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Sturmfeste Finanzbranche: Offshore-Dienstleistungen wohl vornehmlich von außerhalb gebucht

DIW Wochenbericht 43 / 2020, S. 813-821

Jakob Miethe

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  • Reaktion der Finanzaktivität auf extreme Sturmereignisse in Offshore-Zentren liefert Anhaltspunkte für Scheinpräsenz der Finanzindustrie
  • Neue Datenquellen erlauben Einblicke in Veränderung der lokalen Rahmenbedingungen sowie in die Aktivitäten des örtlichen Finanzsektors
  • Sturmereignisse sorgen sowohl auf Offshore-Finanzplätzen als auch auf Nicht-Offshore-Finanzplätzen für Verwerfungen und Beeinträchtigungen des alltäglichen Lebens
  • Finanzaktivitäten auf Offshore-Finanzplätzen zeigen jedoch keinerlei Reaktion auf Sturmereignisse
  • Deshalb werden Leistungen wohl in der Regel nicht auf Offshore-Finanzplätzen erbracht – Regulierung und Verfolgung sollten am tatsächlichen Erbringungsort ansetzen

„Die Ergebnisse der Studie liefern erneut Anlass, bisherige Ansätze zur Verfolgung und Regulierung von Offshore-Finanzaktivitäten zu überdenken. Bemühungen sollten dort ansetzen, wo die Dienstleistungen erbracht werden. Die Studie gibt Hinweise darauf, dass diese nur auf Schattenfinanzplätze gebucht werden.“ Jakob Miethe

Die hohen internationalen Kapitalpositionen in Offshore-Finanzzentren haben zu viel neuer Forschung in diesem Bereich geführt. Allerdings haben der verdeckte Charakter vieler Offshore-Aktivitäten und die mangelnde Datenverfügbarkeit zur Folge, dass viele Fragen nach wie vor unerforscht sind. So ist beispielsweise nicht einmal klar, ob die Finanzindustrie tatsächlich auf den Offshore-Finanzplätzen selbst agiert oder ihre Positionen künstlich aus anderen Ländern bucht. Der vorliegende Beitrag zeigt anhand eines neuen Forschungsansatzes, der die Auswirkungen extremer Sturmereignisse wie dem Hurrikan Irma auf lokale Rahmenbedingungen und Finanzaktivitäten auf kleinen Inseln untersucht, dass die Offshore-Dienstleistungen wohl vornehmlich von außerhalb gebucht werden. Dem momentan üblichen Ansatz, dem Offshore-Finanzwesen über eine Regulierung vor Ort beizukommen, scheinen vor diesem Hintergrund gewisse Grenzen gesetzt.

Während die Wirecard-Affäre noch nicht aufgeklärt ist, sorgte vor wenigen Wochen die Veröffentlichung der FinCEN-Files für weltweite Aufmerksamkeit und bescherte der Finanzindustrie ihren nächsten Skandal. Wieder einmal nehmen dabei so genannte Offshore-Finanzplätze eine zentrale Rolle ein – hier indem sie es ermöglichen, illegal erworbene Gelder und Vermögenswerte ins globale Finanzsystem einfließen und legal erscheinen zu lassen. Als Offshore-Finanz- oder auch Schattenfinanzplätze bezeichnet man Jurisdiktionen, die strenge Geheimhaltungsvorschriften oder schwache Transparenzgesetze haben und niedrige oder keine Steuern von Nicht-EinwohnerInnen fordern (Kasten 1).infoBei der Unterscheidung, ob eine Insel als Offshore-Finanzplatz klassifiziert wird oder nicht, folgt der vorliegende Bericht den Listen in Jane G. Gravelle (2015): Tax havens: International tax avoidance and evasion. National Tax Journal 7 (5700), 727–753 sowie Niels Johannesen und ­Gabriel Zucman (2014): The end of bank secrecy? An evaluation of the G20 tax haven crackdown. American Economic Journal: Economic Policy 6(1), 65–91. Die Ergebnisse lassen sich jedoch auch für andere Listen reproduzieren, vgl. dazu Jakob Miethe (2020): The elusive banker. Using hurricanes to uncover (non-)activity in Offshore Financial Centers. Unpublished Working Paper. Jüngere wissenschaftliche Forschung zeigt, dass die Finanzdienstleistungen solcher Schattenfinanzplätze von SteuerhinterzieherInneninfoVgl. Niels Johannesen und Gabriel Zucman (2014): The end of bank secrecy? An evaluation of the G20 tax haven crackdown. American Economic Journal: Economic Policy 6 (1), 65–91; Lukas Menkhoff und Jakob Miethe (2019): Tax evasion in new disguise? Examining tax havens’ international bank deposits. Journal of Public Economics 176, 53–78 sowie Jost H. Heckemeyer und Aaron K. Hemmerich (2020): Information exchange and tax haven investment in OECD securities markets. National Tax Journal 73 (2), 291–330., profitverschiebenden Firmen,infoVgl. Joel Slemrod (2015): Tax compliance and enforcement: New research and its policy implications. Ross School of Business Paper, 1302; Nadine Riedel (2018): Quantifying international tax avoidance: A review of the academic literature. Review of Economics 2 (69), 169–181 sowie ­Sebastian Beer, Ruud De Mooij und Li Liu (2020): International corporate tax avoidance: A review of the channels, magnitudes, and blind spots. Journal of Economic Surveys 34 (3), 660–688. von korrupten Geschäftsleuten bis hin zu BeamtInneninfoVgl. Jørgen Juel Andersen et al. (2017): Petro rents, political institutions, and hidden wealth: Evidence from offshore bank accounts. Journal of the European Economic Association 15 (4), 818–860 sowie Niels Johannesen, Jørgen Juel Andersen und Bob Rijkers (2020): Elite capture of foreign aid: Evidence from offshore bank accounts. World Bank Policy Research Paper 9150. genutzt werden.

