DIW Wochenbericht 36 / 2020, S. 619-627
Lisa de Vries, Mirjam Fischer, David Kasprowski, Martin Kroh, Simon Kühne, David Richter, Zaza Zindel
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„Insbesondere Unternehmen, in denen LGBTQI*-Menschen seltener vertreten sind oder sich nicht outen, können durch die Schaffung eines diskriminierungsarmen Arbeitsumfeldes zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen beitragen“ Lisa de Vries
In Deutschland hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTQI*-Menschen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert und die rechtliche Gleichstellung am Arbeitsmarkt wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gestärkt. Dennoch berichten knapp 30 Prozent derjenigen, die sich der Gruppe der LGBTQI*-Menschen zuordnen, von Benachteiligungen im Arbeitsleben. Dies ist das Ergebnis einer Befragung des Sozio-oekonomischen Panels und der Universität Bielefeld. Ebenso ist fast ein Drittel der LGBTQI*-Menschen nicht oder nur teilweise gegenüber Kolleg*innen geoutet. Insbesondere Trans*-Menschen berichten häufig von Diskriminierungserfahrungen im Arbeitsleben. Für LGBTQI*-Menschen, die durchschnittlich höher gebildet sind als die heterosexuelle Bevölkerung, gehört ein offenes Betriebsklima ihnen gegenüber zu den wichtigsten Kriterien für die Wahl eines Arbeitgebers. Ein diskriminierungsarmes Arbeitsumfeld reduziert kurz- und langfristige Arbeitsmarktnachteile von (potentiellen) Beschäftigten und erhöht die Attraktivität von Unternehmen für LGBTQI*-Menschen.
Die intensiven öffentlichen Debatten über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder über die Angabe nicht-binärer Geschlechtsoptionen in Personenstandsregistern hat die Sichtbarkeit von LGBTQI*-Menschen (lesbian, gay, bisexual, trans, queer und inter) in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich erhöht (zu begrifflichen Abgrenzungen Kasten 1). Bereits in den Jahren zuvor hatte sich die rechtliche Situation von LGBTQI*-Menschen in Deutschland verbessert. So sind seit 1994 homosexuelle Handlungen nicht mehr strafbar, und die nach Paragraph 175 bis Ende der 1960er Jahre Verurteilten wurden inzwischen rehabilitiert. Den Schutz vor Diskriminierung von Arbeitnehmer*innen sowie Auszubildenden hat zudem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Jahr 2006 gesetzlich gestärkt.
Menschen, die sich eine nicht-heterosexuelle Orientierung oder eine nicht-binäre Geschlechtsidentität zuschreiben, werden in diesem Bericht gemäß der gängigen englischen Bezeichnung als LGBTQI*-Menschen (kurz für lesbian, gay, bisexual, trans, queer und inter) bezeichnet. Das Sternchen weist darauf hin, dass diese Bezeichnung auch weitere Orientierungen und Geschlechtsidentitäten einschließt, die nicht explizit in diesem Akronym enthalten sind. Dies gilt auch für alle anderen mit dem Sternchen versehenden Bezeichnungen.
In den verwendeten Befragungen von SOEP und LGBielefeld der Universität Bielefeld haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, eine heterosexuelle, homosexuelle, bisexuelle oder eine andere Orientierung anzugeben. Bei einer anderen Orientierung ist eine offene Antwort möglich, wie queer, pansexuell, asexuell, polysexuell und demisexuell.
Das Geschlecht wird in den verwendeten Befragungen von SOEP und LGBielefeld gemäß einer international gebräuchlichen Zweischrittmethode erfragt.Greta R. Bauer et al. (2017): Transgender-inclusive measures of sex/gender for population surveys: Mixed methods evaluation and recommendations. PLoS ONE, 12(5) (online verfügbar). Zunächst geben die Studienteilnehmer*innen an, welches Geschlecht bei ihrer Geburt in ihre Geburtsurkunde eingetragen wurde (weiblich oder männlich).Unsere Befragten sind alle vor der Einführung des „dritten Geschlechts“ in Deutschland geboren. Es gab für sie somit ausschließlich die Optionen männlich oder weiblich in Geburtsurkunden. Danach berichten die Befragten, welches Geschlecht sie sich heute zuschreiben. Menschen, bei denen sich die im Laufe des Lebens entwickelnde Geschlechtsidentität mit dem bei Geburt zugeteilten Geschlecht zusammenfällt, werden mit dem Präfix „cis“ (lat. „diesseits“) gekennzeichnet. Menschen, bei denen dies nicht zusammenfällt, sind hier in der Gruppe der LGBTQI*-Menschen enthalten. Diese beinhaltet zum einen Menschen, die eine Geschlechtsveränderung von weiblich zu männlich oder umgekehrt berichtet haben (Transgender-Menschen). Zum anderen hatten die Befragten die Möglichkeit, bei der Frage nach dem Geschlecht, das sie sich heute zuschreiben, die Antwort „transgeschlechtlich“ anzugeben. Beide Personengruppen haben wir im Text unter dem Begriff Trans*-Menschen zusammengefasst. Ähnlich wie bei der Abfrage der sexuellen Orientierung war bei der Frage nach dem Geschlecht zusätzlich die Antwortoption „anderes Geschlecht“ mit nachfolgender offener Abfrage gegeben. Hierzu zählen zusätzlich Menschen zur Gruppe der LGBTQI*, die sich als nicht-binär, gender-queer, gender-fluide, agender, demigender und inter beschreiben.
