DIW Wochenbericht 45 / 2020, S. 841-847
Markus M. Grabka, Carsten Braband, Konstantin Göbler
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„Gerade in einer Rezession wie derzeit werden MinijobberInnen schnell vor die Tür gesetzt. Doch auch unabhängig davon ist eine Reform der Minijobs überfällig. Der Bereich der geringfügigen Beschäftigung ist in den vergangenen Jahren sehr groß geworden, und gleichzeitig hat sich oftmals die Hoffnung, Minijobs könnten eine Brücke in normale sozialversicherungspflichtige Jobs sein, nicht erfüllt.“ Markus M. Grabka
Die Corona-Krise hat für die geringfügig Beschäftigten in Deutschland deutliche Folgen: Um 850000 oder zwölf Prozent lag die Zahl der MinijoberInnen im Juni 2020 niedriger als ein Jahr zuvor. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist im Vergleich um lediglich 0,2 Prozent gesunken. Ein entscheidender Unterschied: MinijobberInnen haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Zudem haben viele geringfügig Beschäftigte nur einen befristeten oder gar keinen Arbeitsvertrag. Und schließlich sind von den Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vor allem Branchen mit einem hohen Anteil an Minijobs betroffen, beispielsweise das Gastgewerbe. All dies führt dazu, dass MinijobberInnen in der Krise vergleichsweise schnell ihre Beschäftigung verlieren. Unabhängig von der aktuellen Situation erscheint das Segment der geringfügigen Beschäftigung reformbedürftig. Die Zahl der MinijobberInnen ist in den Jahren 2003 bis 2019 um 43 Prozent auf 7,6 Millionen gestiegen, knapp 19 Prozent aller ArbeitnehmerInnen sind damit hierzulande geringfügig beschäftigt. Gleichzeitig hat sich die Hoffnung, dass Minijobs eine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein können, nicht erfüllt. Zudem bieten sie in gleichstellungspolitischer Hinsicht Fehlanreize. Mögliche Reformansätze wären die Absenkung der Geringfügigkeitsschwelle und die Abschaffung der Abgabenbefreiung bei reinen Nebentätigkeiten.
Die Corona-Pandemie und deren wirtschaftliche Folgen spiegeln sich deutlich auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland wider. Die Zahl der als arbeitslos registrierten Personen lag im August 2020 um etwas mehr als 600000 höher als im entsprechenden Vorjahresmonat. Dabei ist anzunehmen, dass ohne die Regelungen des Kurzarbeitergeldes der Anstieg sogar noch deutlich höher ausgefallen wäre.
Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Fokus auf die Gruppe der geringfügig Beschäftigten beziehungsweise MinijobberInnen zu lenken. Diese haben weder Anspruch auf Kurzarbeiter- noch auf Arbeitslosengeld und tauchen demnach nicht zwingenderweise in den offiziellen Arbeitslosenstatistiken auf. Die Studie basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP),Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird. Vgl. Jan Goebel et al. (2018): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239 (29), 345–360 (online verfügbar; abgerufen am 22. Oktober 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). das vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit Kantar erhoben wird. Ergänzend werden Informationen der Minijobzentrale und der Bundesagentur für Arbeit herangezogen.Vgl. Minijobzentrale: Berichte, Statistiken und Trendreporte (online verfügbar).
Grundsätzlich können zwei Formen von geringfügiger Beschäftigung unterschieden werden: Zum einen kurzfristige Beschäftigungen von längstens drei Monaten oder höchstens 70 Arbeitstagen im Kalenderjahr und zum anderen geringfügig entlohnte Beschäftigungen mit einem Monatsentgelt unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von aktuell 450 Euro. Bei letzteren Beschäftigungsverhältnissen spricht man auch von Minijobs.Geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, die in einem Privathaushalt ausgeübt und deren Tätigkeit gewöhnlich von einem Mitglied des Haushalts ausgeführt werden können, bilden eine Untergruppe der Minijobs. Im Fokus des folgenden Berichts steht die Gruppe der Beschäftigten in diesen Minijobs.Die Zahl der kurzfristig Beschäftigten belief sich im Dezember 2019 auf rund 176000. Aufgrund der geringen quantitativen Relevanz werden diese im Folgenden vernachlässigt. Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2020): Beschäftigte nach ausgewählten Merkmalen (Zeitreihe Quartalszahlen). Stichtag: 31. Dezember 2019. Der Begriff Minijob wird im Folgenden synonym für geringfügige Beschäftigung verwendet.
