DIW Wochenbericht 39 / 2020, S. 747-753
Heike Belitz, Martin Gornig, Alexander Schiersch
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„Für die Produktivitätslücke sind nicht strukturelle Unterschiede der Unternehmenslandschaft zwischen Ost und West ausschlaggebend. Entscheidend sind die immer noch bestehenden Unterschiede zwischen gleichartigen Unternehmenstypen.“ Heike Belitz
Die Industrie ist für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ein zentraler Bereich. Hier konnte Ostdeutschland die Lücke im Produktivitätsniveau zu Westdeutschland zwischen 2004 und 2014 um ein Drittel verringern. Ostdeutsche Unternehmen liegen im Effizienzniveau (Totale Faktorproduktivität) aber noch immer gut 20 Prozent zurück. Die strukturellen Unterschiede in der Unternehmenslandschaft sind dafür nicht ausschlaggebend. Sie erklären gerade einmal ein Fünftel der Produktivitätslücke. Entscheidend sind immer noch bestehende Produktivitätsunterschiede zwischen gleichartigen Unternehmenstypen. Insbesondere kleinere ostdeutsche Unternehmen haben – unabhängig von ihrer Branche und in welchem Regionstyp sie ihren Standort haben – durchgängig einen Produktivitätsrückstand. Hier scheinen die Pfadabhängigkeiten sehr groß, so dass auch weiterhin nur mit langsamen Fortschritten bei der Produktivitätsangleichung zu rechnen ist. Bei großen Unternehmen besteht hingegen eine starke Heterogenität. Beispielsweise schneiden sie in manchen ostdeutschen Regionstypen ähnlich gut oder sogar deutlich besser ab als ihre westdeutschen Pendants. Dies zeigt, dass insbesondere durch das Heranwachsen beziehungsweise die Ansiedlung leistungsfähiger größerer Unternehmen die Produktivitätslücke erheblich weiter reduziert werden kann.
Am 3. Oktober 1990 trat die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik bei. Die Wirtschaft Ostdeutschlands musste sich völlig neu aufstellen. Die Märkte in Osteuropa brachen zusammen, die eigene Bevölkerung präferierte fast ausschließlich Westprodukte, die Überalterung des Kapitalstocks wurden brutal offengelegt.
Heute scheint sich die ökonomische Situation Ostdeutschlands der in Westdeutschland weitgehend angeglichen zu haben. Die Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Lage unterscheidet sich kaum noch zwischen den beiden ehemals getrennten Landesteilen.Peter Krause (2019): 30 Jahre seit dem Mauerfall: Fortschritte und Defizite bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland. DIW Wochenbericht Nr. 45, 827–838 (online verfügbar, abgerufen am 14. September 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die Versorgung mit Konsumgütern pro Kopf erreicht im Osten etwa 90 Prozent des Westniveaus.Michael C. Burda (2020): 30 Jahre deutsche Einheit: Wie steht es wirklich? Wirtschaftsdienst Nr. 6, 390–391 (online verfügbar). Die Defizite in der Infrastrukturausstattung unterscheiden sich mittlerweile mehr zwischen Nord und Süd als zwischen Ost und West.Martin Gornig, Claus Michelsen und Kristina van Deuverden (2015): Kommunale Infrastruktur fährt auf Verschleiß. DIW Wochenbericht Nr. 43, 1023–1031 (online verfügbar). Auch bei der Arbeitslosigkeit und vielen anderen sozioökonomischen Indikatoren sind die Differenzen häufig zwischen unterschiedlichen Regionstypen (städtischer, verstädterter oder ländlicher Raum) bedeutender als zwischen Ost und West.Vgl. Michael Hüther, Jens Südekum und Michael Voigtländer (2019): Die Zukunft der Regionen in Deutschland – Zwischen Vielfalt und Gleichwertigkeit. IW-Studien Schriften zur Wirtschaftspolitik aus dem Institut der deutschen Wirtschaft, Köln (online verfügbar). Clemens Fuest und Lea Immel (2019): Ein zunehmend gespaltenes Land? Regionale Einkommensunterschiede zwischen Stadt und Land sowie West- und Ostdeutschland. Ifo Schnelldienst, 16, 19–28 (online verfügbar).
