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Hohe Erwartungen der Geflüchteten an die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit haben sich teilweise realisiert

DIW Wochenbericht 34 / 2020, S. 571-578

Daniel Graeber, Felicitas Schikora

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  • Zwei von drei Geflüchteten haben im Jahr 2016 ihre Chancen, zwei Jahre später erwerbstätig zu sein, hoch eingeschätzt
  • Geflüchtete Männer hatten höhere Erwartungen als Frauen, Geflüchtete mit höherer Bildung und besserer psychischer Gesundheit hatten diese eher als andere
  • Während sich für rund die Hälfte der Geflüchteten die Erwartungen erfüllt haben, hat etwa ein Drittel trotz hoher Erwartungen keinen Arbeitsplatz gefunden
  • Besonders geflüchtete Frauen, Geflüchtete mit schlechterer psychischer Gesundheit oder mit Grundschulbildung konnten hohe Erwartungen nicht erfüllen
  • Strukturelle Bedingungen, wie fehlende Kinderbetreuung, oder die psychische Gesundheit könnten es Geflüchteten erschwert haben, eine Beschäftigung aufzunehmen

„Die meisten Geflüchteten erwarten, in zwei Jahren erwerbstätig zu sein. Damit die Erwartungen nicht enttäuscht werden, und sich dies wiederum negativ auf die Integration auswirkt, müssen Geflüchtete nach der Ankunft ausreichend zum Arbeitsmarkt und den erforderlichen Qualifikationen informiert werden.“ Felicitas Schikora

Auf Grundlage der IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland vergleicht dieser Bericht die im Jahr 2016 geäußerten Erwartungen zu einer Erwerbstätigkeit in Deutschland mit der realisierten Beschäftigung im Jahr 2018. Die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten hat im Jahr 2016 angenommen, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Beschäftigung in den kommenden zwei Jahren zu finden. Bei 54 Prozent aller Geflüchteten haben sich die Erwartungen erfüllt. Etwa 35 Prozent der Geflüchteten hatten im Jahr 2016 jedoch hohe Erwartungen und konnten sich diese nicht erfüllen. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl strukturelle Bedingungen als auch individuelle Merkmale, wie beispielsweise fehlende Kinderbetreuung oder die psychische Gesundheit Geflüchteter, die Aufnahme einer Beschäftigung erschwert haben. Maßnahmen, wie zusätzliche Beratungs- und Hintergrundgespräche über den deutschen Arbeitsmarkt, ein geeignetes Angebot für Kinderbetreuung und die Unterstützung von Geflüchteten mit schlechterer psychischer Gesundheit könnten dazu beitragen, dass sich die Beschäftigungserwartungen von Geflüchteten häufiger erfüllen. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die zugrundeliegenden Mechanismen besser zu verstehen.

Die Zahl von Geflüchteten und Vertriebenen weltweit hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen.infoUNHCR (2009): Global trends 2008 – Refugees, asylum seekers, returnees, internally displaced and stateless persons. Genf (online verfügbar, abgerufen am 23.07.2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); UNHCR (2019): Global trends 2018 – Forced displacement in 2018. Genf (online verfügbar). Sie verlassen ihre Heimat mit der Erwartung, an ihrem Zielort ein sicheres Leben führen zu können. Neben dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit wünschen sich die Geflüchteten jedoch auch finanzielle Sicherheit und die Möglichkeit, sich vor Ort ein neues Leben aufbauen zu können. Dazu gehören unter anderem eine gute Bildung und eine Erwerbstätigkeit.infoDieses Grundrecht findet auch in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 seinen Ausdruck, wonach Geflüchtete das gleiche Recht auf Bildung und Erwerbstätigkeit haben, wie AusländerInnen im Zielland unter gleichen Umständen gewährt würde. Vgl. UNHCR (1951): Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, Artikel 17–19, Artikel 22 (online verfügbar).

