DIW Wochenbericht 34 / 2020, S. 604
Gert G. Wagner
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Trotz erneut steigender Covid-19-Infektionen hat sich die Zahl der lebensbedrohlich erkrankten Patienten auf den Intensivstationen nicht entsprechend erhöht. Dies dürfte daran liegen, dass in etlichen Hotspots relativ viele junge Menschen erkrankten – oftmals symptomlos. Wegen einzelner Fälle wird aber in Wohnblöcken und landwirtschaftlichen Betrieben gezielt getestet. Dadurch wurden Infektionen nachgewiesen, die zu Beginn der Pandemie nicht entdeckt worden wären. Wurden anfänglich weniger als 200000 Tests pro Woche durchgeführt, sind es inzwischen fast 600000.
Die zuletzt kaum gestiegene Zahl lebensbedrohlicher Erkrankungen darf aber kein Signal sein, zu alten Lebensgewohnheiten zurückzukehren. Denn Infektionsraten wie im März und April würden zu flächendeckenden Infektionen führen, die viel schwerer zu stoppen wären als im Frühjahr, als es gut erkennbare Infektions-Hotspots gab.
Für die weitere Strategie ist es wichtig zu wissen, dass eine Minderheit der Erwachsenen in Deutschland davon überzeugt ist, keinesfalls an Covid-19 zu erkranken, nämlich etwa 15 Prozent. Dies ist ein robuster Befund, der sich nicht nur im Sozio-oekonomischen Panel zeigt, sondern auch in einer anderen Erhebung, der internetbasierten COMPASS-Befragung. Weitere knappe 15 Prozent gehen von einer maximal fünfprozentigen Wahrscheinlichkeit einer Infektion aus. Das sind zusammen fast 30 Prozent der Erwachsenen, die sich für gar nicht oder kaum gefährdet halten. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen sieht die Gefahr einer Erkrankung bei nicht mehr als 20 Prozent. Dies gilt sogar für 70-Jährige und Ältere.
Es ist nicht überraschend, dass die COMPASS-Erhebung zeigt, dass diejenigen, die für sich ein Null-Risiko sehen, viele der Schutzmaßnahmen ablehnen. Maskentragen wird aber auch bei dieser Gruppe mehrheitlich akzeptiert. Dies gilt aber nicht für die Installation der Warn-App. Über zwei Drittel der Befragten, die kein Risiko einer lebensbedrohlichen Erkrankung erkennen, haben die App nicht installiert. Bei denen, die von einem kleinen Risiko von bis zu fünf Prozent ausgehen, ist die Hälfte ohne App. Da in diesen Gruppen aber junge Leute überrepräsentiert sind, würde sie hier besonders gut wirken.
Die Corona-Warn-App des Bundes steht seit dem 16. Juni zum Download bereit. Sie wurde bis Mitte August etwa 17 Millionen Mal heruntergeladen. Dies entspricht einem Anteil von etwa 25 Prozent der Erwachsenen in Deutschland. Wenn diese sich gleich über die ganze Republik verteilen (es also keine regionalen oder etwa berufsspezifischen Nutzungs-Cluster gibt), dann könnten nur gut sechs Prozent der potentiell kritischen Kontakte erfasst werden (der Anteil der Nutzenden macht ein Viertel der Bevölkerung aus. Dadurch beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kontakt beide Personen die App haben, 0,25 mal 0,25 gleich 0,0625).
Sechs Prozent der Risikokontakte sind angesichts der hohen absoluten Zahl von 17 Millionen App-Downloads ernüchternd wenig. Wenn es allerdings gelänge, dass insbesondere junge Leute mit vielen sozialen Kontakten überdurchschnittlich häufig die App installieren, wäre sie für diese Gruppe wirksamer als oben berechnet. Leider ist dies nicht der Fall. Die bis zu 39-Jährigen liegen bei der Nutzung der App etwa im Durchschnitt der Erwachsenen.
Es wäre sinnvoll, die Werbung für die Warn-App stärker auf soziale und berufliche Gruppen mit vielen sozialen Kontakten zu konzentrieren. Dies ist bislang nicht wirklich erkennbar (dieser Befund kann aber auch am Alter des Verfassers dieses Kommentars liegen, da er die Informationskanäle junger Leute nicht genügend im Blick hat).
Vor allem sollte der großen Bevölkerungsgruppe, die für sich gar kein lebensbedrohliches Covid-19-Erkrankungsrisiko sieht und deswegen auf Schutzmaßnahmen verzichtet, gezielter als bislang deutlich gemacht werden, dass es nicht nur um sie selbst geht, sondern um den Schutz stärker gefährdeter Menschen, insbesondere denen mit Vorerkrankungen. Dies ist leichter gesagt als getan. Alle Multiplikatoren sollten es trotzdem versuchen, denn die Pandemie ist trotz der wenigen Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen keineswegs überstanden.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-34-7
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226727