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Europäische Bankeinlagensicherung könnte Folgen von coronabedingter Insolvenzwelle bei Unternehmen abfedern

DIW Wochenbericht 32/33 / 2020, S. 543-552

Marius Clemens, Stefan Gebauer, Tobias König

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  • Europäische Bankenunion bisher ohne dritte Säule: gemeinsamer Sicherungsfonds für Einlagen von SparerInnen fehlt
  • Studie zeigt, dass dies nachteilig ist, wenn Unternehmen coronabedingt insolvent gehen und es zu Kredit- und Einlagenausfällen kommt – nationaler Einlagenfonds wäre relativ schnell erschöpft
  • Würde dann Europäische Einlagensicherung (EDIS) einspringen, hätte Bankenkrise gegenüber staatlicher Rettung geringere Folgen, etwa bei Konsum, Kreditvergabe und Staatsverschuldung
  • Ergebnisse sprechen für eine stärkere Risikoteilung im europäischen Bankensystem und eine zügige EDIS-Einführung
  • Voraussetzung jedoch: Effizienter Einzahlungsmechanismus, um Banken nicht zu überfordern, und Vorkehrungen gegen erhöhte Risikobereitschaft der Banken

„Eine europäische Einlagensicherung würde zur Harmonisierung und Integration der Finanzmärkte in Europa beitragen. Es lauern jedoch auch Gefahren: So steigen beispielsweise mit der Höhe der Absicherung die Anreize für Banken, größere Risiken einzugehen. Dieses und weitere Probleme müssten vorab gelöst werden.“ Stefan Gebauer

Der europäischen Bankenunion fehlt bisher die dritte Säule: ein gemeinsamer Sicherungsfonds für die Einlagen von SparerInnen bei Banken. Wie diese Studie zeigt, könnte dies im Zuge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie Nachteile mit sich bringen. Ein Szenario, in dem es durch eine Insolvenzwelle bei Unternehmen zu Kredit- und Einlagenausfällen von insgesamt sechs Prozent über ein Jahr kommt, würde die nationale Einlagensicherung in Deutschland überfordern. Selbst wenn der Fiskus einspringt und alle Einlagen sichert, wäre eine Europäische Einlagensicherung (EDIS) im Vergleich die bessere Variante: Mit ihr würde der private Konsum um 20 Prozent weniger und die Kreditvergabe um rund zehn Prozent weniger stark sinken als im Falle einer staatlichen Rettung, die zudem die Staatsverschuldung deutlich erhöht. Eine stärkere Risikoteilung spricht somit auch aus deutscher Sicht für eine zügige EDIS-Einführung. Allerdings ist es wichtig, einen effizienten Einzahlungsmechanismus zu entwickeln, um die Belastung für die Banken möglichst gering zu halten. Zudem sollten Vorkehrungen getroffen werden, um einer erhöhten Risikobereitschaft der Banken infolge der EDIS-Einführung vorzubeugen.

Die europäische Finanz- und Schuldenkrise der Jahre 2009 und 2010 hat die Bestrebungen nach einer tiefergehenden Integration der europäischen Finanzmärkte verstärkt.infoDieser Wochenberichts basiert auf Teilen des DIW-Diskussionspapiers von Marius Clemens, Stefan Gebauer und Tobias König (2020): The Macroeconomic Effects of a European Deposit (Re-)Insurance Scheme. DIW Discussion Paper 1873 (online verfügbar; abgerufen am 23. Juli 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Für interessierte LeserInnen sei auf das Papier verwiesen, das es eine Vielzahl weiterer Applikationen, unter anderem eine Wohlfahrtsanalyse und eine empirische Anwendung der europäischen Finanzkrise 2009, beinhaltet. Im Zentrum finanzmarktpolitischer Reformen steht seitdem die Schaffung einer auf drei Säulen basierenden Bankenunion. Diese soll neben der Einführung einer EU-weiten Bankenaufsicht und Abwicklungsfazilität auch ein Europäisches Einlagensicherungssystem (European Deposit Insurance Scheme, EDIS) umfassen. Während mit der Schaffung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) und dem Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) die ersten beiden Säulen bereits umgesetzt wurden, steht die EDIS-Einführung noch aus.

Der im November 2015 vorgelegte Vorschlag der EU-Kommission sah die Einführung von EDIS bis zum Jahr 2024 in drei Stufen vor. Dabei war vorgesehen, dass in der ersten Stufe eine bis zum Jahr 2020 geltende EU-Rückversicherung nur dann greifen sollte, wenn die nationalen Sicherungssysteme – etwa im Zuge einer systemischen Bankenkrise in einem Mitgliedstaat – erschöpft wären. In der zweiten Stufe einer von 2020 bis 2023 geltenden europäischen Mitversicherung hingegen würde EDIS Verluste auf Einlagen infolge von Bankeninsolvenzen bereits teilweise abfedern, bevor nationale Sicherungssysteme erschöpft wären. So würden Versicherungsleistungen bereits im Fall von Einlagenausfällen unmittelbar an die betroffenen Länder ausgezahlt, wobei deren Anteil im Vergleich zu nationalen Transfers im Laufe der Jahre schrittweise erhöht werden sollte. Schließlich sah der EU-Vorschlag für die Zeit ab dem Jahr 2024 eine vollständige Eingliederung der nationalen Einlagensysteme in ein europäisches System vor. Europäische Bankeinlagen sollten dann unabhängig von Herkunft oder Sitz der Bank gleichermaßen durch EDIS besichert sein. Zu jeder Phase war die Bereitstellung der Mittel durch einen europäischen Einlagensicherungsfonds vorgesehen, für dessen Finanzierung Beiträge von Banken erhoben werden sollten.

