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Bevölkerungsschwund setzt ostdeutsche Länder und Kommunen dauerhaft unter Sparzwang

DIW Wochenbericht 39 / 2020, S. 739-745

Kristina van Deuverden

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  • Deutsche Einheit riss tiefe Löcher in öffentliche Haushalte in den neuen Ländern
  • Ostdeutsche Budgets jetzt seit 15 Jahren aber zumeist im Plus
  • Starker Bevölkerungsschwund in Ostdeutschland stellt die Finanzpolitik in kommenden Jahren vor große Herausforderungen
  • Sparzwänge hemmen oft notwendige Investitionen – Ausgaben in neuen Ländern und Kommunen müssen wohl dauerhaft denen in Westdeutschland hinterherhinken
  • Finanzausgleich sollte Auswirkungen schrumpfender und alternder Bevölkerung berücksichtigen

„Die Ausgaben in den ostdeutschen Ländern und Kommunen werden dauerhaft hinter denen in den westdeutschen zurückbleiben müssen. Spielräume für Investitionen oder andere wachstumsfördernde Maßnahmen bestehen so kaum. Die nach wie vor existierenden Unterschiede in der Wirtschaftskraft dürften sich in Zukunft wieder verstärken.“ Kristina van Deuverden

Der Aufbau Ost ging mit hohen öffentlichen Ausgaben einher. Unmittelbar nach der Vereinigung stieg das Ausgabeniveau in den neuen Ländern und ihren Kommunen weit über den westdeutschen Durchschnitt, und die Haushalte rutschten deutlich ins Minus. Ab Mitte der neunziger Jahre entwickelten sich die Ausgaben in den neuen Ländern in den meisten Jahren dann merklich verhaltener als in den alten Ländern. Allmählich setzte eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ein – erheblich erschwert allerdings durch hohe Bevölkerungsverluste. Trotzdem sind die Haushalte in den neuen Ländern seit beinahe 15 Jahren mehrheitlich im Plus. Bald schon droht den ostdeutschen Haushalten aber wieder eine Schieflage. Von der absehbaren demografischen Entwicklung geht ein permanenter Anpassungsdruck auf die Ausgaben aus, der in den neuen Ländern wesentlich höher sein wird als in den alten. Die damit relativ engen haushaltspolitischen Spielräume bergen die Gefahr, dass Investitionen vernachlässigt und regionalpolitische Maßnahmen für einen wirtschaftlichen Aufholprozess unterlassen werden. Daher sollte die Politik die regional unterschiedlichen Auswirkungen der schrumpfenden und alternden Bevölkerung in Deutschland im Finanzausgleich berücksichtigen.

Die Deutsche Einheit war eine historische Chance, aber auch eine große Herausforderung. In vierzig Jahren deutscher Teilung hatten sich die beiden deutschen Staaten weit auseinanderentwickelt. Das Wohlstandsgefälle war groß. Die Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Ländern entsprach gerade mal einem Drittel des Niveaus in den westdeutschen Ländern. Die Infrastruktur war unzureichend, die meisten Unternehmen waren nicht wettbewerbsfähig und die Arbeitslosigkeit nahm schnell zu. Die Politik musste dem begegnen, was hohe Ausgaben zur Folge hatte. Gleichzeitig waren die Einnahmen in den neuen Ländern schwach und es flossen hohe Finanztransfers nach Ostdeutschland.

Die einigungsbedingten Belastungen spiegelten sich vor allem im Bundeshaushalt sowie naturgemäß in den Haushalten der Länder und Kommunen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wider.infoEin Großteil der Belastungen wurde auch über die Sozialversicherungen aufgefangen. Es zeichneten sich schnell hohe Defizite ab. Nachfolgend wird die Entwicklung seit dem Jahr 1991 skizziert. Wegen deutlicher Unterschiede bei den Haushaltsstrukturen werden nur die Flächenländer betrachtet; die Stadtstaaten – auch Berlin – werden nicht weiter berücksichtigt. Außerdem erfolgt die Analyse grundsätzlich auf Basis der für die Länder und ihre Kommunen aggregierten Haushaltsdaten. Dies ist sinnvoll, da die kommunalen Finanzausgleiche wie auch die Aufgabenverteilung zwischen den Ländern und ihren Kommunen in Deutschland Ländersache und infolgedessen in den Ländern unterschiedlich geregelt sind. Abschließend folgt ein kurzer Blick auf die unterschiedliche Entwicklung der künftigen Ausgabespielräume in den neuen und alten Ländern in den kommenden Jahren.

