DIW Wochenbericht 37 / 2020, S. 642-652
Claus Michelsen, Guido Baldi, Geraldine Dany-Knedlik, Hella Engerer, Stefan Gebauer, Konstantin A. Kholodilin, Sandra Pasch, Malte Rieth
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Die Corona-Pandemie hat die Märkte im ersten Halbjahr weltweit einbrechen lassen. Nach einem massiven Rückgang um vier Prozent im ersten Quartal sank das globale Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um weitere fünf Prozent. Stagnierende Neuinfektionen und weitreichende geld- und finanzpolitische Maßnahmen zur Abfederung der Pandemie-Folgen sorgen dafür, dass sowohl die Produktion als auch das Vertrauen der KonsumentInnen und Unternehmen langsam zurückkehrt. Vor allem die schnelle Erholung in China lässt hoffen. Sofern das Infektionsgeschehen nicht wieder zunimmt, dürfte die globale Produktion im dritten Quartal wieder deutlich wachsen. Für das Gesamtjahr rechnet das DIW Berlin damit, dass die globale Produktion um 4,0 Prozent schrumpft. Im Prognosezeitraum dürfte die Weltwirtschaft mit recht starken Raten von 5,8 Prozent im kommenden Jahr und 4,0 Prozent im Jahr 2022 wachsen. Risiken bestehen aber nach wie vor: Nehmen die Infektionszahlen wieder stark zu, könnte ein deutlicher Anstieg von Insolvenzen, verbunden mit Kreditausfällen, die Finanzmärkte destabilisieren und letztlich die Solvenz einiger Staaten gefährden.
Im ersten Halbjahr 2020 führte die Corona-Pandemie zu einer globalen Rezession von historischem Ausmaß. Nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um vier Prozent im ersten Quartal, schrumpfte die globale Produktion im zweiten Quartal nochmals um fünf Prozent im Vergleich zum Vorquartal. (Abbildung 1). So erlitten fast alle Volkswirtschaften im zweiten Quartal erhebliche wirtschaftliche Einbußen, und der Welthandel schrumpfte um rund zwölf Prozent. In China hingegen kam es bereits im zweiten Quartal zu kräftigen Zuwächsen.
Die teils rigorosen Maßnahmen zur Eindämmung des unkontrollierten Infektionsgeschehens führten vielfach zum Stillstand von Handel und Dienstleistungen und behinderten die Produktion, was lokale und globale Lieferketten störte. Die Verunsicherung von Haushalten und Unternehmen drückte auf die Konsum- und Investitionsneigung. Die Intensität und Dauer der Eindämmungsmaßnahmen sind maßgeblich für die länderspezifischen Unterschiede in der Produktionstätigkeit. So waren die Produktionsausfälle dort besonders groß, wo anhaltend umfangreiche Lockdown-Regelungen galten und das öffentliche Leben erheblich eingeschränkt war, wie im Vereinigten Königreich und Indien. Aber auch dort, wo das gesellschaftliche Leben weniger stark eingeschränkt wurde, wie in Schweden oder Südkorea, kam es zu Wachstumseinbußen. Diese resultieren aus Verhaltensänderungen oder auch aus einer vom schwachen Welthandel gebeutelten Exporttätigkeit. Recht gering sind hingegen die wirtschaftlichen Verluste durch krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, da die Zahl der Infizierten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung weiterhin sehr niedrig ist.
Volkswirtschaften mit einem hohen Wertschöpfungsanteil an Dienstleistungen, wie Spanien und Italien, sind überdurchschnittlich hart von der Krise betroffen. Aufgrund der weltweiten Beschränkungen kam der grenzüberschreitende Reiseverkehr in den Monaten April bis Juni fast gänzlich zum Erliegen. Personennahe Dienstleistungen, beispielsweise im Gastronomie- und Hotelgewerbe, konnten vielerorts gar nicht oder nur stark eingeschränkt erbracht werden.
Im Sommer verlangsamte sich der weltweite Anstieg der Neuinfektionen (Abbildung 2). Die Infektionsverläufe sind jedoch über die Länder hinweg heterogen. Frühzeitig gelockerte Maßnahmen und wohl auch weniger Vorsicht bei der Umsetzung von Hygiene- und Abstandsregeln ließen in einigen Ländern die Zahl der Neuinfektionen im Verlauf des Sommers steigen. Hingegen gelang es in vielen europäischen Staaten, Japan und Südkorea, durch strenge Lockdown-Maßnahmen, Massentests oder auch angepasstes Verhalten die Zahl der Neuinfektionen zu senken.
Ein schwächerer Anstieg der Neuinfektionen, die gelockerten und gezielteren Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und die beschlossenen finanzpolitischen Hilfen haben die Haushalte und die Unternehmen zuversichtlicher gestimmt. In den größten Volkswirtschaften sind die Einkaufmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes in den letzten Monaten wieder aufwärtsgerichtet und liegen vielerorts über der Expansionsschwelle (Abbildung 5). Auch die Zuversicht der KonsumentInnen hat zugenommen, liegt aber meist noch deutlich unterhalb des Vorkrisenniveaus. Gleichwohl deuten die vorliegenden Indikatoren auf eine deutliche Erholung in vielen Volkswirtschaften hin. Die Zuversicht der Marktteilnehmer spiegelt sich auch an den Finanzmärkten wider. So konnten die massiven Kursverluste vom Frühjahr auf den bedeutendsten Aktienmärkten ausgeglichen werden.