Aus theoretischer Sicht ist die Stabilisierungswirkung von EDIS nicht eindeutig, da verschiedene gegenläufige Effekte auftreten können: Auf der einen Seite kann die Einführung von EDIS die bereits durch nationale Einlagensicherungen bestehende Risikoteilung auf europäischer Ebene verstärken und somit die Integration grenzübergreifender Finanzaktivitäten erhöhen. Gerät eine Bank in finanzielle Schwierigkeiten, kann eine effizient gestaltete Einlagensicherung die Wahrscheinlichkeit massenhafter Abzüge von Einlagen („bank runs“) und die Verschärfung von Liquiditätsrisiken verhindern.infoVgl. Douglas Diamond und Philip Dybvig (1983): Bank runs, deposit insurance, and liquidity. Journal of Political Economy, 91(3), 401–419. Wird dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Übergreifens der bankspezifischen Probleme auf andere Institute – etwa aufgrund wechselseitiger Verpflichtungen im Interbankenmarkt – verringert, kann eine Einlagensicherung auch systemischen Bankenkrisen vorbeugen.infoDie so erzielte höhere Stabilität im Bankensektor kann schließlich auch finanzpolitische Risiken verringern, etwa wenn Bankenrettungen durch nationale Regierungen unwahrscheinlicher werden. Diese hatten vor allem in der vergangenen Krise einige europäische Regierungen in Schwierigkeiten gebracht, da ein resultierender Anstieg der Staatsverschuldung den Wert von Staatsanleihen sinken und die darauf zu leistenden Risikoprämien steigen ließ. Da vor allem heimische Banken wiederum in diese Staatsanleihen investiert hatten, trug dieser Teufelskreis („doom loop“) zur Verschärfung der Probleme im Bankensektor bei. Siehe unter anderem Giovanni Dell'Ariccia et al. (2018): Managing the sovereign-bank nexus. Working Paper Series 2177, Europäische Zentralbank.

Auf der anderen Seite kann die Ausfallbesicherung aber auch zu einer erhöhten Risikobereitschaft von Banken führen, da mögliche Verluste für Gläubiger der Bank durch die Einlagensicherung abgefedert werden.infoVgl. etwa Claudia Lambert, Felix Noth und Ulrich Schüwer (2017): How Do Insured Deposits Affect Bank Risk? Evidence from the 2008 Emergency Economic Stabilization Act. Journal of Financial Intermediation, 29, 81–102; George Pennacchi (2006): Deposit Insurance, Bank Regulation, and Financial System Risks. Journal of Monetary Economics, 53(1), 1–30; David C. Wheelock und Subal C. Kumbhakar (1995): Which Banks Choose Deposit Insurance? Evidence of Adverse Selection and Moral Hazard in a Voluntary Insurance System. Journal of Money, Credit and Banking, 27(1), 186–201. Diese Verlustabfederung kann für die Bank Anreize reduzieren, KreditnehmerInnen und deren Bonität genau zu prüfen und zu überwachen. Dadurch steigt womöglich das Risiko im Finanzsystem insgesamt.infoVgl. Viral V. Acharya, Itamar Drechsler und Philipp Schnabl (2014): A Pyrrhic Victory? Bank Bailouts and Sovereign Credit Risk. The Journal of Finance, 69(6), 2689–2739; Asli Demirgüc-Kunt und Harry Huizinga (2004): Market Discipline and Deposit Insurance. Journal of Monetary Economics, 51(2), 375–399; Charles W. Calomiris und Matthew Jaremski (2019): Stealing Deposits: Deposit Insurance, Risk-Taking, and the Removal of Market Discipline in Early 20th-Century Banks. The Journal of Finance, 74(2), 711–754. Gleichzeitig könnte es zu einer Konzentration von Sparguthaben kommen, da AnlegerInnen ihr Geld dort anlegen, wo der höchste Einlagezins angeboten wird. Da alle Mitgliedstaaten in die Risikoteilung involviert wären, könnte es zu einem Missverhältnis zwischen bestehenden Risiken und Haftungsansprüchen kommen.

Vor allem aufgrund solcher negativen Effekte durch moralische Risiken („moral hazard“) stößt die europäische Integration nationaler Einlagensicherungssysteme seit längerer Zeit auf Widerstand in einigen Mitgliedstaaten, insbesondere in Deutschland. Zwar wird die Notwendigkeit grenzübergreifender Sicherungssysteme zur Risikoteilung seitens der Politik und der Bankenverbände grundsätzlich anerkannt, um den europäischen Bankensektor erfolgreich zu stabilisieren und zu konsolidieren. Vor allem der Übernahme von Risiken in ausländischen Bankbilanzen steht man aber grundsätzlich skeptisch gegenüber, da dies Banken dazu verleiten könnte, höhere Risiken einzugehen und nationale Regulierer Verluste möglicherweise auf die europäische Ebene abwälzen könnten. Vor allem die in der dritten Stufe des Kommissionsvorschlags angedachte Integration nationaler Systeme in EDIS birgt speziell in Deutschland und Österreich mit Blick auf den Umgang mit Haftungsverbänden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken und deren Integration in EDIS Konfliktpotential.infoZwar wurden mit der europäischen Einlagensicherungsrichtlinie in allen Mitgliedstaaten der EU geltende einheitliche Regelungen zum Einlagenschutz erlassen, die etwa eine gesetzliche Mindestabsicherung privater Einlagen in Höhe von 100000 Euro vorsehen. Dennoch bestehen in der Ausgestaltung nationaler Einlagensicherungssysteme der EU-Mitgliedstaaten teilweise erhebliche Unterschiede, etwa mit Blick auf die besicherten Anlagetypen. In Deutschland gibt es insgesamt vier bankentypische Einlagensicherungssysteme. Diese beinhalten auch die als Einlagensicherung anerkannten Haftungsverbünde (Institutssicherungssysteme) der Sparkassen und der genossenschaftlich organisierten Volksbanken. Darüber hinaus existieren in Deutschland freiwillige Systeme der privaten und öffentlichen Banken, die in eigener Verantwortung eine über die Mindestvorgaben hinausgehende Absicherung gewährleisten. Vgl. etwa Deutsche Bundesbank: Einlagensicherung (online verfügbar).

