DIW Wochenbericht 47 / 2020, S. 853-860
Mathias Huebener, C. Katharina Spieß, Sabine Zinn
get_appDownload (PDF 319 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.96 MB)
„Wenn wir alle Schulen auf ein ähnliches digitales Niveau heben wollen, muss zügig gehandelt werden. Unterschiede im Zugang zu Lernmaterial können problematisch sein. Dass beispielsweise GymnasiastInnen im und nach dem Lockdown häufiger Videokonferenzen hatten als andere SekundarschülerInnen, ist pädagogisch nicht unbedingt sinnvoll. So können sich Bildungsungleichheiten verstärken.“ C. Katharina Spieß
Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Schulschließungen im Frühjahr 2020 haben LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Dieser Bericht geht auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-CoV) der Frage nach, wie den SchülerInnen während des ersten Lockdowns und in der unmittelbaren Zeit danach Lernmaterial bereitgestellt wurde. Die Ergebnisse zeigen teils deutliche Unterschiede im Zugang zu Lernmaterial nach der Schulart (Gymnasium und andere Sekundarschulen), der Schulträgerschaft sowie nach Ganztags- und Halbtagsangeboten. Beispielsweise erhielten GymnasiastInnen sowohl während des Lockdowns als auch direkt danach sehr viel häufiger als andere SekundarschülerInnen ihr Lernmaterial über Videokonferenzen. Auch bei PrivatschülerInnen war das während des Lockdowns im Vergleich zu SchülerInnen an öffentlichen Schulen der Fall, zudem konnten sie nach dem Lockdown häufiger wieder regulär die Schule besuchen. Solche Unterschiede sind pädagogisch wohl vielfach unbegründet und sollten daher – auch mit Blick auf mögliche erneute Schul(teil)schließungen im Laufe der Corona-Pandemie – abgebaut werden, um ohnehin schon vorhandene Bildungsungleichheiten nicht weiter zu verstärken.
Der zuletzt deutliche Anstieg der Corona-Infektionszahlen in Deutschland hat die Debatte über (teilweise) Schulschließungen wieder entfacht. Der Ende Oktober beschlossene neuerliche Teil-Lockdown beinhaltet zwar nicht, dass Schulen wie im Frühjahr flächendeckend geschlossen werden. Einzelne Regionen (wie das Berchtesgadener Land) waren und sind aber dennoch von Schließungen aller Schulen betroffen, andernorts sind es einzelne Klassenstufen oder Schulen, die entweder keinen Präsenzunterricht erhalten oder in Hybridmodellen (also beispielsweise nur tagesweise) unterrichtet werden. Eine besondere Herausforderung in diesem Zusammenhang ist, dass bereits existierende Bildungsungleichheiten nicht noch weiter verstärkt werden. Bei eingeschränktem Schulbetrieb sind SchülerInnen (noch) stärker auf die Bedingungen in ihrem familiären Umfeld angewiesen. Darüber hinaus zeigen sich zwischen leistungsstärkeren und leistungsschwächeren SchülerInnen teils erhebliche Unterschiede in der schulischen Motivation, der häuslichen Lernumgebung und den Unterstützungsmöglichkeiten durch die Eltern.Vgl. zum Beispiel Mathias Huebener und Laura Schmitz (2020): Corona-Schulschließungen: Verlieren leistungsschwächere SchülerInnen den Anschluss? DIW aktuell Nr. 30 (online verfügbar; abgerufen am 10. November 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Hans Dietrich, Alexander Patzina und Adrian Lerche (2020): Social inequality in the homeschooling efforts of German high school students during a school closing period. European Societies (online verfügbar); Elisabeth Grewenig et al. (2020): COVID-19 and Educational Inequality: How School Closures Affect Low- and High-Achieving Students. CES ifo Discussion Paper Nr. 8648 (online verfügbar); sowie Maximilian Bach et al. (2020): Rethinking Schooling. ZEW Expert Brief 20-13 (online verfügbar). Insofern wird immer wieder darauf hingewiesen und empfohlen, in der Pandemie ein besonderes Augenmerk auf leistungsschwächere SchülerInnen und solche zu legen, deren familiäres Umfeld weniger Unterstützung bieten kann.
Weniger thematisiert wurden bisher weitere potentielle Ungleichheiten, die auf verschiedene Schultypen und andere Merkmale der Schulen zurückgehen. Dieser Wochenbericht richtet den Fokus genau darauf: Wie haben Schulen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und in der unmittelbaren Zeit danach den Zugang zu Lernmaterial gewährleistet? Und welche Unterschiede gab es, etwa zwischen Gymnasien auf der einen Seite und Real-, Haupt- und Gesamtschulen auf der anderen Seite oder zwischen privaten und öffentlichen Schulen?