Kann das Infektionsgeschehen, wie in der Prognose angenommen, weiterhin kontrolliert werden, ist in der zweiten Jahreshälfte 2020 mit kräftigen Aufholeffekten der Weltwirtschaft zu rechnen. Danach dürfte sich die Erholung verlangsamen, so dass die globale Produktion erst zum Ende des Prognosezeitraums allmählich ihren langfristigen Wachstumspfad erreicht. In Anbetracht des Ausmaßes der derzeitigen Rezession dürfte die Finanz- und Geldpolitik in vielen Regionen expansiv ausgerichtet bleiben und die Produktion weiter stützen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die wirtschaftspolitischen Hilfen nur teilweise die großen unternehmerischen Verluste und Einkommensausfälle der Haushalte abfedern. Die wirtschaftlichen Einbußen werden wohl nur allmählich wieder ausgeglichen. Vor allem die Investitionstätigkeit der Unternehmen dürfte trotz günstiger Finanzierungsbedingungen für längere Zeit gering bleiben.
Zudem legt die vielerorts erheblich sinkende Beschäftigung nahe, dass die Corona-Pandemie tiefe Spuren an den Arbeitsmärkten hinterlassen wird. So ist in einigen Volkswirtschaften mit weiterhin stark steigender Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die damit einhergehenden Einkommenseinbußen und die Verunsicherung der Haushalte über die zukünftige Einkommensentwicklung dürften den privaten Verbrauch schwächen. Die schlechte Lage auf den Arbeitsmärkten wird wohl ebenfalls auf der Lohnentwicklung in vielen Volkswirtschaften lasten. Zusammen mit den weiterhin niedrigen Energiepreisen wird die vielerorts zuletzt schwache Konsumentenpreisinflation nur allmählich wieder anziehen. Die vorerst niedrige Inflation dürfte den privaten Verbrauch stützen. Trotz beginnender Erholung in der zweiten Jahreshälfte schrumpft die globale Wertschöpfung im Gesamtjahr um 4,0 Prozent (Tabelle). Von einem niedrigen Niveau ausgehend wächst die Weltwirtschaft mit recht starken Raten von 5,8 im kommenden Jahr und 4,0 Prozent im Jahr 2022. Damit hebt das DIW seine Prognose für dieses Jahr um 0,9 Prozentpunkte an und setzt das weltwirtschaftliche Wachstum im nächsten Jahr um 0,3 Prozentpunkte herab.
In Prozent
Bruttoinlandsprodukt | Verbraucherpreise | Arbeitslosenquote in Prozent | ||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent | ||||||||||||
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
Euroraum | 1,2 | −9,0 | 5,5 | 3,1 | 1,3 | 0,4 | 1,0 | 1,4 | 7,5 | 9,1 | 9,7 | 8,6 |
ohne Deutschland | 1,4 | −10,5 | 6,3 | 3,0 | 1,2 | 0,3 | 0,8 | 1,2 | 9,5 | 11,5 | 12,3 | 10,9 |
Frankreich | 1,5 | −10,3 | 7,8 | 2,8 | 1,1 | 0,4 | 0,7 | 1,2 | 8,5 | 9,9 | 10,9 | 10,0 |
Italien | 0,3 | −11,3 | 5,1 | 3,1 | 0,7 | −0,1 | 0,6 | 0,9 | 9,9 | 11,0 | 12,0 | 10,5 |
Spanien | 2,0 | −13,1 | 6,5 | 3,5 | 0,7 | −0,1 | 1,1 | 1,6 | 14,1 | 18,4 | 18,7 | 16,5 |
Niederlande | 1,6 | −5,0 | 4,0 | 2,7 | 2,7 | 0,9 | 1,1 | 1,4 | 3,4 | 3,9 | 4,4 | 3,5 |
Vereinigtes Königreich | 1,5 | −12,1 | 3,6 | 1,7 | 1,7 | 1,1 | 2,1 | 1,8 | 3,8 | 4,3 | 5,4 | 5,0 |
USA | 2,2 | −4,9 | 3,2 | 2,9 | 1,8 | 0,9 | 2,0 | 2,4 | 3,7 | 8,7 | 7,1 | 5,8 |
Japan | 0,7 | −6,0 | 2,2 | 1,5 | 0,6 | 0,0 | 0,2 | 0,7 | 2,4 | 2,8 | 2,6 | 2,4 |
Südkorea | 2,0 | −0,3 | 4,4 | 3,0 | 0,4 | 0,5 | 1,3 | 1,5 | 3,7 | 4,1 | 4,1 | 3,7 |
Mittel- und Osteuropa | 3,9 | −5,9 | 5,1 | 3,9 | 2,7 | 3,1 | 3,4 | 3,1 | 3,3 | 4,1 | 4,0 | 3,4 |
Türkei | 1,0 | −5,9 | 4,5 | 3,5 | 15,2 | 13,0 | 15,3 | 10,5 | 13,7 | 14,6 | 14,3 | 13,3 |
Russland | 1,4 | −5,9 | 4,8 | 3,1 | 4,5 | 3,7 | 4,3 | 3,4 | 4,6 | 6,0 | 4,5 | 4,8 |
China | 6,2 | 1,4 | 8,3 | 5,3 | 2,4 | 3,7 | 3,1 | 3,0 | 4,1 | 4,1 | 4,1 | 4,1 |
Indien | 4,7 | −6,2 | 7,0 | 4,6 | 3,7 | 5,9 | 4,0 | 4,0 | ||||
Brasilien | 1,1 | −6,3 | 4,0 | 3,7 | 3,8 | 2,3 | 2,7 | 3,5 | 11,9 | 13,6 | 12,5 | 11,5 |
Mexiko | −0,3 | −10,9 | 3,4 | 2,9 | 3,4 | 2,8 | 2,8 | 3,3 | 3,5 | 6,3 | 6,3 | 4,8 |
Fortgeschrittene Volkswirtschaften | 1,7 | −6,4 | 3,7 | 2,7 | 1,4 | 0,7 | 1,5 | 1,9 | 4,5 | 7,5 | 6,9 | 5,9 |
Schwellenländer | 4,5 | −2,4 | 7,0 | 4,7 | 3,6 | 4,5 | 4,0 | 3,8 | 5,2 | 5,8 | 5,5 | 5,3 |
Welt | 3,4 | −4,0 | 5,8 | 4,0 | 2,7 | 3,0 | 3,0 | 3,1 | 4,9 | 6,5 | 6,1 | 5,5 |
Quellen: Nationale statistische Ämter; DIW Herbstgrundlinien 2020.
