DIW Wochenbericht 39 / 2020, S. 761
Kristina van Deuverden, Erich Wittenberg
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Frau van Deuverden, nach der Wende ging der Aufbau Ost mit hohen öffentlichen Ausgaben einher. Wie haben sich die Ausgaben in den neuen Bundesländern entwickelt? Zu Beginn lag die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland nur bei einem Drittel des Westens. Die Infrastruktur war heruntergewirtschaftet, die Unternehmen zu großen Teilen nicht wettbewerbsfähig. Obwohl viele Gelder in den Osten flossen, haben sich die Länder und Kommunen dort deutlich verschulden müssen. Ungefähr ab 1995 trat eine gewisse Konsolidierung ein, die 2005 mit dem Solidarpakt II noch einmal an Dynamik gewonnen hat. Die neuen Länder waren dann im Vergleich zu den alten Ländern relativ früh mit ihren Haushalten im Überschuss und ab 2010 haben sich die Haushaltszahlen gut entwickelt. Im Jahr 2019 war die Haushaltslage in Ostdeutschland noch recht gut. Im Vergleich zu Westdeutschland ist sie schon seit einigen Jahren besser. Damit ist die Ausgangslage für das, was jetzt kommt, im Osten besser als in vielen westlichen Bundesländern. Allerdings konnten die Auswirkungen der Corona-Pandemie hier noch nicht eingerechnet werden.
Vor welchen haushaltspolitischen Herausforderungen stehen die neuen Länder aktuell? Unter der Prämisse, dass der Konsolidierungsbedarf durch Corona deutlich höher ist als das, was unsere Untersuchung ergeben hat, ist es dennoch so, dass die ostdeutschen Haushalte aufgrund von langfristigen strukturellen Änderungen und Trends in Zukunft deutlich geringere Ausgabenspielräume haben. Die ostdeutschen Länder werden ihre Ausgaben in Zukunft deutlich weniger erhöhen können als die westdeutschen Länder. Das ist natürlich ein Problem mit Blick auf die Finanzpolitik, Investitionen und Ausgaben zur Förderung von produktiven Unternehmen.
Inwieweit hat sich die ostdeutsche Wirtschaft mittlerweile dem westdeutschen Produktivitätsniveau angeglichen? Gesamtwirtschaftlich liegt das Niveau im Osten ungefähr 20 Prozent niedriger. Wie KollegInnen von mir herausgefunden haben, ist die Lücke in der ostdeutschen Industrie etwas größer.
Wo liegen die strukturellen Unterschiede zwischen der west- und der ostdeutschen Wirtschaft? KollegInnen am DIW Berlin haben sich Unterschiede bei Unternehmensgrößen und Sektoren angeschaut und kommen zu dem Ergebnis, dass nur ein Teil dieser Unterschiede auf die Unternehmensstruktur in Ostdeutschland zurückgeht. Das liegt daran, dass Unternehmen in Städten eine höhere Produktivität aufweisen als auf dem Land, dass große Unternehmen eine relativ höhere Produktivität haben als kleinere, aber auch an der Sektorstruktur. Die großen Unternehmen haben teilweise sogar eine höhere Produktivität als im Westen. Nur die Anzahl dieser Unternehmen ist äußerst beschränkt. Vor allen Dingen bei kleinen Unternehmen im verstädterten und im ländlichen Raum sind die Produktivitäten noch nicht angeglichen.
Mit der Wende wurde auch der ostdeutsche Wohnungsmarkt liberalisiert. Welche Auswirkungen hatte das für die ostdeutsche Bevölkerung? Die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum war in der DDR relativ hoch, allerdings mangelte es oft an Qualität und Größe. Nach der Wende wurde viel Geld in die Sanierungen dieser Wohnungen gesteckt, so dass die ostdeutsche Bevölkerung heute deutlich besser versorgt ist. Natürlich müssen die ostdeutschen Haushalte heute einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für Wohnen ausgeben. Insbesondere die unteren Einkommensschichten sind davon betroffen. Wichtig ist aber, dass eigentlich alle Einkommensschichten, gerade was das Wohnen anbetrifft, mit ihrer jetzigen Situation doch deutlich zufriedener sind als noch zu DDR-Zeiten.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-39-5
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226748