Der Zugang zu Lernmaterialien ist notwendig, um Lernen überhaupt zu ermöglichen. Der tatsächliche Lernerfolg während des Lockdowns lässt sich jedoch viel schwieriger und vielfach erst mittelfristig erfassen. Er hängt auch mit der tatsächlichen Verarbeitung des Lernstoffs, der Möglichkeit zum Aufholen und vielen weiteren Faktoren zusammen. Da sich diese Faktoren aber durchaus gegenseitig bedingen, stellt eine Beschreibung der unterschiedlichen Zugangswege zu Lernmaterial einen ersten Indikator dafür dar, wie Lernen in dieser Zeit möglich war.Dabei ist davon auszugehen, dass die Wirkung unterschiedlicher Zugangswege zu Lernmaterial auch substantiell danach variiert, wie groß die mögliche Interaktion zwischen SchülerInnen und LehrerInnen war, und welches Feedback zu Lernleistungen der SchülerInnen tatsächlich erfolgte.
Erkenntnisse über Zugangswege zu Lernmaterial sind auch wichtig, um systematische Nachholbedarfe bei der digitalen Ausstattung bestimmter Schultypen zu identifizieren, damit unter anderem die Mittel des Digitalpakts SchuleVgl. zum Beispiel Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020): Digitalpakt Schule – Das sollten Sie jetzt wissen (online verfügbar). allen Schulen und damit auch allen SchülerInnen zu Gute kommen.
Erste empirische Analysen geben bereits Hinweise, wie SchülerInnen und Lehrkräfte die Schulschließungen im Frühjahr erlebt haben. Dazu gehören auch Befragungen von Eltern zu den Aktivitäten von Schulen während des Lockdowns. Eine retrospektive Befragung vom Juni dieses Jahres ergab beispielweise, dass die Möglichkeiten des Online-Unterrichts während des Lockdowns vergleichsweise selten genutzt wurden. So gab es bei etwa 45 Prozent der SchülerInnen während der Schulschließungen nie gemeinsamen Unterricht für die ganze Klasse, etwa per Videokonferenz. Häufiger wurden Lernvideos und Lernsoftware eingesetzt.Etwas mehr als die Hälfte der Eltern berichteten, dass ihr jüngstes Kind mehrmals pro Woche bereitgestellte Lernvideos anschauen oder Texte lesen sollte, vgl. Ludger Wößmann et al. (2020): Bildung in der Coronakrise: Wie haben die Schulkinder die Zeit der Schulschließungen verbracht, und welche Bildungsmaßnahmen befürworten die Deutschen? ifo Schnelldienst, 73(9), 01–17 (online verfügbar). Am häufigsten wurde Lernmaterial während der Schulschließungen in Form von Aufgabenblättern bereitgestellt. Fast alle SchülerInnen sollten zumindest einmal pro Woche bereitgestellte Aufgaben bearbeiten.Eine Elternbefragung der Universität Landau, bei der insgesamt 4230 Eltern teilgenommen haben, erfasste auch die Form, über die Lerninhalte zur Verfügung gestellt wurden, vgl. Anja Wildemann und Ingmar Hosenfeld (2020): Bundesweite Elternbefragung zu Homeschooling während der Covid 19-Pandemie (online verfügbar). Eine andere bundesweite Elternbefragung zum Home-Schooling ergab, dass Lehrkräfte vor allem durch E-Mail-Kontakt beim Lernen unterstützten. Außerdem werden Materialien zum Download, Internetseiten, Youtube-Videos und Ähnliches zur Verfügung gestellt. Auch herkömmliche Wege, wie Telefonate und postalisch zugstellte Materialien, spielen eine Rolle, treten aber hinter die digitalen Formen zurück. Vgl. Vodafone Stiftung Deutschland (2020): Unter Druck. Die Situation von Eltern und ihren schulpflichtigen Kindern während der Schulschließungen (online verfügbar). Dabei gab es jedoch deutliche Unterschiede zwischen Kindern von Akademiker- und Nicht-Akademikereltern, wobei letztere signifikant weniger per Videokonferenz unterrichtet wurden als Kinder von Akademikereltern. Unterschiede gab es auch zwischen leistungsschwächeren und leistungsstärkeren SchülerInnen, wenngleich diese nicht so deutlich waren.