Gleichzeitig sehen sich Geflüchtete im Zielland besonders vielen Unsicherheiten ausgesetzt, beispielsweise einer unklaren Bleibeperspektive oder fehlenden Kenntnissen des lokalen Arbeitsmarkts. Geflüchtete berücksichtigen diese Unsicherheiten, wenn sie ihre Erwartungen bilden, und handeln auf Grundlage ebendieser. Ein Beispiel hierfür sind Erwartungen an die zukünftige Beschäftigung und dem damit verbundenen Einkommen. Im Gegensatz zu anderen Einwanderergruppen können Geflüchtete sich vor ihrer Einreise meist nicht über den hiesigen Arbeitsmarkt oder die Möglichkeiten, Abschlüsse und Qualifikationen anerkennen zu lassen, informieren. Werden die Erwartungen Geflüchteter nicht erfüllt, hat dies direkte Konsequenzen für den materiellen Wohlstand der Geflüchteten. Ebenso kann sich dies auch negativ auf das Wohlbefinden Geflüchteter auswirken und damit den Integrationserfolg Geflüchteter mindern. Beispielsweise haben qualitative Studien in Deutschland gezeigt, dass die Enttäuschung über die ausbleibende Integration bei Geflüchteten zu psychischen Problemen führen kanninfoBundesforum Männer e.V. (2019): Male refugees in Germany: Needs, Challenges, and Resources – Summary (online verfügbar)., die wiederum mit einer langsameren Integration korrelieren.infoIsabella Buber-Ennser et al. (2019): The Effect of Stressors and Resilience Factors on Mental Health of Recent Refugees in Austria. wiiw Working Paper No. 169. Andere Studien belegen, dass die hohe Motivation von Kindern mit Migrationshintergrund häufig mit besseren schulischen Leistungen einhergeht.infoGrace Kao und Marta Tienda (1995): Optimism and achievement: The educational performance of immigrant youth. Social science quarterly, 76 (1), 1–19. Es ist folglich essenziell zu verstehen, welche individuellen Merkmale die Erwartungsbildung von Geflüchteten prägen, und welche Geflüchteten ihre Chancen auf Beschäftigung falsch einschätzen.

Gleichzeitig werden von der aufnehmenden Gesellschaft häufig hohe Erwartungen an die Geflüchteten formuliert. Dieser Wochenbericht wechselt die Perspektive und analysiert erstmalig die Beschäftigungserwartungen der Geflüchteten im Jahr 2016, deren tatsächliche Beschäftigung im Jahr 2018 und das Ausmaß der damit verknüpften Erwartungsfehler, das heißt die Abweichungen von den artikulierten Erwartungen. Dabei wird auch untersucht, welche Charakteristika der Geflüchteten mit Erwartungsfehlern assoziiert sind.infoFür die Unterscheidung nach individuellen Charakteristika werden dabei durchweg Merkmale aus dem Jahr 2016 herangezogen. Durch diese Vorgehensweise soll verhindert werden, dass die Beziehung zwischen individuellen Merkmalen und den Erwartungsfehlern verzerrt wird. Beispielsweise könnten nicht erfüllte Erwartungen die psychische Gesundheit verringern. In diesem Fall würden wir den Zusammenhang zwischen Erwartungsfehlern und psychischer Gesundheit überschätzen.

Für die Analyse wird auf eine einmalige Datenquelle zurückgegriffen: die IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland.infoSiehe dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts den Kasten im Editorial von Cornelia Kristen und C. Katharina Spieß (2020): Fünf Jahre danach: Eine Zwischenbilanz zur Integration von Geflüchteten. DIW Wochenbericht Nr. 34, 559–562. Da hier dieselben Geflüchteten über mehrere Jahre hinweg befragt werden, ist es möglich, die subjektiven Erwartungen der Geflüchteten aus dem Jahr 2016 zu ihrer Beschäftigung zwei Jahre später mit der tatsächlich realisierten Beschäftigung im Jahr 2018 zu vergleichen.