Diese Prognose schließt in ihren Annahmen unkontrollierte, erhebliche Anstiege der Neuinfektionen und entsprechend umfangreiche erneute Lockdowns aus. Es wird angenommen, dass in den meisten Volkswirtschaften die Eindämmung des Virus gelingt. Bis zum Ende des Jahres dürften bestehende einschränkende Maßnahmen weiter zurückgefahren und durch gezieltere Maßnahmen ersetzt werden, die aber dann auch annahmegemäß schrittweise abgebaut werden.
Aufgrund der Unwägbarkeiten über den weiteren Pandemieverlauf ist die Prognoseunsicherheit nach wie vor erheblich und in erster Linie mit abwärtsgerichteten Risiken behaftet. So könnten – wie bereits in einigen Ländern zu beobachten – die weltweiten Neuinfektionen erneut stark ansteigen. Zu erwarten wäre dann eine Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen, die erneut zu erheblichen Einbrüchen der Wirtschaftsleistung führt (Kasten 1). Zudem könnte ein deutlicher Anstieg von Unternehmens- und Privatinsolvenzen, verbunden mit einem Anstieg von Kreditausfällen, die Finanzmärkte destabilisieren und letztlich die Solvenz etlicher Staaten gefährden (Kasten 2). Mit den schwelenden Handelskonflikten zwischen China und den USA sowie zwischen Großbritannien und der Europäischen Union besteht weiterhin das Risiko, dass es zu erneuten handelspolitischen Eskalationen und entsprechenden realwirtschaftlichen Verwerfungen kommen könnte.
Die DIW-Konjunkturprognose basiert auf der Annahme, dass das weitere Infektionsgeschehen kontrolliert werden kann. Fraglich ist, wie sich eine erneute Intensivierung des Pandemiegeschehens auf die Weltwirtschaft auswirken würde. Im Rahmen eines Risikoszenarios werden diese Folgen abgeschätzt. Basis einer solchen Berechnung bildet dafür ein makroökonometrisches Modell, das auf Daten zu vergangenen Epidemien – wie SARS in den Jahren 2002/03 oder die Schweinegrippe in den Jahren 2009/2010 – zurückgreift. Vgl. Konstantin A. Kholodilin und Malte Rieth (2020): Medienbasierter Index zeigt: Epidemien bringen in der Regel dauerhafte wirtschaftliche Einbußen mit sich. DIW aktuell 32 (online verfügbar); Konstantin A. Kholodilin und Malte Rieth: Viral Shocks to the World Economy. DIW Discussion Papers 1861 (online verfügbar). Auftreten und Intensität von Viruserkrankungen lassen sich anhand nachrichtenbasierter Indizes messen. Ein eigens dafür entwickelter Medienindex wertet aus, wann und wie intensiv diese Epidemien in den Nachrichten und damit im öffentlichen Bewusstsein aufgetreten sind. Neben diesem Epidemie-Indikator auf Monatsfrequenz enthält das Modell noch die logarithmierte saisonbereinigte Industrieproduktion von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Vereinigten Staaten und der Welt sowie die Stromerzeugung in China, mithilfe derer die dortige wirtschaftliche Aktivität gemessen wird. Es wird angenommen, dass der Epidemie-Indikator auf der Monatsfrequenz die Industrieproduktion kausal beeinflusst.
Um einen erneuten starken Anstieg der Neuinfektionen zu simulieren, ist ein globaler Epidemieschock in das Modell eingespeist worden. Dieser generiert einen Einbruch der Industrieproduktion im ersten Quartal nach dem Schock, der mit der entsprechenden Elastizität umgerechnet zu einem Rückgang des Weltbruttoinlandsprodukts von rund vier Prozent führt. Dies entspricht in etwa der tatsächlichen Veränderungsrate der Weltwirtschaft im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorquartal.
Für das Risikoszenario wird nun angenommen, dass ein Schock in dieser Größenordnung jahreszeitlich bedingt im ersten Quartal 2021 auftritt. Es zeigt sich, dass das globale Bruttoinlandsprodukt fast für den gesamten Prognosezeitraum deutlich – und zumeist statistisch signifikant – unterhalb der Entwicklung in der Basisprognose (ohne Zunahme des Infektionsgeschehens) liegen würde (Abbildung). Erst ganz gegen Ende des Prognosezeitraums kommt es zu einem leichten Überschießen über die Basisprognose.
Bei den Jahresraten würde es zu deutlichen Veränderungen in den Jahren 2021 und 2022 kommen. Im kommenden Jahr würde das Wachstum lediglich 2,9 Prozent statt 5,8 Prozent betragen. Für das Jahr 2022 ergibt sich eine Rate von 6,6 Prozent, die aufgrund der Aufholeffekte höher liegen würde als in der Basisprognose (4,4 Prozent). Beide Alternativzahlen sind mit Schätzunsicherheit behaftet. So könnte es im ungünstigen Fall nächstes Jahr sogar erneut fast zu einer Stagnation kommen (1,4 Prozent) (Tabelle).
In Prozent
Herbstgrundlinien 2020 | Risikoszenario | |||
---|---|---|---|---|
Punktschätzer | Unteres 90-ProzentKonfidenzband | Punktschätzer | Oberes 90-ProzentKonfidenzband | |
2020 | −4,0 | −4,0 | −4,0 | −4,0 |
2021 | 5,8 | 1,4 | 2,9 | 5,4 |
2022 | 4,4 | 5,7 | 6,6 | 8,2 |
Quelle: Eigene Berechnungen.