Insgesamt leben in Schattenfinanzplätzen etwas mehr als 1,8 Prozent der Weltbevölkerung. Die gleichen Länder ziehen auf dem Papier etwa 40 Prozent aller internationaler Finanzströme an. Viele dieser Jurisdiktionen sind kleine Inselstaaten. Die Kaimaninseln beispielsweise, von der EU vor drei Wochen von ihrer Steueroasenliste entfernt, zählen je registrierten Investmentfond nur fünf EinwohnerInnen und 33 Millionen US-Dollar internationaler Bankpositionen pro Person. Auf den Britischen Jungferninseln sind 373917 Firmen und 1499 Investmentfonds registriert, bei 35015 BewohnerInnen.infoDie hier zitierten Finanzstatistiken stammen aus den für die Modellanalyse genutzten Bankdaten. Bevölkerungsdaten kommen vom CIA World Factbook und basieren für kleine Inseln auf Schätzungen (7323 187457 globale Population, 136046 983 in Schattenfinanz­plätzen). Für die Daten zu den Britischen Jungferninseln vgl. „Q1 2020 BVI Statistical Bulletin“ (online verfügbar, abgerufen am 17. August 2020). Die Dienstleistungen von Offshore-Finanzinstituten beinhalten das Aufsetzen von Briefkastenfirmen, das Management von Offshore-Treuhandgesellschaften (sogenannten Trusts) sowie die Führung von Bankkonten. Ebenso unterstützen sie ihre KundInnen darin, neue Regulierungsmaßnahmen in ihren Heimatländern zu umgehen.infoVgl. hierzu Niels Johannesen (2014): Tax evasion and Swiss bank deposits. Journal of Public Economics 111, 46–62 sowie James D. Omartian (2017): Do banks aid and abet asset concealment: Evidence from the Panama Papers. Unpublished Working Paper. Während es unstrittig ist, dass SteuerhinterzieherInnen oder eine Firma, die ihre Profite verschiebt,infoAuch Banken tun dies in ihrer Funktion als multinationale Unternehmen. Vgl. hierzu ­Dominika Langenmayr und Franz Reiter (2017): Trading Offshore: Evidence on Banks’ Tax ­Avoidance, CESifo Working Paper 6664 (2017). keine nennenswerte Präsenz in einem Schattenfinanzplatz braucht, so ist nicht klar, wo genau die Finanzdienstleistungen stattfinden, die solche Konstrukte ermöglichen.

Der vorliegende Bericht geht der Frage nach, ob Finanzdienstleistungen tatsächlich auf Offshore-Finanzplätzen stattfinden und somit deren hohe Kapitalpositionen erklären können. Dagegen steht die Hypothese, dass Finanzdienstleistungen lediglich an diesen Orten gebucht, aber andernorts erbracht werden. Um die Forschungsfrage zu beantworten, verfolgt der Bericht einen Forschungsansatz, der die Auswirkungen der an vielen Offshore-Finanzplätzen auftretenden Sturmkatastrophen auf die allgemeinen Rahmenbedingungen und Finanzaktivitäten untersucht. Die dafür notwendige Datenbasis wurde mit Hilfe von Satellitendaten der US-Raumfahrtbehörde NASA sowie aus Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich generiert.infoDie Ergebnisse dieser Arbeit gehen auf eine Forschungsarbeit des Autors aus seiner Zeit als Doktorand am DIW Graduate Center zurück und wurden auch in dessen Job Market Paper präsentiert.