Andere Studien legen nahe, dass diese Differenzen während des Lockdowns auch auf unterschiedliche Schularten zurückgehen. Eine Umfrage vom April dieses Jahres zeigt, dass Gymnasien häufiger digitale Lernangebote unterbreitet haben als andere weiterführende Schulen. So erhielt ein gutes Viertel der GymnasiastInnen mehrmals die Woche oder sogar täglich Unterricht über Videotools. An anderen weiterführenden Schulen traf dies auf weniger SchülerInnen zu. Auch die Angebote über eine Lernplattform erhielten eher SchülerInnen an Gymnasien.Die Erhebung wurde in einem Zeitraum durchgeführt, der in 14 Bundesländern ganz oder teilweise in die Osterferien fiel. Insgesamt nahmen 1067 Eltern an der Studie teil, vgl. Vodafone Stiftung Deutschland (2020), a.a.O.
Diese Befunde spiegeln sich auch in Befragungen von Lehrkräften wider. Demnach stellten während der Schulschließungen vor allem LehrerInnen an Gymnasien (83 Prozent) Lernangebote für ganze Klassen bereit. Mit 78 Prozent war dieser Anteil unter Grundschullehrkräften am geringsten.Dies berichten 93 Prozent der Lehrkräfte an Gymnasien, während an nichtgymnasialen allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I der Anteil mit fast 84 Prozent niedriger liegt. Bei Grundschullehrkräften geben etwa nur 78 Prozent an, dass an ihrer Schule (nahezu) allen SchülerInnen Lernmaterialien zur Verfügung gestellt wurden, vgl. Birgit Eickelmann und Kerstin Drossel (2020): Schule auf Distanz. Perspektiven und Empfehlungen für den neuen Schulalltag. Eine repräsentative Befragung von Lehrkräften in Deutschland. Vodafone Stiftung (online verfügbar). Die meisten LehrerInnen, die Lernangebote zur Verfügung stellten, taten dies per E-Mail. Deutlich seltener wurden Lernplattformen oder Clouds genutzt. Eine Differenzierung nach Schularten zeigt, dass vor allem Lehrkräfte an den nichtgymnasialen Sekundarschulen bei der Erstellung von Lernangeboten und im Umgang mit der Technik Probleme hatten beziehungsweise dies als belastend empfanden.Vgl. Eickelmann und Drossel (2020), a.a.O.
Welche Zugangswege zu Lernmaterialien für den Lernerfolg von SchülerInnen am besten geeignet sind, kann pauschal nicht beantwortet werden. Klar erscheint, dass digitale Lernangebote kommunikative Lehr- und Lernprozesse im Präsenzunterricht nicht vollständig ersetzen können – gleichwohl können sie diese unterstützen.Neue Befunde aus anderen Kontexten (Italien und Frankreich) deuten darauf hin, dass interaktivere Lernformate beim Home-Schooling die negativen Auswirkungen des Corona-Lockdowns auf den Lernerfolg abgemildert haben, vgl. beispielsweise Hugues Champeaux et al. (2020): Learning at Home: Distance Learning Solutions and Child Development during the COVID-19 Lockdown. IZA Discussion Paper Nr. 13819. Zentral ist, dass Lehrkräfte für digitale Lehrtätigkeiten didaktisch entsprechend ausgebildet sind. Ein ganzheitliches Konzept für digitales Lernen an Schulen ist für dessen Erfolg wichtig.Vgl. zum Beispiel Patricia Arnold et al. (2015): Handbuch e-learning: Lehren und Lernen mit digitalen Medien. ProQuest. Vielfach wird eine sinnvolle Kombination analoger und digitaler Medien und Methoden empfohlen, vgl. zum Beispiel Stephan Gerhard Huber et al. (2020): COVID-19 und aktuelle Herausforderungen in Schule und Bildung (online verfügbar). Zentral für den Erfolg der Lernmethoden ist aber weniger die Methode an sich, sondern deren Ausgestaltung und Umsetzung, vgl. beispielsweise Thamar Voss und Jörg Wittwer (2020): Unterricht in Zeiten von Corona: Ein Blick auf die Herausforderungen aus der Sicht von Unterrichts- und Instruktionsforschung. Unterrichtswissenschaft (online verfügbar).