Die Besonderheit der Minijobs gegenüber sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen besteht darin, dass Minijobs steuer- und sozialversicherungsfrei für die ArbeitnehmerInnen sind, sofern sich die Beschäftigten von der seit 2013 geltenden Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Im Gegenzug zur Abgabenfreiheit auf Seiten der Beschäftigten entrichtet der Arbeitgeber für Minijobs im gewerblichen Bereich insgesamt bis zu 31,15 Prozent an Abgaben.Minijobzentrale: Abgaben für geringfügige Beschäftigung im Überblick (online verfügbar).
Die aktuell geltenden rechtlichen Regelungen für Minijobs basieren im Wesentlichen auf der Arbeitsmarktreform vom 1. April 2003 („Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“). Deren Zielsetzung war unter anderem, mittels Minijobs die damals hohe Erwerbslosigkeit zu reduzieren und geringqualifizierten Beschäftigten verbesserte Erwerbschancen zu ermöglichen. Kernpunkte der Reform bestanden darin, die bis dahin geltende Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 15 Stunden aufzuhebenDurch die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 ergibt sich implizit eine Höchstgrenze der Arbeitszeit. Mit dem aktuell geltenden Mindestlohn von 9,35 Euro bedeutet dies eine zulässige Arbeitszeit von bis zu 48,13 Stunden pro Monat. und außerdem die Sozialversicherungspflicht für Minijobs als Nebentätigkeit abzuschaffen. Darüber hinaus konnten Arbeitgeber in Privathaushalten fortan bis zu 20 Prozent der Kosten eines Minijobs steuerlich geltend machen, was deren Attraktivität deutlich erhöhte.
Die Zahl der geringfügig entlohnten Beschäftigten ist in den Jahren 2003 bis 2019 laut Bundesagentur für Arbeit – gemessen jeweils im Juni eines Jahres – von 5,3 Millionen auf knapp 7,6 Millionen gestiegen (Abbildung 1). Das entspricht einem Anstieg von 43 Prozent. Damit hatten im Jahr 2019 knapp 19 Prozent aller ArbeitnehmerInnen einen Minijob. Die Gruppe der geringfügig Beschäftigten kann dabei unterteilt werden in diejenigen, die ausschließlich einen Minijob ausüben, und diejenigen, die einen Minijob als Nebentätigkeit haben. Während sich die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten im Zeitraum von 2003 bis 2019 nur wenig verändert hat, gab es bei den in einer Nebentätigkeit geringfügig Beschäftigten einen starken Zuwachs.Vgl. dazu auch Marco Caliendo und Katharina Wrohlich (2010): Evaluating the German Minijob-Reform using a natural experiment. Applied Economics, Vol. 42/19, 2475–2489. Im Jahr 2019 waren 39 Prozent (oder rund drei Millionen) aller Minijobs eine geringfügige Beschäftigung in Nebentätigkeit. 2003 waren es erst 17 Prozent.