Erbringungsort von Finanzdienstleistungen ist relevant für Regulierung

Es gibt gute Gründe, weswegen es sinnvoll ist, die tatsächliche Verortung von internationalen Finanzdienstleistungen festzustellen. Erstens wird auf den Webseiten von Finanzdienstleistern, die in Offshore-Finanzplätzen registriert sind, suggeriert, dass deren Dienstleistungen von gut ausgebildetem lokalem Personal vor Ort erbracht werden.infoSo schreibt etwa Eltoma auf den Britischen Jungferninseln (BVI) auf seiner Website (zuletzt aufgerufen am 28. September 2020): „The BVI is committed to retaining an investor’s right to privacy providing a professional banking sector with top quality legal, accounting and trust and management services.” Zu ihrer Dependenz auf den Kaimaninseln schreibt die Jersey Trust Company auf ihrer Website (zuletzt aufgerufen am 29. September 2020): „JTC places a strong focus on ensuring its clients across the globe receive a reliable, flexible and professional service. With continual investment in specialist knowledge and innovation, we offer truly bespoke solutions.“ Eine Überprüfung dieses Sachverhaltes ist daher nützlich um festzustellen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Zweitens ist die Frage aber auch weit über die Einhaltung des reinen Werbeversprechens von Bedeutung. So zielen internationale Regulierungsansätze, etwa die der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), darauf ab, Informationen über Finanzaktivitäten auf Schattenfinanzplätzen zu bekommen. So ermöglichen beispielsweise Informationsaustauschabkommen Ländern wie Deutschland, eine kleine karibische Insel wie die Britischen Jungferninseln um Informationen über potentielle SteuerhinterzieherInnen zu ersuchen. Seit 2017 werden Informationen zu Bankkonten sogar zunehmend automatisch ausgetauscht.infoSiehe hierzu neben Menkhoff und Miethe (2019), a.a.O. auch Elisa Casi, Christoph Spengel und Barbara Stage (2020): Cross-border tax evasion after the common reporting standard: Game over? Journal of Public Economics 190, 104–240 und Pierce O'Reilly, Kevin Parra Ramirez & Michael A. Stemmer (2019): Exchange of information and bank deposits in international financial centres. OECD Taxation Working Papers 46. Dies ist nur erfolgsversprechend, wenn Behörden auf dem Schattenfinanzplatz tatsächlich Zugang zu diesen Informationen haben und deren Qualität gewährleisten können, beispielsweise indem sie Banken Wirtschaftsprüfungen unterziehen oder sie von der örtlichen Polizei durchsuchen lassen. Sollten die Finanzakteure nicht vor Ort agieren, sind lokale Bemühungen und daran anknüpfende Auskunftspflichten von vornherein nicht vielversprechend. Die Frage, ob internationale Finanzdienstleistungen tatsächlich lokal auf Offshore-Finanzplätzen stattfinden, ist daher zentral für den Erfolg solcher Regulierungsmaßnahmen.

Leaks suggerieren Fernbuchungen

Dafür, dass die Dienstleistungen in Wirklichkeit nicht auf Schattenfinanzplätzen erbracht werden, gibt es Indizien. Für sechs als Offshore-Finanzplätze geltende InselninfoAruba, die Cookinseln, die Bahamas, Barbados, Malta, Nevis und Samoa. gelangten im Zuge der Panama und Paradise Papers große Teile ihrer örtlichen Handelsregister an die Öffentlichkeit. In diesen Daten sind auch die Gründungsdaten lokaler Firmen, inklusive Briefkastenfirmen, vermerkt. Diese finden zu jeweils knapp 20 Prozent von Montag bis Freitag statt, am Wochenende dagegen werden fast keine Firmen gegründet. Wenn an Wochenenden fast keine Firmen gegründet werden, so ist dies auch für öffentliche Feiertage zu vermuten. Aber an wessen Feiertagen? Die indikativen Daten aus den Leaks zeigen, dass an Feiertagen in London, New York und Tokio die Firmengründungen auf den sechs Inseln fast überall zurückgehen, obwohl diese Tage dort normale Werktage sind, in Einzelfällen sogar deutlich (Abbildung 1). So finden beispielsweise an einem Feiertag in London, der ein normaler Werktag in Nevis ist, gut 40 Prozent weniger Gründungen statt, in Barbados beträgt der Rückgang 20 Prozent.

Diese Rückgänge legen den Verdacht nahe, dass Dienstleistungen, die auf Offshore-Finanzplätzen gebucht werden, nicht unbedingt dort stattfinden. Allerdings lässt das vorhandene Datenmaterial keine detaillierten statistischen Analysen zu, weshalb es gilt, die Hypothese auf andere Weise zu überprüfen.