Nicht nur die Sichtbarkeit und rechtliche Gleichstellung von LGBTQI*-Menschen hat sich verbessert, sondern auch deren gesellschaftliche Akzeptanz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen und ist in Deutschland im internationalen Vergleich hoch. Im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern liegt Deutschland dabei allerdings eher im Mittelfeld.Andrew R. Flores (2019): Social Acceptance of LGBT People in 174 Countries. 1981 to 2017. The Williams Institute, Los Angeles, CA (online verfügbar, abgerufen am 11.08.2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); European Commission (2019): Perception of minorities in the EU: LGBTI people (online verfügbar). Trotz aller Fortschritte erfahren LGBTQI*-Menschen auch heute noch gesellschaftliche Ablehnung und Benachteiligungen in verschiedenen Lebensbereichen, wie Studien zu Diskriminierungs-und Gewalterfahrungen zeigen.Steffen Beigang et al. (2017): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativ- und einer Betroffenenbefragung. Hrsg. v. Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Baden-Baden: Nomos (online verfügbar); Bodo Lippl, Tarik Abou-Chadi und Moritz Fedkenheuer (2012): Homophobe Anfeindungen aus Sicht von Schwulen, Bisexuellen und Trans* Personen (GBT). Strategien und Maßnahmen zu Schutz, Aufklärung und Prävention, Berlin, New York, São Paulo: MANEO.
International konnten bereits einige Studien Unterschiede in der Erwerbssituation nach sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität nachweisen.Emir Ozeren (2014): Sexual Orientation Discrimination in the Workplace: A Systematic Review of Literature. Procedia – Social and Behavioral Sciences 109:1203–1215 (online verfügbar); Marie-Anne Valfort (2017): LGBTI in OECD Countries: A Review. OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 198, OECD Publishing, Paris. Der Fokus innerhalb der Forschung liegt hierbei insbesondere auf Einkommensdifferenzen. Auch in Deutschland konnte empirisch gezeigt werden, dass es Unterschiede in Bezug auf die Erwerbssituation und Einkommensnachteile nach sexueller Orientierung gibt.Martin Kroh et al. (2017): Einkommen, soziale Netzwerke, Lebenszufriedenheit: Lesben, Schwule und Bisexuelle in Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 35, 687–698 (online verfügbar). Erschwert wurde die empirische Forschung zur Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen in Deutschland bisher dadurch, dass die Fallzahlen in den bestehenden Befragungen gering waren oder Informationen zur Identifikation von LGBTQI*-Menschen in Registerdaten des Arbeitsmarkts fehlten. Um die Forschungsdateninfrastruktur zu stärken, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Aufwuchs des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel Study (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 239 (2), 345–360. gefördert, der die SOEP-Core-Stichproben um eine Zufallsstichprobe von LGBTQI*-Menschen ergänzt (Kasten 2).Projekt „Ergänzung der Dateninfrastruktur des SOEP um eine Stichprobe von Lesben, Schwulen und Bisexuellen (SOEP-LGB)“ und Projekt „Geschlechter- und sexuelle Diversität im Fokus: Teilhabe und Vielfalt der Lebensformen (SOEP-GeSMin)“ (Förderkennzeichen 01UW1803A und 01UW1803B sowie 01UW2002A und 01UW2002B). DFG Netzwerk Sexual Orientation and Gender Identity in Germany (SOGI-GER) – Bundling Interdisciplinary Expertise FI 2490/1-1. Insgesamt stehen der Forschung für das Befragungsjahr 2019 bei einer Gesamtstichprobengröße von 29908 befragten Erwachsenen bundesweite Daten zu 858 Personen zur Verfügung, die der Gruppe der LGBTQI*-Menschen angehören. Die Ergebnisse des SOEP werden für diesen Wochenbericht durch Daten einer parallel durchgeführten Online-Befragung von LGBTQI*-Menschen der Universität Bielefeld (LGBielefeld)Die LGBielefeld-Befragung ist an der AG Methoden der empirischen Sozialforschung (Quantitativ) der Universität Bielefeld angegliedert (online verfügbar); Simon Kühne und Zaza Zindel (2020): Using Facebook & Instagram to Recruit Web Survey Participants: A Step-by-Step Guide and Application. In: Survey Methods: Insights from the Field (im Erscheinen). sowie zur Validierung der Befunde durch den Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes ergänzt.