Der vorliegende Wochenbericht identifiziert somit Gruppen unter den Geflüchteten, die sehr häufig Erwartungsfehlern ausgesetzt sind. Die Ergebnisse dieses Berichts können PolitikerInnen folglich erste Anhaltspunkte bieten, Geflüchtete mit unrealistischen Erwartungen zu erkennen und so passgenaue Politikmaßnahmen zu entwickeln. So könnten beispielsweise Beratungsgespräche mit Geflüchteten im Rahmen des Asylverfahrens dazu genutzt werden, die Geflüchteten besser über ihre Perspektiven am deutschen Arbeitsmarkt aufzuklären. Diese Form des Erwartungsmanagements könnte Fehleinschätzungen von Geflüchteten verringern und gleichzeitig konkrete Vorschläge bieten, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern (Aufnahme von Sprachkursen, Um- bzw. Weiterbildung, alternative Ausbildungsangebote). Darüber hinaus könnten etwaige Barrieren, die den Einritt der Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt erschweren, beseitigt werden.

Geflüchtete äußerten 2016 hohe Erwartungen an ihre zukünftige Erwerbstätigkeit

Im Jahr 2016 wurden Geflüchtete in der IAB-BAMF-SOEP-Befragung gefragt, für wie wahrscheinlich sie es halten, in zwei Jahren einen Arbeitsplatz in Deutschland gefunden zu haben (Kasten 1).

Dieser Bericht analysiert die Erwartungen von Geflüchteten auf Basis ihrer Angaben im Jahr 2016. Um zu erfahren, wie sie verschiedene Aspekte ihrer Integration in der Zukunft erwarten, werden die Befragten gebeten, ihre eigene Situation in zwei Jahren einzuschätzen. Dieser Bericht fokussiert sich auf Angaben zu der erwarteten Erwerbstätigkeit im Jahr 2018.

„Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie in 2 Jahren in Deutschland einen Arbeitsplatz haben?

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Der Wert 0 bedeutet: auf keinen Fall. Der Wert 100 bedeutet: auf jeden Fall. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Einschätzung abstufen.“

Der Fragetext nutzt hierfür keine Prozentangaben. Allerdings legt die Art und Weise der Fragestellung nahe, dass es sich hier um Prozentangaben handelt. Deshalb wird im Weiteren von Prozent die Rede sein, wenn die Antwortkategorien charakterisiert werden.

Insgesamt haben sich die Geflüchteten im Jahr 2016 sehr optimistisch über ihre Beschäftigung im Jahr 2018 geäußert (Abbildung 1). Etwa ein Drittel der Geflüchteten hat angegeben, dass sie mit 100 prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Arbeitsplatz im Jahr 2018 haben werden. Der Median der VerteilunginfoDer Median oder Zentralwert teilt einen Datensatz, eine Stichprobe oder eine Verteilung in zwei gleich große Teile, sodass die Werte in der einen Hälfte nicht größer als der Medianwert sind und in der anderen Hälfte nicht kleiner. liegt bei „80 Prozent“; das heißt, dass genau die Hälfte der Befragten einen Wert von „80 Prozent“ oder höher angegeben hat. Etwa zwei Drittel haben die Antwortkategorie „60 Prozent“ oder höher angegeben. Zwei von drei Geflüchteten haben also hohe Beschäftigungserwartungen formuliert. Im Gegensatz dazu gaben nur knapp sieben Prozent der Geflüchteten an, auf keinen Fall einen Arbeitsplatz im Jahr 2018 zu erwarten.

Geflüchtete Frauen halten es für weniger wahrscheinlich zukünftig eine Beschäftigung zu finden

Die Beschäftigungserwartungen sind für Männer und Frauen jedoch sehr unterschiedlich (Abbildung 2, Geschlecht). Insgesamt haben männliche Geflüchtete im Jahr 2016 höhere subjektive Erwartungen angegeben als weibliche Geflüchtete: Während 34 Prozent der männlichen Geflüchteten im Jahr 2016 angaben, auf jeden Fall einen Arbeitsplatz im Jahr 2018 zu haben, gaben dies nur 23 Prozent der weiblichen Geflüchteten an. Im Vergleich zu männlichen Geflüchteten entspricht dies einer Differenz von 11 Prozentpunkten oder 32 Prozent. Der Median liegt bei „80 Prozent“ für männliche und bei „50 Prozent“ für weibliche Geflüchtete. Die Hälfte der geflüchteten Männer schätzte also die Wahrscheinlichkeit, in zwei Jahren zu arbeiten, auf „80 Prozent“ oder höher ein, die Hälfte der Frauen jedoch nur auf „50 Prozent“ oder höher.