Allerdings zeichnet sich seit einigen Monaten eine Wiederbelebung der Debatte um EDIS sowie ein Umdenken bei einigen VertreterInnen von Politik, Banken und Aufsichtsbehörden in Deutschland ab. So legte der deutsche Finanzminister Anfang November 2019 einen Vorschlag vor, um die – vor allem aufgrund der Vorbehalte der Bundesregierung bestehende – jahrelange Blockade in den Verhandlungen um EDIS zu durchbrechen. Der Vorschlag sieht eine permanente Einführung einer Rückversicherung vor.infoÄhnliche Vorschläge wurden bereits von einer deutsch-französischen Gruppe von ÖkonomInnen und seitens des EU-Parlaments vorgelegt. Vgl. Agnès Bénassy-Quéré et al. (2018): Reconciling Risk Sharing with Market Discipline: A constructive approach to Euro Area Reform. CEPR Policy Insight January, 91; Europäische Kommission (2015): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) 806/2014 in order to establish a European Deposit Insurance Scheme. Com/2015/0586 final – 2015/0270. Diese soll, ähnlich der ersten Stufe des EU-Kommissionsvorschlags, nur dann einspringen, sobald nationale Sicherungssysteme erschöpft sind. Hierfür soll neben den nationalen Fonds ein durch Abgaben der Banken finanzierter europäischer Einlagensicherungsfonds etabliert werden. Dieser würde jedoch, zumindest vorerst, nur rückzahlungspflichtige Darlehen und keine Zuschüsse bereitstellen können. Auch der Abbau von Risiken im Bankensektor und die Abkehr von der risikofreien Bewertung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen sollten Bedingungen für die Einführung von EDIS sein. Obwohl diese Bedingungen Skepsis in einigen Mitgliedstaaten hervorriefen,infoSo äußerte etwa der zuständige EU-Wirtschaftskommissar Anfang Dezember 2019 Bedenken, dass einige der im deutschen Vorschlag enthaltenen Bedingungen, etwa die Bedingung zur Einführung von Risikogewichten auf Staatsanleihen, für einige Mitgliedsstaaten inakzeptabel seien. Vgl. etwa Wirtschaftswoche (2019): EU-Finanzminister uneinig bei Euro- und Bankenreformen. Wirtschaftswoche Online vom 5. Dezember 2019 (online verfügbar). wurde der Vorschlag aus dem deutschen Finanzministerium sowohl von den europäischen Partnern als auch von der deutschen Politik und Bankenbranche insgesamt durchaus positiv aufgenommen. Neben der Abkehr von einer wie in der zweiten und dritten Stufe des ursprünglichen EU-Vorschlags vorgesehenen langfristigen Integration der nationalen Sicherungssysteme in ein europäisches System dürften auch jüngere Entwicklungen im europäischen Finanzsektor zu diesem Wandel beigetragen haben. So haben gerade in Deutschland zuletzt Finanzskandale, aber auch die erfolglosen Fusionspläne einiger großer deutscher Banken sowie deren strukturelle Schwächen gezeigt, dass eine zusätzliche Absicherung und eine weitere Harmonisierung europäischer Finanzmärkte durch EDIS für alle Marktteilnehmer positiv wirken können. Während vor allem größere und international agierende Institute hiervon profitieren könnten und einer neuen Verhandlungsrunde über EDIS daher relativ aufgeschlossen gegenüberstehen, gibt es vor allem bei kleineren und national agierenden Banken wie Volksbanken und Sparkassen weiterhin Bedenken. Allerdings könnten diese nun besonders stark von einer im Zuge der Corona-Pandemie drohenden Unternehmensinsolvenzwelle betroffen sein.infoVgl. Reint E. Gropp, Michael Koetter und William McShane (2020): The Corona Recession and Bank Stress in Germany. IWH Online 4/2020 (online verfügbar).

Coronabedingte Insolvenzwelle kann Bankenrisiko deutlich erhöhen

Auch die im Zuge der Corona-Krise europaweit gestiegenen Risiken im Finanzsektor haben die Debatte um eine adäquate Risikobesicherung auf europäischer Ebene beflügelt. Obwohl die Corona-Pandemie per se ein globaler Schock ist, wurden die EU-Staaten bisher in unterschiedlichem Maße getroffen (Abbildung 1). Deutschlands Wirtschaft ist dabei im europäischen Vergleich bisher überdurchschnittlich stark betroffen. So sank die Industrieproduktion im Lockdown-Monat April um 20 Prozent und damit rund fünf Prozentpunkte mehr als im EU-Durchschnitt. Im Gegensatz zu einigen anderen großen EU-Staaten, etwa Italien oder auch Frankreich, wurde in Folge der ersten Lockerungen im Mai 2020 zudem ein wesentlich geringerer Anteil des Einbruchs aufgeholt.

Trotz der starken realwirtschaftlichen Einbrüche haben die finanzpolitischen Liquiditätshilfen der einzelnen Regierungen ein Überschwappen der realwirtschaftlichen Krise auf die Finanzwelt zumindest vorerst unterbunden. Zudem hat die EU-Kommission ein EU-SolidaritätspaketinfoSiehe Bundesfinanzministerium (2020): Europäische Antwort auf Corona (online verfügbar). im Umfang von 540 Milliarden Euro und einen Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro beschlossen, auch um die negativen asymmetrischen Effekte des Corona-Schocks in den europäischen Ländern abzumildern.infoSiehe Europäische Union (2020): Ein Aufbauplan für Europa (online verfügbar).