Die empirische Forschung zur Lebenssituation von LGBTQI*-Menschen in Deutschland war bisher nur sehr eingeschränkt möglich. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass nur selten in Befragungen Angaben zur sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erhoben wurden, die eine Zuordnung zu LGBTQI* erlauben würden. In amtlichen oder betrieblichen Registerdaten ist diese Information bis heute faktisch nie enthalten. Selbst wenn in arbeitsmarktrelevanten Befragungen Angaben beispielsweise zur sexuellen Orientierung erhoben werden, dann sind die Fallzahlen vielfach für belastbare statistische Aussagen zu gering. Der Mikrozensus – die jährlich von den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder durchgeführte Befragung von einem Prozent aller Haushalte in Deutschland – ermöglicht belastbare Analysen, jedoch nur für die Teilgruppe der im Haushalt zusammenlebenden gleichgeschlechtlichen Paare.Siehe dazu: Andrea Lengerer und Jeanette Bohr (2019): Gibt es eine Zunahme gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Deutschland? Theoretische Überlegungen und empirische Befunde. Zeitschrift für Soziologie, Band 48 (2), 136–157. Homo- und bisexuelle Singles und Paare, die nicht in einem Haushalt zusammenleben, können nicht identifiziert werden. Mit dem Blick auf geschlechtliche Diversitäten sieht die Datenlage noch schlechter aus. Jenseits der Abfrage männlich/weiblich (und in wenigen Fällen „divers“) bietet die empirische Sozialforschung in Deutschland keine repräsentativen Daten.
Für Deutschland können die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) diese Datenlücken nun teilweise schließen. Das SOEP ist eine Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland, bei der alle Haushaltsmitglieder seit 1984 im Rahmen jährlicher Interviews zu ihrem Leben befragt werden. Aufgrund der großen Fallzahl des SOEP mit aktuell über 30000 Interviews in über 20000 Haushalten pro Jahr sind auch homo- und bisexuelle Menschen in substantieller Fallzahl vertreten. Im Jahr 2016 wurden die Befragten des SOEP erstmals zu ihrer sexuellen Orientierung befragt, sodass eine Identifikation von Homo- und Bisexuellen im SOEP möglich ist. Zum weiteren Ausbau der Dateninfrastruktur wurde das SOEP im Jahr 2019 durch eine zufallsbasierte Zusatzstichprobe „SOEP-LGB“ ergänzt, die das SOEP um über 450 weitere Haushalte mit mindestens einem nicht-heterosexuellen/nicht-cis Haushaltsmitglied erweitert. Diese Haushalte wurden mittels eines randomisierten Telefonscreenings der ganzen Bevölkerung im Erwachsenenalter in Deutschland ermittelt. Der SOEP-Fragebogen umfasst für alle Teilnehmer*innen Fragen zu verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Familie und Gesundheit. Der Großteil der Interviews im SOEP erfolgt über computergestützte, persönliche Befragungen durch professionelle Interviewer*innen.
Um zusätzliche, kleinteiligere Analysen und Gruppenvergleiche umzusetzen, werden für diesen Bericht außerdem Befragungsdaten des „LGBielefeld“-Projekts der Universität Bielefeld genutzt. Im Jahr 2019 wurden parallel zur SOEP-Befragung LGBTQI*-Menschen über Social Media (Werbung auf Facebook und Instagram) zur Teilnahme an einer Online-Befragung rekrutiert. Der Großteil des Fragebogens entsprach dabei den SOEP-Fragen, sodass die Daten kombiniert analysiert werden können.
Da sich die Analysen auf den Bereich Arbeitsmarkt beziehen, werden in beiden Datenquellen nur Personen betrachtet, die zwischen 18 und 65 Jahren alt sind. Insgesamt stehen für die Analysen Befragungsdaten aus dem Jahr 2019 zu 16880 heterosexuellen und 4300 LGBTQI*-Menschen zwischen 18 und 65 Jahren zur Verfügung (Tabelle 1).
Anteile in Prozent
SOEP | LGBielefeld | Insgesamt | |
---|---|---|---|
Sexuelle Orientierung | |||
Heterosexuell1 | 0,4 | 0,0 | 0,1 |
Homosexuell | 48,2 | 64,2 | 61,5 |
Bisexuell | 49,7 | 26,8 | 30,8 |
Pansexuell | 1,2 | 5,9 | 5,1 |
Asexuell | 0,3 | 1,2 | 1,0 |
Andere sexuelle Orientierung | 0,3 | 1,8 | 1,6 |
Fallzahl | 743 | 3557 | 4300 |
Geschlecht | |||
Männlich | 43,1 | 36,1 | 37,3 |
Weiblich | 52,6 | 55,6 | 55,0 |
Trans* | 2,6 | 5,0 | 4,6 |
Anderes Geschlecht | 1,7 | 3,3 | 3,1 |
Fallzahl | 743 | 3557 | 4300 |
1 Da auch Personen mit dem Geschlecht trans*, nicht-binär, gender-queer, gender-fluide, agender, demigender und inter zur Gruppe der LGBTQI* gezählt werden, wenn sie heterosexuell sind, findet sich unter den betrachteten LGBTQI*-Menschen auch ein geringer Anteil an heterosexuellen Personen.
