Direkt zum Inhalt

Junge Mütter sind die größten Leidtragenden der Corona-Pandemie

Blog Marcel Fratzscher vom 25. September 2020

Eine Studie zeigt: In der Krisenzeit kümmern sich vor allem Mütter um die Kinder. Dabei ist ein funktionierendes Betreuungssystem essenziell – und sollte Priorität haben.

Junge Familien gehören zu den größten Leidtragenden der Corona-Pandemie. Lange wurde dies bereits vermutet, nun belegt es eine Studie des DIW Berlin mit konkreten Zahlen und zeigt, dass vor allem junge Mütter den größten Teil der Last zu tragen haben. Aber die Studie, die die Zufriedenheit mit dem Leben im Allgemeinen und auch die mit dem Familienleben und der Kinderbetreuung während der Corona-Zeit unter die Lupe nimmt, legt auch einige überraschende und unerwartete Resultate offen.

Die Studie beruht auf Befragungen von mehr als 10.000 Personen, die zwischen dem 1. Mai und 21. Juni 2020 von infratest dimap durchgeführt und von Kolleginnen und Kollegen am DIW Berlin analysiert wurden. Ein Vergleich der Ergebnisse mit Befragungsdaten aus dem Jahr 2018 zeigt für verschiedene Gruppen, beispielsweise nach Alter des Kindes oder Bildung der Mutter, wie sich die Zufriedenheit und das Empfinden innerhalb dieser Gruppen verändert haben.

Dieser Beitrag ist am 24. September 2020 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.

Eines der interessantesten Resultate ist, dass Eltern mit Kindern, die jünger als sechs Jahre waren, vor der Krise deutlich zufriedener waren als Eltern mit älteren Kindern, sowohl mit ihrem Leben allgemein als auch speziell mit ihrem Familienleben. Auch Eltern mit Kindern zwischen sechs und elf Jahren waren zufriedener als der Durchschnitt, allerdings nicht in dem Umfang wie Eltern mit kleinen Kindern.

Die Corona-Krise hat dann quasi wie ein Gleichmacher funktioniert: Alle Gruppen – also Eltern mit Kleinkindern oder mit Jugendlichen, genauso wie Menschen ohne Kinder oder mit erwachsenen Kindern – haben in den vergangenen Monaten eine deutlich ähnlichere und oft geringere allgemeine Lebenszufriedenheit empfunden.

Einer der wichtigsten Gründe, weshalb vor allem junge Eltern so stark in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt werden, ist das Wegbrechen der Betreuung der Kinder infolge der Kita- und Schulschließungen. Mehr als die Hälfte der Mütter mit Kindern im Kitaalter empfand die Corona-Maßnahmen als sehr einschränkend. Unter den Müttern mit Kindern im Schulalter waren es 40 Prozent. Bei Vätern lagen die Werte nur wenig (mit Kindern im Kitaalter) oder gar nicht (mit Kindern im Schulalter) niedriger. Es scheint also durchaus eine kausale Verbindung zwischen Kita- und Schulschließungen und der Zufriedenheit der Eltern zu geben.

Besonders hart getroffen sind Mütter. War die allgemeine Lebenszufriedenheit von Müttern und Vätern vor der Krise in etwa gleich, haben Mütter während der Corona-Krise eine besonders starke Abnahme ihrer allgemein Lebenszufriedenheit, aber auch ihrer Zufriedenheit mit dem Familienleben erfahren. Das gilt besonders für Mütter mit einem höheren Bildungsgrad. Interessanterweise hat sich die allgemeine Lebenszufriedenheit der Väter während der Corona-Krise nicht signifikant verändert.

Väter waren mit von der Partie

Dies legt die Vermutung nahe, dass die Hauptlast für Kinderbetreuung und Homeschooling von Müttern übernommen wird und dass vor allem gut qualifizierte Frauen besonders stark mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesen Krisenzeiten zu kämpfen haben. Ein weiteres interessantes Resultat ist jedoch, dass auch Väter im Vorkrisenvergleich deutlich mehr Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen: So haben Mütter mit Kindern zwischen drei und fünf Jahren im Durchschnitt vier Stunden mehr pro Tag ihre Kinder betreut, Väter 3,5 Stunden mehr. Dies bestätigt zwar, dass Mütter die größte zusätzliche Belastung durch die Kinderbetreuung hatten, Väter aber durchaus einen Beitrag leisteten.

Väter mit hohem Bildungsniveau weiteten ihren Einsatz nicht aus

Interessant ist auch das Resultat, dass vor allem Väter mit einem niedrigen oder mittleren Bildungsniveau am meisten zusätzliche Zeit für die Kinderbetreuung während der Krise beigetragen haben, wogegen Väter mit einem hohen Bildungsniveau ihren Einsatz diesbezüglich fast gar nicht ausweiteten. Eine mögliche Interpretation ist, dass Väter mit einem höheren Bildungsgrad weniger flexibel oder weniger gewillt sind, berufliche Beschränkungen in Kauf zu nehmen, um zeitlich mehr Verantwortung in der Familie zu übernehmen. Dies ist jedoch nur eine der möglichen Interpretationen.

Unglückliche Eltern, unglückliche Kinder

Die Leidtragenden der Corona-Pandemie sind offensichtlich nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder. Kinder leiden nicht nur darunter, dass sich ihr Alltag komplett gewandelt hat, sie ihr gewohntes Umfeld vermissen und – das gilt besonders für ohnehin benachteiligte Kinder – von Kitas und Schulen vorübergehend nicht profitieren können. Sondern Kinder leiden auch dann in ihrer Entwicklung, wenn das Wohlbefinden der Eltern gering ist. Auch deshalb kann es Staat und Gesellschaft nicht egal sein, was mit jungen Familien in dieser Krise geschieht.

Kitas und Schulen sind essentiell

Einer der vielleicht größten Fehler dieser Krise ist, dass die Belange von jungen Familien zu wenig Gewicht haben und zu lange vernachlässigt wurden. Vielen wird erst jetzt bewusst, wie wichtig Kitas und Schulen nicht nur für die Kinder, sondern für Familien und für uns als Gesellschaft insgesamt sind. Dies sollte die Politik berücksichtigen, wenn sie entscheidet, wie sie auf eine mögliche zweite oder dritte Ansteckungswelle reagiert. Ein funktionierendes Betreuungssystem ist essenziell und sollte in Zukunft hohe Priorität haben.

keyboard_arrow_up