Blickt man jedoch auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, zeichnen sich nach 30 Jahren immer noch markante Unterschiede beiderseits der ehemaligen innerdeutschen Grenze ab. Unmittelbar nach der Vereinigung kam es zwar in Ostdeutschland zu einem starken Sprung bei der Arbeitsproduktivität.Vgl. Reint E. Gropp und Gerhard Heimpold (2019): Ostdeutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall. Erreichtes und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Wirtschaftsdienst Nr. 7, 471–482 (online verfügbar). Etwa ab der Jahrtausendwende setzte sich der Anpassungsprozess aber deutlich langsamer fort. Die letzten Zahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder weisen für die Arbeitsstundenproduktivität einen Rückstand von knapp 20 Prozent aus. Dabei erreicht keines der ostdeutschen Flächenländer den Wert des schwächsten westdeutschen Bundeslandes Saarland.Gerhard Heimpold und Mirko Titze (2020): Aktuelle Trends: Ostdeutschland macht im Jahr 2019 im Ost-West-Vergleich in puncto Produktivität einen weiteren Schritt nach vorn. In: Wirtschaft im Wandel – Jg. 26 (2), 24.
Der ausgeprägte Rückstand bei der Arbeitsproduktivität dürfte sich dabei weder auf die Ausbildung oder die Fähigkeiten der Beschäftigten noch auf einen mangelnden Kapitaleinsatz zurückführen lassen.Michael C. Burda (2020): 30 Jahre deutsche Einheit: Wie steht es wirklich? Wirtschaftsdienst Nr. 6, 390–391 (online verfügbar). Wenn dem so ist, bleibt zur Erklärung des Produktivitätsrückstand nur die Gesamtfaktorproduktivität (Totale Faktorproduktivität, TFP). Sie gibt an, wie effizient die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zusammen eingesetzt werden (Kasten 1). Die Totale Faktorproduktivität beschreibt damit vor allem das technologische Effizienzniveau der Produktion. In ihr schlagen sich aber auch Unterschiede in der Marktmacht der Unternehmen oder unterschiedliche Infrastrukturausstattungen der Regionen nieder.
Die Totale Faktorproduktivität (TFP) ist ein Indikator für die technologische Leistungsfähigkeit beziehungsweise die Gesamteffizienz des Faktoreinsatzes in der Produktion. Die TFP ist keine unmittelbar beobachtbare Größe, sondern muss mithilfe ökonometrischer Verfahren geschätzt werden. In der vorliegenden Untersuchung wurde hierfür ein struktureller Schätzansatz verwendet.Daniel A. Ackerberg, Kevin Caves und Garth Frazer (2015): Identification properties of recent production function estimators. Econometrica, 83(6), 2411–2451. Dazu wird eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion auf Basis von amtlichen Unternehmensdaten geschätzt.
wobei Yit die Bruttowertschöpfung, Kit den physischen Kapitalstock, Lit den Arbeitseinsatz, Ωit die TFP sowie βl bzw. βk die Produktionselastizitäten der Faktoren Arbeit und Kapital bezeichnen. Die Indizes definieren das Unternehmen i und den Beobachtungszeitpunkt t.
Im Fokus der Untersuchungen steht in diesem Bericht die Industrie. Sie zählt zu den Schlüsselsektoren der deutschen Volkswirtschaft und ist insbesondere auch Treiber der technologischen Produktivitätsentwicklung.
Der Bericht untersucht die anhaltende Ost-West-Produktivitätslücke mithilfe der Daten für Industrieunternehmen im Zeitraum von 2004 bis 2014.Zum Zeitpunkt der Untersuchung standen detaillierte amtliche Daten nur bis zum Jahr 2014 zur Verfügung. Er berücksichtigt dabei sowohl die sektorale Zugehörigkeit und die Größenklasse der Unternehmen als auch das regionale Umfeld (Kasten 2).