Allerdings ist in vielen EU-Staaten die Insolvenzmeldepflicht ausgesetzt worden, so dass das Risiko einer Insolvenzwelle, zunehmender Kreditausfälle und damit auch die Übertragung der Krise auf den Finanzsektor trotz aller Liquiditätshilfemaßnahmen weiterhin akut bleibt.infoSiehe Bundesbank (2020): Der Bankensektor im Zeichen der Pandemie – die Perspektive der Bundesbank. Rede bei der Online-Veranstaltung der Deutschen Bundesbank „Covid-19 und die Auswirkungen auf die Banken in Deutschland“ am 5. Mai 2020 (online verfügbar). Erste Berechnungen prognostizieren im Zuge der zu erwartenden Insolvenzen einen Anstieg der Zahl notleidender europäischer BankeninfoAls notleidend gelten Banken, wenn sie die regulatorische Eigenkapitalanforderungen nicht erfüllen. Siehe Europäische Zentralbank (2019): Sensitivity Analysis of Liquidity Risk – Stress Test 2019. Final results (online verfügbar). um sechs bis 28 Prozent.infoVgl. Gropp, Koetter und McShane (2020), a.a.O. In Deutschland wären vor allem kleine und mittelständische Unternehmen betroffen, da der Auslöser der Krise anders als in der Finanzkrise 2009 realwirtschaftlicher Natur ist. Eine Insolvenzwelle dürfte dementsprechend in besonderem Maße Banken und Kreditinstitute treffen, die einen Großteil ihres Geschäfts im Unternehmens- und Privatkundengeschäft haben. Dies sind in Deutschland oft kleinere und überwiegend national agierende Institute, etwa Sparkassen und Volksbanken, die bisher Vorbehalte gegenüber der Einführung von EDIS haben. Die Corona-Krise könnte diese Vorbehalte jedoch reduzieren – vorausgesetzt, es findet sich ein geeigneter Vorschlag zur Integration von Haftungsverbünden in EDIS.

Auch vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Risiken dürfte der EDIS-Implementierung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 mehr Priorität eingeräumt werden. Ein als Rückversicherung gestaltetes europäisches Einlagensicherungssystem erscheint derzeit als wahrscheinlichste Variante, nicht zuletzt, weil hierbei national bestehende Systeme weitestgehend erhalten bleiben könnten und lediglich eine zusätzliche Absicherung durch EDIS gewährleistet wäre. Entsprechende Vorschläge sollen in diesem Jahr, auch im Zuge der Risikoabfederung der in der Corona-Krise erlassenen Maßnahmen, wieder verstärkt auf europäischer Ebene diskutiert werden.

Modellbasierte Krisenszenarien sind Grundlage der Berechnungen

Um die makroökonomischen Stabilisierungseffekte von EDIS zu evaluieren, wurde ein Zwei-Länder-DSGE-Modell entwickelt (Kasten).infoVgl. Clemens, Gebauer und König (2020), a.a.O. für eine detaillierte Modellbeschreibung. Das Modell basiert zu einem Teil auf Vorarbeiten aus der bestehenden DSGE-Modellinfrastruktur des DIW Berlin. Siehe unter anderem Marius Clemens, Stefan Gebauer und Malte Rieth (2017): Frühzeitiger Ausstieg der EZB aus dem Anleihekaufprogramm dürfte Wachstum und Inflation bremsen. DIW Wochenbericht Nr. 49, 1136–1143 (online verfügbar); Marius Clemens und Mathias Klein (2018): Ein Stabilisierungsfonds kann den Euroraum krisenfester machen. DIW Wochenbericht Nr. 23, 485–492 (online verfügbar). Dieses wurde um die Möglichkeit von Zustandsänderungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen (Regimewechsel, „regime switching“)infoRegimewechsel treten auf, sobald eine der nationalen Versicherungen nicht mehr auszahlen kann. Die Modellierung mehrerer solcher Szenarien innerhalb desselben Modells erfordert die Definierung sogenannter Regime, die im folgenden Text näher erläutert werden. sowie einen detaillierten Bankensektor, in dem es in Krisenzeiten zu Kreditausfällen und Bankeninsolvenzen kommen kann, erweitert. Eine der Volkswirtschaften wurde so parametrisiert, dass diese mit den empirischen Fakten der deutschen Wirtschaft übereinstimmt. Die andere Volkswirtschaft bildet in der Summe den europäischen Währungsraum ohne Deutschland ab und stellt somit aus deutscher Sicht das Euroraumausland dar.

Für diese Studie wird ein Regime-Switching-Zwei-Länder-DSGE-Modell mit einem europäischen Bankensektor sowie nationalen und europäischen Einlagensicherungssystemen entwickelt.infoVgl. Andrea Gerali, Stefano Neri, Luca Sessa und Federico M. Signoretti (2010): Credit and Banking in a DSGE Model for the Euro Area. Journal of Money, Credit and Banking, 42(1),107–141; und Mendicino, Nikolov, Suarez und Supera (2018), a.a.O. Das Modell erweitert die DSGE-Modellinfrastruktur des DIW Berlins dahingehend, dass auch konjunkturelle Auswirkungen bankspezifischer Schocks bei Änderung der wirtschaftlichen Ausgangssituation (Regimewechsel) modellkonsistent analysiert und abgeschätzt werden können. Ein wesentlicher Vorteil von DSGE-Modellen ist, dass durch die ökonomische Modellstruktur eine Vielzahl von Schocks identifiziert werden kann. Dadurch wird das grundsätzlich existierende Endogenitätsproblem im Zusammenhang von Wirtschaftskenngrößen gelöst – Ursache und Wirkung ökonomischer Entwicklungen können dann getrennt voneinander analysiert werden. Zudem bilden die Modelle die Erwartungsbildung der Wirtschaftsakteure ab, sodass die bereits durch die Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen ausgelösten wirtschaftlichen Effekte quantifiziert werden. Die Berücksichtigung von Regimewechseln erlaubt zudem sowohl die Abbildung von Nicht-Linearitäten – etwa Verschuldungsrestriktionen, Nullzinsgrenzen oder auch das Aufbrauchen der nationalen Einlagesicherung – als auch die Simulation von Erwartungseffekten bezüglich des Eintretens derartiger Ereignisse.