Hier zeigt sich, dass die Forschung im Feld des Offshore-Finanzwesens in der Regel zwei zentralen Problemen begegnet: Erstens müssen Aktivitäten identifiziert werden, die entweder absichtlich verschleiert oder wenigstens bewusst im Dunklen gelassen werden. Selbst wenn ein Unternehmen legal agiert, hat es möglicherweise kein Interesse daran, sein internationales Steuersparmodell öffentlich zu machen. Zweitens ist die Datenverfügbarkeit für Schattenfinanzplätze sehr dürftig. Teils ist dies kein Zufall, teils dem Fakt geschuldet, dass viele dieser Inseln nur die Einwohneranzahl einer kleineren Stadt haben und entsprechend dürftige Statistiken vorweisen. Im folgenden Hauptteil werden Ideen präsentiert, um beiden Problemen zu begegnen: Zuerst wird ein Forschungsansatz vorgestellt, der potentiell verstecktes Verhalten sichtbar macht, dann das Datenmaterial, das eine Umsetzung dieses Forschungsansatzes erlaubt.

Ein Forschungsansatz zur Identifikation von Finanzaktivität in Schattenfinanzplätzen

Etwa die Hälfte aller Offshore-Positionen wird über kleine Inseln in der Karibik, dem Indischen Ozean und dem Pazifik gebucht, die regelmäßig von extremen Stürmen (je nach Region Hurrikane, Taifune oder Zyklone) getroffen werden. Für solche Inseln lassen sich anhand der Auswirkungen dieser Naturkatastrophen Aussagen darüber treffen, ob die international agierende Finanzindustrie tatsächlich vor Ort agiert oder nicht. Die Hypothese ist denkbar einfach: Wenn Stürme, wie die Hurrikane Irma und Maria im September 2017, kleine Inseln treffen, so sind negative Auswirkungen auf die örtlichen Bedingungen zu erwarten. Kann dieser Effekt statistisch bestätigt werden, so ist auch ein Rückgang der internationalen Finanzdienstleistungen vor Ort zu erwarten. Da hier nur Stürme in die Betrachtung eingehen, die als örtliche Umweltkatastrophen klassifiziert wurden, sollten die Auswirkungen, beispielsweise in Form von Stromausfällen, Evakuierungen oder Überflutungen auch den Finanzsektor betreffen. Werden die Finanzdienstleistungen also tatsächlich vor Ort abgewickelt, sollte ein negativer Effekt auf das Aktivitätsniveau des Finanzsektors beobachtbar sein. Für Finanzdienstleistungen, die andernorts abgewickelt, aber in den Schattenfinanzplätzen gebucht werden, sollte kein negativer Effekt beobachtbar sein (Abbildung 2). Dabei ist die Größe des Effektes nicht entscheidend – es ist durchaus vorstellbar, dass der Finanzsektor schwächer betroffen ist als andere Bereiche. Primär geht es darum zu überprüfen, ob überhaupt ein Effekt vorliegt oder nicht.

Um sicherzustellen, dass im Normalfall auch der Finanzsektor durch tropische Wirbelstürme beeinflusst wird, können Effekte für Inseln in denselben Regionen gezeigt werden, die von denselben Sturmereignissen betroffen sind, aber nicht als Offshore-Finanzplätze klassifiziert sind. Auch trifft jeder tropische Wirbelsturm nur einige der Inseln im Sample. An anderen zieht er vorbei oder sie befinden sich in einer anderen Region. So kann, um Sturmeffekte kausal zu belegen, sowohl innerhalb des Offshore-Samples als auch innerhalb des Nicht-Offshore-Samples auf eine Kontrollgruppe zurückgegriffen werden, die vom jeweiligen Sturm nicht betroffen ist.

Dieser Forschungsansatz erlaubt es, Aussagen über den Finanzsektor in Offshore-Finanzplätzen zu treffen, ohne über dessen spezifische Aktivitäten informiert zu sein. Ein Nachteil dieser Herangehensweise ist allerdings, dass weder für die lokalen Bedingungen, noch für Finanzdienstleistungen ausreichend aufbereitete Daten für die hier untersuchten Inseln verfügbar sind.