Als Datenbasis dient die Kostenstrukturerhebung im Verarbeitenden Gewerbe sowie des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden (KSE), welche Teil des AFiD-Panel Industrieunternehmen ist.Statistische Ämter des Bundes und der Länder. Metadatenreport. Panel der Kostenstrukturerhebung (KSE) im Verarbeitenden Gewerbe sowie in der Gewinnung von Steinen und Erden. Metadatenreport, Düsseldorf: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2016. Die KSE ist eine geschichtete Stichprobe aller im Unternehmensregister erfassten Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe und Bergbau mit mehr als 20 Beschäftigten. Schichtungskriterien sind der Wirtschaftszweig und die Größenklasse, wobei einzelne Schichten voll erhoben werden. So sind Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten vollständig und dauerhaft Teil der Erhebung. Hinzu kommt, dass bei Wirtschaftszweigen mit strukturellen Besonderheiten alle Unternehmen befragt werden. In der Summe umfasst die Stichprobe etwa 45 Prozent aller Unternehmen in beiden Wirtschaftszweigen. Aufgrund der gesetzlichen Auskunftspflicht liegt die Unit-Non-Response-Rate bei nur 2 Prozent.
Die Zuordnung zu städtischen, verstädterten und ländlichen Regionen erfolgt über den amtlichen Gemeindeschlüssel (AGS) auf der Basis der Systematisierungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) nach Raumordnungsregionen.Vgl. die laufende Raumbeobachtung auf der Webseite des BBSR. Die Zuordnung der Wirtschaftszweige zu den Technologiebereichen erfolgt nach einer Klassifikation von Eurostat.Vgl. Informationen auf der Webseite von Eurostat. Als große Unternehmen gelten in der Untersuchung Firmen mit 500 und mehr Beschäftigten.
Die Totale Faktorproduktivität der Industrieunternehmen in Ostdeutschland lag zu Beginn der Untersuchungsperiode (2004–2006) um mehr als 34 Prozent unter der der westdeutschen Unternehmen. In den folgenden Jahren konnte die ostdeutsche Industrie allerdings ihre Produktivität deutlich stärker steigern als die in Westdeutschland. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes (2012–2014) haben die ostdeutschen Industrieunternehmen den Produktivitätsrückstand um gut ein Drittel reduziert. Der Abstand beträgt aber immer noch rund 23 Prozent (Abbildung 1).
Erhebliche Unterschiede der Totalen Faktorproduktivität gibt es in Deutschland auch zwischen Industrieunternehmen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. Dabei steigt die Produktivität der Sektoren, je technologieintensiver sie sind (Abbildung 2). Produktivitätsunterschiede bestehen zudem zwischen städtischen Agglomerationsräumen, verstädterten und ländlichen, überwiegend peripheren Räumen. Sie sind aber deutlich geringer als die zwischen den Sektoren. Die Produktivität der Industrieunternehmen in ländlichen Regionen liegt unter dem Durchschnitt, während sie in Städten überdurchschnittlich ist. Schließlich ist die Totale Faktorproduktivität der größeren Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten zwar höher als die von kleineren Unternehmen, der Unterschied ist aber im Vergleich zu den anderen Strukturmerkmalen gering. Die genannten strukturellen Unterschiede können zur Produktivitätslücke zwischen Ost und West beitragen.
Tatsächlich sind die neuen Bundesländer stärker ländlich geprägt und ostdeutsche Industrieunternehmen überwiegend in solchen Regionen angesiedelt. Auf sie entfielen im Zeitraum von 2012 bis 2014 fast 48 Prozent der untersuchten ostdeutschen Industrieunternehmen und nur knapp 21 Prozent auf die Städte. Bei den westdeutschen Unternehmen dominiert dagegen ein städtisches Umfeld. 43 Prozent der Industrieunternehmen dort haben ihren Sitz in Städten, auf dem Land dagegen nur 18 Prozent (Abbildung 3).
Die westdeutsche Industrielandschaft ist zudem durch einen höheren Anteil von Großunternehmen gekennzeichnet. Während nur knapp fünf Prozent der untersuchten Unternehmen in Ostdeutschland im Zeitraum von 2012 bis 2014 mehr als 500 Beschäftigte hatten, waren es in Westdeutschland mit gut elf Prozent deutlich mehr. West und Ost unterscheiden sich jedoch kaum in der Frage, wie technologieintensiv die Industrieunternehmen sind (Abbildung 3).