Die bisherigen empirischen Befunde beziehen sich mehrheitlich auf die erste Zeit der Schulschließungen. Die Analysen dieses Berichts gehen darüber hinaus und vergleichen den Zugang zu Lernmaterial nicht nur während des ersten Lockdowns, sondern auch danach – und zwar für SchülerInnen unterschiedlicher Schularten. Nach dem ersten Lockdown konnten viele Schulen nicht sofort vollständig zum regulären Präsenzunterricht zurückkehren, oft unterrichteten die LehrerInnen dort nur tageweise oder in anderen Schichtmodellen.
SekundarschülerInnen werden danach unterschieden, ob sie ein Gymnasium oder eine andere Schulart besuchen, also eine Hauptschule, Realschule oder Gesamtschule. Diese Unterscheidung, die sich teilweise auch in bisherigen Studien findet, wird ergänzt durch eine weitere Differenzierung nach dem Schulträger und der Nutzung ganztägiger Schul- oder Hortangebote. Möglich erscheint beispielsweise, dass sich Privatschulen aufgrund anderer Ressourcen und Regelungen mit Blick auf die Lernstoffvermittlung von öffentlichen Schulen unterscheiden. Privatschulen haben im Durchschnitt eine geringere Schülerzahl als öffentliche Schulen, insbesondere im gymnasialen Bereich.Im Schuljahr 2018/19 hatten private Gymnasien im Mittel weniger SchülerInnen als öffentliche Gymnasien, vgl. Statistisches Bundesamt (2020): Fachserie 11, Reihe 1. Allgemeinbildende Schulen. Schuljahr 2018/2019 (erschienen am 6. September 2019, korrigiert am 5. März 2020); und Statistisches Bundesamt (2019): Fachserie 11, Reihe 1.1, Private Schulen. Schuljahr 2018/2019 (erschienen am 8. November 2019). Dieser strukturelle Unterschied könnte organisatorische Erleichterungen mit sich bringen. Privatschulen haben im Durchschnitt allerdings nicht per se mehr finanzielle Ressourcen, sondern allenfalls andere Möglichkeiten, diese Ressourcen einzusetzen.Vgl. zum Beispiel Manfred Weiss (2011): Allgemeinbildende Privatschulen in Deutschland. Schriftenreihe des Netzwerks Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Für SchülerInnen, die vor dem Lockdown ganztägige Schul- oder Hortangebote nutzten, könnten Schulschließungen gravierendere Einschnitte darstellen als für SchülerInnen, die halbtags eine Schule besuchen und es ohnehin gewohnt sind, den Lernstoff zu Hause zu vertiefen. Es stellt sich also die Frage, ob diesen SchülerInnen in Ganztagsangeboten andere Zugänge zu Lernmaterialien offen stehen als der Vergleichsgruppe.
Um die benannten strukturellen Unterschiede zwischen SchülerInnen an Privatschulen und öffentlichen Schulen sowie in Ganztags- und Halbtagsbetreuung adäquat zu erfassen, ist es ferner sinnvoll, zwischen Ost- und Westdeutschland zu unterscheiden: So übersteigt beispielsweise der Anteil der SchülerInnen an Privatschulen in Ostdeutschland (zehn Prozent) leicht den in Westdeutschland (acht Prozent).Die Anteile beziehen sich auf das Jahr 2017, vgl. Katja Görlitz, C. Katharina Spieß und Elena Ziege (2018): Fast jedes zehnte Kind geht auf eine Privatschule – Nutzung hängt insbesondere in Ostdeutschland zunehmend vom Einkommen der Eltern ab, DIW Wochenbericht Nr. 51+52, 1103–1111 (online verfügbar). Hinzu kommt, dass es im Osten zunehmend einkommensstärkere Familien sind, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken. In Westdeutschland ist dieser Trend nicht zu beobachten. Auch findet ein Großteil der Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen in Ostdeutschland in Horten statt – ganztägige Schulangebote betreffen eher, wenn auch nicht ausschließlich, Westdeutschland. Sowohl in den westdeutschen als auch in den ostdeutschen Bundesländern waren im Schuljahr 2018/19 etwa 68 Prozent der Schulen Ganztagsschulen (unter anderem 68 Prozent der Grundschulen und 64 Prozent der Gymnasien); allerdings mit einem nicht geringen Anteil von Schulen, die diese Angebote in offener – also nicht verpflichtender – Form gestalteten.Dies führt dazu, dass der Anteil der SchülerInnen, die tatsächlich Ganztagsschulangebote nutzen, geringer ist: Kinder im Grundschulalter nutzen zu 50 Prozent ganztägige Angebote. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020. Abbildungen D3-1 und D3-2, 120–121 (online verfügbar).