Letzteres kann nur auf der Basis der derzeit – bis Ende des Jahres 2019 – vorliegenden Daten geschehen. Somit können die Auswirkungen der Corona-Krise auf die öffentlichen Haushalte in den regionalen Vergleich der künftigen Entwicklung nicht berücksichtigt werden. Unter der Annahme, dass diese Auswirkungen die Länder in etwa symmetrisch treffen, mindert dies die Kraft der regional vergleichenden Aussagen aber nicht. Es ist allerdings offensichtlich, dass der Konsolidierungsdruck deutlich höher sein wird, als hier abgebildet werden kann.

Hohe Umverteilung von Steuereinnahmen zugunsten der neuen Länder

Als die neu gegründeten Länder der Bundesrepublik Deutschland beitraten, übernahmen sie gleichzeitig deren rechtlichen und institutionellen Rahmen – auch die Steuergesetze. In den Finanzausgleich – das komplexe Steuerverteilungssystem zwischen den Ländern einerseits und dem Bund und den Ländern andererseits – wurden sie aber nicht sofort integriert.

Während die Steuereinnahmen in einer Region im Allgemeinen eng an ihre wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt sind,infoAllerdings bleiben die Steuereinnahmen in den neuen Ländern deutlich stärker hinter denen in den alten Ländern zurück, als es die Wirtschaftskraft vermuten ließe. Dies liegt unter anderem an der progressiven Ausgestaltung des Steuersystems, aber auch daran, dass auch die Einkommen stärker hinter dem Niveau in den alten Ländern zurückbleiben als die Wirtschaftskraft. Vgl. Kristina van Deuverden (2010): Auch nach 20 Jahren: Steuereinnahmen in den Neuen Ländern schwach. Wirtschaft im Wandel 2/2010. Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, 91–104 (online verfügbar) gilt dies in Deutschland für die in den Haushalten letztlich verfügbaren Steuereinnahmen nur noch eingeschränkt. Über den Finanzausgleich werden die Steuereinnahmen je EinwohnerIn in den Ländern weitestgehend angeglichen.infoDabei werden sowohl Steuereinnahmen zwischen den Ländern als auch vom Bund an die Länder umverteilt. Für eine detaillierte Beschreibung der Regelungen zum Finanzausgleich in den Jahren 2005 bis 2019 vgl. Marius Bickmann, Kristina van Deuverden (2014): Länderfinanzausgleich vor der Reform: Eine Bestandsaufnahme. DIW Wochenbericht Nr. 28, 671–682 (online verfügbar). Für eine Betrachtung der ab dem Jahr 2020 geltenden Maßnahmen vgl. Kristina van Deuverden (2019): 30 Jahre nach dem Mauerfall: Finanzschwäche der neuen Länder hält auch die nächsten drei Dekaden an. DIW Wochenbericht 43/2019, 782–790 (online verfügbar). Daraus folgt aber auch: Je stärker die Steuereinnahmen der Länder divergieren, desto höher sind für sich genommen die Umverteilungsvolumina zwischen den Ländern.

Dies ließ unmittelbar nach der Vereinigung die Sorge aufkommen, dass eine sofortige Einbeziehung der neuen Länder angesichts der bestehenden Divergenzen die alten Länder, insbesondere die finanzschwachen, überfordern würde. Stattdessen wurde der Fonds Deutsche Einheit aufgelegt und von einer Verteilung der Steuereinnahmen nach EinwohnerInnen vorerst abgesehen. Im Jahr 1994 lagen die Einnahmen je EinwohnerIn in den neuen Ländern mit den im Fonds bereitgestellten Mitteln bei 113½ Prozent der Einnahmen in den alten Ländern.