Ein Grund hierfür könnte sein, dass Frauen häufiger im Familienverbund flieheninfoLudovica Gambaro et al. (2018): Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist deutlich geringer, wenn ihre Kinder im Ausland leben. DIW Wochenbericht Nr. 42, 905–916 (online verfügbar). und gleichzeitig in den Herkunftsländern eher traditionelle Rollenverteilungen vorherrschen.infoDass Geflüchtete in Deutschland traditionelle Werte haben, belegen erste Untersuchungen der Einstellungen zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Zustimmung zu antidemokratischen Aussagen unter befragten Geflüchteten in Deutschland ist aber deutlich geringer als unter Befragten des World Value Surveys in den Krisenregionen. Vgl. Herbert Brücker, Nina Rother und Jürgen Schupp (2016): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. DIW Politikberatung kompakt 116 (online verfügbar). Qualitative Studien belegen zudem, dass sich die Geschlechterrollen weiblicher Geflüchteter aus Syrien seit 2011 deutlich verändert haben. Vgl. Nisren Habib (2018): Gender Role Changes and their Impacts on Syrian Women Refugees in Berlin in Light of the Syrian Crisis, WZB Discussion Paper, No. SP VI 2018–101 (online verfügbar). Konsistent mit dieser Annahme ist, dass der Median „50 Prozent“ für verpartnerte und „70 Prozent“ für ledige weibliche Geflüchtete ist. Für männliche Geflüchtete hingegen liegt der Median bei „80 Prozent“, und zwar unabhängig vom Beziehungsstatus.

Keine systematischen Unterschiede zeigen sich zwischen Haushalten mit und ohne Kindern (Abbildung 2, Haushaltstyp). Daraus lässt sich schließen, dass Kinder im Haushalt anscheinend keinen Einfluss auf die Erwartung künftiger Erwerbstätigkeit haben.

Bessere Schulbildung und bessere psychische Gesundheit korrelieren positiv mit Beschäftigungserwartungen der Geflüchteten

Auch je nach Bildungsabschluss fallen die Erwartungen der Geflüchteten zu ihrer Beschäftigung unterschiedlich aus.infoDer Bericht differenziert zwischen Grundschul-, Sekundar- und Universitätsbildung. Die Kategorisierung nutzt dabei Informationen zu der Anzahl der Schuljahre sowie Angaben zu im Herkunftsland erworbenen Studienabschlüssen: Grundschulbildung (bis zu 8 Schuljahre), Sekundarschulbildung (9 bis 12 Schuljahre), Universitätsbildung (mehr als 12 Schuljahre und/oder abgeschlossenes Hochschulstudium). Geflüchtete mit einer Sekundarschul- oder Hochschulbildung haben etwas höhere Erwartungen als diejenigen, die nur eine Grundschulbildung haben (Abbildung 2, Bildung). Der Median der Geflüchteten liegt für alle Gruppen bei „80 Prozent“. Allerdings geben Geflüchtete mit Grundschulbildung oder Sekundarschulbildung häufiger niedrige Antwortkategorien an als Geflüchtete mit Hochschulabschlüssen. Beispielsweise ist das untere QuartilinfoDas untere (obere) Quartil beschreibt diejenige Antwortkategorie, bei der die ersten (letzten) 25 Prozent der Angaben kleiner (größer) oder gleich der respektiven Antwortkategorie sind. 50 Prozent der Antworten liegen genau zwischen dem unteren und dem oberen Quartil. niedriger, je niedriger der Bildungsabschluss ist.