Ob die aufgezeigten Strukturunterschiede die Produktivitätslücke zwischen Ost- und Westdeutschland wesentlich verursachen, wird im Folgenden mithilfe amtlicher Mikrodaten untersucht (Kasten 2). Dazu wird ein nichtparametrischer Dekompositionsansatz genutzt.Die Zerlegung geht auf die Arbeiten von Ronald Oaxaca und Alan Blinder zu Lohndifferenzierungen zurück. Ronald Oaxaca (1973): Male–female wage differentials in urban labor markets. International Economic Review, 14(3), 693–709; Alan Blinder (1973): Wage Discrimination: Reduced Form and Structural Estimates. Journal of Human Resources, VII(4), 436–455. In diesem werden für gleichartige Unternehmensgruppen die jeweiligen durchschnittlichen TFP-Werte in West- und Ostdeutschland berechnet. Die Gruppen werden anhand der verfügbaren Unternehmensmerkmale Beschäftigtengröße (groß, klein), Regionstyp (städtisch, verstädtert, ländlich) und Technologieintensität des Wirtschaftszweigs (Hightech, Medium-Hightech, Medium-Lowtech und Lowtech) gebildet. Es ergeben sich somit insgesamt 24 Unternehmenstypen.
Die Gesamtdifferenz der Produktivität zwischen Industrieunternehmen in West- und Ostdeutschland wird in zwei Komponenten zerlegt: Die Strukturkomponente repräsentiert den Anteil der West-Ost-Differenz, der darauf zurückzuführen ist, dass bestimmte Unternehmensgruppen im Westen eine größere Bedeutung haben als im Osten – dass also jeweils mengenmäßig andere Unternehmensstrukturen bestehen. Die Verhaltenskomponente misst den Anteil der West-Ost-Produktivitätsdifferenz, der darauf zurückzuführen ist, dass die Unternehmen derselben Unternehmensgruppe im Westen eine andere Produktivität haben als im Osten – also den tatsächlichen Produktivitätseffekt.
Zur West-Ost-Produktivitätsdifferenz von 22,7 Prozent im Zeitraum von 2012 bis 2014 trägt die Strukturkomponente mit nur 2,9 Prozentpunkten bei (Tabelle). Der wesentliche Grund hierfür ist, dass sich zwar die TFP-Niveaus besonders stark zwischen den Technologiegruppen unterscheiden, diese jedoch in Ost- und Westdeutschland etwa gleiche Anteile haben.
Differenz TFP West-Ost | Darunter: | |
---|---|---|
Strukturkomponente | Verhaltenskomponente | |
In Prozent | ||
22,7 | 2,9 | 19,8 |
Beitrag in Prozent | ||
100,0 | 12,7 | 87,3 |
Quellen: Unternehmensdaten der amtlichen Statistik; eigene Berechnungen.
Dominant für die Gesamtdifferenz ist mit 19,8 Prozentpunkten die Verhaltenskomponente. Somit gibt es zwar einen Einfluss der unterschiedlichen Unternehmensstrukturen auf das Produktivitätsgefälle, überwiegend wird es aber durch die unterschiedlichen Produktivitätsniveaus der jeweils vergleichbaren Gruppen der Industrieunternehmen in West- und Ostdeutschland bestimmt.
In den einzelnen Unternehmensgruppen zeigen sich markante Produktivitätsunterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen. Während die Produktivitätsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bei den großen Unternehmen stark differieren, liegen sie in nahezu allen Clustern mit kleinen Unternehmen nah am Durchschnitt (Abbildung 4). Ostdeutsche Kleinunternehmen haben also gegenüber ihren westdeutschen Wettbewerbern fast durchgängig einen deutlichen Rückstand bei der Totalen Faktorproduktivität. Dies deutet auf nachteilig wirkende Besonderheiten dieser kleineren ostdeutschen Unternehmen insgesamt hin.
Dagegen ist das Bild der Großunternehmen im Osten sehr heterogen: Im Lowtech- und Medium-Lowtech-Bereich in ländlichen Regionen und im Medium-Hightech-Bereich in den verstädterten Regionen haben die großen Unternehmen einen überdurchschnittlichen Produktivitätsnachteil. Dagegen erreichen Großunternehmen in den ostdeutschen Städten außerhalb des Hightech-Bereiches sogar deutlich höhere Produktivitäten als ihre westdeutschen Pendants. Allerdings gibt es nur sehr wenige dieser hochproduktiven ostdeutschen Unternehmen. Während gut 17 Prozent aller untersuchten Unternehmen in den neuen Bundesländern angesiedelt sind, sind es in diesen drei Gruppen von Großunternehmen in den Städten deutlich weniger (jeweils maximal 5 Prozent). Hochproduktive größere Unternehmen sind im Osten noch die Ausnahme. Aber auch in den zahlenmäßig größeren Gruppen der ostdeutschen Großunternehmen im Hightech-Bereich im verstädterten Raum und im Medium-Hightech-Bereich auf dem Land ist die Produktivitätslücke bereits fast verschwunden.