Nach der Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich im Jahr 1994 erhielten diese höhere Zuweisungen; das Umverteilungsvolumen stieg deutlich. Um die alten Länder nicht zu überfordern, war die Umverteilung zwischen den Ländern allerdings durch eine Senkung des Angleichungsgrades begrenzt worden. Stattdessen leistete der Bund nun einen höheren Beitrag: Der Solidarpakt I trat in Kraft. Je EinwohnerIn standen in den neuen Ländern im Jahr 1995 gut 1000 Euro höhere Einnahmen zur Verfügung als in den alten Ländern (Abbildung 1). Im Jahr 2005 folgte der Solidarpakt II: Jetzt waren die Zuweisungen degressiv ausgestaltet und ihr Ende für das Jahr 2019 festgeschrieben.

Entwicklung von Ausgaben und Haushaltssalden

Auf der Einnahmeseite hat die Landespolitik in Deutschland nur wenig Gestaltungsmöglichkeiten: Ihr Einfluss auf die Steuereinnahmen nach Verteilung ist – vor allem kurzfristig – begrenzt.infoWährend den Gemeinden bei ihren größeren Steuern ein Hebesatzrecht und bei vielen kleineren Steuern Autonomie zusteht, können die Länder nur bei der Grunderwerbsteuer – und dies auch erst seit dem Jahr 2006 – den Steuersatz beeinflussen; dies sind lediglich knapp fünf Prozent ihrer Steuereinnahmen. Landespolitik wird im Großen und Ganzen über die Ausgabenseite betrieben – mit entsprechenden Konsequenzen für die Haushaltssalden.

Bei allen Unterschieden zwischen den Ländern lassen sich aus heutiger Sicht grob drei Phasen bei der Entwicklung der ostdeutschen Länder- und Kommunalhaushalte unterscheiden.

Phase I (bis Mitte der 1990er Jahre): Altlasten und Aufbau Ost reißen tiefe Löcher

Trotz der mit Mitteln aus dem Fonds Deutsche Einheit deutlich über den Bundesdurchschnitt angehobenen Einnahmen je EinwohnerIn war die Finanzkraft in den neuen Ländern angesichts des einigungsbedingten Ausgabebedarfs eher niedrig.infoDies war zum Teil Folge einer politischen Entscheidung. Als über die Mittelaustattung des Fonds Deutsche Einheit entschieden wurde, wurde berücksichtigt, dass die neuen Länder und Kommunen im Jahr 1991 ohne Altschulden starteten. Damit wurden bei Ihnen Verschuldungsspielräume vermutet. Länder und Kommunen mussten nicht nur Ausgaben schultern, deren Ursache in der Vergangenheit begründet lag.infoSo war beispielsweise der Personalbestand anfangs auch deshalb vergleichsweise hoch, weil die Länder und Kommunen die Beschäftigten aus ehemaligen DDR-Institutionen übernommen hatten. Sie mussten auch die Ausgaben schultern, die aufgrund bundeseinheitlicher Leistungsgesetze begründet waren und vor allem mussten sie den Aufbau Ost zu finanzieren.

Der Schlüssel zum Aufbau Ost wurde vor allem in den Investitionen gesehen. Von Beginn an waren die Investitionsausgaben je EinwohnerIn deshalb deutlich höher als in den westdeutschen Ländern (Abbildung 2). Das traf aber auch auf andere Ausgaben zu. So mussten beispielsweise erhebliche Mittel für den Aufbau der Verwaltung bereitgestellt werden – insbesondere für die kommunale Selbstverwaltung, die in Ostdeutschland bis dahin nicht existiert hatte.infoVgl. Stefan Bach, Dieter Vesper (2000). Finanzpolitik und Wiedervereinigung – Bilanz nach 10 Jahren, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 69. Jahrgang, Heft 2/2000, 194–224 Gemessen an den Sachkäufen je EinwohnerIn in den alten Ländern nahmen diese Ausgaben bis auf 123½ Prozent im Jahr 1996 zu. Wegen des hohen Personalbestandes lagen die Personalausgaben je EinwohnerIn in den neuen Ländern im Jahr 1995 trotz des niedrigeren Lohnniveaus bei 101 Prozent der entsprechenden Ausgaben in den alten Ländern. Eine untergeordnete Rolle spielten hingegen lange Zeit noch die Zinsausgaben.