Die weltweit massiven Einkommenseinbrüche nähren die Befürchtung, dass die Corona-Pandemie auch zu Verwerfungen auf den ImmobilienmärktenVgl. auch den Bericht zur Blasenbildung auf den Immobilienmärkten in dieser Ausgabe: Konstantin Kholodilin und Claus Michelsen (2020): Wohnungsmarkt in Deutschland: Trotz Krise steigende Immobilienpreise, Gefahr einer flächendeckenden Preisblase aber gering. DIW Wochenbericht Nr. 37, 684–693. führen könnte: Mietzahlungen könnten ausfallen und Hypothekenkredite nicht mehr bedient werden. Auch kann eine Nichtzahlung der Miete oder der Hypothekenzinsen zur Wohnungslosigkeit der SchuldnerInnen führen. Ebenso leiden darunter VermieterInnen und Kreditinstitutionen, deren Einnahmen sinken und deren Kreditportfolios neu bewertet werden müssen. Neben einer Verschuldungs- und Bankenkrise kann eine Schieflage auf den Wohnungsmärkten auch zu einer sozialen Krise führen.
Angesichts dieser Befürchtungen haben Regierungen in den meisten Ländern nach Wegen gesucht, um die negativen Auswirkungen zu mildern. Weltweit wurde daher der Schutz von MieterInnen vor Kündigung verschärft, Erleichterungen bei Hypothekenkrediten eingeführt, Preisregulierungen für Mieten erlassen und Subventionen an Mieterhaushalte gewährt. Bisher haben mindestens 73 Länder (darunter 27 OECD-Mitgliedstaaten) auf nationaler oder regionaler Ebene derartige Maßnahmen zur Absicherung von MieterInnen und EigentümerInnen eingeführt oder angekündigt (Abbildung 1).
Aktuelle amtliche Statistiken zu Mietausfällen liegen kaum vor – die Zahlen sind stark fragmentiert. In den USA beispielsweise, einem Land mit eher gering ausgebauten sozialen Sicherungssystemen, weist der US Rent Payment Tracker durchaus auf steigende Mietausfälle hin. Die Kennzahl bezeichnet den Anteil vermieteter Wohnungen mit einem Zahlungseingang zu einem bestimmten Stichtag.Laut Angaben des National Multifamily Housing Council basieren die Ergebnisse auf den Daten von rund 11,5 Millionen Wohnungen landesweit. Im Jahr 2019 variierte der Anteil am Ende des Monats zwischen 96 und 97,7 Prozent. Im Jahr 2020 sank der Anteil der geleisteten Mietzahlungen auf 94,6 bis 95,9 Prozent. Besonders hoch waren die Mietausfälle im April 2020. Eine erneute Verschlechterung ist im August zu beobachten. Bis jetzt jedoch deutet die leichte Steigerung der Mietausfälle auf keine dramatische Zahlungskrise auf dem Mietwohnungsmarkt hin.
In den USA stieg die Quote fauler Kredite im April 2020 stark an; hingegen liegt die Zwangsvollstreckungsrate von Immobilienkrediten auf einem Tiefststand (Abbildung 2). In anderen Ländern – mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs – sind dagegen keine Anzeichen einer steigenden Quote fauler Hypothekenkredite festzustellen.
Die Tatsache, dass in vielen Ländern trotz heftiger ökonomischer Krise bis jetzt noch keine dramatische Verschlechterung der Miet- und Hypothekenzahlungen zu beobachten ist, kann durch zwei Gründe erklärt werden. Erstens legen Haushalte größeren Wert auf Zahlung ihrer Mieten und sparen eher sonstige Ausgaben ein, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Die in vielen Ländern stark gestiegene Sparquote deutet zudem darauf hin, dass kaum eine Unterscheidung zwischen Mietzahlungen und sonstigen Ausgaben getroffen werden musste: Konsummöglichkeiten waren gerade im Frühjahr stark eingeschränkt. Zweitens zeigt sich, dass die vielfach umfangreichen Transfers die Ausgaben der privaten Haushalte gestützt haben.
Die wirtschaftspolitischen Hilfen vieler Länder scheinen bislang auch die Wohnungsmärkte stabilisiert zu haben. Neben den staatlichen Transfers haben die teilweise erlassenen Kündigungsverbote für Mietverhältnisse Wirkung gezeigt (Abbildung 3). In allen untersuchten US-Städten sank mit der Einführung eines Kündigungsverbots die Zahl der Räumungsanträge auf nahezu null. Mit der Aufhebung eines Kündigungsverbots nahm die Zahl der Anträge wieder zu. Sie blieb allerdings unter den in der Vergangenheit beobachteten Werten. Eine Ausnahme bildet Milwaukee (WI), wo die Zahl der Räumungsanträge sofort wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehrte.
In den Vereinigten Staaten ist die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 9,1 Prozent (annualisiert um 31,7 Prozent) eingebrochen; im ersten Quartal hatte der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 1,3 Prozent (annualisiert fünf Prozent) betragen. Die Corona-Pandemie und die Eindämmungsmaßnahmen führten insbesondere zu einem dramatischen Rückgang des privaten Konsums und der Unternehmensinvestitionen. Im Frühsommer konnte die Pandemie vorerst eingedämmt werden; daraufhin wurden die verschiedenen Lockdown-Maßnahmen zurückgenommen. Im Zuge dessen hat die US-Wirtschaft im Sommer deutlich zugelegt. Ein erneuter Anstieg der Corona-Fallzahlen in einigen Bundesstaaten und neuerliche Einschränkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten bremsten die Erholung allerdings aus. Verschiedene Eindämmungsmaßnahmen und Unsicherheiten über den weiteren Pandemieverlauf bleiben bestehen und drücken auf die wirtschaftliche Dynamik.