Das Effizienzniveau der ostdeutschen Industrie hat sich nach der Vereinigung grundlegend verbessert. Das Maß für die Gesamtproduktivität – die Totale Faktorproduktivität – weist allerdings auch noch heute im Durchschnitt einen großen Rückstand auf.
Die empirischen Ergebnisse für kleinere Industrieunternehmen weisen auf immer noch bestehende durchgehende Besonderheiten in Ostdeutschland hin. In nahezu allen hier verwendeten Kombinationen von Technologieintensität und Siedlungsstruktur haben kleine Unternehmen einen Produktivitätsnachteil. Zu den Ursachen dafür gibt es viele Vermutungen. Genannt werden etwa Unterschiede in der Preissetzung, im Kostenniveau, im Unternehmergeist, der Unternehmenskultur. Empirisch gesicherte Erkenntnisse liegen dazu aber nicht vor.Steffen Müller (2020): Der Produktivitätsrückstand der ostdeutschen Industrie: Nur eine Frage der Preise? In: Ostdeutschland – Eine Bilanz. Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle – IWH, 66–75; Michael C. Burda (2020): 30 Jahre deutsche Einheit: Wie steht es wirklich? Wirtschaftsdienst Nr. 6, 390–391 (online verfügbar). Allerdings verändert sich die Gesamteffizienz nur langsam und scheint eine hohe Pfadabhängigkeit aufzuweisen.Marie Le Mouel und Alexander Schiersch (2020): Knowledge-Based Capital and Productivity Divergence. DIW Discussion Paper Nr. 1868 (online verfügbar).
Ein Beispiel für die Pfadabhängigkeit ist die Entwicklung sogenannter Hidden Champions. Das sind überwiegend kleinere Industrieunternehmen, die sich durch einen hohen Spezialisierungsgrad und technologische Innovationen zu Weltmarktführern in ihren Nischen entwickelt haben. Sie tragen wesentlich zum Erfolg des Industriestandorts Deutschland bei.Christian Rammer und Alfred Spielkamp (2015): Hidden Champions – Driven by Innovation. Empirische Befunde auf Basis des Mannheimer Innovationspanels. ZEW Mannheim Doumentation Nr. 15–03.
Die weitaus größte Zahl der Hidden Champions ist in Westdeutschland zu Hause. Nur 6 Prozent dieser Weltmarktführer sind in Ostdeutschland ansässig, davon fast die Hälfte in Berlin.iwd – Informationsdienst des Institut der deutschen Wirtschaft (2019): Hidden Champions: Die Starken aus der zweiten Reihe (online verfügbar). Dies ist auch nicht verwunderlich, denn zumeist handelt es sich um Traditionsunternehmen. So sind drei Viertel dieser Unternehmen älter als 40 Jahre. Entsprechend könnte beispielweise die gegenwärtig hohe Dynamik industrieller Gründungen in ostdeutschen Großstädten erst in den kommenden Jahrzehnten ihre Früchte tragen.Martin Gornig und Axel Werwatz (2018): Anzeichen für eine Reurbanisierung der Industrie. DIW Wochenbericht Nr. 47, 1005–1011 (online verfügbar).
Die empirischen Ergebnisse für größere Industrieunternehmen weisen dagegen auf Chancen hin, Effizienzniveaus zwischen Ost- und Westdeutschland schneller als bisher anzugleichen. So erreichen Großunternehmen aus den mittleren Technologiebereichen wie Chemie, Elektrotechnik, Maschinen- und Fahrzeugbau in großstädtischen Regionen Ostdeutschlands sogar deutlich höhere Effizienzniveaus als vergleichbare Cluster in Westdeutschland. Das Wachstum solcher erfolgreichen Cluster zu fördern, trägt auch wesentlich zur Schließung der Produktivitätslücke bei. Dies gilt auch für die Ansiedlung größerer Unternehmen, wie etwa von Tesla in Brandenburg.
Themen: Regionalwirtschaft
JEL-Classification: D24;L60;R11
Keywords: Productivity, manufacturing, Eastern Germany
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-39-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226718