In der Folge waren die Haushaltsdefizite je EinwohnerIn in den neuen Ländern bis zum Jahr 1994 etwa viermal so hoch wie in den alten Ländern. Dies dürfte auch an der Bevölkerungsentwicklung gelegen haben. Die deutlich höher als angenommene Abwanderung erschwerte die Einhaltung der Haushaltsplanungen.

Phase II (1995 bis 2010): Mit dem Solidarpakt setzt eine Stabilisierung der öffentlichen Haushalte ein

Obwohl die Bevölkerungsverluste in den folgenden Jahren nochmals an Dynamik gewannen (Tabelle 1), verbesserte sich die Einnahmesituation in den neuen Ländern mit deren Einbeziehung in den Finanzausgleich, vor allem aber mit dem Inkrafttreten des Solidarpakts I im Jahr 1995 schlagartig. Trotzdem schwenkten die Länder und Kommunen auf einen verhalteneren Ausgabenkurs um.

Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung in den Ländern nach der Vereinigung

In Prozent, Veränderung gegenüber dem Jahr 1991

1995 2000 2005 2010 2015 2020
Baden-Württemberg 3,2 4,6 6,2 5,8 9,0 14,6
Bayern 3,5 5,2 7,1 7,4 10,9 16,8
Hessen 3,0 3,7 3,9 3,0 5,8 10,4
Niedersachsen 3,9 5,6 6,2 4,8 6,0 8,2
Nordrhein-Westfalen 2,1 2,5 2,4 0,8 1,9 3,5
Rheinland-Pfalz 4,5 6,2 6,9 5,5 6,3 8,3
Saarland 0,5 −1,1 −3,0 −6,5 −7,6 −8,9
Schleswig-Holstein 2,7 4,9 6,4 6,2 7,9 11,1
Brandenburg −1,1 0,8 −1,1 −3,7 −3,5 −1,9
Mecklenburg-Vorpommern −4,5 −7,2 −11,2 −15,1 −15,8 −16,5
Sachsen −3,5 −6,7 −10,5 −13,6 −13,8 −13,7
Sachsen-Anhalt −3,8 −8,2 −13,8 −18,9 −21,3 −24,8
Thüringen −3,4 −6,5 −10,6 −14,9 −16,5 −18,8
Berlin −0,1 −4,0 −5,1 −4,7 1,7 12,1
Bremen −0,7 −3,7 −3,8 −4,4 −2,3 1,3
Hamburg 1,8 0,8 1,3 2,6 7,0 12,5
Alte Flächenländer 3,0 4,1 4,9 4,0 6,1 9,6
Neue Flächenländer −3,2 −5,7 −9,6 −13,3 −14,2 −15,1
Deutschland 1,7 1,9 1,7 0,4 2,1 5,2

Quellen: Arbeitskreis VGR der Länder, Datenstand März 2020; 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, Variante G2-L2-W2 eigene Fortschreibung und Berechnungen.

Dies zeigte sich vor allem bei den Personalausgaben und beim Sachaufwand. Trotz der etwas stärkeren Lohnerhöhungen in den neuen Ländern gingen die Personalausgaben je EinwohnerIn gemessen an ihrem Niveau in den westdeutschen Ländern deutlich zurück, denn der Personalbestand wurde kräftig beschnitten. Im Jahr 2010 lagen die Ausgaben für Personal bei 85 Prozent der entsprechenden Ausgaben in den westdeutschen Ländern. Beim Sachaufwand gingen die Ausgaben je EinwohnerIn auf etwas mehr als 88½ Prozent der Ausgaben in den alten Ländern im Jahr 2010 zurück.

Die Investitionsausgaben je EinwohnerIn lagen im Jahr 1994 bei über 190 Prozent der entsprechenden Ausgaben in den alten Ländern. Ihr Niveau blieb zwar auch weiterhin deutlich höher als in Westdeutschland, bildete sich aber nach und nach zurück. Im Jahr 2010 lag es bei 128½ Prozent. Die schrittweise Rückführung ist dabei zum einen eine Folge der degressiven Ausgestaltung des Solidarpakts II, dessen Mittel per Definition für Investition eingesetzt werden sollten. Sie spiegelt zum anderen aber auch Finanzierungszwänge in den ostdeutschen Ländern wider, die die auf Investitionen gerichteten Zuweisungen immer wieder zur Finanzierung anderer Ausgaben nutzten.infoDie bestimmungsgemäße Verwendung der Solidarpaktmittel für investive Zwecke wurde regelmäßig evaluiert und ihre Fehlverwendung des Öfteren in den Fortschrittsberichten Aufbau Ost angemahnt.