Die Datenbasis: Satellitendaten und internationale Bankforderungen als Indikatoren

Um das Datenproblem anzugehen, werden hier verschiedene Quellen zu Hilfe gezogen. Zuerst geht es um die Messung der Auswirkungen von lokalen Sturmereignissen auf kleinen Inseln, wie Montserrat mit nur 5000 Einwohnern. Hierfür werden neue Satellitendaten der NASA genutzt, welche es erlauben, das durchschnittliche Nachtlicht auf einer Insel zu berechnen. Dieses Maß findet in der Entwicklungsökonomie schon länger Anwendung als Indikator für die wirtschaftliche Aktivität in einer Region, für die keine oder kaum wirtschaftliche Daten erhoben werden.infoVgl. dazu J. Vernon Henderson, Adam Storeygard und David N. Weil (2012): Measuring econ­omic growth from outer space. American Economic Review 102(2), 994–1028. Allerdings wird in dieser Literatur meist eine ältere Datenquelle mit schlechterer Qualität und nur jährlicher Frequenz aber deutlich längerer Verfügbarkeit genutzt. Für Vergleiche siehe John Gibson, Susan Olivia und Geua Boe-Gibson (2020): Night lights in economics: Sources and uses. Unpublished Working Paper. Für die vorliegende Betrachtung werden sie jedoch lediglich als Maß für die lokalen Verwerfungen in Folge eines Sturmereignisses genutzt. Trifft ein Hurrikan eine Insel stark, so die Hypothese, dann sinkt der Nachtlichtwert in der Folgezeit.

Der Nachtlichtwert einer Insel kann innerhalb ihrer Ländergrenzen gemittelt werden, um für jede Insel eine Nachtlichtzeitreihe von April 2012 bis Dezember 2018 zu konstruieren. Für besonders katastrophale Stürme ist der Abfall der Nachtlichtintensität mit bloßem Auge erkennbar, wie beispielsweise auf den Britischen Jungferninseln vor und nach den Hurrikanen Irma und Maria (Abbildung 3).

Um die Datenlücke bei den Finanzströmen in Schattenfinanzplätzen zu füllen, greift der zweite Teil des Forschungsansatzes auf Informationen zu grenzüberschreitenden Transaktionen von Finanzinstituten zurück, die aus anderen Ländern berichtet werden. Gibt eine spanische Bank beispielsweise einer Bank auf den Bahamas – möglicherweise einer eigenen Tochterfirma – einen Kredit, so berichtet sie diese Forderung an die spanische Zentralbank. Diese wiederum sammelt diese Daten für alle in Spanien berichtspflichtigen Banken. Auf diese Weise ergibt sich eine Zeitreihe, die alle Positionen spanischer Banken gegenüber den Bahamas zeigt. Diese geht dann an die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Aggregiert man die Daten für alle berichtenden Zentralbanken, also etwa auch für die deutsche Bundesbank, die französische oder die englische Zentralbank, so entsteht eine Datenreihe von Ansprüchen gegenüber den Bahamas, ohne auf Daten dieser Insel angewiesen zu sein. Sie zeigt den Kreditkanal des internationalen Bankenwesens an die Bahamas und spiegelt so die Aktivitäten des lokalen Finanzsektors auf den Bahamas.

Untersuchungsergebnisse stützen Hypothese

Um die Auswirkungen von tropischen Wirbelstürmen zu untersuchen, wird eine sogenannte Event-Studie durchgeführt (Kasten 2). Die Hauptergebnisse werden in zwei Datensätzen gezeigt, einmal für Inseln, die als Offshore-Finanzplätze klassifiziert wurden und einmal für Inseln, die nicht als Offshore-Finanzplätze gelten.infoVon den 104 Inseln auf dem Planeten werden nur solche in das Sample aufgenommen, die (1) in Gegenden liegen, die von Hurrikanen getroffen werden können, (2) über raumbezogene Grenz­daten (bzw. einen offiziellen iso3-Code) verfügen, (3) keine festlandverbunden Teile ­haben, (4) die über eine Militärbasis hinaus bewohnt sind, (5) die kleiner oder gleich groß wie Kuba sind und (6) die nicht zu weit verteilten Inselgruppen gehören. Für weitere Details siehe Miethe (2020), a.a.O. Somit wurden 56 Insel(gruppen) ins Sample aufgenommen, davon werden 27 als Offshore-Finanzplätze klassifiziert (Anguilla, Antigua & Barbuda, Aruba, die Bahamas, Barbados, Bermuda, Britische Jungferninseln, Caymaninseln, Curaçao, Dominica, Grenada, Mauritius, Montserrat, Nauru, Niue, St. Kitts & Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Samoa, Seychelles, Sint Maarten, Tonga, Trinidad & Tobago, Turks- und Caicosunseln, Amerikanische Jungferninseln und Vanuatu) und 29 als Nicht-Offshore-Finanzplätze (Amerikanisch-Samoa, Caribbean Netherlands, Weihnachtsinseln, Kokosinseln, Komoren, Kuba, Dominikanische Republik, Fidschi, Guadeloupe, Guam, Haiti, Jamaika, Martinique, Mayotte, Neukaledonien, Norfolkinsel, Nördliche Marianen, Palau, Pitcairninseln, Puerto Rico, Réunion, St. Barthélemy, Saint Martin (französischer Teil), Salomonen, Sri Lanka, Taiwan, Tokelau, Tuvalu, Wallis und Futuna). Für weitere Details zur Klassifizierung von Offshore-Finanzplätzen vgl. Gravelle (2015), a.a.O. und Johannesen und Zucman (2014), a.a.O. Hierbei werden um das Datum eines bestimmten Sturmereignisses sowohl die Entwicklung der Nachtlichtdaten als auch die der Bankdaten beobachtet und mit der Kontrollgruppe verglichen.