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel v36.beta, LGBielefeld; eigene Berechnungen.
Alle Ergebnisse dieses Berichts beruhen auf Analysen unter der Berücksichtigung geeigneter (vorläufiger) Gewichtungsfaktoren. Bei den SOEP-Daten basieren die Gewichtungsfaktoren auf unterschiedlichen Ziehungswahrscheinlichkeiten der Stichprobe (sogenannte „Designgewichte“) und unterschiedlichen Teilnahmewahrscheinlichkeiten der Befragten (sogenannte „Nonresponsegewichte“). Die so gewichteten Daten erlauben verallgemeinerbare Aussagen zur Lebenssituation von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland. Die Daten der nicht-zufallsbasierten LGBielefeld-Stichprobe wurden auf Basis eines Randanpassungsverfahrens (auch „Raking“ oder „Iterative Proportional Fitting“) derart gewichtet, dass sie hinsichtlich der Merkmale Alter, Bundesland, Schulbildung, berufliche Bildung, Partnerschaftsstatus und Elternschaft den gewichteten Verteilungen der SOEP-Daten entsprechen.
Eine Reihe von Analysen in diesem Bericht vergleicht die Gruppe der heterosexuellen Menschen mit der Gruppe der LGBTQI*-Menschen. Bei der Betrachtung der Altersverteilung in den beiden Gruppen (Tabelle 2) wird deutlich, dass das durchschnittliche Alter unter den LGBTQI*-Menschen mit 39 Jahren unter dem Durchschnittsalter der Heterosexuellen (43 Jahre) liegt. Während ein biologischer Mechanismus der sexuellen Orientierung sich altersunabhängig darstellen sollte, deuten die Altersunterschiede somit auf einen sozialen Prozess der berichteten Identifikation mit einer sexuellen Orientierung hin. Festgestellte Unterschiede in den Lebenslagen heterosexueller und LGBTQI*-Befragter in den Analysen könnten schlicht auf die gemessenen Altersunterschiede zurückzuführen sein. Um dennoch Vergleiche zwischen den beiden Personengruppen zu ermöglichen, wird die Methode der „Propensity-Score-Gewichtung“ nach Altersgruppen angewendet. Hierbei wird die Unterstichprobe heterosexueller Befragter so gewichtet, dass sie in ihrer Altersverteilung der entsprechenden Verteilung der LGBTQI*-Substichprobe entspricht. Die so gewichteten Daten erlauben einen Vergleich zwischen LGBTQI*- und heterosexuellen Menschen gleichen Alters. Die Berechnungen erfolgen sowohl mit als auch ohne Altersanpassung, wobei das Signifikanzniveau der Differenz zwischen LGBTQI*-Menschen und heterosexuellen Menschen nur für die um das Alter korrigierten Daten dargestellt wird.
Anteile in Prozent
Heterosexuell | LGBTQI* | |
---|---|---|
18–29 Jahre | 20,0 | 25,9 |
30–39 Jahre | 20,5 | 25,6 |
40–49 Jahre | 19,7 | 18,8 |
50–59 Jahre | 26,3 | 24,2 |
60–65 Jahre | 13,5 | 5,4 |
Mittelwert (in Jahren) | 43,3 | 39,4 |
Fallzahl | 16880 | 4300 |
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel v36.beta, LGBielefeld; eigene Berechnungen.
Der Erwerbsstatus von LGBTQI*-Menschen deckt sich weitestgehend mit dem der restlichen Bevölkerung. Lediglich einer sonstigen Erwerbstätigkeit (zum Beispiel geringfügige Beschäftigung, freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr) gehen LGBTQI*-Menschen mit neun Prozent versus sieben Prozent etwas häufiger nach (Tabelle 1). Die erworbenen Qualifikationen sowie die beruflichen Tätigkeiten und die Branchen, in denen LGBTQI*-Menschen arbeiten, weichen hingegen häufiger von denen der heterosexuellen BevölkerungIm Bericht wird der im Alltag geläufige Begriff heterosexuelle Menschen oder restliche Bevölkerung verwendet, um Personen zu beschreiben, die sich nicht als LGBTQI*-Menschen identifizieren. Genauer ist der weniger gebräuchliche Begriff der cis-heterosexuellen Personen (vgl. Kasten 1). ab.