Die Analysen dieses Berichts basieren auf Daten der SOEP-CoV-Studie, einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) während der Corona-Pandemie (Kasten). Für SOEP-CoV wurden von Anfang April bis Anfang Juli dieses Jahres Personen in etwa 6700 Haushalten, die auch in den Vorjahren an den SOEP-Befragungen teilgenommen haben, telefonisch interviewt. Deshalb liegen über die SOEP-CoV-Befragten bereits umfassende Informationen vor, die es beispielsweise ermöglichen, SchülerInnen nach Merkmalen der besuchten Schule und nach Merkmalen des Haushalts zu unterscheiden.Für eine erste bildungsbezogene Studie auf Basis dieser Daten vgl. Sabine Zinn et al. (2020): Subjektive Belastung der Eltern durch Schulschließungen zu Zeiten des Corona-bedingten Lockdowns. SOEPpapers Nr. 1097 (online verfügbar).
Die Analysen basieren auf Daten der SOEP-CoV-Erhebung.Vgl. SOEP-CoV (2020): Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland (online verfügbar); sowie Simon Kühne et al. (2020): The Need for Household Panel Surveys in Times of Crisis: The Case of SOEP-CoV. Survey Research Methods 14(2), 195–203. Das Projekt SOEP-CoV wird als Verbundprojekt zwischen der Universität Bielefeld und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderaufrufs zur Erforschung von COVID-19 im Zuge des Ausbruchs von Sars-CoV-2 gefördert. Darin wurden Haushalte der regulären Befragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in neun Stichproben (Tranchen) aufgeteilt, um während des coronabedingten ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und der Zeit danach spezifische Informationen zur Lebenssituation von privaten Haushalten und Personen in Deutschland zu erheben. Die Tranchen sind so aufgebaut, dass sie alle Privathaushalte in Deutschland hinsichtlich ihrer Zusammensetzung repräsentativ abbilden. Sie beziehen sich auf Zeiträume von jeweils zwei Wochen (Tranchen 1 bis 4) beziehungsweise einer Woche (Tranchen 5 bis 9), wodurch der zeitliche Ablauf der Corona-Krise und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Privathaushalte bis zum Sommer des Jahres 2020 dargestellt werden können.
Die Erhebung startete am 1. April 2020 und wurde am 4. Juli 2020 abgeschlossen. Insgesamt konnten Personen aus etwa 6700 Haushalten befragt werden. Für die Auswertungen werden Gewichtungsfaktoren genutzt, die Verzerrungen durch selektiven Ausfall in den berechneten Statistiken entgegenwirken. Die Befragungen erfolgten über computergestützte telefonische Interviews (CATI) durch das Erhebungsinstitut Kantar. Befragte, die nicht unmittelbar erreicht werden konnten, wurden über mehrere Tage und zu verschiedenen Uhrzeiten erneut angerufen.
Die Analysen dieses Berichts basieren auf Angaben von Eltern aus 1812 Haushalten mit Schulkindern im Alter von sieben bis 18 Jahren. Im Fokus des Berichts stehen Antworten auf die Frage: „Wie gewährleistet die Schule, dass das Kind weiterhin Lernstoff erhält? Bitte geben Sie alles Zutreffende an.“ Während des ersten Lockdowns lauteten die Antwortmöglichkeiten:
In der Zeit nach dem ersten Lockdown waren die Antwortmöglichkeiten:
Beide Male waren Mehrfachnennungen möglich. Die Fragen wurden für das jeweils jüngste Schulkind in einem Haushalt gestellt. Antworten während der Schulferien der verschiedenen Bundesländer wurden in die Analyse aufgenommen und durch eine Indikatorvariable markiert, um etwaige systematische Unterschiede zu berücksichtigen. Allerdings kann aufgrund der Frage davon ausgegangen werden, dass sich die Antworten auf die Zeiten außerhalb der Ferien beziehen. Unterschiedliche Robustheitschecks zeigen, dass sich die Ergebnisse nicht signifikant ändern, wenn die Antworten, die während der Ferienzeiten gegeben wurden, ausgeschlossen werden.
Informationen zum Träger der Schule (öffentlich/privat), zum Ganztagsstatus und zur besuchten Schulform basieren auf den regulären SOEP-Befragungen aus dem Jahr 2019.Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2), 345–360. Fehlende Informationen wurden mit Informationen aus Befragungen in den Vorjahren ergänzt, sofern sie vorlagen. Fehlende Informationen bei Kontrollvariablen wurden mit einer eigenen Kategorie als Dummyvariable aufgenommen. Dabei wird zwischen den Stichproben unterschieden, die während des ersten Lockdowns (Tranchen 1 bis 4, erhoben im Zeitraum 1. April bis 24. Mai 2020)In zehn Haushalten wurde der Fragebogen der Tranche 4 im Zeitraum 25. Mai bis 30. Mai 2020 beantwortet. und nach diesem Lockdown (Tranchen 5 bis 9, erhoben im Zeitraum 25. Mai bis 4. Juli 2020) interviewt wurden (Tabelle).