Des Weiteren zeigt sich, dass Geflüchtete, die eine schlechtere psychische Gesundheit vorweisen, im Jahr 2016 niedrigere Beschäftigungserwartungen hatten als Geflüchtete mit besserer psychischer Gesundheit (Abbildung 2, psychische Gesundheit). Es wird hier zwischen Geflüchteten unterschieden, deren Mental Component Summary Score (MCS)infoDer Mental Component Summary Score ist der zweite Faktor einer Principal Component Analyse der 12 Items des Short-Form 12 Questionnaire. In dem Short Form 12 Questionnaire geben Befragte Auskunft über ihre psychische und körperliche Gesundheit. Der MCS ist normiert, sodass ein Wert von 50 dem durchschnittlichen Wert der deutschen Bevölkerung entspricht und höhere Werte eine bessere psychische Gesundheit bedingen. Vgl. Maria Metzing, Diana Schacht und Antonia Scherz (2020): Psychische und körperliche Gesundheit von Geflüchteten im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen. DIW Wochenbericht Nr. 5, 64–72 (online verfügbar)., ein indexbasiertes Maß der psychischen Gesundheit, unter oder über dem Median liegt. Während der Median der Beschäftigungserwartungen bei Geflüchteten mit schlechterer psychischer Gesundheit bei „70 Prozent“ liegt, liegt dieser bei Geflüchteten mit besserer psychischer Gesundheit bei „80 Prozent“.

Integration in den Arbeitsmarkt macht weiter Fortschritte

Ein länderübergreifender Vergleich zeigt, dass Geflüchtete in den ersten zehn Jahren nach der Ankunft deutlich geringere Beschäftigungsraten und Löhne haben als andere Migrantengruppen.infoCourtney Brell, Christian Dustmann und Ian Preston: The Labor Market Integration of Refugee Migrants in High-Income Countries. CReAM DP. Nr. 10/20. In Einklang mit diesen Ergebnissen ist die Erwerbsbeteiligung Geflüchteter in Deutschland geringer als bei anderen ZuwanderInnen, sie ist über die Jahre jedoch kontinuierlich gestiegen. Lag die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten im Jahr 2016 bei durchschnittlich 14 Prozent,infoHerbert Brücker, Nina Rother und Jürgen Schupp (2016): a.a.O. stieg dieser Wert im Jahr 2018 um 29 Prozentpunkte auf durchschnittlich 43 Prozent.infoDie Erwerbsbeteiligung umfasst dabei Personen in Voll- und Teilzeit, Selbstständige, Auszubildende und PraktikantInnen. In unserer Analyse unterscheiden wir nicht zwischen verschiedenen Beschäftigungsarten. Der IAB-Kurzbericht 04/2020 gibt eine Erwerbstätigenquote von 35 Prozent an. Hier werden nur Geflüchtete als erwerbstätig bezeichnet, die Arbeit und ein positives Einkommen haben. Dieser Wochenbericht bezieht Entgelte nicht ein. Unter Berücksichtigung der Entgelte verringert sich der Prozentsatz der erwerbstätigen Personen in unserer Stichprobenabgrenzung ebenfalls von 43 auf 35 Prozent. Vgl. Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Fünf Jahre seit Fluchtmigration 2020, Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB-Kurzbericht Nr. 4 (online verfügbar).

Weibliche Geflüchtete, Geflüchtete mit Kindern im Haushalt und Geflüchtete mit Grundschulbildung zeigen geringere Erwerbsbeteiligung

Ähnlich wie bei den Beschäftigungserwartungen zeigt sich auch für die realisierte Erwerbstätigkeit von Geflüchteten im Jahr 2018 große Heterogenität. Zum einen existieren deutliche Geschlechterunterschiede in der Erwerbstätigkeit der Geflüchteten im Jahr 2018. Während 52 Prozent der männlichen Geflüchteten erwerbstätig waren, trifft dies nur auf 14 Prozent der weiblichen Geflüchteten zu. Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist die schulische Bildung Geflüchteter: Etwa 33 Prozent der Geflüchteten mit Grundschulbildung waren im Jahr 2018 in Deutschland erwerbstätig. Im Gegensatz dazu gingen 49 Prozent der Geflüchteten, die eine Sekundar- oder Hochschulbildung haben, im Jahr 2018 einer Arbeit nach. Darüber hinaus hatten 26 Prozent der Geflüchteten, die mindestens ein Kind im Haushalt hatten, im Jahr 2018 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. Unter den Geflüchteten ohne Kind im Haushalt waren im Jahr 2018 56 Prozent erwerbstätig. Zudem spielt die psychische Gesundheit von Geflüchteten im Basisjahr 2016 eine entscheidende Rolle: 32 Prozent der Geflüchteten mit schlechterer psychischer Gesundheit waren im Jahr 2018 erwerbstätig; dieser Wert ist um 23 Prozentpunkte höher für diejenigen, die in 2016 eine bessere psychische Gesundheit vorweisen konnten.