Die hohe Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen erheblichen Einkommenseinbußen, die den privaten Konsum bremsen, belasten die wirtschaftliche Erholung.Seit August fällt die Arbeitslosenunterstützung niedriger aus, weil die temporäre Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung im Umfang von wöchentlich 600 US-Dollars Ende Juli ausgelaufen ist. Da sich die politischen Parteien nicht auf eine Verlängerung einigen konnten, hat Präsident Donald Trump Anfang August per Dekret eine Verlängerung um wöchentlich 400 US-Dollar bis Ende des Jahres angeordnet. Die einzelnen Bundesstaaten können nun diese Erhöhung beantragen. Allerdings bestehen insbesondere bezüglich der Finanzierung ungeklärte Fragen. Die Arbeitslosenquote ist von 3,5 Prozent im Februar zwischenzeitlich auf 14,7 Prozent im April hochgeschossen und hat sich bis Juli schrittweise auf 10,2 Prozent verringert.Aufgrund von Klassifizierungsproblemen dürfte die tatsächliche Arbeitslosenquote im Frühjahr und Sommer allerdings zum Teil deutlich höher gelegen haben. Vgl. Jason Furman und Wilson Powell III (2020): Unemployment continues to fall, but US labor market problems run deep. Peterson Institute for International Economic (online verfügbar, abgerufen am 03.09.2020. Das gilt für alle Online-Quellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Im Zuge der allmählichen Erholung der US-Wirtschaft wird die hohe Arbeitslosigkeit weiter graduell zurückgehen. Auch die Investitionen der Unternehmen dürften sich schrittweise erhöhen; vorerst werden sie aber noch durch Unsicherheiten über den weiteren Pandemieverlauf sowie den ungewissen Ausgang der Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November belastet. Der Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China wird wohl trotz des im Januar unterzeichneten „Phase-One“-Abkommens weiter schwelen.Im „Phase One“-Abkommen wurde ein starker Anstieg der US-Exporte nach China vereinbart, der aber bereits vor dem Corona-Ausbruch kaum realistisch war. In der ersten Jahreshälfte hat China erst etwa ein Viertel der für das Gesamtjahr 2020 vereinbarten Importe aus den USA bezogen. Vgl. Chad P. Bown (2020): US-China phase one tracker: China’s purchases of US goods. Peterson Institute for International Economic (online verfügbar). Zudem haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auch auf verschiedenen anderen Ebenen deutlich verschlechtert.Insbesondere hat die US-Regierung gegen verschiedene chinesische Unternehmen Sanktionen ergriffen oder angekündigt, die in erster Linie mit sicherheitspolitischen Bedenken begründet werden.
Gestützt wird die US-Wirtschaft durch die sehr expansiv ausgerichtete Geldpolitik. Der Leitzins liegt seit März bei fast null Prozent. Zudem werden umfangreiche Wertpapierkäufe durchgeführt. Die Geldpolitik wird im Prognosezeitraum wohl expansiv ausgerichtet bleiben – auch weil die Zentralbank jüngst beschlossen hat, zeitweise eine etwas höhere Inflation als in den vergangenen Jahren zuzulassen.Die US-Notenbank hat am 27. August eine überarbeitete geldpolitische Strategie bekanntgegeben, wonach sie nun ein durchschnittliches Inflationsziel anpeilt. Damit könnte sie in Zukunft ein längeres moderates Überschießen der Inflationsrate über dieses durchschnittliche Inflationsziel zulassen, um ein vorangegangenes Unterschießen zu kompensieren. Das Inflationsziel für den Index der persönlichen Konsumausgaben liegt wie zuvor bei zwei Prozent. Alles in allem wird die US-Wirtschaft im laufenden Jahr wohl um 4,9 Prozent schrumpfen. In den Jahren 2021 und 2022 dürften die Wachstumsraten bei 3,2 und 2,9 Prozent liegen.
Die Konjunktur in China hat sich laut offiziellen Statistiken im zweiten Quartal 2020 erstaunlich schnell von den coronabedingten Eindämmungsmaßnahmen und dem Wirtschaftseinbruch erholt. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs gegenüber dem Vorquartal um 11,5 Prozent. Den größten Wachstumsbeitrag leistete die Industrie, während der Außenhandel und der Binnenkonsum noch unter dem Vorkrisenniveau liegen dürften. Der Wachstumsschub, insbesondere bei den Anlageinvestitionen, erklärt sich zum Teil durch staatlich finanzierte Produktionen.
Bis Ende des Jahres könnten noch weitere kleine Aufholeffekte die Wachstumsraten nach oben treiben. Die Einkaufsmanager schauen derzeit optimistisch nach vorne. Sowohl für das verarbeitende Gewerbe als auch für die Dienstleister liegt der Index oberhalb der kritischen 50er-Marke. Die Kfz-Neuzulassungen sind zudem noch deutlich unter ihrem Vorkrisenniveau, so dass auch hier weitere Impulse zu erwarten sind. Die Konsumentenpreise sind gesunken, was die Kaufkraft der Haushalte stärkt. Schließlich wird wohl die Weltkonjunktur ebenfalls in Schwung kommen, so dass von einer weiteren Normalisierung des Außenhandels auszugehen ist. Strukturell dürfte sich der Leistungsbilanzüberschuss Chinas aber weiter reduzieren – auch da sich die Handelsbeziehungen mit den USA wohl dauerhaft schwierig gestalten werden. Nach den Aufholeffekten wird die Wirtschaft im Reich der Mitte allmählich wieder zu ihrem normalen Wachstumspfad mit leicht abnehmenden Raten bis zum Ende des Prognosezeitraums zurückkehren. Alles in allem ist dieses Jahr mit einer Expansionsrate der Bruttowertschöpfung von 1,4 Prozent zu rechnen. Im nächsten Jahr dürften es dann 8,3 Prozent sein, im Folgejahr 5,3 Prozent.