Im Modell wird das ökonomische Verhalten von privaten Haushalten, Unternehmern, internationalen Investoren, Banken sowie der Regierungen in zwei Wirtschaftsregionen, hier definiert als Deutschland und übriger Euroraum, abgebildet. Private Haushalte fragen die von Unternehmen produzierten und importierten Güter nach und bieten Arbeit an. Sie halten ihre Ersparnisse in Form von Einlagen bei den Banken. Die Banken fungieren als Intermediäre und leiten die Ersparnisse als Kredite an die realwirtschaftlichen Unternehmen oder Regierungen weiter, die diese für ihren Konsum, vor allem aber für Investitionen benötigen. Die Bankgewinne werden als Rendite aus den jeweiligen Anleihetypen an internationale Investoren, die jeweils Kapitalanteile an den Banken in beiden Ländern halten, ausgezahlt. Die Banken unterliegen der nationalen Bankenaufsicht und müssen bei der Kreditvergabe regulatorische Vorgaben beachten. Darüber hinaus müssen realwirtschaftliche Unternehmen spezielle regulatorische Anforderungen bezüglich des Eigenkapitalanteils bei der Kreditaufnahme (loan-to-value ratios) berücksichtigen.

Banken, die in einer Periode eine sehr niedrige Rendite erwirtschaften, können in die Insolvenz gehen. Dadurch entstehen zusätzliche Kontrollkosten bei den EinlegerInnen, die durch eine nationale Einlagenversicherung, in die die Banken regelmäßig einen Teil ihres Gewinns einzahlen, abgedeckt werden.

Um die makroökonomischen Effekte eines Europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS) zu untersuchen, wird ein endogener Regimewechsel („regime switching“) modelliert: Die Wirtschaft Deutschlands und des übrigen Euroraums gerät in einen Zustand, in dem die Mittel aus den jeweiligen nationalen Einlagensicherungsfonds aufgebraucht sind und dann gegebenenfalls eine Rückversicherung durch EDIS gewährt wird.

Das Modell wird mit einem Moment-Matching-Algorithmus kalibriert, der die Differenz zwischen empirisch beobachtbaren Größen für Deutschland und den übrigen Euroraum und allen entsprechenden Modellwerten minimiert (Tabelle).

Tabelle: Vergleich der Modellwerte mit empirisch beobachtbaren Größen

Deutschland Einheit Modell Daten
Inlandsanteil Bankeneigenkapital (Home Bias) In Prozent des gesamten Eigenkapitals 80,50 80,50
Einlagensicherung Zielquote EDIS In Prozent der versicherten Einlagen 0,80 0,80
Anteil versicherter Einlagen EDIS In Prozent der Gesamteinlagen 49,70 49,70
Staatskonsum In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 21,10 21,10
Private Investitionen In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 22,20 22,20
Bankausfallrate Anteil an allen Banken in Prozent 1,26 1,07
Eigenkapitalrendite Prozentpunkte 10,71 6,39
Kurs-Buch-Verhältnis Prozentpunkte 1,03 0,82
Kredite der Nichtbanken In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1,07 1,44
Kreditzins Spread Prozentpunkte 1,78 2,99
Übriger Euroraum Modell Daten
Inlandsanteil Bankeneigenkapital (Home Bias) In Prozent des gesamten Eigenkapitals 58,00 58,00
Einlagesicherung Zielquote EDIS In Prozent der versicherten Einlagen 0,80 0,80
Anteil versicherter Einlagen EDIS In Prozent der Gesamteinlagen 51,20 5,20
Staatskonsum In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 22,50 22,50
Private Investitionen In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 22,80 22,80
Bankausfallrate Anteil an allen Banken in Prozent 1,92 1,40
Eigenkapitalrendite Prozentpunkte 8,15 4,55
Kurs-Buch-Verhältnis Prozentpunkte 1,30 1,30
Kredite der Nichtbanken In Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1,43 2,02
Kreditzins Spread Prozentpunkte 1,40 2,61

Quelle: Eigene Berechnungen.

Wichtige Elastizitäten und Parameter des Angebots- und Nachfrageverhaltens von Unternehmen, Banken, Haushalten und der Regierung werden mit einem sogenannten Moment-Matching-AlgorithmusinfoSiehe zum Moment-Matching-Algorithmus auch Caterina Mendicino, Kalin Nikolov, Javier Suarez und Dominik Supera (2018): Optimal Dynamic Capital Requirements. Journal of Money, Credit and Banking, 50(6), 1271–1297. parametrisiert, so dass das Modell wesentliche empirische konjunkturelle und strukturelle Befunde der deutschen Wirtschaft und des übrigen Euroraums abbilden kann.