Zu beachten ist bei alldem, dass sich die hier präsentierten Angaben der Bundesagentur für Arbeit auf den Juni eines jeweiligen Jahres beziehen. Somit beschreiben sie eine Momentaufnahme. Da viele Minijobs nur kurzfristig angelegt sind, um zum Beispiel Nachfragespitzen eines Unternehmens abzufedern, wird die Zahl der insgesamt unterjährig beschäftigten MinijobberInnen unterschätzt. Zählt man alle MinijobberInnen eines Jahres zusammen, so ergibt sich dann auch eine weitaus höhere Zahl: Im Jahr 2018 beispielsweise wurden der Minijobzentrale von Seiten der Arbeitgeber insgesamt rund 13 Millionen geringfügig Beschäftigte gemeldet, gegenüber nur 6,9 Millionen zum Stichtag im Juni 2018. Damit ergibt sich eine Differenz von 6,1 Millionen Beschäftigten. Eine durchgehende und dauerhafte Beschäftigung in Form eines Minijobs scheint also nur bei einem kleinen Teil der Beschäftigten die Realität zu sein.Bei allen Beschäftigten ab 25 Jahren sind 45 Prozent seit mindestens zehn Jahren bei demselben Arbeitgeber tätig, vgl. Statistisches Bundesamt (2017): Pressemitteilung Nr. 144 vom 28. April 2017 (online verfügbar).
Im Folgenden werden die Charakteristika von geringfügig Beschäftigten im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf Grundlage der SOEP-Daten des Jahres 2018 verglichen (Tabelle 1). Die MinijobberInnen werden dabei in drei Gruppen unterteilt: Ausschließlich in einem Minijob tätige Beschäftigte, MinijobberInnen in einer Nebentätigkeit und MinijobberInnen im Ehrenamt. Letztere üben eine ehrenamtliche Tätigkeit aus und erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung, auf die keine Sozialabgaben erhoben werden.Bei MinijobberInnen für gemeinnützige Organisationen kann die Ehrenamtspauschale und die Übungsleiterpauschale kombiniert werden, womit Arbeitsentgelte von bis zu rund 617 Euro monatlich ohne Abzüge möglich sind. Die Zahl der MinijobberInnen insgesamt belief sich nach Angaben des SOEP im Jahr 2018 auf 6,4 Millionen, von denen 3,6 Millionen MinijobberInnen in einer Haupttätigkeit waren, 1,9 Millionen in einer Nebentätigkeit und rund 800000 in einem Ehrenamt.Nach Angaben der Minijobzentrale belief sich die Zahl der MinijobberInnen im März 2018 auf 6,6 Millionen und liegt damit auf einem vergleichbaren Niveau wie den Angaben des SOEP zufolge. Die Bundesagentur für Arbeit weist demgegenüber höhere Zahlen von MinijobberInnen aus, obwohl diese die gleiche Datengrundlage wie die Minijobzentrale verwendet. Der Unterschied erklärt sich aus Zuschätzungen der Bundesagentur für Arbeit und nachträglichen Meldungen von MinijobberInnen durch ArbeitgeberInnen.
Anteile in Prozent (soweit nicht anders angegeben)
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte | Minijobs insgesamt | Minijob als Haupttätigkeit | Minijob in Nebentätigkeit | Ehrenamtliche Tätigkeit als Minijob | |
---|---|---|---|---|---|
Region | |||||
Westdeutschland | 80 | 85 | 85 | 87 | 81 |
Ostdeutschland | 20 | 15 | 15 | 13 | 19 |
Geschlecht | |||||
männlich | 54 | 40 | 35 | 43 | 53 |
weiblich | 46 | 60 | 65 | 57 | 47 |
Alter | |||||
unter 25 Jahren | 6 | 19 | 23 | 14 | 16 |
25 bis 29 Jahre | 10 | 9 | 9 | 7 | 10 |
30 bis 54 Jahre | 63 | 40 | 32 | 53 | 49 |
55 bis 64 Jahre | 20 | 18 | 17 | 18 | 19 |
65 Jahre und älter | 1 | 14 | 19 | 8 | 6 |
erforderliche Qualifikation (Haupttätigkeit) | |||||
keine | 20 | 54 | 73 | 30 | – |
Berufsausbildung | 54 | 37 | 25 | 57 | – |
Hochschulabschluss | 27 | 9 | 3 | 14 | – |