Bei den Zinsausgaben zeigte sich bis zum Jahr 2005 ein gegenteiliger Trend. Spielten diese zu Beginn nur eine geringe Rolle, änderte sich dies angesichts der vor allem in den ersten Jahren hohen Kreditfinanzierung und der in dieser Zeit hohen Zinsen schnell. Zur Jahrtausendwende waren sie je EinwohnerIn bereits so hoch wie in den westdeutschen Ländern; im Jahr 2003 hatten sie ein Niveau von 112 1/2 Prozent der entsprechenden Ausgaben in den alten Ländern erreicht. Danach bildete sich ihr Niveau nach und nach zurück, denn der Konsolidierungskurs ging bald mit Überschüssen einher. Als erstes wies Sachsen im Jahr 2005 einen positiven Finanzierungssaldo auf. Im Jahr 2006 galt das auch für Mecklenburg-Vorpommern, im Jahr 2007 für alle neuen Länder. Zur Stabilisierung der Haushalte dürfte dabei auch beigetragen haben, dass im Solidarpakt II Festbeträge vereinbart worden waren, auf die die weiter schrumpfende Bevölkerung keinen Einfluss hatte. Genauso dürfte aber sowohl die degressive Ausgestaltung wie auch die zeitliche Begrenzung der Solidarpakt-II-Mittel eine Rolle gespielt haben, denn davon werden Anreize zur Konsolidierung ausgegangen sein.

Phase III (ab 2011): Ostdeutsche Haushalte fast durchgängig mit Überschüssen

Abgesehen von den Spuren, die die Finanzkrise hinterließ, schlossen die aggregierten Haushalte der ostdeutschen Länder und ihrer Kommunen bis zuletzt mit Überschüssen ab. infoSinguläre Ereignisse ließen die Haushalte von Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2012 und von Brandenburg im Jahr 2019 negativ werden. Dabei setzten die einzelnen Ausgabeposten ihren in den Jahren zuvor eingeschlagenen Trend mehr oder weniger fort.

Gestützt wurde die positive Entwicklung der öffentlichen Haushalte in den neuen Ländern durch den beschäftigungsintensiven Aufschwung in Deutschland, der die Steuereinnahmen kräftig expandieren ließ und haushaltspolitischen Spielraum auf allen Ebenen und in allen Regionen schuf. Die positive Entwicklung der Länderfinanzen dürfte allerdings auch von dem geänderten institutionellen Rahmen begünstigt worden sein: Mit der Einführung der Schuldenbremse würden die Länder ab dem Jahr 2020 strukturell ausgeglichene Haushalte vorzulegen haben. Dadurch nahm der Konsolidierungsdruck für alle Länder zu. Schließlich hat die demografische Entwicklung in diesem Zeitraum die Haushaltsentwicklung in den neuen Ländern nicht so stark belastet wie in den Jahren zuvor; im Zuge der hohen Flüchtlingsmigration konnten die neuen Länder in den Jahren 2014 bis 2016 temporär sogar Bevölkerungsgewinne verbuchen. Das Ende der daraus resultierenden Verschnaufpause ist aber in Sicht.

Die kommenden Jahre: Trotz guter Ausgangslage künftig nur enge Ausgabenspielräume

Trotz ausgeprägter Wirtschafts- und Finanzschwäche haben sich die ostdeutschen Haushalte seit 15 Jahren im Großen und Ganzen positiv entwickelt. Die Frage ist allerdings, ob dies reicht, um fit für die Zukunft zu sein. Wie eine Simulation zur künftigen Entwicklung zeigt, lautet die Antwort darauf: nein.