Der vorliegende Bericht basiert auf einer Event-Studie mit gesammelten EndpunkteninfoKurt Schmidheiny und Sebastian Siegloch (2019): On event study designs and distributed-lag models: Equivalence, generalization and practical implication. CESifo Working Paper No. 7481.. So können Effekte gezeigt werden, obwohl Stürme unterschiedliche Inseln zu unterschiedlichen Zeitpunkten treffen. Alle Ergebnisse werden also in „Event-Zeit“ und nicht in Kalenderzeit gezeigt. So läuft der Effektzeitraum in allen Spezifikationen ab eineinhalb Jahren vor dem Sturm bis eineinhalb Jahre nach dem Sturm, unabhängig davon, in welchem Jahr der Sturm stattfand (für kalenderzeitspezifische Effekte wird allerdings auch kontrolliert). Die zugrundeliegenden Variablen sind die im Text beschriebene Nachtlichtintensität und die internationalen Bankforderungen. Die empirische Spezifikation erschließt sich wie folgt:

ihs(yit) = ∑t ȷˉ=j̱βjbitj + μi + θt + εit,

wobei ihs fuer die log äquivalente inverse hyperbolische Sinustransformation steht, bitj die Event-Studien Dummy-Variablen und die Endpunkte sammelt, μi eine inselspezifische Konstante darstellt, θt eine Zeitperiodenkonstante ist und εit für den Zufallsfehler steht. In den Nachtlichtdaten (Monatsfrequenz) läuft der Effektzeitraum von = −18 bis ȷ̄ = 18 und als Vergleichsmonat wird der Monat vor dem Sturm künstlich auf Null gesetzt um Unterschiede zwischen betroffenen und nicht betroffenen Inseln davor oder danach vergleichen zu können. In den Bankdaten (Quartalsfrequenz) läuft der Effektzeitraum von = −6 bis ȷ̄ = 6 und als Vergleichsquartal wird das Quartal des Sturms künstlich auf Null gesetzt. Die gesammelten Endpunkte vergleichen dann den Unterschied beider Gruppen vor und nach dem Effektfenster. Der letzte Zeitpunkt in beide Richtungen ist bereits Teil der gesammelten Endpunkte und daher nicht in den Abbildungen gezeigt.infoMit Ausnahme des langfristigen Effektes von Sturmereignissen auf Bankverbindlichkeiten gegenüber Nicht-Offshore-Inseln sind die Koeffizienten für alle gesammelten Endpunkte statistisch insignifikant und sehr nah an der Null. Dies spricht für eine sehr genaue Identifikation. Siehe Miethe (2020), a.a.O. Die Bänder um den Effekt zeigen jeweils die 95-Prozent-Konfidenzintervalle an. Diese basieren auf Standardfehlern, die robust für die Autokorrelation und Heteroskedastizität auf Inselebene sind.

Sturmereignisse führen zu lokalen Verwerfungen

Bei den Nachtlichtdaten zeigt sich, dass Inseln, die von einem Sturmereignis betroffen sind, bis zum Zeitpunkt des Sturms für wenigstens eineinhalb Jahre statistisch nicht von der Kontrollgruppe unterscheidbar sind. Erst in Folge des Sturms zeigt sich ein direkter und nachhaltiger Einbruch der Nachtlichtdaten, also eine deutliche Verschlechterung der lokalen Bedingungen auf den betroffenen Inseln. Es dauert etwa ein Dreivierteljahr, bis dieser Effekt wieder vollständig ausgeglichen ist (Abbildung 4).

Finanzaktivitäten auf Offshore-Finanzplätzen reagieren nicht auf Sturmereignisse

Sowohl für die Gruppe der Offshore-Finanzplätze als auch für die Gruppe der Nicht-Offshore-Finanzplätze sind deutliche und anhaltende Verwerfungen durch Sturmereignisse sichtbar. Bei den anhand der internationalen Bankforderungen gemessenen Aktivitäten im Finanzsektor hingegen ergibt sich ein gemischtes Bild. Hier ist für die Gruppe der Offshore-Finanzplätze für den gesamten beobachteten Zeitraum kein Effekt feststellbar. Die Koeffizienten sind statistisch insignifikant und nahe der Null. Für sich genommen könnte dies darauf hindeuten, dass die Finanzbranche in der Regel nicht von Sturmereignissen beeinträchtigt wird (Abbildung 5).