Haushaltsnettoeinkommen (pro Monat) | |||||
Niedrig (bis 1300 Euro) | 6 | 20 | 26 | 13 | 9 |
Mittel (1300 bis 2000 Euro) | 31 | 33 | 34 | 33 | 27 |
Höher (2 000bis 2800 Euro) | 25 | 21 | 19 | 23 | 24 |
Hoch (über 2800 Euro) | 38 | 27 | 21 | 31 | 41 |
Branche (Haupttätigkeit) | |||||
Herstellendes Gewerbe | 25 | 13 | 8 | 20 | – |
Groß-/Einzelhandel, Gastgewerbe und Transport | 20 | 24 | 29 | 22 | – |
Unternehmensbezogene Dienstleistungen | 10 | 13 | 15 | 10 | – |
Öffentliche Verwaltung | 9 | 3 | 0 | 7 | – |
Bildung, Gesundheit, Sozialarbeit | 23 | 29 | 30 | 25 | – |
Gemeinde und Haushaltsnahe Dienstleistungen | 4 | 9 | 12 | 8 | – |
Sonstige | 9 | 8 | 7 | 8 | – |
Bruttoeinkommen | |||||
in Haupttätigkeit in Euro | 3142 | 1017 | 332 | 1733 | 2355 |
Beschäftigte in Millionen | 32,6 | 6,4 | 3,6 | 1,9 | 0,8 |
Anmerkung: Angaben zur erforderlichen Qualifikation und der Aufteilung der Beschäftigten auf die Branchen sind für MinijobberInnen in einem Ehrenamt nicht verfügbar.
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v.35); eigene Berechnungen.
MinijobberInnen leben im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten etwas häufiger in Westdeutschland und sind deutlich häufiger weiblich: Zwei Drittel aller Minijobs in Haupttätigkeit werden von Frauen ausgeübt. Überdurchschnittlich viele MinijobberInnen sind jünger als 25 Jahre oder älter als 65 Jahre. In diesen Altersgruppen ist ein Minijob häufig die einzige Beschäftigung. Die quantitativ bedeutendste Altersgruppe sind jedoch die 30- bis 54-Jährigen, die einen Minijob meist als Nebentätigkeit ausüben. Das erforderliche Ausbildungsniveau zur Ausübung eines Minijobs ist gering: Knapp drei Viertel der MinijobberInnen in Haupttätigkeit geben an, dass ihre Tätigkeit keine besondere berufliche Qualifikation erfordert. Bei einem Fünftel der MinijobberInnen liegt das Haushaltsnettoeinkommen unterhalb von 1300 Euro pro Monat. Unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten trifft dies nur auf sechs Prozent zu. Immerhin ein Drittel aller MinijobberInnen in Nebentätigkeit haben ein Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 2800 Euro pro Monat. Auffallend ist zudem der hohe Anteil (41 Prozent) von MinijobberInnen im Ehrenamt mit einem Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 2800 Euro pro Monat – ein Hinweis darauf, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit üblicherweise erst dann ausgeübt wird, wenn eine ausreichende finanzielle Basis vorhanden ist.Petra Böhnke und Dietmar Dathe (2010): Rückzug der Armen: der Umfang freiwilligen Engagements hängt von der materiellen Lage ab – und von Bildung. WZB-Mitteilungen, 128, 14–17.
Mit Blick auf die Branchen ist erkennbar, dass MinijobberInnen in Haupttätigkeit überdurchschnittlich oft im Groß- und Einzelhandel, im Gastgewerbe, im Transportsektor sowie im Bereich Bildung, Gesundheit, Sozialarbeit tätig sind. Wird der Minijob als Nebentätigkeit ausgeübt, kommt noch das produzierende Gewerbe als relevante Branche hinzu. Der Bruttolohn aus einer Haupttätigkeit ist erwartungsgemäß in der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit durchschnittlich knapp 3150 Euro pro Monat am höchsten, gefolgt von gut 2350 Euro Bruttolohn für die Haupttätigkeit bei MinijobberInnen im Ehrenamt und etwas mehr als 1700 Euro bei MinijobberInnen in einer Nebentätigkeit. Wird ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen, so beläuft sich der Lohn im Schnitt auf gut 330 Euro.