Die europäische Wirtschaftsleistung ist im Zuge der Corona-Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen massiv zurückgegangen. Folglich schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum im zweiten Quartal 2020 um rund weitere zwölf Prozent. Neben der nachlassenden Investitionstätigkeit schlug vor allem die erhebliche Zurückhaltung im privaten Konsum negativ zu Buche. Bei gleichzeitig fallenden Ein- und Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen fiel der Außenhandelsbeitrag insgesamt negativ aus.
Die Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen im Frühsommer und die Erholung des Welthandels dürften die europäische Wirtschaft ab der zweiten Jahreshälfte 2020 wieder beleben. Vor allem ein deutlicher Rückgang der täglichen Neuansteckungen in vielen Mitgliedstaaten der Währungsunion (Abbildung 2) ermöglichte ab Mai die Einführung gezielterer Vorsichtsmaßnahmen, die die Produktionskapazitäten und das öffentliche Leben weniger einschränken. In Folge stiegen die Umsätze im Einzelhandel und die Industrieproduktion im verarbeitenden Gewerbe im Mai und Juni in vielen Mitgliedstaaten wieder deutlich an. Auch der internationale Warenhandel nahm vielerorts wieder zu. Gleichzeitig verbesserte sich die Konsumentenzuversicht kräftig. Die Einkaufsmanagerindizes zogen im Mai erstmalig wieder an und liegen derzeit in vielen Ländern nahe der Expansionsschwelle von 50 Indexpunkten.
Durch den Abbau nachfrage- und angebotsseitiger Belastungen und durch die wirtschaftspolitischen Hilfen dürfte in der zweiten Jahreshälfte die inländische Produktion kräftig zulegen. Ab dem Jahreswechsel wird sich die Erholung wohl verlangsamen. So dürften die Einkommenseinbußen der Haushalte und die unternehmerischen Verluste nur allmählich kompensiert werden. Erst zum Ende des Jahres 2022 wird die Wirtschaft im Euroraum wieder ihren langfristen Wachstumspfad erreichen.
Da sich das öffentliche Leben zunehmend normalisiert und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Arbeitsmärkte stützen, ist im zweiten Halbjahr 2020 zunächst mit einem kräftigen privaten Verbrauch zu rechnen. Im weiteren Verlauf wird der private Konsum aufgrund der ungewissen Arbeitsmarktsituation wohl etwas an Dynamik verlieren. Bisher sind die Pandemieauswirkungen auf den Arbeitsmarkt noch nicht vollends sichtbar. Einerseits sank die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden wie auch das Bruttoinlandsprodukt massiv, andererseits konnten umfangreiche temporäre Maßnahmen in vielen Staaten ein Ansteigen der Arbeitslosenquote verhindern (Abbildung 3). So weiteten einige Regierungen unter anderem das KurzarbeitergeldUnter anderem eingeführt in Frankreich, Activité Partielle (25.03. bis 31.12.2020) und APLD (30.07.2020 bis 30.06.2022), in den Niederlanden NOW (1.04. bis 30.09.2020), in Italien CIGO, FIS, CIGD (17.03. bis 31.12.2020) und CIGS (17.03. bis 31.10.2020) und in Spanien ERTE (27.03. bis 30.09.2020, für Saisonbeschäftigte bis zum 31.12.2020). und den Überstundenabbau signifikant aus. Zudem untersagten manche Staaten kurzzeitig gesetzlich sogar Entlassungen aufgrund der Krisensituation.In Spanien und Italien sind Entlassungen auch weiterhin an strenge Bedingungen geknüpft und werden zum Teil mit finanziellen Sanktionen bedacht. Da die nationalen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gegen Ende dieses Jahres mehrheitlich auslaufen, ist wohl vor allem im ersten Halbjahr 2021 mit deutlichen Anpassungen am Arbeitsmarkt zu rechnen.So dürften unter anderem mehr Firmen nach Ablauf der Stundungen von Insolvenzmeldepflichten Konkurs anmelden. Eine weiterhin schwache Entwicklung der Nominallöhne dürfte die real verfügbaren Einkommen – bei leicht steigenden Konsumenten- und Ölpreisen – belasten und damit den privaten Konsum dämpfen. Ein zeitnaher Start des geplanten europäischen Kurzarbeiterprogramms SURE könnte dieser Entwicklung entgegenwirken.Das von der EU eingerichtete Instrument SURE unterstützt die EU-Mitgliedstaaten beim Schutz der Arbeitsplätze mit Darlehen zu günstigen Bedingungen in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro. Abgesichert werden die Darlehen durch den EU-Haushalt und durch Garantien der Mitgliedstaaten in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro. Das Programm wird, sobald alle Mitgliedstaaten ihre Garantien bereitgestellt haben, bis zum 31. Dezember 2022 zur Verfügung stehen. Vgl. die Website der EU-Kommission. Ungewiss ist, inwieweit SURE-Darlehen von den Mitgliedstaaten zur Finanzierung neuer nationaler arbeitsrisikomindernder Programme oder bereits vergangener Maßnahmen eingesetzt werden.