Die Reaktionen des Finanzsektors auf Inseln, die nicht als Offshore-Destinationen gelten, allerdings zeigen, dass dies keineswegs der Regelfall ist. Hier sind sofortige und starke Einbrüche in den Zahlungsströmen von internationalen Banken sichtbar. Nach einem Sturmereignis sinken Forderungen gegenüber betroffenen Inseln durchschnittlich um etwa ein Drittel ab. Im Gegensatz zur Entwicklung bei den Nachtlichtdaten baut sich dieser Effekt allmählich auf, da die hier genutzten Bankdaten keine Strom-, sondern Bestandsgrößen sind.

Untersuchung der Effektgröße bestätigt vorherige Ergebnisse

Für die vorliegende Event-Studie ist es schwierig, genaue Aussagen über die Veränderungen der Effektgröße zu treffen. Daher werden sowohl für die Nachtlichtdaten als auch für die Finanzaktivität Mittelwerte aus der Phase nach mit Mittelwerten aus der Phase vor dem Sturmereignis verglichen.

Ein Dreivierteljahr nach den Sturmereignissen ist sowohl in der Gruppe der Offshore-Finanzplätze als auch in der Vergleichsgruppe die Nachtlichtintensität knapp 20 Prozent niedriger ist als in dem Dreivierteljahr davor (Abbildung 6). Auf den ersten Blick wirken diese Effekte drastisch. Allerdings zeigen andere Studien zu Orkaneffekten in Küstenregionen und auf Inseln ähnlich große Effekte.infoVgl. Luisito Bertinelli und Eric Strobl (2013): Quantifying the local economic growth impact of hurricane strikes: An analysis from outer space for the Caribbean. Journal of Applied Meteorology and Climatology 52 (8), 1688–1697; Preeya Mohan und Eric Strobl (2017): The short-term economic impact of tropical cyclone Pam: An analysis using VIIRS nightlight satellite imagery. International Journal of Remote Sensing 38 (21), 5992–6006; Eric Strobl (2011): The economic growth impact of hurricanes: Evidence from US coastal counties. Review of Economics and Statistics 93 (2), 575–589 sowie Eric Strobl (2012): The economic growth impact of natural disasters in developing countries: Evidence from hurricane strikes in the Central American and Caribbean regions. Journal of Development Economics 97 (1), 130–141.

Die Größe des Effekts wurde auch für die Aktivitäten im Finanzsektor untersucht. Hierbei zeigt sich, dass ein Sturmereignis keinen anhaltenden Effekt auf die Finanzaktivitäten der Gruppe der Offshore-Finanzplätze hat. Nicht nur ist der Effekt, der die eineinhalb Jahre nach einem Sturmereignis mit den eineinhalb Jahren davor vergleicht, statistisch insignifikant, er ist auch fast gleich null. Somit liefert der Datensatz zu keinem Zeitpunkt Hinweise auf einen Effekt von Sturmereignissen auf die Aktivität des Finanzsektors auf Offshore-Finanzplätzen. Ein ganz anderes Bild ergibt sich für die Gruppe der Inseln, die nicht als Offshore-Finanzplätze klassifiziert wurden. Hier ist im selben Zeitraum ein deutlicher Einbruch der internationalen Finanzpositionen von 33 Prozent sichtbar. Hierbei hält sich der negative Effekt des Sturmereignisses sogar über den eigentlichen Testzeitraum hinaus: Auf lange Sicht ist immer noch ein Effekt von 17 Prozent sichtbar.infoSiehe Miethe (2020), a.a.O. Dies zeigt, dass von Stürmen getroffene Inseln zwar wieder etwas aufholen, aber innerhalb des Beobachtungszeitraums nicht mehr das vorherige Niveau erreichen.

Wie sind diese Effekte nun vereinbar? Anhand der Nachtlichtdaten zeigen sich deutliche, langanhaltende und gut identifizierte Effekte von Sturmereignissen auf kleinen Inseln in der Karibik sowie im Pazifischen und Indischen Ozeanen. Auf Inseln, die keine Offshore-Finanzplätze sind, werden die Sturmereignisse auch anhand der anschließenden Veränderungen im Aktivitätsniveau des lokalen Finanzsektors sichtbar. Allein in der Gruppe der Offshore-Finanzplätze reagiert der Finanzsektor überhaupt nicht auf diese Sturmereignisse.infoDie Ergebnisse sind insignifikant und alle zugehörigen Koeffizienten sind sehr niedrig und zeigen einen stabilen Nulleffekt über den gesamten Datenzeitraum. Sowohl die unveränderte Finanzaktivität in den Offshore-Finanzplätzen als auch die Einbrüche in der Vergleichsgruppe können mit einer anderen Methodik und anderen Daten – etwa mit Aktienpreisen von Finanzdienstleistern – bestätigt werden.infoFür Details siehe Miethe (2020), a.a.O.