Mit der Arbeitsmarktreform im Jahr 2003 zur Stärkung der Attraktivität von Minijobs ging die Sorge einher, dass sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen durch jeweils mehrere Minijobs ersetzt werden könnten. Um diesen potentiellen Substitutionsprozess zu beschreiben, bietet es sich an, die Zahl der eingesetzten MinijobberInnen je ArbeitgeberIn zu analysieren. Denn wenn viele ArbeitgeberInnen nur einen Minijob anbieten, dürfte es kaum zu einem solchen Verdrängungsprozess gekommen sein.
Nach Angaben der Minijobzentrale waren zum Stichtag 30. September 2019 nur zwölf Prozent aller MinijobberInnen im gewerblichen Bereich die einzige Person mit einem Minijob bei ihrem jeweiligen Arbeitgeber beziehungsweise ihrer Arbeitgeberin (Abbildung 2). 41 Prozent aller MinijobberInnen gehen ihrer Tätigkeit bei einem Arbeitgeber beziehungsweise einer Arbeitgeberin nach, der oder die insgesamt mindestens elf Minijobs gleichzeitig angemeldet hat. 61 Prozent haben ArbeitgeberInnen, die fünf oder mehr MinijobberInnen gleichzeitig beschäftigten. Dies deutet auf ein gewisses Potential hin, dass mehrere Minijobs zumindest teilweise in sozialversicherungspflichtige Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung umgewandelt werden können.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind je nach Beschäftigungsgruppe sehr unterschiedlich. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von Juni 2019 bis Juni 2020 gerade einmal um 0,2 Prozent oder rund 63000 Personen gesunken (Abbildung 3). Anders verhält es sich mit den MinijobberInnen: Während im Juni 2019 nach Angaben der Minijobzentrale noch sieben Millionen MinijobberInnen tätig waren, ist deren Zahl innerhalb eines Jahres um rund 850000 Beschäftigte oder zwölf Prozent geschrumpft. Unter Frauen war der Rückgang dabei mit gut 13 Prozent etwas stärker als unter Männern mit gut elf Prozent.Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fällt dieser Rückgang im gleichen Zeitraum mit 481000 MinijobberInnen oder einem Minus von 6,3 Prozent etwas geringer aus. Aktuelle Zahlen über Selbständige liegen noch nicht vor. Im Frühjahr 2020 berichteten aber mehr als die Hälfte aller Selbständigen, dass sie Einkommensverluste erlitten hätten. Es bleibt abzuwarten, wie viele Insolvenzen sich daraus mittelfristig ergeben werden. Vgl. Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbständige. DIW aktuell Nr. 47 (online verfügbar). Der deutliche Rückgang der Minijobs insgesamt dürfte vermutlich auch darauf zurückzuführen sein, dass 43 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten im Jahr 2018 angaben, nur einen befristeten oder gar keinen Arbeitsvertrag zu haben. In einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation wie während oder nach dem coronabedingten Lockdown können diese ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsplatz daher schnell verlieren. Ein weiterer Grund für den starken Rückgang der Zahl der MinijobberInnen liegt auch darin, dass diese keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld habenObwohl Minijobs arbeitsrechtlich als Teilzeittätigkeit zählen, ist Kurzarbeit eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung, von der geringfügig Beschäftigte ausgenommen sind. und somit schneller erwerbslos werden. Hinzu kommt in der derzeitigen Situation noch, dass stark von Minijobs geprägte Branchen besonders von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen betroffen waren und sind. So ist die Zahl der MinijobberInnen insbesondere im Gastgewerbe mit einem Minus von 326000 Personen (etwa 36 Prozent) und im Bereich der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen wie der Veranstaltungsorganisation mit einem Minus von 96000 Personen deutlich gesunken.Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (2020): Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Minijobs. 2. Quartalsbericht 2020 (online verfügbar).