Die EZB wird ihre expansive Geldpolitik aufgrund der schwachen Teuerung, der anhaltend geringen Nachfrage und der weiterhin bestehenden hohen Unsicherheit fortführen. Dies und die Ankündigung des EU-AufbauprogrammsDie Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU haben am 21. Juli 2020 Einigung über einen Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro erzielt. Dieser soll die EU dabei unterstützen, gemeinsam schnell und gestärkt aus der Krise herauszukommen, und einen Wandel hin zu einer nachhaltigeren, ökologischeren, wettbewerbsfähigeren und moderneren Wirtschaft einleiten. Das Aufbauprogramm ist auf die Jahre 2021 bis 2023 befristet. 312,5 Milliarden Euro sollen in Form von Zuschüssen und 360 Milliarden Euro in Form von Darlehen über das Instrument der Aufbau- und Resilienzfazilität an die Mitgliedstaaten zur Finanzierung nationaler Programme vergeben werden. Die Verteilung der Zuschüsse richtet sich hier nach der Bedürftigkeit des Staates, während die Darlehen auf maximal 6,8 Prozent des Bruttonationaleinkommens eines jeden Mitgliedsstaats begrenzt sind. Weitere 77,5 Milliarden Euro Zuschüsse werden über zweckgebundene Instrumente verteilt. Vgl. die Website des Europäischen Rats, sowie Zsolt Darvas(2020): Having the cake, but slicing it differently: how is the grand EU recovery fund allocated? Bruegel,23. Juli (online verfügbar). zur Stärkung der europäischen Wirtschaft im Umfang von 750 Milliarden Euro dürften die konjunkturellen Aussichten maßgeblich aufhellen. In diesem Umfeld haben sich auch die Finanzmärkte beruhigt. So haben die Aktienmärkte ihre Kursverluste bereits wieder wettgemacht; die Renditen auf Staatsanleihen im Euroraum stabilisieren sich zunehmend (Abbildung 5).
Erst ab dem kommenden Jahr dürfte der Außenhandel die Konjunktur in der Währungsunion wieder stützen, jedoch nicht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen. Durch den schrittweisen Abbau noch verbleibender Eindämmungsmaßnahmen dürfte der Wachstumsbeitrag der Außenwirtschaft vor allem in denjenigen Ländern, wo der Tourismus eine große Rolle spielt, geringer ausfallen.
Eine leichte, aber wenig dynamische Erholung der Investitionstätigkeit ist für den Euroraum ab dem zweiten Halbjahr 2020 zu erwarten. Die Unternehmen holen zwar viele Investitionen nach, die sie im zweiten Quartal verschoben haben, arbeiten aber noch immer mit einer Kapazitätsauslastung von 66 Prozent und werden nur allmählich zu ihrem langfristigen Potential zurückkehren (Abbildung 4). Erst in den Jahren 2021 und 2022 dürften die Investitionen der Unternehmen und Haushalte im Zuge einer sich erholenden Weltwirtschaft und erhöhtem Handelsaufkommen zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts beitragen.
Die Risiken bleiben überwiegend abwärtsgerichtet. Eine weitere Infektionswelle und eine erneute Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen könnten die Wirtschaftskrise in vielen Ländern vertiefen. Besonders betroffen wären Ökonomien mit einem relativ großen Tourismussektor wie Spanien und Italien. Eine noch schwerere Rezession in diesen Ländern birgt auch das Risiko, dass die Finanzmärkte destabilisiert werden. Es besteht zudem weiterhin das Risiko, dass sich der Außenhandel der Währungsunion verschlechtert. So könnte eine Verschärfung des Pandemieverlaufs der größten Handelspartner die Auslandsnachfrage merklich schwächen. Auch die Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich bleiben ungeklärt.
Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt der Währungsunion in diesem Jahr um neun Prozent schrumpfen und verzeichnet damit den größten Rückgang ihrer Geschichte. In den kommenden Jahren werden die Produktionsausfälle schrittweise wieder aufgeholt, so dass die Wirtschaft des Euroraums in den Jahren 2021 und 2022 um jeweils 5,5 und 3,1 Prozent wachsen dürfte.
Das Bruttoinlandsprodukt im Vereinigten Königreich ist im zweiten Quartal um historisch einmalige 20,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal geschrumpft, nachdem es bereits im ersten Quartal um 2,2 Prozent zurückgegangen war. Damit ist das Vereinigte Königreich eine der wirtschaftlich am stärksten von der Pandemie betroffenen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Die Produktion liegt aktuell noch unter dem Niveau von vor der globalen Finanzkrise 2009. Aufgrund der drastischen Quarantänemaßnahmen innerhalb des Landes schrumpfte die wirtschaftliche Aktivität vor allem in jenen Sektoren, die stark von den Abstandsregeln betroffen waren. Auch eine stark expansive Geld- und Finanzpolitik konnte den Einbruch kaum abmildern. Lediglich der Außenbeitrag war positiv – allerdings nur, weil die Importe stärker als die Exporte einbrachen.
Am aktuellen Rand sind vorsichtige Zeichen der Hoffnung auszumachen. Der Arbeitsmarkt zeigt sich, wohl auch durch das Kurzarbeiterprogramm der britischen Regierung, bislang mit einer nahezu unveränderten Arbeitslosenquote erstaunlich robust. Der Einkaufsmanagerindex liegt aktuell bei 60 Punkten und damit über der Expansionsschwelle von 50 Punkten. Das Wirtschaftsvertrauen stieg im August zudem etwas an. Auch der GfK-Index zum Konsumentenvertrauen machte seit April einiges an Boden gut. Die gemessene Brexit-Unsicherheit ist erstaunlicherweise recht niedrig, obwohl ein Abkommen mit der EU bis zum Ende des Jahres unwahrscheinlich scheint.
Alles in allem ist der Weg zum Vorkrisenniveau aber noch sehr weit. Die Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe beispielsweise liegt noch rund 15 Prozentpunkte unter ihrem üblichen Niveau. Bei der Industrieproduktion beträgt die Lücke gut zehn Prozentpunkte. Lediglich die Einzelhandelsumsätze liegen wieder über dem Vorkrisenniveau. In dieser Hinsicht folgt die britische Wirtschaft der kontinentaleuropäischen Entwicklung am ehesten. Insgesamt dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um etwa zwölf Prozent schrumpfen, auch wenn für den Rest des Jahres mit starken Aufholeffekten zu rechnen ist. Das nächste Jahr wird ebenfalls noch hiervon geprägt sein und die Wachstumsrate bei 3,6 Prozent liegen. Im Jahr 2022 dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 1,7 Prozent steigen.