Anteile in Prozent
Heterosexuell | Heterosexuell (altersangepasst) | LGBTQI* | |
---|---|---|---|
Erwerbstätigkeit | |||
Voll erwerbstätig | 53,1 | 52,1 | 51,0 |
Teilzeitbeschäftigung | 17,7 | 16,7 | 16,3 |
Sonstige Erwerbstätigkeit1 | 6,4 | 6,5 | 9,2** |
In Ausbildung/Lehre | 2,7 | 4,3 | 3,5 |
Nicht erwerbstätig | 20,1 | 20,3 | 20,0 |
Fallzahl | 16880 | 16880 | 4289 |
Stellung im Beruf | |||
Selbständige | 7,6 | 6,6 | 11,4*** |
Beamt*innen | 6,5 | 6,3 | 6,0 |
Angestellte | 63,9 | 63,5 | 65,2 |
Arbeiter*innen | 18,2 | 17,6 | 11,8*** |
Auszubildende | 3,9 | 6,1 | 5,6 |
Fallzahl | 13150 | 13150 | 2796 |
Branche | |||
Land-/Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Energie-/Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Baugewerbe | 27,8 | 28,3 | 17,2*** |
Handel, Reparatur von Kfz, Gastgewerbe | 13,5 | 13,9 | 11,6 |
Verkehr und Lagerei, Kommunikation | 9,2 | 9,2 | 9,4 |
Finanz-/Versicherungsdienstleistungen, Grundstücks-/Wohnungswesen, wirtschaftliche Dienstleistungen | 13,4 | 13,0 | 12,4 |
Öffentliche Verwaltung u.ä. | 7,7 | 7,5 | 7,8 |
Erziehung und Unterricht | 8,2 | 8,0 | 10,9* |
Gesundheits- und Sozialwesen | 16,1 | 16,0 | 23,7*** |
Kunst, Unterhaltung und Erholung, sonstige Dienstleistungen, private Haushalte | 4,2 | 4,1 | 7,1** |
Fallzahl | 12817 | 12817 | 1515 |
Betriebsgröße | |||
1 bis unter 11 Beschäftigte | 13,8 | 13,7 | 13,7 |
11 bis unter 20 Beschäftigte | 7,2 | 7,3 | 8,2 |
20 bis unter 100 Beschäftigte | 15,8 | 16,2 | 14,4 |
100 bis unter 200 Beschäftigte | 8,2 | 8,2 | 9,4 |
200 bis unter 2000 Beschäftigte | 22,2 | 22,2 | 22,9 |
2000 und mehr Beschäftigte | 32,7 | 32,5 | 31,3 |
Fallzahl | 12403 | 12403 | 1595 |
1 In der Kategorie „Sonstige Erwerbstätigkeit“ wurden Personen mit geringfügiger oder unregelmäßiger Erwerbstätigkeit und Personen, die ein freiwilliges soziales/ökologisches Jahr oder einen freiwilligen Wehrdienst absolvieren, zusammengefasst.
Signifikanzniveaus der altersangepassten heterosexuellen Menschen zu den LGBTQI*-Menschen: *p<0,05 **p<0,01 ***p<0,001;
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel v36.beta, LGBielefeld; eigene Berechnungen.
Der Anteil der Personen mit einer (Fach-)Hochschulreife liegt in den verwendeten Daten mit 60 Prozent bei LGBTQI*-Menschen deutlich über dem der restlichen Bevölkerung gleichen Alters mit 42 Prozent (Tabelle 2). Dieser Befund deckt sich mit einer Vielzahl an früheren Studien.Marie-Anne Valfort (2017), a.a.O. Im Mikrozensus des Jahres 2016 finden sich ähnliche, jedoch weniger starke Bildungsunterschiede zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren und verschiedengeschlechtlichen Paaren.Die Differenz im Mikrozensus 2016 beträgt nach eigenen Berechnungen 13 Prozentpunkte. Vgl. FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2017): Mikrozensus 2016. Werden auf Grundlage der SOEP- und LGBielefeld-Daten nur Personen mit Partner*in im Haushalt betrachtet, beträgt die Differenz 15 Prozentpunkte. Die Unterschiede sind also in vergleichbarer Größenordnung. In einigen Studien wird die These geäußert, dass sich Personen mit hoher Bildung eher in Befragungen zu ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung bekennen, vgl. Marie-Anne Valfort (2017), a.a.O. Neben höheren Anteilen von Hochschulabsolvent*innen, die sich mit den höheren Anteilen von Abiturient*innen decken, finden sich bei LGBTQI*-Menschen gegenüber gleichaltrigen Personen der heterosexuellen Bevölkerung deutlich weniger Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung im dualen System (27 zu 39 Prozent).Im Mikrozensus beträgt hier der Unterschied zwischen gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Paaren nach eigenen Berechnungen sieben Prozentpunkte und ist ebenfalls statistisch signifikant. Vgl. FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2017): Mikrozensus 2016.