Im Folgenden werden die Personen, die laut SOEP im Jahr 2019 einen Minijob hatten und im Frühjahr 2020 angaben, aktuell keine Erwerbstätigkeit mehr auszuüben, nach ihrer Zugehörigkeit zu zentralen soziodemografischen Gruppen beschrieben.Die Nichterwerbstätigkeit wird dabei mittels der international verwendeten ILO-Frage bestimmt, wobei gefragt wird, ob eine Person in den vergangenen sieben Tagen irgendeiner bezahlten Tätigkeit nachgegangen ist. Bei unregelmäßig beschäftigten MinijobberInnen kann dies zu einer Überschätzung der Nichterwerbstätigkeit führen. Mit dieser Vorgehensweise wird also der Abgang aus Minijobs gemessen, während Neuzugänge außen vor bleiben.
Danach gaben 45 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten des Jahres 2019 an, im Frühjahr 2020 keiner bezahlten Tätigkeit nachgegangen zu sein (Tabelle 2). Bei den MinijobberInnen in Nebentätigkeit ist dieser Anteil mit 18 Prozent deutlich geringer. Vergleicht man diese Werte mit einem Zeitraum ohne Rezession wie den Jahren 2017 und 2018, so gaben 24 Prozent der im Jahr 2017 ausschließlich und 16 Prozent der in einer Nebentätigkeit beschäftigten MinijobberInnen ein Jahr später (also 2018) an, keiner bezahlten Tätigkeit mehr nachzugehen. Dies bedeutet einerseits, dass es generell eine hohe Mobilität bei Minijobs gibt, und andererseits, dass durch die coronabedingte Rezession MinijobberInnen weitaus häufiger ihre Beschäftigung aufgeben mussten – auch aufgrund des fehlenden Anspruchs auf Kurzarbeitergeld.
Anteile in Prozent
Ausschliesslich geringfügig Beschäftigtigte 2019 | In Nebentätigkeit geringfügig Beschäftigte 2019 | |
---|---|---|
Insgesamt | 45 | 18 |
Haushaltsnettoeinkommen 2019 | ||
untere Schicht (weniger als 70 Prozent des Medians) | 42 | 37 |
mittlere Schicht (70 bis 150 Prozent des Medians) | 49 | 10 |
obere Schicht (ab 150 Prozent des Medians) | 48 | 23 |
Alter | ||
18 bis 29 Jahre | 46 | 12 |
30 bis 49 Jahre | 28 | 6 |
50 bis 64 Jahre | 39 | 16 |
65 Jahre und älter | 66 | 93 |
Geschlecht | ||
männlich | 44 | 18 |
weiblich | 47 | 18 |
Region | ||
Westdeutschland | 46 | 15 |
Ostdeutschland | 44 | – |
Haushaltstyp 2019 | ||
Einpersonenhaushalt | 39 | 28 |
(Ehe-)Paar ohne Kinder | 62 | 17 |
Alleinerziehende | 50 | 12 |
(Ehe-)Paar mit Kindern | 33 | 11 |
Sonstige | 17 | 7 |
Bildungsniveau | ||
Hauptschule, kein Abschluss, noch kein Abschluss | 57 | 15 |
Mittlere Reife | 36 | 21 |
(Fach-)Abitur | 39 | 22 |
(Fach-)Hochschulabschluss | 41 | 18 |
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v.35 , SOEP-Daten des Jahres 2019 und SOEP-CoV); eigene Berechnungen.
Der deutlich höhere Anteil von ausschließlich im Vergleich zu in Nebentätigkeit geringfügig Beschäftigten, die aktuell keiner bezahlten Tätigkeit mehr nachgehen, erklärt sich daraus, dass bei MinijobberInnen in Nebentätigkeit die Haupttätigkeit weiterhin fortbestehen kann. Erst wenn beide Beschäftigungsverhältnisse beendet werden, kann von einem Übergang in die Nichterwerbstätigkeit, also in der Regel in die Arbeitslosigkeit, gesprochen werden.
Besonders häufig (37 Prozent) war dieser Übergang zuletzt bei MinijobberInnen in einer Nebentätigkeit aus der unteren Haushaltseinkommensgruppe zu beobachten. Von 2017 auf 2018 war diese Übergangsrate mit 32 Prozent allerdings ebenfalls relativ hoch. Bei ausschließlich geringfügig Beschäftigten verteilt sich der Übergang in die Nichterwerbstätigkeit dagegen gleichmäßiger über die drei Einkommensschichten.