Der Vorschlag des Bundesfinanzministeriums wird im Modell realistisch abgebildet, in dem neben dem nationalen Einlagenversicherungsfonds ein europäischer Einlagenrückversicherungsfonds existiert, der nur dann aktiv wird, wenn die Ressourcen der jeweiligen nationalen Fonds erschöpft sind. Es können dementsprechend bis zu vier sogenannte (Krisen-)Regime eintreten, in denen jeweils nur bestimmte Einlagensicherungen aktiv werden (Tabelle): Solange die nationalen Einlagenversicherungen in beiden Wirtschaftsregionen ausreichen, ist EDIS nicht aktiv (Regime 1). Große Finanzkrisen, in denen die Solvenz einiger Banken in Frage steht, können die nationalen Einlagenversicherungen allerdings in Bedrängnis bringen, sowohl in Deutschland (Regime 2), als auch im übrigen Euroraum (Regime 3) oder sogar in beiden Regionen gleichzeitig (Regime 4). Im zweiten, dritten und vierten Krisenregime springt EDIS als Rückversicherung ein, um die Einlagen der AnlegerInnen zu garantieren. Ein Vorteil des DSGE-Modellierungsansatzes ist, dass die Erwartungsbildung der MarktteilnehmerInnen berücksichtigt wird und damit auch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Regimes und die erwarteten ökonomischen Konsequenzen der Regimewechsel in die Entscheidungen einbezogen werden. Dadurch ist es möglich, den Zielkonflikt zwischen der potentiell negativ wirkenden erhöhten Risikobereitschaft der Banken durch zusätzliche EDIS-Absicherung („moral hazard“) auf der einen Seite und den positiven Effekten durch deren Existenz auf die Kreditvergabe und die volkswirtschaftliche Produktion auf der anderen Seite gegenüberzustellen, selbst wenn keine EDIS-Auszahlung erfolgt (Regime 1).

Tabelle: Mögliche Krisenregime nach Art der Einlagensicherung

Regime 1 (nationale Fonds reichen aus) Regime 2 (ein nationaler Fonds erschöpft, EDIS springt ein) Regime 3 (ein nationaler Fonds erschöpft, EDIS springt ein) Regime 4 (nationale Fonds sowohl in Deutschland als auch im übrigen Euroraum erschöpft)
Nationale Einlagenfonds Deutschland X X
übriger Euroraum X X
Europäische Einlagensicherung (EDIS) X X X

Quelle: Eigene Darstellung.

Für das empirische Moment-Matching-Verfahren werden makroökonomische und finanzpolitische Zeitreihen der Europäischen Zentralbank (EZB) für Deutschland und den Rest des Euroraums verwendet (Kasten). Die bankspezifischen Zeitreihen werden darüber hinaus um mikroökonomische Daten ergänzt.

So ergibt sich beispielsweise anhand von berechneten Kreditausfallwahrscheinlichkeiten, dass das deutsche Bankensystem in den Jahren 2004 bis 2019 im Durchschnitt ein deutlich geringeres Risiko für Bankeninsolvenzen aufgewiesen hat als der Durchschnitt des Euroraums (Abbildung 2).

Auch empirische Befunde zur Eigenkapitalstruktur der deutschen Banken, die im Durchschnitt einen höheren Anteil an deutschen Kapitalgebern haben (Home Bias), werden im Modell abgebildet. Banken- und finanzspezifische Unterschiede in Deutschland und dem Rest des Euroraums werden somit im Modell berücksichtigt. Die nationalen Einlagensicherungssysteme und EDIS werden im Modell anhand der jeweiligen Volumina kalibriert, die Abdeckung der versicherten Einlagen gemäß den empirischen Beobachtungen beziehungsweise basierend auf aktuell kursierenden Zahlen im Vorschlag der Europäischen Kommission und des Bundesfinanzministeriums.

EDIS stabilisiert ähnlich gut wie ein staatlicher Backstop, allerdings ohne zusätzliche Neuverschuldung

Die Effekte des Finanzmarktstresses im Rahmen der Corona-Krise werden isoliert simuliert, indem ein exogener Bankrisikoschock – ausgelöst durch die im Zuge einer Insolvenzwelle entstehenden Kredit- und Einlagenausfälle – die Modelldynamik in Gang setzt.infoDas Modell blendet hierbei alle anderen coronabedingten Schocks, die beispielsweise durch angebots- oder nachfrageseitige Störungen entstehen, aus, um gezielt die Stabilisierungswirkung im Falle des Bankrisikoschocks zu analysieren. Hierfür wird angenommen, dass sich die Schocks auf das Bankensystem im Rahmen der Corona-Krise über ein Jahr erstrecken und an ihrem Höhepunkt etwa zwei Prozent der deutschen Bankeinlagen nicht mehr bedient werden, dies entspricht jahresdurchschnittlich etwa sechs Prozent.infoÄhnlich hohe Werte waren für den Rest des Euroraums während der Finanzkrise 2009 zu beobachten, siehe dazu auch Abbildung 2 in diesem Bericht. Aktuelle Studien schätzen, dass der Anteil notleidender Banken – in Abhängigkeit der coronabedingten Konjunkturentwicklung (V-, U-, oder L-Verlauf) – von weniger als einem Prozent auf sechs bis 24 Prozent steigen wird.infoVgl. Gropp, Koetter und McShane (2020), a.a.O. Der hier veranschlagte Jahresanstieg liegt damit am unteren Ende dieser Bandbreite, relativiert sich aber, wenn man davon ausgeht, dass nicht alle notleidenden Banken ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können.