35 Prozent der Geflüchteten hatten im Jahr 2016 hohe Beschäftigungserwartungen und 2018 keinen Arbeitsplatz

Im Vergleich der subjektiven Beschäftigungserwartungen von Geflüchteten im Jahr 2016 und der realisierten Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 zeigt sich, inwiefern sich die formulierten Erwartungen erfüllten. Es existieren vier mögliche Ausprägungen (Tabelle). Erwartungen gelten als positiv erfüllt, sofern ein Geflüchteter oder eine Geflüchtete im Jahr 2016 mit hoher Wahrscheinlichkeit (Angaben über „50 Prozent“) eine Erwerbstätigkeit erwartet, und 2018 tatsächlich eine Beschäftigung ausübt. Erwartungen gelten als negativ erfüllt, wenn ein Geflüchteter oder eine Geflüchtete im Jahr 2016 mit geringer Wahrscheinlichkeit (Angaben geringer oder gleich „50 Prozent“) eine Beschäftigung erwartet, und 2018 keiner Arbeit nachgeht. Die Erwartung gilt als übertroffen (positive Abweichung), wenn ein Geflüchteter oder eine Geflüchtete trotz geringer Erwartungen im Jahr 2016 zwei Jahre später erwerbstätig ist. Im Gegensatz dazu gelten die Erwartungen als untertroffen (negative Abweichung), wenn trotz hoher Erwartungen im Jahr 2016 keine Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 realisiert wurde.

Tabelle: Realisationen von Beschäftigungserwartungen der Geflüchteten

Beschäftigungserwartung
Hoch Niedrig
Erwerbstätig (Positiv) erfüllt Positive Abweichung
32 Prozent 11 Prozent
Nicht erwerbstätig Negative Abweichung (Negativ) erfüllt
35 Prozent 22 Prozent

Quelle: IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland, v.35, Befragungsdaten für 2018, N = 1407, gewichtet.

32 Prozent der Geflüchteten hatten im Jahr 2016 eine zukünftige Beschäftigung erwartet und waren im Jahr 2018 tatsächlich beschäftigt (positiv erfüllt). 22 Prozent der Geflüchteten hatten geringe Erwartungen an eine künftige Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 und waren nicht erwerbstätig (negativ erfüllt). 11 Prozent aller Geflüchteten haben 2016 niedrige Erwartungen für einen künftigen Arbeitsplatz angegeben und waren im Jahr 2018 dennoch erwerbstätig (positive Abweichung). 35 Prozent der Geflüchteten hatten im Jahr 2016 hohe Beschäftigungserwartungen und im Jahr 2018 keinen Arbeitsplatz (negative Abweichung).

Insgesamt haben sich also für 46 Prozent aller Geflüchteten die Erwartungen nicht erfüllt. Unter denjenigen Geflüchteten, die Erwartungsfehler begangen haben, haben sich 24 Prozent zu pessimistisch und 76 Prozent zu optimistisch geäußert. Letztere sind folglich deutlich in der Überzahl. Da Enttäuschung und fehlende Integration häufig mit psychischen Problemen Geflüchteter korrelieren,infoBundesforum Männer e.V. (2019): a.a.O. sollte dieser Gruppe von StakeholderInnen und PolitikerInnen besonderes Augenmerk geschenkt werden. Vor diesem Hintergrund gilt es also zu verstehen, in welchem Maße die Erwartungsfehler mit persönlichen Merkmalen der Geflüchteten variieren (Abbildung 3–6).infoVon den Personen, die ihre Erwartungen nicht erfüllen konnten und 2018 nicht erwerbstätig waren, befinden sich einige Personen in Ausbildung oder nehmen an einem Integrationskurs teil (14 Prozent für Personen mit negativer Abweichung, 19 Prozent für Personen mit negativer Erfüllung). Es bleibt offen, ob es sich dabei um Lock-in-Effekte handelt (Person möchte in Bildung investieren und verschiebt daher den Arbeitsmarkteintritt) oder die Personen eine Ausbildung/einen Integrationskurs aufnehmen, weil sie bislang keine Erwerbstätigkeit aufnehmen konnten. Weitergehende kausalanalytische Analysen sind dazu notwendig.