Anteile in Prozent
Heterosexuell | Heterosexuell (altersangepasst) | LGBTQI* | |
---|---|---|---|
Höchster allgemeinbildender Schulabschluss1 | |||
Noch kein Abschluss | 1,8 | 3,6 | 1,4*** |
Ohne allgemeinbildenden Schulabschluss | 2,3 | 2,2 | 0,9*** |
Hauptschulabschluss | 21,4 | 19,3 | 7,7*** |
Realschulabschluss | 33,9 | 32,6 | 30,2 |
(Fach-) Hochschulreife | 40,5 | 42,2 | 59,8*** |
Fallzahl | 13999 | 13999 | 4245 |
Höchster beruflicher Bildungsabschluss | |||
Noch in Ausbildung/Studium | 10,6 | 14,5 | 19*** |
Ohne beruflichen Abschluss | 12,5 | 13,7 | 13,7 |
Lehre/Berufsausbildung im dualen System | 42,3 | 39,3 | 27,4*** |
Fachschulabschluss | 14,7 | 13,3 | 11,8 |
(Fach-) Hochschulabschluss; Promotion | 16,1 | 15,8 | 26,4*** |
Anderer Abschluss | 3,8 | 3,4 | 1,8*** |
Fallzahl | 16323 | 16323 | 4300 |
1 Die Angabe „Anderer Abschluss“ wird aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden zwischen den Stichproben nicht miteinbezogen.
Signifikanzniveaus der altersangepassten heterosexuellen Menschen zu den LGBTQI*-Menschen: ***p<0,001;
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel v36.beta, LGBielefeld; eigene Berechnungen.
Hinsichtlich der Erwerbstätigkeit und der Stellung im Beruf gibt es geringfügige Unterschiede. Im Vergleich zur gleichaltrigen heterosexuellen Bevölkerung sind LGBTQI*-Menschen etwas häufiger selbständig (fünf Prozentpunkte Unterschied) und etwas seltener als Arbeiter*innen beschäftigt (sechs Prozentpunkte Unterschied).Nach den Zahlen des Mikrozensus des Jahres 2016 sind Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft etwas häufiger als Angestellte beschäftigt als Personen in einer verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft. Vgl. FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2017): Mikrozensus 2016. Dies deckt sich mit dem Befund der höheren Bildung von LGBTQI*-Menschen im Vergleich zur heterosexuellen Bevölkerung (Tabelle 1).
Deutlichere Unterschiede finden sich hinsichtlich der Wirtschaftszweige. So sind im Vergleich zu heterosexuellen Menschen deutlich weniger LGBTQI*-Menschen in den Bereichen Land-/Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Energie-/Wasserversorgung, Abfallentsorgung und Baugewerbe tätig (17 versus 28 Prozent). Ihr Anteil im Wirtschaftszweig Gesundheits- und Sozialwesen ist hingegen besonders hoch im Vergleich zur heterosexuellen Bevölkerung (24 versus 16 Prozent). Bei der Betriebsgröße lassen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen LGBTQI*-Menschen und der heterosexuellen Bevölkerung feststellen.
Insgesamt weisen die Ergebnisse ähnlich zu früheren StudienKiji Ueno, Teresa Roach und Abráham E. Peña-Talamantes (2013): Sexual Orientation and Gender Typicality of the Occupation in Young Adulthood. Social Forces 92 (1), 81–108; Heather Antecol, Anneke Jong und Michael Steinberger (2008): The Sexual Orientation Wage Gap: The Role of Occupational Sorting and Human Capital. ILR Review, Vol. 61 (4), 518–543. darauf hin, dass LGBTQI*-Menschen bestimmte Berufswege mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einschlagen als der Rest der Bevölkerung; andere Berufswege werden hingegen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit verfolgt. Von sozialpolitischem Interesse ist insbesondere die Frage, inwieweit die ungleiche Verteilung über die Wirtschaftszweige selbstgewählt beziehungsweise auf den Bildungshintergrund zurückzuführen ist oder aber auf strukturelle Hürden im Arbeitsmarkt hinweist.
Diskriminierung oder auch die Vermeidung von Diskriminierung durch die Wahl eines Berufs, in dem die Akzeptanz von LGBTQI*-Menschen besonders hoch ist, kann ein Grund für die berichtete ungleiche Verteilung über die Wirtschaftszweige sein. Um diese Frage näher zu untersuchen, wird im Folgenden die selbstberichtete Diskriminierung von LGBTQI*-Menschen in verschiedenen Lebensbereichen betrachtet.Experimentelle Studien zu den Diskriminierungsrisiken von LGBTQI*-Menschen am Arbeitsmarkt zeigen ebenfalls eine messbare Benachteiligung: Vgl. zu Bewerbungen Doris Weichselbaumer (2003): Sexual Orientation Discrimination in Hiring. Labour Economics, 10 (6), 629–642; zu den Unterschieden zwischen selbstberichteter und experimentell gemessener Diskriminierung Anne-Luise Baumann, Vera Egenberger und Linda Supik (2018): Erhebung von Antidiskriminierungsdaten in repräsentativen Wiederholungsbefragungen. Bestandsaufnahme und Entwicklungsmöglichkeiten. Hg. v. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (online verfügbar). Subjektive Diskriminierungserfahrungen wirken sich nachweislich auf die seelische Gesundheit, das soziale Wohlbefinden und auf die Lebenszufriedenheit aus. Dies trifft verstärkt zu, wenn die Personen ihre LGBTQI*-Identität als Grund der Diskriminierung empfinden. Diese Befunde weisen explizit den analytischen Nutzen subjektiver Diskriminierungserfahrungen aus. Sarah E. Jackson et al. (2019): Perceived discrimination, health and wellbeing among middle-aged and older lesbian, gay and bisexual people: A prospective study. PLoS ONE, 14(5), 1–15 (online verfügbar). Darüber hinaus wird untersucht, welcher Anteil der LGBTQI*-Menschen am Arbeitsplatz als solche geoutet ist und wie viele durch ein Nicht-Outing möglicherweise negative Folgen zu umgehen versuchen.