Nach Altersgruppen unterteilt sind bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten zum einen junge Erwachsene (18 bis 29 Jahre), aber auch Personen ab 65 Jahren überdurchschnittlich oft vom Wegfall ihres Minijobs im Frühjahr 2020 betroffen gewesen. Bei MinijobberInnen in einer Nebentätigkeit trifft dies besonders auf die Altersgruppe ab 65 Jahren zu. Bei den älteren Personen ist dies zum Teil aber erwartungsgemäß, da einige von ihnen in den Ruhestand eintreten. Andererseits hat die Analyse zum Bestand von MinijobberInnen (Tabelle 1) gezeigt, dass eine ausschließlich geringfügige Beschäftigung gerade in höherem Alter vermehrt ausgeübt wird. Der hohe Abgang in die Nichterwerbstätigkeit dürfte damit auch ein Ergebnis der coronabedingten Rezession sein.
Geschlechts- oder regionsspezifische Unterschiede im Hinblick auf Abgänge aus Minijobs finden sich kaum, die jeweiligen Gruppen sind also in vergleichbarem Ausmaß von Übergängen in die Nichterwerbstätigkeit betroffen. Anders verhält es sich mit dem Haushaltstyp: So schieden von den ausschließlich geringfügig Beschäftigten insbesondere aus Paarhaushalten und alleinerziehenden Haushalten überdurchschnittlich viele Personen aus ihrem Minijob aus. Bei den MinijobberInnen in Nebentätigkeit sind dagegen Einpersonenhaushalte überdurchschnittlich oft betroffen. Mit Blick auf das Bildungsniveau zeigt sich, dass ausschließlich geringfügig Beschäftigte mit einem geringen Bildungsniveau besonders oft in die Nichterwerbstätigkeit wechselten.
Die coronabedingte Rezession hat auf dem deutschen Arbeitsmarkt deutliche Spuren im Bereich der geringfügigen Beschäftigung hinterlassen. Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Juni 2019 bis Juni 2020 nur um 0,2 Prozent und damit kaum gesunken ist, brach die Zahl der MinijobberInnen im selben Zeitraum um zwölf Prozent ein. MinijobberInnen können somit durchaus als VerliererInnen der aktuellen wirtschaftlichen Rezession bezeichnet werden.Daneben sind auch Selbständige mit niedrigen und mittleren Einkommen aufzuführen, da es nach Angaben des SOEP bei diesen Beschäftigungsgruppen im nennenswerten Umfang zur Aufgabe oder dem Ruhenlassen der ausgeübten Tätigkeit gekommen ist. Einer der Gründe, warum sie so stark betroffen sind, ist der fehlende Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Ein anderer Grund ist, dass viele MinijobberInnen nur einen befristeten oder gar keinen Arbeitsvertrag haben. Beides führt dazu, dass sie in der Krise vergleichsweise schnell ihren Job verlieren, zumal Branchen mit einem hohen Anteil an Minijobs – wie das Gastgewerbe – von den coronabedingten Einschränkungen besonders stark betroffen sind. Dies verdeutlicht die generelle Problematik von Minijobs, die zwar formal anderen ArbeitnehmerInnen gleichgestellt sind, in der Praxis aber verschiedene Nachteile erfahren. So berichtet beispielsweise jede dritte Person mit einem Minijob, keinen bezahlten Urlaub zu erhalten. Mit 46 Prozent bekommt fast die Hälfte aller MinijobberInnen eigenen Angaben zufolge im Krankheitsfall keinen Lohn.Jens Stegmaier et al. (2015): Bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: In der Praxis besteht Nachholbedarf bei Minijobbern. IAB Kurzbericht Nr. 18/2015. Zudem ist zu beachten, dass MinijobberInnen, anders als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, aufgrund der Sozialabgabenbefreiung eher Zugeständnisse bei der Entlohnung machen, wodurch zusätzliche Kostenvorteile für ArbeitgeberInnen entstehen.Ulrich Walwei (2018): Raus aus der Minijob-Falle! Sieben Ansatzpunkte für Reformen. IAB-Forum (online verfügbar). Dies spiegelt sich auch darin wider, dass drei Viertel aller MinijobberInnen einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle erhaltenMarkus M. Grabka und Konstantin Göbler (2020): Der Niedriglohnsektor in Deutschland. Falle oder Sprungbrett für Beschäftigte? Bertelsmann Stiftung (online verfügbar). oder sogar unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden.Patrick Burauel et al. (2020): The Impact of the German Minimum Wage on Individual Wages and Monthly Earnings. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 240 (2–3), 201–231. Letztlich zeigt sich auch, dass Minijobs selten eine Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sindVgl. Walwei (2018), a.a.O.; folglich sind die Beschäftigten in der mittleren Frist nicht selten von Altersarmut bedroht. Insgesamt stellt sich damit auch die Frage, warum Minijobs durch die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben überhaupt den Status einer privilegierten Beschäftigungsform haben.
