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Nachwuchsgruppe „Zeitpolitik – Wie kann Sozialpolitik kritische Phasen im Lebensverlauf absichern?“

Abgeschlossenes Projekt

Abteilung

Staat

Projektleitung

Kai-Uwe Müller

Projektzeitraum

1. April 2017 - 31. Oktober 2020

Zuwendungsgeber

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), gefördert im Rahmen des Interdisziplinären Fördernetzwerks Sozialpolitikforschung (FIS)

Die Nachwuchsgruppe befasst sich mit Zeitpolitik als einem Element von Sozialpolitik. Zeitpolitik soll Individuen und Haushalte bei der Bewältigung von Zeitkonflikten in kritischen Phasen heutiger Erwerbsbiographien unterstützen. Zeitpolitik beinhaltet Maßnahmen und Leistungen, die Erwerbstätigen unabhängig vom Einkommen jene Zeitverwendung ermöglichen, die ihren Vorstellungen entspricht. Die Nachwuchsgruppe identifiziert entsprechende kritische Phasen in Erwerbsverläufen. Sie analysiert Entscheidungen von Individuen und Haushalten sowie weitere Faktoren, die beobachtete Zeitarrangements beeinflussen. Präferenzen werden von Restriktionen und anderen nicht beeinflussbaren Faktoren unterschieden. Ganz wesentlich ist die Analyse des Einflusses sozialpolitischer Regelungen, die zeitpolitische Funktionen erfüllen. Dabei werden bereits existierende Maßnahmen wie auch verschiedene Reformvorschläge evaluiert.

Die Nachwuchsgruppe verfolgt einen multidisziplinären Ansatz, der durch je eine(n) Doktorand_in im Fach Soziologie und Volkswirtschaftslehre personell verankert ist. Die Perspektiven auf das Thema eint ein quantitativ-empirischer Zugang, der auf verschiedenen repräsentativen Mikro-Datensätzen beruht. Punktuell wird dieser durch qualitative Methoden ergänzt, wenn repräsentative Daten nicht verfügbar sind. Die theoretischen und methodischen Stärken beider Forschungsdisziplinen werden kombiniert: auf Basis theoretisch fundierter empirischer Methoden werden kausale Effekte zeitpolitischer Maßnahmen auf Entscheidungen über Zeitarrangements untersucht. Zum einen werden Kausaleffekte mittels sozialwissenschaftlicher Evaluationsmethoden, d.h. auf Basis quasi-experimenteller Variation, identifiziert. Komplementär werden zum zweiten die interessierenden Zusammenhänge ebenfalls im Rahmen struktureller Verhaltensmodelle untersucht. 

Empirische Forschungsprojekte zu Zeitkonflikten und Zeitpolitik werden in vier Themenbereichen definiert:

(I) Zeitkonflikte bei Eltern mit Kleinkindern;

(II) Arbeitszeitflexibilität im Lebensverlauf;

(III) Erwerbs- und Sorgearbeit – Private Pflege und Pflegezeit;

(IV) flexible Übergänge in Rente.

Exemplarische Projekte aus den einzelnen Projektmodulen

Mehr oder weniger? Arbeitszeitwünsche und -realitäten bei Eltern mit Kleinkindern
(Kai-Uwe Müller, Michelle Harnisch, Michael Neumann)

In diesem Projekt wird untersucht, inwiefern sich die Arbeitszeitwünsche von Eltern mit Kleinkindern von ihren tatsächlichen Arbeitszeiten unterscheiden. Frauen würden in dieser Lebensphase nicht generell mehr und Männer weniger arbeiten. Vielmehr hängen die Wünsche von der jeweils realisierten Arbeitszeit ab. Es werden Unterschiede nach individuellen und Haushaltsmerkmalen aufgezeigt und die Situation in Deutschland in den internationalen Kontext eingebettet. Zudem werden Ursachen für das Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit erörtert. Neben Engpässen bei der Kinderbetreuung spielen auch Restriktionen bei den Arbeitgebern eine Rolle.