Dieses Krisenszenario wäre hinreichend groß, um am Ende des vierten Quartals die Kapazitäten des nationalen Einlagenfonds zu erschöpfen. Es würde folglich das zweite Krisenregime eintreten, in dem der deutsche Fonds aufgebraucht ist (Tabelle). Die Ergebnisse werden als Impuls-Antwort-Folgen in einer kontrafaktischen Analyse dargestellt (Abbildung 3). Dabei werden zwei Szenarien verglichen, die eintreten können, sobald der nationale Fonds erschöpft ist. In Szenario A werden die ausfallenden Einlagen durch die deutsche Regierung rückversichert. In Szenario B springt eine europäische Einlagenrückversicherung ein. In beiden Szenarien übernehmen folglich entweder die nationale Regierung oder EDIS die Versicherungsauszahlungen, sobald die nationale Einlagensicherung aufgebraucht ist. Als Referenzpunkt wird zudem ein Szenario C simuliert, in dem die AnlegerInnen nicht gerettet werden. Unabhängig vom Szenario müssen die Banken im Anschluss an die Versicherungsleistung den nationalen beziehungsweise europäischen Einlagensicherungsfonds über Versicherungseinzahlungen wieder auffüllen.

Ein Bankenrisikoschock in Deutschland, der einen Anstieg des Ausfallrisikos um im Quartalshöhepunkt zwei Prozentpunkte nach sich zieht, führt zu einer Erschöpfung der nationalen Einlagensicherung und somit zu einem Regimewechsel (von Regime 1 zu Regime 2). In dessen Folge sinkt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund 0,4 Prozent, sofern die Verluste für SparerInnen nicht abgefedert werden (Szenario C). Kompensiert der deutsche Fiskus die Verluste (Szenario A), fällt der BIP-Rückgang geringer aus und auch die Kreditvergabe sinkt weniger stark als ohne Rettung. Jedoch steigt die Staatsschuldenquote merklich, um etwa zwei Prozent, während sie unter EDIS und ohne institutionelle Rückversicherung fällt. Im Vergleich zur staatlichen Rettung ist der Stabilisierungseffekt von EDIS (Szenario B) etwas höher: So fällt die Reduktion des privaten Konsums im EDIS-Szenario um 0,1 Prozentpunkte beziehungsweise 20 Prozent geringer aus. Auch der Rückgang bei den Firmenkrediten kann um gut zehn Prozent gedämpft werden. Allerdings fällt das Bruttoinlandsprodukt unter EDIS um 0,03 Prozentpunkte mehr und somit rund fünf Prozent stärker.

Die Ergebnisse zeigen somit, dass beide Szenarien der Einlagenrettung Vor- und Nachteile haben: So sind die Belastungen, die durch die Wiedereinzahlungen in zwei Versicherungssysteme entstehen, für Banken in Szenario B höher beziehungsweise ziehen sich über einen längeren Zeitraum. Dies führt, trotz des anfänglich geringeren Rückgangs der Firmenkredite, zu einer langsameren Erholung des Finanzsystems. So geben die Banken die höheren regulatorischen Kosten in Form steigender Kreditzinsen an die Unternehmen weiter, was die realwirtschaftliche Aktivität dämpft. In Szenario A steigt hingegen die Staatsschuldenquote durch die Finanzierung der Verlustabfederung durch den Staat. Ist, wie im Modell angelegt, der Anteil der Banken, die überwiegend in heimische Staatsanleihen investieren (Home Bias), hoch, kann dies wiederum zu Solvenzproblemen im Bankensektor führen und somit die Gefahr eines „doom loops“ zwischen Banken und Staaten erhöhen.

Eine Rettung der SparerInnen, sei es durch den Staat oder EDIS, ist allerdings stets zu bevorzugen, wie sich an den Resultaten für Szenario C ablesen lässt. Wird überhaupt keine Rückversicherung geleistet, bricht der private Konsum um etwa 25 Prozent stärker ein als unter EDIS und um knapp neun Prozent stärker als im Szenario, in dem die Regierung die Verluste auf Einlagen begleicht.infoDas sind in dem hier unterstellten Szenario einer Bankenkrise in Deutschland etwas mehr als 0,1 Prozentpunkte pro Quartal. Im Falle einer europaweiten Bankenkrise dürfte der Wert deutlich höher liegen. Die Kreditvergabe fällt sogar um jeweils etwa 41 Prozent beziehungsweise 27 Prozent stärker als unter EDIS beziehungsweise bei einer Rettung durch die öffentliche Hand. Die relativen Unterschiede beim Bruttoinlandsprodukt belaufen sich auf etwa 14 Prozent im Vergleich zu EDIS und etwa 22 Prozent im Vergleich zur staatlichen Rückversicherung.

EDIS-Einführung kostet kurzfristig

Die vorangegangenen Simulationen zeigen, dass EDIS den Finanzsektor während einer Krise im Bankensektor stabilisieren kann. Allerdings stellt sich auch die Frage, welche Kosten bei der Einführung von EDIS entstehen und ob die Einzahlungen der Banken in den europäischen Fonds abzugsfähig von Einzahlungen in nationale Fonds gestaltet werden sollten. Um dies abzuschätzen, wird die Einführung von EDIS über mehrere Jahre simuliert. In Anlehnung an den bisherigen Planungshorizont wird dabei angenommen, dass der Einlagensicherungsfonds über dreieinhalb Jahre aufgebaut wird. In dieser Zeit zahlen die Banken des Euroraums in den EDIS-Fonds ein, jedoch kann dieser erst Hilfsgelder auszahlen, wenn er vollends gefüllt ist. Zudem wird unterschieden, ob die an EDIS geleisteten Einzahlungen der Banken eine entsprechende Verringerung der Einzahlungen in nationale Systeme nach sich ziehen oder nicht. Mit Hilfe des Modells wird simuliert, welche ökonomischen Konsequenzen temporär durch die EDIS-Einführung entstehen (Abbildung 4).