In Prozent (sofern nicht anders angegeben)
Mittelwert | |
---|---|
Zugang zu Lernmaterial | |
Lernmaterialien vor Schließung erhalten1 | 52 |
E-Learning mit Konferenzschaltung | 27 |
Lernmaterial digital bereitgestellt | 86 |
Schule hat kein Lernmaterial zur Verfügung gestellt1 | 2 |
Regulärer Schulbesuch2 | 14 |
Stunden-/tageweiser Schulbesuch2 | 72 |
Anderer Zugang zu Lernmaterial | 14 |
Schulbezogene Merkmale | |
Kind besucht Grundschule | 30 |
Kind besucht Haupt-/Real-/Gesamtschule | 43 |
Kind besucht Gymnasium | 27 |
Schule in privater Trägerschaft | 10 |
Ostdeutschland (exkl. Berlin) | 12 |
Kind besucht ganztägige Schulangebote/Hort | 42 |
Sozio-oekonomische und -demografische Merkmale | |
Mutter ist antwortender Elternteil | 55 |
Geburtsjahr des antwortenden Elternteils | 1977 |
Kinder im Haushalt (Anzahl) | 1,9 |
Alleinerziehender Elternteil | 12 |
Kein Migrationshintergrund | 54 |
Ein Elternteil mit Migrationshintergrund | 10 |
Beide Elternteile mit Migrationshintergrund | 17 |
Keine Informationen zum Migrationshintergrund | 19 |
Antwortender Elternteil mit (Fach-)Hochschulabschluss | 27 |
Antwortender Elternteil mit beruflichem Abschluss oder Fachhochschulreife/Abitur | 51 |
Antwortender Elternteil ohne beruflichen Abschluss bis mittlere Reife | 17 |
Antwortender Elternteil erwerbstätig in Teilzeit | 26 |
Antwortender Elternteil erwerbstätig in Vollzeit | 47 |
Antwortender Elternteil nicht erwerbstätig | 15 |
Alter des Kindes (in Jahren) | 13,4 |
Interview wurde in den Schulferien geführt | 28 |
Anzahl der Beobachtungen | 1812 |
1 Diese Option war im Fragebogen nur während des Lockdowns enthalten, die Anzahl der Beobachtungen beträgt 1429.
2 Diese Option war nur im Fragebogen nach dem Lockdown enthalten, die Anzahl der Beobachtungen beträgt 383.
Anmerkungen: Dargestellt sind Merkmalsausprägungen als Anteile (in Prozent) an der Gesamtstichprobe, sofern nicht anders vermerkt. Mittelwerte basieren auf Gewichtungen mit einem individuellen Hochrechnungsfaktor.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels während der Corona-Pandemie (SOEP-CoV).
Die dargestellten Analysen zeigen Häufigkeitsverteilungen und Gruppenunterschiede zwischen der Zeit vor und nach dem ersten coronabedingten Lockdown im Frühjahr 2020. Dabei werden statistische Gewichtungen mit einem individuellen Hochrechnungsfaktor vorgenommen, um für die Grundgesamtheit von Haushalten in Deutschland repräsentativ zu sein. Die Daten werden nach räumlichen Merkmalen (Bundesland, Gemeindegrößenklasse), Haushaltsmerkmalen (Haushaltsgröße, Haushaltstyp, Wohneigentumsbesitz) und individuellen Merkmalen (Geschlecht, Altersverteilung, deutsche Staatsangehörigkeit) gemäß offizieller, repräsentativer Statistik (Mikrozensus 2018) gewichtet. Um die statistische Genauigkeit, und teilweise auch die Vergleichbarkeit, zu erhöhen und um andere Faktoren zu berücksichtigen, die indirekt oder direkt mit der Bereitstellung von Lernmaterial in Verbindung stehen können, basieren weiterführende ErgebnisseSiehe die Tabelle im Haupttext dieses Wochenberichts. auf linearen Regressionsmodellen. Diese schließen eine Reihe an Kontrollvariablen ein: Anzahl der Kinder im Haushalt, Alter des jüngsten Schulkindes, PartnerIn im Haushalt, Migrationshintergrund (ein oder beide Elternteile), Geschlecht und Bildung des befragten Elternteils und Bundesland (letzteres nur in den Spezifikationen für Gesamtdeutschland). Vereinzelt fehlende Informationen berücksichtigt die Analyse als eigene Kategorie des jeweiligen Merkmals. Alle Kategorien der Kontrollvariablen werden für eine größtmögliche Flexibilität des statistischen Modells mit separaten Indikatorvariablen in das Modell eingeschlossen.