Was hilft, was hindert? Eine Untersuchung der Bedingungen am Arbeitsplatz für die Nutzung von Elterngeld und die Auswirkungen auf die Karriere mit einem Mixed-Methods Design
(Claire Samtleben,Julia Bringmann, Mareike Bünning, Lena Hipp)

Trotz beträchtlicher Anstrengungen der Politik sind Elternzeiten sehr ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt. Da Arbeitsplätze nach wie vor genderspezifisch ausgerichtet sind, wird untersucht, inwiefern die unzureichende Wirkung der Politikreformen durch Merkmale des Arbeitsplatzes erklärt werden können. Hängt die Inanspruchnahme von Elternzeit und die Länge von Erwerbsunterbrechungen bei Vätern systematisch mit dem Arbeitsplatz zusammen? Zudem werden die Konsequenzen der Erwerbsunterbrechungen für die zukünftige Karriere von Vätern mit den Auswirkungen vergleichbarer Unterbrechungen für Mütter verglichen. Hierzu wird eine Kombination quantitativer und qualitativer Daten, die für gemischtgeschlechtliche Paare in Deutschland im Jahr 2015 erhoben wurden, genutzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Sorge vor beruflichen Konsequenzen und das Fehlen eines adäquaten Ersatzes am Arbeitsplatz Väter davon abhalten, mehr als zwei Monate Elternzeit zu nehmen. Väter wie Mütter erfuhren häufiger negative Auswirkungen der Elternzeit auf die Karriere, wenn sie in Organisationen arbeiteten, in denen strengere Normen einer/s „idealen Arbeitnehmer_in/s“ existierten.

Erhöht die öffentlich geförderte Kinderbetreuung das Arbeitsangebot von Müttern? Evidenz von einer weitreichenden Expansion des Betreuungsangebots für Kleinkinder (PDF, 0.91 MB)
(Kai-Uwe Müller, Katharina Wrohlich)

Dieses Projekt analysiert, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen der Bereitstellung öffentlich subventionierter Kinderbetreuung und dem Arbeitsangebot von Müttern besteht. Mütter von Kleinkindern stehen vor dem Zeitkonflikt, Betreuungs- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Die Identifikation basiert auf räumlicher und zeitlicher Variation beim Ausbau der subventionierten Kinderbetreuung, die durch zwei umfassende Politikreformen in Deutschland angestoßen wurde. Mit dem Mikrozensus nutzen wir einen großen repräsentativen Mikrodatensatz. Wir finden, dass eine exogene Erhöhung der Kinderbetreuungsplätze um ein Prozent die Arbeitsmarktpartizipation von Müttern mit Kleinkindern um etwa 0,2 Prozentpunkte erhöht. Der Effekt wird hauptsächlich von Müttern mit mittlerem Qualifikationsniveau getrieben, während Mütter mit akademischem Bildungsabschluss oder geringer Qualifikation ihr Arbeitsmarktverhalten kaum anpassen. Anstieg der Arbeitsmarktpartizipation kommt in erster Linie durch den Anstieg von Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 bis 35 Stunden zustande. Für das Outcome der „großen Teilzeit“ ergibt sich auch ein signifikant positiver Effekt für den Anteil von Vollzeit-Betreuungsplätzen.

Arbeitsangebot von Müttern und Stundenrestriktionen. Ein erweitertes strukturelles Modell für Politikevaluationen
(Kai-Uwe Müller, Michael Neumann, Katharina Wrohlich)

Das Papier erweitert ein statisches diskretes Arbeitsangebotsmodell für Paarhaushalte, indem Restriktionen für die Partizipations- und die Stundenentscheidung eingeführt werden. Restriktionen werden über Informationen zu den Individuen identifiziert, die die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt, die Arbeitssuchaktivitäten sowie die gewünschten und tatsächlich realisierten Arbeitsstunden betreffen. Präferenzen und Restriktionen variieren im Modell mit beobachteten und unbeobachteten Merkmalen. Wir unterscheiden Restriktionsmechanismen: Arbeitsnachfragebeschränkungen, Normen zu gewöhnlichen Arbeitsstunden für Berufe und unzureichendes Angebot subventionierter Kinderbetreuung. Das Modell wird genutzt, um verschiedene Lohnsubventionen für Eltern mit niedrigen Einkommen im Kontext des deutschen Steuer- und Transfersystems zu evaluieren. Diese Subventionen sollen die Arbeitsanreize für Zweitverdiener, d.h. in der Regel Frauen, erhöhen. Auf Basis des Modells können die Verhaltensreaktionen in einen Anreizeffekt und die (hemmende) Wirkung von Restriktionen für die Partizipations- und Stundenentscheidung unterschieden werden.