30 Prozent der Befragten, die sich der Gruppe der LGBTQI*-Menschen zuordnen, berichten von Diskriminierung im Arbeitsleben in den vergangenen zwei Jahren (Abbildung 1). Damit gehört das Arbeitsleben zu den Bereichen, in denen LGBTQI*-Menschen vergleichsweise häufig Diskriminierung erfahren. Seltener erfahren LGBTQI*-Menschen Diskriminierung im Kontakt mit der Polizei (sechs Prozent), der Verwaltung oder am Wohnungsmarkt (je 13 Prozent). Signifikant häufiger ist hingegen die Erfahrung von Alltagsdiskriminierung in Öffentlichkeit und Freizeit (40 Prozent).Kontakte zu Polizei und Verwaltung sind eher seltene Ereignisse, Kontakte im Arbeitsleben sowie Öffentlichkeit und Freizeit jedoch häufig . Somit ist das Risiko einer Diskriminierungserfahrung in den letzteren Bereichen viel höher.
Insbesondere Trans*-Menschen berichten von Diskriminierung im Arbeitsleben (Abbildung 2). 43 Prozent der Trans*-Menschen geben an, in den vergangenen zwei Jahren im Arbeitsleben diskriminiert worden zu sein; sieben Prozent berichten sogar von häufiger Diskriminierung.
Auch die Beratungsstatistiken der Antidiskriminierungsstelle des BundesIm Jahr 2019 sind bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes insgesamt 3580 Beratungsanfragen eingegangen, die sich auf das AGG beziehen. 281 Anfragen gingen zur sexuellen Identität und Geschlechtsangaben ein. Davon waren 89 Anfragen zum Arbeitsmarkt. 50 davon betrafen Beschäftigungsbedingungen und Beförderungen, 24 betrafen Zugangsbedingungen und zwei Beendigungsbedingungen; der Rest war ohne Angabe (Mehrfachnennungen möglich). Da es in Deutschland jedoch noch zahlreiche andere Beratungs- und Anlaufstellen gibt, bildet diese Beratungsstatistik lediglich einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Beratungsbedarfs ab. Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2017): Mit Rat zur Tat. Perspektiven der Antidiskriminierungsberatung in Deutschland (online verfügbar); Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2020): Jahresbericht 2019 (online verfügbar). Die Statistik zu den Beratungsanfragen von LGBTQI*-Menschen wurde von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns für die Unterstützung. erlauben Rückschlüsse auf Diskriminierungen im Arbeitsleben. Etwa 32 Prozent aller Beratungsanfragen von LGBTQI*-Menschen aus dem Jahr 2019 beziehen sich auf das Arbeitsleben. Von diesen knapp 90 arbeitsmarktbezogenen Anfragen entfiel fast die Hälfte auf Personen, die sich als divers, trans, oder inter bezeichnen. Obwohl die tatsächliche Größe dieser Gruppe innerhalb der LGBTQI*-Menschen schwierig zu schätzen ist, ist zu vermuten, dass Geschlechterminderheiten in den Anfragen besonders stark vertreten sind. Die auf das Arbeitsleben bezogenen Beratungsanfragen lassen sich zusätzlich weiter aufschlüsseln. Der Großteil der Anfragen bezieht sich auf die Beschäftigungsbedingungen und Beförderungen innerhalb von Unternehmen. Der Bereich Zugangsbedingungen wird weitaus seltener genannt, und nur ein geringer Anteil bezieht sich auf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Ungeoutet gegenüber Vorgesetzten oder auch Kolleg*innen zu bleiben kann ein Versuch von LGBTQI*-Menschen sein, einer Ungleichbehandlung oder Diskriminierung im Arbeitsleben aus dem Weg zu gehen. Etwa 40 Prozent der BefragtenAbweichend zu den bisherigen Auswertungen beziehen sich die Analysen zum Outing auf Personen, die entweder homo- oder bisexuell oder trans* sind. Die Geschlechtsidentität der betrachteten homo- und bisexuellen Menschen und die sexuelle Orientierung der betrachteten Trans*-Menschen umfasst weitere sexuelle Orientierungen/Geschlechtsidentitäten. sind gegenüber Vorgesetzten ungeoutet oder gehen verschlossen mit ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität um. Bei 31 Prozent trifft dies gegenüber Kolleg*innen zu (Abbildung 3).Die Folgen von einer verborgenen LGBTQI*-Identität sind mitunter gravierend für die seelische Gesundheit und Lebenszufriedenheit von LGBTQI*-Menschen. Umgekehrt wirkt sich eine gelebte Authentizität positiv aus. Vgl. Ellen D.B. Riggle et al. (2017): Outness, concealment, and authenticity: Associations with LGB individuals’ psychological distress and well-being. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity, 4(1), 54–62 (online verfügbar).