In den Ländern Mittel- und Osteuropas ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2020 zwischen 8,4 Prozent (Tschechien) und 14,5 Prozent (Ungarn) gesunken. Die Länder der Region hatten mit einem umfassenden Lockdown auf die Corona-Pandemie reagiert; Mitte Mai wurden Lockerungen eingeleitet. Nachdem die Fallzahlen im Frühjahr noch unter dem westeuropäischen Niveau lagen, sind im Sommer in einigen Ländern die Neuinfektionen gestiegen, insbesondere in Rumänien.In Rumänien wird mit über 4000 Fällen pro eine Million Personen etwa das Niveau von Italien erreicht. Zahlreiche rumänische Verwaltungskreise wurden vom Robert-Koch-Institut inzwischen als Risikogebiete eingestuft.Auch in Bulgarien wurde unter anderem der Bezirk Dobrich – und damit ein wichtiges Touristenzentrum am Schwarzen Meer – zum Risikogebiet erklärt. Rumänien hat den „Alarmzustand“ verlängert.Neben Eindämmungsmaßnahmen wie Abstandsregeln, Maskenpflicht und Quarantäneregelungen gehören hierzu unter anderem auch Begrenzungen für die Besucherzahl von öffentlichen und privaten (Sport- und Kultur-) Veranstaltungen. Auch in anderen Ländern wurden regionale Eindämmungsmaßnahmen eingeführt. So gilt in Tschechien und Polen ein Ampelsystem.
Auf den im Zuge des Lockdowns starken Rückgang der Industrieproduktion folgte eine deutliche Erholung. Auch die Stimmung in der Industrie besserte sich. Der Einkaufsmanagerindex im verarbeitenden Gewerbe stieg in Polen im Juli sogar über die Expansionsschwelle. In der Bauwirtschaft hingegen gingen die Aktivitäten auch nach dem Lockdown teilweise zurück (Stand Juni). Leicht eingetrübt hat sich im Verlauf des Sommers auch die Konsumentenzuversicht. Die – wenn auch ausgehend von einem geringen Niveau – gestiegenen Arbeitslosenzahlen und die Ungewissheit, ob es infolge steigender Fallzahlen wieder zu stärkeren Eindämmungsmaßnahmen kommt, dürften die Stimmung drücken.
Länder der Region, die noch geldpolitischen Spielraum besaßen, haben in den vergangenen Monaten die Geldpolitik gelockert. Es wurden zudem staatliche Unterstützungsprogramme aufgelegt, besonders umfangreich ist der sogenannte Antikrisenschild in Polen.Vgl. Claus Michelsen et al. (2020): Pandemie stürzt Weltwirtschaft in tiefe Rezession. Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Sommer 2020. DIW Wochenbericht Nr. 24 (online verfügbar). Die Mittel, die aus dem EU-Wiederaufbaufonds für die Region bereitgestellt werden sollen, fallen indes mit etwa 58 Milliarden Euro deutlich geringer aus als ursprünglich im Kommissionsvorschlag veranschlagt.Polen erhält mit 26,82 Milliarden Euro nur etwa 70 Prozent der ursprünglich vorgesehenen Mittel. Die Mittel erreichen gemessen am jeweiligen BIP der Länder auch eine unterschiedliche Größenordnung. In Tschechien etwa 2,5 Prozent des BIP und in Bulgarien knapp zehn Prozent des BIP. Vgl. Darvas (2020), a.a.O.
Die mittel- und osteuropäischen Länder der EU könnten im weiteren Verlauf der Pandemie beim Ersatz oder Wiederaufbau von Lieferketten für westeuropäische Produzenten an Bedeutung gewinnen. Im Prognosezeitraum dürfte die Wirtschaftsleistung in der Region im Jahr 2020 um 5,9 Prozent sinken und sich im kommenden Jahr um 5,1 Prozent sowie im Jahr 2022 um 3,9 Prozent erhöhen.
Das russische Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal 2020 um 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gesunken. Im gesamten ersten Halbjahr betrug der Rückgang offiziell 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dabei sanken die Investitionen um vier Prozent und – gemessen am Einzelhandelsumsatz – etwas stärker auch der private Verbrauch. Zusätzlich zum Produktionsrückgang aufgrund der Pandemie haben sich die auf dem Weltmarkt gesunkenen Erdölpreise in den russischen Exporteinnahmen niedergeschlagen: Die Erlöse aus dem Erdölexport brachen in den ersten sechs Monaten um fast 23 Prozent ein. Sie werden angesichts der moderaten Ölpreisentwicklung im weiteren Verlauf zwar wieder steigen, sich aber wohl kaum dynamisch entwickeln.
Nach dem Lockdown wurden in Russland ab Mitte Mai die Eindämmungsmaßnahmen gelockert; weitere Schritte werden auf regionaler Ebene entschieden. Trotz Lockerung ist die Industrieproduktion zuletzt nur leicht gestiegen. Der Einkaufsmanagerindex ging sogar wieder etwas zurück. Angesichts einer steigenden Zahl von Arbeitslosen bleibt das Konsumentenvertrauen eingetrübt. Auch der Pandemieverlauf mit einer weiterhin hohen Zahl an Neuinfektionen dürfte die Zuversicht der Konsumenten und Investoren drücken. Zur Bekämpfung der Pandemie hatte die Regierung im zweiten Quartal die Ausgaben für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft erhöht. Sie hat zudem Hilfspakete geschnürt, deren Umfang indes begrenzt ist.Vgl. Michelsen et al. (2020), a.a.O. Die Zentralbank hat die bereits im vergangenen Jahr begonnene Lockerung der Geldpolitik mit weiteren Zinssenkungsschritten fortgesetzt.
Nach einem Rückgang im laufenden Jahr von 5,9 Prozent dürfte das russische Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um 4,8 Prozent und im Jahr 2022 um 3,1 Prozent steigen.
Themen: Konjunktur, Gesundheit
JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-37-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226735