Dementsprechend spricht sich die Kommission zum ersten Gleichstellungsbericht „mit Nachdruck“ für die Abschaffung der Subventionierung von Minijobs aus. Und weiter: „Für Unternehmen und Beschäftigte werden Fehlanreize gesetzt, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in wenig zukunftsträchtige Minijobs aufzuteilen.“Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2011): Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Erster Gleichstellungsbericht. Bundestags-Drucksache 17/6240, 155 (online verfügbar). Hinzu kommt, dass die Minijob-Regelungen in Kombination mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung für EhepartnerInnen sehr starke Anreize für verheiratete Frauen setzen, keine Beschäftigung oberhalb der Minijobgrenze aufzunehmen.Holger Bonin et al. (2013): Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen. DIW Wochenbericht Nr. 40, 11 (online verfügbar).
Aktuelle politische Empfehlungen zu den Minijobs weisen aber in die falsche Richtung.So fordern der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und der Wirtschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Andreas Pinkwart, eine Anhebung der Geringfügigkeitsschwelle von 450 auf 530 Euro pro Monat, vgl. Aachener Zeitung (2020): Minijobs im Fokus: NRW startet Initiative zur Förderung der Wirtschaft. 6. Oktober 2020 (online verfügbar). Im Interesse der betroffenen ArbeitnehmerInnen sollten daher Anreize geschaffen werden, Minijobs in sozialversicherungspflichtige und somit sozialrechtlich besser abgesicherte Jobs umzuwandeln, da MinijobberInnen in der coronabedingten Rezession gegenüber sozialversicherungspflichtig Beschäftigten benachteiligt sind. Dafür sind mehrere Maßnahmen denkbar: So könnte die Minijobschwelle auf einen Betrag von beispielsweise 300 Euro pro Monat abgesenkt werden und damit den Unternehmen immer noch ein gewisses Maß an Flexibilität zum Abarbeiten von Auftragsspitzen erlauben oder klassische Nebentätigkeiten wie die Zeitungszustellung gewährleisten.Zu beachten ist aber, dass es Sonderregelungen für ehrenamtlich ausgeübte Tätigkeiten brauchen würde. Außerdem sollte die Sozialabgabenpflicht für Minijobs, die als Nebentätigkeit ausgeübt werden, wieder eingeführt werden. Denn von diesem Privileg profitieren in nicht unerheblichem Ausmaß auch höhere Einkommensgruppen, die darauf aber gar nicht angewiesen sind.Zu Reformoptionen für spezifische Subgruppen vgl. Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf (2016): Gleichstellung marginaler Beschäftigung. Vorschlag zur Reform der Minijobs. Expertise für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Problematisch ist hierbei auch, dass sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die Überstunden leisten, höher mit Steuern und Abgaben belastet werden als ArbeitnehmerInnen, die die zusätzliche Arbeitszeit in Form eines Minijobs in Nebentätigkeit abgabenfrei ausüben.
Themen: Gesundheit, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J21;J28;J38
Keywords: marginal employment, Covid, jobless, SOEP, SOEP-CoV
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-45-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226765