Befristetes Grundeinkommen in Entwicklungsländern: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kommentar

DIW Wochenbericht 32/33 / 2020, S. 556

Jürgen Schupp

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Die Corona-Pandemie hat dem Thema Grundeinkommen nicht nur in Deutschland zu neuer Popularität verholfen. Während hierzulande die Regierung dem vielfach geforderten Vorschlag einer befristeten Einführung jedoch nicht folgte, stellt sich die Situation in vielen Ländern ohne entsprechende soziale Grundsicherungssysteme und vor allem in Entwicklungsländern mit einem nach wie vor zu hohen Anteil existenzbedrohender Armut anders dar.

So wirbt ein Bericht der UN-Entwicklungsagentur UNDP für ein temporäres Grundeinkommen für die Dauer von sechs Monaten. Es soll dem Schutz armer und schutzbedürftiger Menschen in Entwicklungsländern dienen und würde monatlich etwa 200 Milliarden US-Dollar oder umgerechnet rund 170 Milliarden Euro kosten. Für schätzungsweise 2,7 Milliarden Menschen, die in 132 Entwicklungsländern derzeit unterhalb der Armutsgrenze leben, wäre das eine enorme Verbesserung ihrer Lebenssituation. Zudem bestünde die Chance, die sich in Entwicklungsländern rasant ausbreitende Pandemie einzudämmen. Denn ein zeitlich begrenztes Grundeinkommen würde den von Armut betroffenen Menschen finanzielle Sicherheit geben und sie dadurch nicht länger zwingen, ein hohes Infektionsrisiko einzugehen. Zur Finanzierung schlagen die UN-Autoren vor, derzeit fällige Schuldenrückzahlungen der Entwicklungsländer für sechs Monate auszusetzten und das Geld stattdessen den von Armut betroffenen Personen bedingungslos und unmittelbar zur Verfügung zu stellen. Die Gläubiger wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds sowie die G20-Staaten müssten dies freilich billigen.

Der Weckruf durch die UN-Studie kommt wenige Tage nach der Veröffentlichung des jährlich zu erstellenden Fortschrittsberichts der im Jahr 2015 von allen Staatschefs verabredeten Nachhaltigkeitsziele 2030. Zur Erinnerung: Das erste Nachhaltigkeitsziel strebt die Beendigung der Armut in all ihren Formen an, einschließlich extremer Armut bis zum Jahr 2030. Es sieht gemeinsamen Wohlstand, eine Grundversorgung und Sozialschutzleistungen für Menschen überall auf der Welt vor, auch für die Ärmsten. Dieser aktuelle Status-Bericht der UN für den Zeitraum der zurückliegenden zwölf Monate belegt nun, dass sich die Reduktion der weltweiten absoluten Armut deutlich verlangsamt hat. Aktuelle Prognosen erwarten sogar, dass in diesem Jahr mit 40 bis 60 Millionen wieder deutlich mehr Menschen weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung haben werden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die bereits vor der Corona-Pandemie eingetretene Trendwende in der Armutsentwicklung beendet den seit 20 Jahren anhaltenden Trend der jährlichen Senkung extremer Armut und lässt es immer wahrscheinlicher werden, dass das entsprechende Nachhaltigkeitsziel deutlich verfehlt wird.

Zur auf den ersten Blick utopisch erscheinenden Umsetzung eines temporären Grundeinkommens benennt der UN-Bericht Beispiele von Ländern wie Togo und Kolumbien, die bereits Schritte zu dessen Einführung unternommen haben. Auch die Weltbank beschäftigt sich schon seit längerem ausführlich und differenziert mit dem Instrument eines Grundeinkommens zur Armutsbekämpfung. Eine Reihe an Pilotprojekten in Entwicklungsländern verlief erfolgreich – auf diesen Erfahrungen ließe sich aufbauen. Der Vorschlag eines befristeten Grundeinkommens sowohl zur Pandemieeindämmung als auch zur Armutsbekämpfung sollte nicht vorschnell verworfen werfen – vor allem dann nicht, wenn man es mit den Nachhaltigkeitszielen 2030 ernst meint. Ein befristetes Grundeinkommen sollte vielmehr als Chance gesehen werden, den von der Pandemie weltweit am härtesten Betroffenen zu helfen und gleichzeitig der beschleunigten Zunahme von extremer Armut in Entwicklungsländern zu begegnen.

Jürgen Schupp

Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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