Männer und Frauen haben insgesamt ähnlich häufig falsche Erwartungen an ihre Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 geäußert: 47 Prozent der männlichen Geflüchteten haben einen Erwartungsfehler begangen und 44 Prozent der weiblichen Geflüchteten (Abbildung 3). Dabei fällt auf, dass weibliche Geflüchtete häufiger zu hohe Beschäftigungserwartungen äußerten als männliche (40 versus 34 Prozent). Zudem hatten 39 Prozent der geflüchteten Männer hohe Beschäftigungserwartungen im Jahr 2016, welche sich erfüllten, während dies nur für 9 Prozent der geflüchteten Frauen zutrifft.

Unter den Geflüchteten mit Kindern im Haushalt haben 47 Prozent im Jahr 2016 hohe Beschäftigungserwartungen formuliert und in 2018 keine Beschäftigung (Abbildung 4). Für Geflüchtete ohne Kinder im Haushalt sind es 27 Prozent.

52 Prozent der Geflüchteten mit Kindern im Haushalt haben Erwartungsfehler begangen, im Gegensatz zu 42 Prozent der Geflüchteten ohne Kinder im Haushalt. Das ist bemerkenswert, da die Beschäftigungserwartung im Jahr 2016 kaum zwischen den beiden Haushaltstypen variierte. Dies suggeriert, dass Kinder im Haushalt für die Formulierung der Beschäftigungserwartung nur eine geringe Rolle gespielt haben, es bei der Aufnahme der Erwerbstätigkeit jedoch zu Unterschieden kommt. Konsistent mit dieser Beobachtung ist die Hypothese, dass strukturelle Gründe die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erschwert haben, diese im Jahr 2016 jedoch nicht antizipiert wurden. Ein Beispiel hierfür könnten unflexible Arbeitsmöglichkeiten oder fehlende Kinderbetreuung sein. In der Tat finden sich bereits empirische Belege dafür, dass die Kinderbetreuung die Integration der geflüchteten Eltern erleichtert. Etwa steigt die Beschäftigungserwartung von Müttern, wenn ihre null- bis sechsjährigen Kinder in Kindertageseinrichtungen betreut werden.infoLudovica Gambaro, Guido Neidhöfer und C. Katharina Spieß (2019). The effect of early childhood education and care services on the social integration of refugee families. DIW Discussion Paper No. 1828.

Im Hinblick auf die unterschiedlichen Bildungsbiografien fällt auf, dass Geflüchtete mit Hochschul- oder Sekundarschulbildung ihre positiven Erwartungen deutlich häufiger erfüllen können als Geflüchtete mit Grundschulbildung (Abbildung 5). Zudem zeigt sich, dass nur 5 Prozent der Geflüchteten mit Hochschulbildung zu niedrige Erwartungen formuliert haben, im Gegensatz zu 11 und 12 Prozent der Geflüchteten mit Grund- oder Sekundarschulbildung.

Mit Blick auf die psychische Gesundheit ist zu erkennen, dass sich für Geflüchtete mit besserer psychischer Gesundheit im Jahr 2016 häufiger die Erwartungen erfüllten: So begehen nur rund 40 Prozent der Geflüchteten mit besserer, aber 52 Prozent mit schlechterer psychischer Gesundheit Erwartungsfehler. Dieser Unterschied ist besonders deutlich für Geflüchtete, deren Erwartungen zu hoch waren (Abbildung 6). Darüber hinaus korreliert eine bessere psychische Gesundheit mit der positiven Erfüllung von Erwartungen: Während Geflüchtete mit besserer psychischer Gesundheit in 44 Prozent der Fälle hohe Erwartungen formulierten und in 2018 erwerbstätig waren, ist der Anteil für Geflüchtete mit schlechterer psychischer Gesundheit nur halb so hoch (22 Prozent). Letztlich ist unter Geflüchteten mit schlechterer psychischer Gesundheit auch der Anteil derjenigen höher, die negative Erwartungen in Bezug auf einen Arbeitsplatz hatten und auch keinen Arbeitsplatz fanden.