Lebenszykluskosten von übermäßigem (Selbst-)Vertrauen. Evidenz auf Basis von Reformen zu Elternzeitregelungen
(Ulrich Schneider)

In diesem Papier werden die Auswirkungen fehlerhafter Erwartungen von Müttern über zukünftige Arbeitsmarktchancen (und eine dadurch begründete) verspätete Rückkehr auf den Arbeitsmarkt analysiert. Der Fokus liegt auf Frauen, die eine Erwerbsunterbrechung infolge der Geburt eines Kindes aufweisen. Dazu wird ein strukturelles Lebenszyklusmodell zur Arbeitsangebotsentscheidung und zum Aufbau von Humankapital entwickelt, das auf Basis von SOEP-Daten mit der „Method of Simulated Moments“ geschätzt wird. In diesem Rahmen werden Erwartungen über zukünftige Erwerbschancen modelliert. Die Identifikation von Erwartungen basiert auf den Verhaltensreaktionen an einer Diskontinuität – dem Auslaufen des elternzeitlichen Kündigungsschutzes – zum erwarteten zukünftigen Wert von Nichtbeschäftigung. Zudem werden verschiedene Elternzeitreformen ausgenutzt, die die Länge der Kündigungsschutzperiode verändert haben. Durch diese exogen gegebene Variation ist die separate Identifikation von Erwartungen, die Wahrscheinlichkeit ein Jobangebot zu erhalten, und Präferenzen möglich. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen ihre Erwerbsoptionen nach kinderbedingten Erwerbsunterbrechungen im Durchschnitt zu hoch einschätzen. Dies verlängert die Erwerbsunterbrechungen nach der Geburt von Kindern um bis zu 8 Monate im Vergleich zu Frauen, die ihre Erwerbsoptionen richtig einschätzen.

Haus- und Sorgearbeit und Karriere? Würde eine symmetrische Verteilung von unbezahlter Arbeit in Paarhaushalten die Arbeitsmarktintegration von Frauen erhöhen?
(Claire Samtleben, Kai-Uwe Müller)

In dem Papier wird die in der soziologischen Literatur dominierende monokausale Interpretation des Zusammenhangs zwischen der Verteilung von Haus- und Sorgearbeit und der Erwerbsbeteiligung in Frage gestellt. Es wird untersucht, inwieweit die Verteilung von unbezahlter Arbeit in gemischtgeschlechtlichen Paarhaushalten die Arbeitsmarkintegration und den Arbeitsmarkterfolg von Frauen beeinflusst. Neben kausaler Evidenz für diesen Zusammenhang liegt der Beitrag dieses Papiers auch in der Nutzung von Paneldaten über einen längeren Zeitraum, die es ermöglicht, die methodischen Probleme in diesen Zusammenhang stärker als bislang zu adressieren. Auf der Basis von SOEP-Daten der Jahre 2001-2016 untersuchen wir die Auswirkungen der Verteilung von Haus- und Sorgearbeit auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Frauen in Paarhaushalten wie auch die Arbeitsstunden, Stundenlöhne und Erwerbseinkommen beschäftigter Frauen. Wir schätzen Instrumentvariablenmodelle mit fixen Individual- und Zeiteffekten, die für die Endogenität der Zeit in unbezahlter Arbeit kontrollieren.

Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung (PDF, 306.81 KB)
(Claire Samtleben)

Bezahlte und unbezahlte Arbeit ist in Deutschland noch immer sehr ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt. Auch unabhängig von Zeitrestriktionen durch Erwerbsarbeit gibt es eine geschlechtsspezifische Lücke im zeitlichen Aufwand für Hausarbeit und Kinderbetreuung (Gender Care Gap). Das Gesamtvolumen von bezahlter und unbezahlter Arbeit an Wochentagen ist bei Männern und Frauen mit circa elf Stunden in etwa gleich, wobei Frauen mehr unbezahlte und Männer mehr bezahlte Arbeit leisten. Auch sonntags leisten Frauen durchschnittlich 1,5 Stunden mehr unbezahlte Arbeit. In Haushalten mit – vor allem jüngeren – Kindern ist der Gender Care Gap besonders ausgeprägt. Da sich die Ungleichverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit negativ auf die finanzielle Situation von Frauen auswirkt, sind politische Anreize zur Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und des Engagements von Männern im Haushalt und in der Kinderbetreuung wichtig. Beispiel für eine solche Maßnahme wäre die Ausweitung der Partnermonate im Elterngeld.

