Pressemitteilung vom 23. September 2020
Drei DIW-Studien beleuchten finanzpolitische und wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland – Neue Länder stehen in Zukunft trotz vergleichsweise guter Haushaltslage unter permanentem Sparzwang– kaum Haushaltsspielräume für notwendige Investitionen – Produktivität in der Industrie in Ostdeutschland bleibt weiter zurück – Größter Aufholbedarf bei kleinen Unternehmen – Versorgung mit Wohnraum im Osten hat sich verbessert – Gleichzeitig haben Mieten beinahe Westniveau erreicht
Nach 30 Jahren deutscher Einheit fällt die Bilanz für die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland gemischt aus: Die ostdeutschen Länder haben zwar stark aufgeholt, bleiben aber weiter deutlich hinter den westdeutschen zurück. Gemessen an der Bruttowertschöpfung je EinwohnerIn liegt die Wirtschaftskraft bei etwa 80 Prozent des westdeutschen Niveaus. WissenschaftlerInnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) haben öffentliche Finanzen, Produktivität und den Wohnungsmarkt unter die Lupe genommen und die Ursachen für das bestehende Gefälle untersucht.
Aufbau Ost und DDR-Altlasten haben Anfang der neunziger Jahre tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte in den neuen Ländern gerissen. Mit der Einbeziehung in den Finanzausgleich und dem Solidarpakt I und II setzte dann eine Stabilisierung ein. Seit beinahe 15 Jahren schreiben die Haushalte in den ostdeutschen Flächenländern mehrheitlich schwarze Zahlen – und das, obwohl sie immer noch äußerst finanzschwach sind. “Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, im Gegenteil“, sagt Studienautorin Kristina van Deuverden. „Die Unterschiede in der Finanzkraft zwischen Ost und West dürften sich in Zukunft wieder verstärken.“
Die Ursache dafür sieht die Wissenschaftlerin hauptsächlich in der alternden und schrumpfenden Bevölkerung in Ostdeutschland. Die sinkende Zahl an EinwohnerInnen belastet nicht nur das Wirtschaftswachstum – und hinterlässt auf diese Weise ihre Spuren in den öffentlichen Haushalten –, sie reduziert vor allem auch den Anspruch der neuen Länder am gesamtdeutschen Steuerkuchen. Dies verdeutlicht ein Szenario bis zum Jahr 2050: Angesichts der demografischen Entwicklung, der geltenden Regeln zur Verteilung der Steuereinnahmen sowie den geltenden Schuldenregeln werden die öffentlichen Ausgaben in den neuen Ländern hinter denen in den alten zurückbleiben müssen – und zwar um einen Prozentpunkt in jedem einzelnen Jahr. „Dies setzt die neuen Länder unter permanenten Sparzwang und verhindert notwendige Investitionen und regionale wachstumsfördernde Maßnahmen“, sagt van Deuverden. „Abhilfe schaffen könnte eine Reform des Finanzausgleichs, wenn dieser künftig den Bevölkerungsschwund bei der Verteilung der Steuereinnahmen berücksichtigt.“
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Eine weitere empirische Untersuchung zeigt, dass die Produktivität in Ostdeutschland zwar gestiegen, aber noch nicht auf westlichem Niveau angekommen ist. Der Rückstand im industriellen Sektor lag bis 2014 bei gut 20 Prozent.
Insbesondere kleinere ostdeutsche Unternehmen dürften auch künftig nur langsam aufholen. In Ostdeutschland sind nur wenige kleine Firmen mit hohem Spezialisierungsgrad im Technologie-Bereich zuhause. Solche kleinen, aber in ihren Nischenmärkten international führenden Unternehmen tragen in Westdeutschland wesentlich zum Erfolg der Industrie bei.
Bei Großunternehmen ist das Bild sehr heterogen. Positiv stechen aber bereits einige größere Unternehmen hervor, die zum Teil deutlich produktiver arbeiten als ihre westdeutschen Pendants. Bislang sind diese hochproduktiven Unternehmen aber noch die Ausnahme. Die StudienautorInnen zeigen sich aber grundsätzlich optimistisch. „Wir beobachten derzeit eine hohe Dynamik industrieller Gründungen in ostdeutschen Großstädten“, so Heike Belitz, die die Studie gemeinsam mit Martin Gornig und Alexander Schiersch erstellt hat. „Diese werden aber erst in den kommenden Jahrzehnten Früchte tragen.“ Die Produktivitätslücke könnte nach Einschätzung der WissenschaftlerInnen auch schneller geschlossen werden, wenn mehr größere leistungsfähige und zukunftsträchtige Unternehmen in den neuen Ländern angesiedelt werden. Ein Musterbeispiel dürfte der E-Auto-Hersteller Tesla mit seiner Niederlassung in Brandenburg werden.
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„Wir beobachten derzeit eine hohe Dynamik industrieller Gründungen in ostdeutschen Großstädten“ Heike Belitz
Auf dem Wohnungsmarkt ist die Kluft zwischen den ost- und westdeutschen Ländern inzwischen weitgehend überbrückt. Zwar sorgte die Liberalisierung des ostdeutschen Wohnungsmarkts für einen deutlichen Anstieg der Mietbelastung, gleichzeitig sind die Menschen aber auch wesentlich zufriedener mit ihrer Wohnsituation als zu DDR-Zeiten. So berichten MieterInnen im Osten inzwischen sogar ein knapp höheres Zufriedenheitsniveau als die im Westen.
Laut Studienautor Konstantin Kholodilin könnte dies vor allem daran liegen, dass sich der ostdeutsche Rückstand bei der Pro-Kopf-Wohnfläche nach 30 Jahren Marktwirtschaft deutlich reduziert hat. Standen westdeutschen Mieterhaushalten 1990 pro Person noch zwölf Quadratmeter mehr zur Verfügung als ostdeutschen, lag der Unterschied im Jahr 2018 bei nur noch vier Quadratmetern. Insgesamt zeigt sich auch, dass alle Einkommensschichten in den neuen Bundesländern vom gestiegenen Wohnraumangebot profitiert haben. „Mit Blick auf die Entwicklung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft nach 1990 lässt sich sagen, dass die Vorteile für die Bevölkerung größer als die Nachteile sind“, resümiert der Immobilienökonom Kholodilin.
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30 Jahre Mauerfall : Produktivität in Ost und West
Themen: Konjunktur