Fazit: Maßnahmen notwendig, um Erwartungsbildung Geflüchteter zu verbessern

Realistische Erwartungen zu formen, ist ein fundamentaler Vorgang in Situationen von Unsicherheit. Dies ist insbesondere für MigrantInnen wichtig, deren Migrationsentscheidung in der Regel auf einer Abwägung von Kosten und Nutzen erfolgt.infoLarry A. Sjaastad (1962): The costs and returns of human migration, Journal of Political Economy, 70 (5), 80–93. Gleichzeitig ist die ausbleibende Erfüllung von Erwartungen mit Enttäuschung und psychischen Problemen assoziiert.

Dieser Bericht ist der erste, der die Beschäftigungserwartungen von Geflüchteten analysiert. Hierfür wurden die Beschäftigungserwartungen der Geflüchteten in Deutschland aus dem Jahr 2016, deren tatsächlich realisierte Beschäftigung in 2018 und die assoziierten Erwartungsfehler betrachtet. Der Bericht zeigt, dass Geflüchtete im Jahr 2016 in der Regel hohe Erwartungen an ihre Beschäftigung im Jahr 2018 hatten. Diese hohen Erwartungen wurden jedoch nur teilweise erfüllt. Insbesondere weibliche Geflüchtete, Geflüchtete mit schlechterer psychischer Gesundheit und Geflüchtete mit Grundschulbildung konnten ihre hohen Erwartungen an eine Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 nicht erfüllen.

Die Ergebnisse dieses Berichts deuten darauf hin, dass individuelle und strukturelle Bedingungen – wie beispielsweise Kinder im Haushalt oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – unterschätzt wurden. Eine wichtige Rolle scheint auch die psychische Gesundheit von Geflüchteten zu spielen: Je besser die psychische Verfassung im Jahr 2016 war, desto wahrscheinlicher werden die Erwartungen Geflüchteter positiv erfüllt. Das ist insofern von besonderer Relevanz, da die psychische Gesundheit von Geflüchteten im Durchschnitt niedriger ist als die der bundesdeutschen Bevölkerung.infoMaria Metzing, Diana Schacht, Antonia Scherz (2019): a.a.O.

Die Ergebnisse dieses Wochenberichts legen Maßnahmen in den folgenden drei Bereichen nahe: Geflüchteten sollte nach der Ankunft erstens ausreichend Informationen zum Arbeitsmarkt und den erforderlichen Qualifikationen zur Verfügung gestellt werden. Das ermöglicht ein akkurateres Erwartungsmanagement zu Beginn des Aufenthalts. Zweitens legen die niedrigen Erwartungen der weiblichen Geflüchteten und die Diskrepanz zwischen Erwartungen und tatsächlicher Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von Haushalten mit Kindern nahe, diese Gruppen Geflüchteter stärker zu beachten bzw. ihnen zusätzliche Angebote zur Verfügung zu stellen. Die bivariaten Analysen in diesem Wochenbericht lassen nur beschränkt weitere Schlüsse zu, aber gemeinsam mit anderen empirischen ErgebnisseninfoLudovica Gambaro, Guido Neidhöfer und C. Katharina Spieß (2019): a.a.O. liegt es nahe, diesen Gruppen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch flexiblere Arbeitszeiten oder einen angemessenen Angebot an Kinderbetreuung zu erleichtern. Drittens sollten Geflüchtete mit schlechterer psychischer Gesundheit zusätzliche Unterstützung erfahren.

Daniel Graeber

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: D84;F22;J61
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-34-3

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226723

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