Zeitinkonsistente Präferenzen und Arbeitsangebot von Frauen
(Ulrich Schneider, Peter Haan, Luke Haywood)

In diesem Projekt wird ein dynamisches Lebenszyklusmodell zum Arbeitsangebot entwickelt mit einem spezifischen Fokus auf die Zeitpräferenzen von Frauen. Damit werden die Auswirkungen zeitinkonsistenter Präferenzen (zu Einkommen und der Zeitverwendung für Erwerbs- und Pflegearbeit) für die Entscheidung analysiert, nach der Elternzeit auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Zeitinkonsistentes Verhalten kann Mütter, die aufgrund der Geburt ihrer Kinder ihre Erwerbskarriere unterbrochen haben, dazu bewegen, ihre Rückkehrentscheidung in den Job wiederholt zu verschieben. Dadurch erhöhen sich die „Karrierekosten“ der Erwerbsunterbrechung. Als Datenbasis dienen das SOEP sowie ergänzend administrative Daten des IAB. Zur Identifikation werden verschiedene natürliche Experimente ausgenutzt: Verschiedene (frühere) Reformen haben die Elternzeit von einem Jahr auf drei Jahre ausgedehnt.

(Re-)Evaluierung der Effekte der Auswirkungen der Einführung des Rechtsanspruchs auf Teilzeit auf individuelle Beschäftigungsoutcomes mit administrativen Daten
(Kai-Uwe Müller, Sascha Drahs)

In diesem Projekt werden Auswirkungen des Rechtsanspruchs auf eine Teilzeitbeschäftigung auf individuelle Beschäftigungs-Outcomes evaluiert. Der Hintergrund dieser Forschung ist die empirisch belegte Tatsache, dass viele Arbeitnehmer_innen in bestimmten Lebensphasen ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Sie sehen sich jedoch mit verschiedenen Restriktionen, insbesondere auf Seiten der Arbeitgeber konfrontiert. Mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf Teilzeit sollten diese Restriktionen merklich reduziert werden. Ein Übergang von Vollzeit zu Teilzeit (beim selben Arbeitgeber) sollte damit leichter möglich sein. Für die Identifikation des kausalen Effekts des Rechtsanspruchs wird die quasiexperimentelle Situation ausgenutzt, dass im entsprechenden Gesetz im Jahr 2001 der Rechtsanspruch nur für Betriebe mit mehr als 15 Arbeitnehmer_innen bindend war. Als Datenbasis dient die Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Ergebnisse zeigen nur moderate positive Effekte auf die Übergangsrate in Teilzeitarbeit für Frauen, die in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten arbeiten. Allerdings existiert beträchtliche Effektheterogenität in Bezug auf das Alter: for Vollzeit beschäftigte Frauen, die älter als 50 Jahre sind, hat die Einführung des Rechtsanspruchs auf Teilzeit kurzfristig die Übergangsraten von Voll- in Teilzeit um 1 bis 2,5 Prozentpunkte (25 bis 50 %) erhöht. Zudem hat sich die Wahrscheinlichkeit, im folgenden Jahr beschäftigt zu sein, um einen Prozentpunkt in dieser Altersgruppe erhöht.

Zeit zum Pflegen? Die Auswirkung des Renteneintritts auf das Angebot informeller Pflege (PDF, 0.87 MB)
(Björn Fischer, Kai-Uwe Müller)

Das Papier untersucht den Einfluss des Renteneintritts auf die Pflegearbeit von Frauen, die sich um Familienangehörige oder Freunde kümmern. Den Hintergrund bilden latente Zeitkonflikte am Ende des Erwerbslebens, wenn neben der Erwerbsarbeit ein Pflegebedarf im häuslichen Umfeld (Ehepartner_in, Eltern, Freunde) auftritt. Individuen entscheiden über ihr Arbeitsangebot, den Renteneintritt und das Angebot von Pflegearbeit. Die Analysen sind ebenfalls vor dem Hintergrund des demographischen Wandels für das Arbeitsangebot wie auch für das Angebot informeller Pflege insbesondere von Frauen relevant.

Das Papier untersucht den Einfluss des Renteneintritts auf die Pflegearbeit von Frauen, die sich um Familienangehörige oder Freunde kümmern. Den Hintergrund bilden latente Zeitkonflikte am Ende des Erwerbslebens, wenn neben der Erwerbsarbeit ein Pflegebedarf im häuslichen Umfeld (Ehepartner_in, Eltern, Freunde) auftritt. Individuen entscheiden über ihr Arbeitsangebot, den Renteneintritt und das Angebot von Pflegearbeit. Die Analysen sind ebenfalls vor dem Hintergrund des demographischen Wandels für das Arbeitsangebot wie auch für das Angebot informeller Pflege insbesondere von Frauen relevant.

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