Dies verdeutlicht das folgende Szenario, das allerdings keinesfalls als Prognose der künftigen Entwicklung verstanden werden darf. Es soll lediglich auf Grundlage von historischen Zusammenhängen hinsichtlich der Entwicklung von Wirtschaft und Steuereinnahmen sowie auf Basis der geltenden Rechtslage den unterschiedlichen Anpassungsdruck in den neuen und den alten Ländern aufzeigen. Diese Unterschiede werden auch dann bestehen, wenn ausreichend Daten vorliegen, die Coronapandemie in der Szenarienrechnung zu berücksichtigten, die künftigen Haushaltsspielräume werden auf allen Ebenen aber deutlich niedriger sein.

Für die Rechnung wird dazu in einem ersten Schritt die Entwicklung des Steueraufkommens in den einzelnen Ländern simuliert.infoDie Schätzung entspricht dem Szenario 1 in: Kristina van Deuverden (2019): 30 Jahre nach dem Mauerfall: Finanzschwäche der neuen Länder hält auch die nächsten drei Dekaden an. DIW Wochenbericht 43/2019, 782–790 (online verfügbar). Die Schätzung ist auf Grundlage der bis Ende 2019 vorliegenden Daten aktualisiert. Für die Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit wird zudem angenommen, dass sie in allen Ländern um 3,5 Prozent je EinwohnerIn zunehmen. Die restlichen Einnahmen werden anhand ihrer Entwicklung in den Jahren 2005 bis 2019 fortgeschrieben. In einem zweiten Schritt wird das regionale Steueraufkommen auf Basis geltenden Rechts auf Bund, Länder und Kommunen verteilt. Hierzu wird eine mittlere Variante der Bevölkerungsvorausschau des Statistischen Bundesamtes herangezogen. infoStatistisches Bundesamt (2019): 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (online verfügbar). Die Variante 2 G2-L2-W2 geht von einer stabilen Geburtenziffer von 1,55 Kindern je Frau, einem moderaten Anstieg der Lebenserwartung bei Jungen auf 84,4 und bei Mädchen auf 88,1 Jahr und einem durchschnittlichen Wanderungssaldo von 221000 Personen aus. Schließlich wird angenommen, dass die Länderhaushalte – wie nach der Schuldenbremse vorgesehen – ohne strukturelle Neuverschuldung auskommen und die Kommunen – wie in den Gemeindeordnungen festgelegt – ausgeglichene Haushalte vorweisen. Damit bestimmen die Einnahmen die Ausgabenobergrenze in den Ländern.

Es zeigt sich, dass sich die Ausgaben in den neuen Ländern – wie bereits in den vergangenen Jahren – deutlich verhaltener entwickeln müssen als in den alten. Dies gilt sowohl für die Summe der Ausgaben (Abbildung 3) als auch für die Ausgaben je EinwohnerIn.

Getrieben wird dies wieder einmal durch die Bevölkerungsentwicklung. Die Bevölkerung wird künftig zwar nicht nur in den neuen Ländern schrumpfen und altern, sondern in Deutschland insgesamt. Die neuen Länder werden davon aber überproportional betroffen sein. Dies ist eine Folge des Aderlasses in der Vergangenheit: Es waren vor allem jüngere Menschen, die auswanderten. Dies verschlechterte nicht nur die Altersstruktur zusehends, auch die Geburtenzahlen brachen ein. Damit ist die heutige Elterngeneration zahlenmäßig relativ schwach besetzt, was wiederum eine geringe Zahl von Geburten nach sich zieht. Zudem lässt die ungünstige Altersstruktur die Bevölkerung schrumpfen.

In der zu Grunde gelegten Variante der Bevölkerungsvorausschau bleibt der Bevölkerungsrückgang in den kommenden 30 Jahren in den neuen Ländern prozentual gesehen nur wenig hinter dem in den vergangenen 30 Jahren zurück: Liegt die Bevölkerung im Jahr 2019 um fast 14,5 Prozent unter ihrem Stand vom Jahr 1991, so sind es im Jahr 2050 knapp 14 Prozent weniger als im Jahr 2020 (Tabelle 2). Wie bereits in der Vergangenheit sind die einzelnen Länder hiervon unterschiedlich stark betroffen. Am stärksten wird es erneut Sachsen-Anhalt treffen, das bisher gegenüber dem Jahr 1991 knapp 23 Prozent seiner Bevölkerung eingebüßt hat. Gegenüber dem Jahr 2020 wird seine Bevölkerung im Jahr 2050 nochmals um 21 Prozent geschrumpft sein.