Im Rahmen der SOEP-CoV-Studie wurden Eltern danach gefragt, wie die Schule ihres jüngsten Schulkindes im Haushalt die Vermittlung von Lernstoff organisiert. Die Antworten zu dieser Frage stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Auswertungen. Mehrheitlich handelt es sich um Eltern von Kindern, die die Sekundarstufe besuchen. 30 Prozent der Eltern machten Angaben zu Grundschulkindern, 27 Prozent zu GymnasiastInnen und 43 Prozent zu anderen SekundarschülerInnen.Siehe dazu Tabelle im Kasten dieses Wochenberichts. Die SOEP-CoV-Befragungen wurden für diesen Bericht danach unterteilt, ob sie in der Phase des ersten Lockdowns von April bis Ende Mai, oder danach von Ende Mai bis Anfang Juli stattgefunden haben. Im Juni hatten Schulen zumindest teilweise wieder geöffnet – der Präsenzunterricht fand aber mitunter im Schichtbetrieb statt oder wurde mit digitalen Formaten kombiniert.
Etwa 52 Prozent der Eltern gaben an, dass ihre Kinder unmittelbar vor den lockdownbedingten Schulschließungen Arbeitsmaterialien erhalten haben (Abbildung 1). Etwa ein Viertel der Eltern berichtete, dass ihr Kind während des Lockdowns über Videokonferenzen mit Lernmaterial versorgt wurde. Für die Phase danach war dies bei etwas mehr als einem Drittel der Fall. Andere digitale Formate, zum Beispiel der Versand von Lernmaterial über E-Mails oder die Bereitstellung in einer Cloud beziehungsweise auf einem Server, hatten während des Lockdowns mit 89 Prozent eine größere Bedeutung als danach mit 73 Prozent. Von anderen nicht weiter spezifizierten Zugangswegen zu Lernmaterial berichteten im Lockdown 15 Prozent der Eltern und im Anschluss noch zehn Prozent. Nahezu kein Elternteil gab an, dass die Schule gar nichts organisiert hatte. Nach dem Lockdown berichteten 14 Prozent der Eltern, dass ihr Kind wieder regulär unterrichtet werde, während bei knapp drei Vierteln der Eltern das Kind zumindest wieder stunden- beziehungsweise tageweise in die Schule ging.
Der Zugang zu Lernmaterial unterschied sich zwischen den Schulträgern und -typen teilweise deutlich (Abbildung 2). Insbesondere GrundschülerInnen haben noch vor der Schulschließung Lernmaterial erhalten, während dies beispielsweise bei GymnasiastInnen weniger oft der Fall war (68 im Vergleich zu 39 Prozent). GymnasiastInnen haben ihr Lernmaterial während des Lockdowns eher über Videokonferenzen erhalten. Bei 36 Prozent der SchülerInnen dieser Schulart war dies der Fall – elf Prozentpunkte mehr als bei SchülerInnen anderer Sekundarschularten. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Schularten unterschiedlich gut für Videokonferenzen ausgestattet sind. Noch geringer lag der Anteil bei Grundschulen, wo nur 17 Prozent der SchülerInnen während des Lockdowns über Videokonferenzen beschult wurden.Ein möglicher Grund dafür sind Altersunterschiede der Kinder. So könnten digitale Formate für GrundschülerInnen als weniger geeignet erachtet werden. ExpertInnen empfehlen für die Primarstufe, dass digitale Medien dezent genutzt werden. Ab der Sekundarstufe I sollte es eine kluge Mischung sein aus Selbstlernen beziehungsweise Selbststudium und digitalem Unterricht via Videokonferenz sowie ergänzenden digitalen Tools, zum Beispiel Videos beziehungsweise Schulfernsehen oder Lern-Apps. Vgl. Huber et al. (2020), a.a.O., sowie die Empfehlungen der 5. Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften (2020): Coronavirus-Pandemie: Für ein krisenresistentes Bildungssystem (online verfügbar).