Die Einführung von EDIS belastet zunächst die Bankbilanzen, wodurch eine Reduzierung der Kreditvergabe und schlussendlich eine temporäre Verringerung des BIP und des privaten Konsums um jahresdurchschnittlich rund 0,05 Prozent zu beobachten ist. Vergleicht man die Reaktionen unter der Annahme einer Abzugsfähigkeit der Einzahlungen mit denen ohne Abzugsfähigkeit, wird deutlich, dass im Falle einer Abzugsfähigkeit die negativen Effekte auf den Finanzmarkt und die Realwirtschaft zunächst abgemildert werden, in der Folge jedoch die negativen Effekte insgesamt länger anhalten. Die zweite Beobachtung ist damit zu erklären, dass die Einzahlungen in den nationalen Fonds, die in den ersten Quartalen wegen der Abzugsfähigkeit verringert sind, in den späteren Quartalen nachgeholt werden müssen. Die aufsummierten Belastungen für das Bankensystem sind in beiden Fällen ähnlich hoch, die Politik kann lediglich die Länge des Zeithorizonts, in dem die Einführungskosten für EDIS anfallen, wählen.

Fazit: Bankenunion sollte auch angesichts des Corona-Schocks zügig vollendet werden

Der Corona-Schock hat in den EU-Staaten zu einem massiven Einbruch der realwirtschaftlichen Aktivität geführt. Die Regierungen haben bereits frühzeitig Liquiditätshilfen bereitgestellt – auch, um eine mögliche Ansteckung der Finanzmärkte zu unterbinden. Dennoch ist – allein wegen der aufgestauten Insolvenzanträge – im Herbst mit einem deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen. Auch ein Überschwappen in den Finanzsektor ist nicht auszuschließen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, die Integration der europäischen Finanzmärkte voranzutreiben und die Bankenunion auszubauen. Die letzte kontrovers diskutierte Säule stellt dabei die Einführung eines europäischen Einlagensicherungssystems dar. Im vorliegenden Wochenbericht wurde untersucht, welche Stabilisierungswirkungen von einem durch Bankabgaben finanzierten Europäischen Einlagenrückversicherungsfonds (EDIS) ausgehen, wenn es tatsächlich zu einem coronabedingten Anstieg des Ausfallrisikos von Banken kommt. Eine solche Rückversicherung wird letztlich nur dann aktiv, wenn national bestehende Sicherungssysteme erschöpft sind. Während eine umfassende Eingliederung nationaler Einlagensicherungen in EDIS in vielen Mitgliedstaaten weiter auf Ablehnung stößt, blieben bestehende nationale Systeme unter einer solchen Variante weitestgehend bestehen. Es zeigt sich, dass im Vergleich zu einem alternativen Absicherungsmechanismus, der die Besicherung von Bankeinlagen durch den jeweiligen Staat vorsieht, sobald die nationale Einlagensicherung erschöpft ist, der Rückgang des Konsums und der Kreditvergabe geringer ist, wenngleich das Bruttoinlandsprodukt aufgrund steigender Kreditkosten und folglich niedrigerer Investitionen etwas stärker sinkt. Deutliche Unterschiede sieht man vor allem bei der Staatsschuldenquote, die bei einer staatlichen Rückversicherung stärker steigt. Eine europäische Einlagensicherung dürfte folglich nicht nur das Finanzsystem, sondern auch die realwirtschaftliche Aktivität der SparerInnen stabilisieren. Zudem würde ein solches System wohl dazu beitragen, dass die Staatsschuldenquote im Falle der Ausschöpfung der nationalen Einlagensicherung nicht weiter erhöht wird. Dies dürfte insbesondere in Krisenzeiten wichtig sein, in denen der finanzpolitische Spielraum von Regierungen durch notwendige Krisenmaßnahmen ohnehin schon eng ist oder sogar überreizt wird.

Allerdings ergeben sich durch die Einführung von EDIS verschiedene Zielkonflikte für die Politik. So ist es denkbar, dass die positiven Stabilisierungseffekte durch eine erhöhte Risikobereitschaft der Banken und die Verlagerung von Risiken auf die europäische Ebene kompensiert werden. Zudem können die zusätzlichen Abgaben die Kosten für Banken erhöhen, die dann wiederum aufgrund steigender Kreditkosten die Realwirtschaft belasten. Darum ist es wichtig, ein effizientes Einzahlungssystem zu entwickeln, um die Belastung für die Banken möglichst gering zu halten. Dies kann etwa gewährleistet werden, indem solche Einzahlungen von Beiträgen zu nationalen Sicherungssystemen abgezogen werden und gefährdetere Banken höhere Beiträge entrichten.infoVgl. für eine Analyse solcher „Polluter-Pays“-Einzahlungssysteme etwa Clemens, Gebauer und König (2020), a.a.O. oder Jacopo Carmassi et al. (2018): Completing the Banking Union with a European Deposit Insurance Scheme: Who is Afraid of Cross-Subsidisation? ECB Occasional Paper Series 208. Zudem sollte die Funktionsfähigkeit von EDIS bereits während der Einführungsphase gewährleistet werden, um die entstehenden Kosten zu rechtfertigen. Um einer erhöhten Risikobereitschaft der Banken durch EDIS zu begegnen, bedarf es gegebenenfalls eines Gegensteuerns der Finanzmarktregulierung. So könnten makroprudenzielle Vorgaben wie Kapitalpuffer und Liquiditätsvorgaben entsprechend angepasst und bei steigenden Risiken in Bankbilanzen erhöht werden. Auch eine weitreichendere Koordinierung von Aufsichtsbehörden mit EDIS wäre denkbar, um moralischen Risiken vorzubeugen.



JEL-Classification: E61;F42;F45;G22;G28
Keywords: Banking Union, Deposit Insurance, Risk-Sharing
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-32-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/224832

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