Tabelle 2: Bevölkerungsentwicklung in den Ländern bis zum Jahr 2050

In Prozent, Veränderung gegenüber dem Jahr 2020

2025 2030 2035 2040 2045 2050
Baden-Württemberg 0,2 0,7 0,9 0,8 0,5 0,0
Bayern −0,1 0,5 0,5 0,1 −0,6 −1,6
Hessen −0,2 −0,1 −0,3 −0,5 −0,9 −1,6
Niedersachsen −0,2 −0,7 −1,5 −2,5 −3,7 −4,9
Nordrhein-Westfalen −0,6 −1,3 −2,2 −3,2 −4,4 −5,8
Rheinland-Pfalz 0,0 −0,4 −1,1 −2,4 −3,9 −5,6
Saarland −1,6 −4,0 −6,3 −8,7 −11,2 −13,7
Schleswig-Holstein 0,0 −0,1 −1,0 −2,5 −4,5 −6,6
Brandenburg 0,5 0,2 −1,3 −3,9 −7,0 −10,0
Mecklenburg-Vorpommern −0,6 −2,4 −4,7 −7,4 −10,4 −13,5
Sachsen −0,7 −2,3 −4,1 −6,0 −7,9 −9,7
Sachsen-Anhalt −2,1 −6,0 −9,7 −13,0 −16,2 −19,2
Thüringen −2,1 −5,6 −8,9 −11,8 −14,6 −17,3
Berlin −0,2 0,9 1,7 2,7 3,7 4,4
Bremen −1,2 −2,2 −2,9 −2,9 −2,5 −2,2
Hamburg −0,4 −0,8 −1,1 −1,1 −0,9 −0,8
Alte Flächenänder −0,2 −0,3 −0,8 −1,5 −2,4 −3,5
Neue Flächenländer −0,9 −3,0 −5,4 −7,9 −10,6 −13,2
Deutschland −0,3 −0,6 −1,3 −2,1 −3,1 −4,4

Quellen: Arbeitskreis VGR der Länder, Datenstand März 2020; 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, Variante G2-L2-W2; eigene Fortschreibung und Berechnungen.

Fazit: Demografische Entwicklung belastet insbesondere Ostdeutschland

Alles in allem hat die demografische Entwicklung zur Folge, dass der Anpassungsdruck in den neuen Ländern deutlich höher sein wird als in den alten – und dies nicht nur in einzelnen Jahren, sondern dauerhaft. Dies ist nicht unproblematisch.

Zum einen stehen die neuen Länder zunehmend einer ähnlichen Preisentwicklung gegenüber wie die alten: Das Lohnniveau dürfte in den neuen Ländern bei immer weiter geräumten Arbeitsmärkten ähnlich hoch liegen wie in den alten Ländern und die Preise für Beschaffungen entwickeln sich im gemeinsamen deutschen Markt ebenfalls im Einklang mit Westdeutschland. Zum anderen dürfte die Bedeutung von Kostenremanenzen – die Kosten gehen prozentual um weniger zurück als die EinwohnerInnen – eine immer größere eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass nur solche Ausgaben Kürzungspotential bieten, die auch im Ermessen des Landes oder der Kommune liegen. Damit besteht die Gefahr, dass vor allem bei den Investitionen gespart wird oder weniger Mittel in regionalpolitische Fördermaßnahmen fließen. Unterbleiben Ausgaben in den wachstumsträchtigen Bereichen, wäre dies aber fatal.

Die Politik könnte dem begegnen, indem Bevölkerungsverluste bei der Verteilung der Steuereinnahmen im Finanzausgleich berücksichtigt werden. Beispielsweise könnten gewichtete Einwohnerzahlen der vergangenen drei Jahre anstatt des laufenden Jahres zugrunde gelegt werden. Zudem könnte bei vermuteten Kostenremanenzen ein Sonderbedarf anerkannt werden.

Kristina van Deuverden

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Vorstand



JEL-Classification: H77
Keywords: Public finance, fiscal federalism, East Germany
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-39-2

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226746

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