DIW Wochenbericht 37 / 2020, S. 675
Claus Michelsen, Erich Wittenberg
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Herr Michelsen, die Wirtschaft hat bedingt durch die Corona-Pandemie einen historischen Einbruch erlebt. Inwieweit gibt es nach dem ersten Schock wieder Anzeichen für eine Belebung der Wirtschaft? Das Bruttoinlandsprodukt ist in Deutschland im Frühjahr um knapp zehn Prozent eingebrochen. Wir beobachten mittlerweile deutliche Zeichen einer Erholung. Die Produktionstätigkeit hat wieder angezogen, die Umsätze sind auch im Einzelhandel wieder gestiegen und Indikatoren lassen hoffen, dass sich die Wirtschaftsleistung und auch die Lieferbeziehungen wieder normalisieren. Wir gehen daher davon aus, dass das dritte Quartal in diesem Jahr sehr positiv ausfallen wird, wenngleich der Rückgang so schnell natürlich bei Weitem noch nicht wettgemacht werden kann.
Wie lange wird es dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht ist? Durch die Stabilisierungspolitik der Bundesregierung konnten Einkommensverluste im Vergleich zu anderen Ländern einigermaßen aufgefangen werden. Vor allem die Kurzarbeit hat auch den Unternehmen geholfen, die ihre Belegschaft zusammenhalten und Liquidität sichern konnten. Das bedeutet aber nicht, dass die Krise schon ausgestanden wäre. Das Risiko ist hoch, dass wir im Herbst die eine oder andere Insolvenz erleben werden. Das hätte deutlich negative Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt, der sich aktuell positiver darstellt als erwartet. Wir gehen momentan davon aus, dass das Vorkrisenniveau Mitte bis Ende 2021 erreicht sein wird. Die Erholung beschäftigt uns also nicht nur einige Monate, sondern eher Jahre.
Wie stark sind die Auswirkungen auf den privaten Konsum? Der private Konsum ist im zweiten Quartal heftig eingebrochen. Das hat einerseits etwas damit zu tun, dass die Haushalte das Geld zunächst gar nicht unter die Leute bringen konnten. Die Menschen sind andererseits aber auch vorsichtiger geworden, was sich auch jetzt noch in einer insgesamt geringeren Konsumneigung bemerkbar macht. Ob die Mehrwertsteuersenkung in diesem Zusammenhang einen großen Impuls entfalten wird, ist unklar. Sie hat aber den privaten Haushalten einen gewissen Optimismus zurückgegeben. Der private Konsum dürfte im weiteren Jahresverlauf deutlich zulegen.
Wie beurteilen Sie das weltwirtschaftliche Umfeld und die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft? Diese Wirtschaftskrise ist ein globales Phänomen. Wir gehen davon aus, dass in den meisten Ländern der Tiefpunkt der Krise erreicht oder bereits durchschritten ist und dass wir in den kommenden Quartalen Aufwärtstendenzen beobachten. Aus deutscher Perspektive reicht das jedoch nicht, um die Exporttätigkeit wieder so anzuschieben, dass wir das Vorkrisenniveau erreichen. Wir sind spezialisiert auf den Export von Maschinen und Anlagen, die jetzt in Anbetracht der dünner werdenden Kapitalausstattung der Unternehmen weniger nachgefragt werden. Das dürfte uns einige Zeit beschäftigen.
Wie stark belasten die staatlichen Stützmaßnahmen die Staatskasse? Der staatliche Gesamthaushalt ist in diesem Jahr schätzungsweise mit rund 215 Milliarden Euro und im kommenden Jahr noch einmal mit rund 134 Milliarden Euro im Minus. Das macht sich in einer stark gestiegenen Schuldenstandsquote bemerkbar, die man über die kommenden Jahre wieder abbauen muss. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Man könnte versuchen, die Einnahmen zu erhöhen und die Ausgaben zu senken. Die andere und bessere Möglichkeit wäre, das Wachstumspotential in diesem Land zu heben und aus den Schulden quasi herauszuwachsen.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Konjunktur, Gesundheit
JEL-Classification: E66;F01
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-37-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226742