Dabei gibt es messbare Unterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen (Abbildung 4). So gehen besonders wenige Beschäftigte in den Bereichen Land-/Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Energie-/Wasserversorgung, Abfallentsorgung und Baugewerbe offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gegenüber Kolleg*innen um (57 Prozent). Dieser Befund deckt sich mit dem geringen Anteil von LGBTQI*-Beschäftigten in diesen Wirtschaftszweigen (Tabelle 1) und legt den Schluss nahe, dass die fehlende Akzeptanz von LGBTQI*-Menschen in einigen Berufen ein Outing erschwert und bestimmte Branchen daher gemieden werden. Insofern scheint die berufliche Verteilung über die Wirtschaftszweige von LGBTQI*-Menschen in Teilen auch auf strukturelle Hürden am Arbeitsmarkt zurückzuführen zu sein.
Neben einer interessanten Tätigkeit sowie sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen gehört für LGBTQI*-Menschen ein offenes Betriebsklima ihnen gegenüber zu den wichtigsten Präferenzen eines potentiellen Arbeitgebers (Abbildung 5). Auch wenn Diversitymaßnahmen für die befragten LGBTQI*-Menschen im Durchschnitt weniger wichtig sind, sind diese dennoch ähnlich hoch bewertet wie Karriere-relevante Aspekte (Einkommen, Aufstiegsmöglichkeiten, Erfolg und Ansehen des Arbeitgebers). Dies lässt darauf schließen, dass Unternehmen ihre Attraktivität für LGBTQI*-Menschen insbesondere durch die Verbesserung des Betriebsklimas gegenüber LGBTQI*-Menschen erhöhen können.
Die Auswertungen auf Basis der SOEP- und LGBielefeld-Daten zeigen, dass es sich bei LGBTQI*-Menschen um eine überdurchschnittlich hoch qualifizierte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt handelt, die somit für Unternehmen attraktive Mitarbeiter*innen darstellen. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich LGBTQI*-Menschen zu unterschiedlichen Anteilen auf die einzelnen Branchen verteilen. Die vorliegenden Ergebnisse lassen vermuten, dass LGBTQI*-Menschen ihre Berufswahl auch von der Offenheit der Branchen gegenüber der sexuellen Orientierung abhängig machen, dass sie also bestimmte Branchen meiden, um Diskriminierung zu umgehen und offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz umgehen zu können. Für Unternehmen scheint es somit besonders ratsam, ein offenes und diskriminierungsarmes Umfeld am Arbeitsplatz zu schaffen, um LGBTQI*-Menschen als Mitarbeiter*innen gewinnen zu können. Um dies zu erreichen, müssen Betriebe dafür sorgen, dass Gleichstellungsmaßnahmen sowie Toleranz und Vielfalt am Arbeitsplatz etabliert werden.
Um die Lebenssituation von LGBTQI*-Menschen weiterführend differenziert untersuchen zu können, ist es notwendig, die vorhandene Infrastruktur für Forschungsdaten insbesondere um die Dimension der Geschlechtsidentität zu ergänzen. Bisher wird in fast allen Befragungen, die im Kontext (außer)universitärer Forschung oder auch statistischer Ämter erhoben werden, Geschlechtsidentität nur binär erfasst. Hierfür ist es wichtig, dass Befragungen (außer)universitärer Forschung vermehrt die Dimensionen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität erheben und somit die Datenlage verbessert wird. Gleiches gilt für die Erhebung nicht-binärer Geschlechtsoptionen durch die statistischen Ämter entsprechend dem reformierten Personenstandsregister. Dies kann Handlungsbedarf in Bezug auf die Gleichstellung von LGBTQI*-Menschen aufzeigen. Außerdem kommt dies der Anforderung des Europäischen Rats und der EU-Kommission nach, eine nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität differenzierte Sozialberichterstattung zu gewährleisten.Council of the European Union (2016): Council conclusions on LGBTI equality (online verfügbar); EU-Commission (2020): List of actions to advance LGBTI equality (online verfügbar)
Themen: Wohlbefinden, Ungleichheit, Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J01;J7;J16
Keywords: LGBTQI*, sexual orientation, gender identity, labor market, education, discrimination
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-36-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226731