitt lag der Skalenwert bei 2,3, das heißt die Eltern fühlten sich mittelmäßig belastet. Alleinerziehende Eltern litten stärker unter dem Homeschooling als Eltern in Paarbeziehungen; bei ihnen lag der durchschnittliche Skalenwert bei 2,6.
Abbildung 2: Mittlere Belastung durch Schulschließungen nach Bildungsniveau des befragten Elternteils und Partnerschaftsstatus
Skala von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 5 („stimme voll und ganz zu“)
Quelle: SOEPv35 und SOEP-CoV, Tranchen 1-4. Alle Werte gewichtet mit individuellen Hochrechnungsfaktoren;
Anmerkung: Die waagerechten Linien stellen ein 95-Prozent-Konfidenzintervall dar, das das Ausmaß der Unsicherheit in den Schätzungen veranschaulicht.
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Wie sehr Eltern sich durch das Homeschooling belastet fühlten, hängt deutlich mit deren Bildungsniveau zusammen (Abbildung 2). Weniger gebildete Mütter oder Väter litten mehr unter der Situation als Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss, also mit einem (Fach-)-Hochschulabschluss.
Auch Alleinerziehende, die Vollzeit oder Teilzeit arbeiteten, litten stärker (2,8 Skalenpunkte) als diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit oder einer anderen Art von Erwerbstätigkeit nachgingen (2,0 Skalenpunkte). Darüber hinaus arbeiteten erwerbstätige Alleinerziehende während des Lockdowns seltener im Homeoffice (33 Prozent) als Eltern in Paarbeziehungen (39 Prozent). Auch dies hat vermutlich dazu beigetragen, dass sie sich durch das Homeschooling stärker belastet fühlten.
Entlastet fühlten sich die Alleinerziehenden, wenn die Schule Lernmaterial auf mehreren Wegen zur Verfügung stellten – zum Beispiel per E-Mail, über einen Server oder per Videokonferenz. Dann lag ihr Belastungsempfinden im Durchschnitt bei 2,2 und damit um 0,7 Skalenpunkte niedriger als bei den Eltern, die mit den Schulen nur über einen Kommunikationsweg oder gar nicht in Kontakt standen.
Die SOEP-CoV-Studie zeigt deutlich, dass die Hauptlast der Kinderbetreuung während des coronabedingten Lockdowns im April und Mai 2020 von den Müttern getragen wurde – und dies über alle Bildungsniveaus und Erwerbssituationen hinweg. Gleichzeitig zeigt sich, dass bei den Vätern die Kinderbetreuungszeit ähnlich stark zugenommen hat wie bei den Müttern. Das heißt, die Männer haben sich stärker an der Kinderbetreuung beteiligt als im Vorjahr.
Die Belastung durch das Homeschooling empfanden Eltern generell als erträglich, wobei alleinerziehende Eltern und Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss sich stärker belastet fühlten als andere. Wenn die Schulen Lernmaterialien auf verschiedenen Wegen zur Verfügung stellten, wurde das von den Eltern als effektive Unterstützung gesehen. Dies war vor allem bei alleinerziehenden Eltern der Fall.
Dies unterstreicht, wie wichtig eine institutionelle Unterstützung durch die Schule insbesondere für Alleinerziehende ist. Aber auch Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss und Eltern mit Migrationshintergrund hätten davon sicherlich profitiert.
Sabine Zinn ist Bereichsleiterin Surveymethodik- und Management beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin | szinn@diw.de
Michaela Kreyenfeld ist Professor of Sociology an der Hertie School in Berlin | kreyenfeld@hertie-school.org
Michael Bayer ist Professor am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg | michael.bayer@lifbi.de
Themen: Gesundheit, Gender, Familie, Bildung
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/222881