Diese Nulleffekte sind nicht konsistent mit lokalen Finanzdienstleistungen, die die in Offshore-Finanzplätzen gebuchten Kapitalpositionen erklären könnten. Das Aufsetzen von Briefkastenfirmen, das Management von Offshore-Treuhandgesellschaften (sogenannten Trusts) oder die Organisation von Bankkonten erfordert Personal, das von Stromausfällen, Evakuierungen oder dem Zusammenbruch örtlicher Infrastruktur betroffen wäre, sollte es tatsächlich vor Ort arbeiten.

Fazit: Bisherige Regulierungsansätze sollten überdacht werden

Der in dieser Studie verwendete Forschungsansatz zeigt, dass Finanzdienstleistungen, die in den Statistiken kleiner, als Offshore-Finanzplätzen geltender Inseln in der Karibik sowie im Indischen und Pazifischen Ozean aufgeführt werden, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht dort erbracht werden. Dies zeigt sich daran, dass Sturmereignisse wie Hurrikan Irma sehr wohl für länger anhaltende Verwerfungen auf diesen Inseln sorgen, deren Finanzaktivitäten aber nicht davon beeinträchtigt werden. Auf Inseln, die nicht als Schattenfinanzplätze gelten, kommt es infolge solcher Sturmereignisse nicht nur zu allgemeinen Verwerfungen, sondern auch zu einer sinkenden Aktivität des Finanzsektors. Diese Erkenntnisse liefern empirische Evidenz zu den vorhandenen Indizien für Fernbuchungen auf Offshore-Finanzplätzen. Dennoch bedürfen die bilateralen Verbindungen zwischen Finanzzentren wie London, New York oder Tokio und Offshore-Finanzplätzen genauerer Erforschung.

Wenn sich die Ergebnisse dieser Studie in weiterer Forschung bestätigen, könnten die beeindruckenden Koordinierungsmaßnahmen der OECD bei der multilateralen Bekämpfung von Finanzkriminalität Gefahr laufen, einen unnötigen Umweg zu nehmen. Selbst wenn die jeweilige Behörde am Offshore-Finanzplatz gewillt ist, Daten an die anfragende Stelle zu übermitteln, so ist die wahrheitsgemäße Übermittelung von Daten seitens des Finanzdienstleisters von den Behörden auf der Insel weder überprüfbar noch durchsetzbar, da die Dienstleistung höchstwahrscheinlich nicht einmal in deren Hoheitsgebiet erbracht wurde. Vereinfacht gesagt versuchen beispielsweise deutsche SachbearbeiterInnen Informationen über ein Finanzkonstrukt – welches möglicherweise wenige Häuser weiter in Frankfurt konstruiert und betreut wird – mit Hilfe der Behörden einer kleinen Insel auf der anderen Seite des Globus zu bekommen.

Der Fall Wirecard steht exemplarisch für diese Problematik: Obwohl umfangreiche Informationen zu den Beteiligten und ihren Vergehen offengelegt wurden, scheitert die Aufklärung des Falls unter anderem am Versuch, die relevanten Finanzströme über Schattenfinanzplätze nachzuvollziehen. Dabei befinden sich die potentiellen TäterInnen, die mit der Wirtschaftsprüfung beauftragte Kanzlei sowie die Behörden, die den Fall aufklären sollen, eben nicht in Mauritius, wo einigen Berichten zufolge Kapital gebucht wurde, sondern in Deutschland.

Aus dieser Perspektive ist es erfolgversprechender, Regulierungsversuche direkt auf die internationale Finanzindustrie auszurichten, wie es beispielsweise von den USA gegenüber der Schweiz in der Vergangenheit erfolgreich forciert wurde. So stellte die Regierung der USA Schweizer Banken mehrfach vor die Wahl, entweder Daten über amerikanische Einleger weiterzugeben oder vom amerikanischen Kapitalmarkt ausgeschlossen zu werden. Auf diesen Druck hin schlossen die Schweiz und die USA Abkommen durch die Schweizer Banken vorher versteckte Positionen von amerikanischen Staatsbürgern an die USA berichten. Bisher haben 84 Banken dieses Programm genutzt.infoVgl. die Informationen auf der Website des amerikanischen Justizministeriums (abgerufen am 08. Oktober 2020) Der Erfolg dieses Vorgehens gibt durchaus Anlass, auch in Deutschland und der EU in diese Richtung zu denken.



JEL-Classification: H26;G15
Keywords: Offshore finance, international capital flows, natural disasters, tax havens
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-43-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226759

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