In weiterführenden Analysen werden andere Faktoren wie die Haushaltszusammensetzung, die Staatsangehörigkeit und die Bildung der Eltern bei der Berechnung von Unterschieden berücksichtigt (Kasten). Dabei bestätigen sich die deutlichen und hoch signifikanten Unterschiede zwischen Grund- und SekundarschülerInnen sowie auch zwischen GymnasiastInnen und SchülerInnen anderer Sekundarschulen (Tabelle).
Abweichung zur jeweiligen Referenzgruppe in Prozentpunkten
(1) | (2) | (3) | (4) | (5) | |
---|---|---|---|---|---|
Grundschulen (Referenz: Sekundarschulen) | Gymnasium (Referenz: Haupt-/Real-/Gesamtschulen) | Privater Träger (Referenz: Öffentlicher Träger) | ganztägige Schulangebote/Hort (Referenz: Halbtagsschule) | Ostdeutschland ohne Berlin (Referenz: Westdeutschland mit Berlin) | |
Während des Lockdowns | |||||
Lernmaterial vor Schulschließung erhalten | 57 *** | −6 | −5 | 1 | 0 |
Videokonferenz | −29 *** | 11 ** | 8 | 0 | −13 *** |
Lernmaterial digital bereitgestellt (E-Mail, Cloud) | −15 | 1 | 8 *** | 0 | −2 |
Lernmaterial über andere Wege bereitgestellt | −6 | 2 | −11 *** | −7 ** | 5 |
Anzahl Beobachtungen | 1429 | 1067 | 1364 | 1380 | 1429 |
Nach dem Lockdown | |||||
Videokonferenz | 18 | 19 ** | −3 | 0 | −31 *** |
Lernmaterial digital bereitgestellt (E-Mail, Cloud) | 1 | 7 | −14 | −3 | −17 * |
Regulärer Schulbesuch | 3 | −1 | 16* | −1 | 29*** |
Stunden-/tageweiser Schulbesuch | 28 | 1 | −15 | 2 | −30*** |
Lernmaterial über andere Wege bereitgestellt | 13 | −8 | −0 | −7 | −2 |
Anzahl der Beobachtungen | 383 | 308 | 370 | 375 | 383 |
Anmerkungen: Die Gruppenunterschiede basieren auf linearen Regressionsmodellen mit Kontrollvariablen, die mit einem individuellen Hochrechnungsfaktor gewichtet wurden. ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesebeispiel: GrundschülerInnen erhielten ihr Lernmaterial während des Lockdowns mit einer um 29 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit per Videokonferenz als SekundarschülerInnen (Spalte 1). In Ostdeutschland wurden SchülerInnen seltener über Videokonferenzen beschult als SchülerInnen in Westdeutschland Die entsprechende Wahrscheinlichkeit unterscheidet sich um 13 Prozentpunkte (Spalte 5). In beiden Fällen sind die Unterschiede im statistischen Sinne hoch signifikant.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels während der Corona-Pandemie (SOEP-CoV).
Nach dem Lockdown haben Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Grundschulen mit 23 beziehungsweise 24 Prozent der entsprechenden SchülerInnen während des weiterhin oftmals eingeschränkten Schulbetriebs in gleichem Maße Lernmaterial per Videokonferenz erhalten (Abbildung 3). Bei GymnasiastInnen war das bei über der Hälfte (57 Prozent) der Fall.
Abgesehen davon, dass GrundschülerInnen tendenziell eher in den stunden- beziehungsweise tageweisen Schulbesuch zurückkehren konnten, unterschieden sie sich bezüglich der Bereitstellung von Lernmaterial nach dem Lockdown kaum noch von Sekundarschulen. Dies ist bemerkenswert, da man davon ausgehen kann, dass SekundarschülerInnen allein aufgrund ihres höheren Alters eher in der Lage sind, auch digitale Formate zu nutzen. Allerdings werden diese Möglichkeiten der Lernstoffvermittlung für ältere SchülerInnen an Sekundarschulen offensichtlich wenig ausgenutzt.
SchülerInnen an Privatschulen haben während des Lockdowns im Frühjahr Lernmaterial häufiger über digitale Wege erhalten als SchülerInnen an öffentlichen Schulen (Abbildung 2). Sowohl der Anteil derer, denen Videokonferenzen angeboten wurden, lag höher (34 im Vergleich zu 25 Prozent), als auch die Bereitstellung von Lernmaterial über andere digitale Wege (97 im Vergleich zu 89 Prozent). Inwiefern dies mit einer besseren digitalen Ausstattung von Privatschulen und PrivatschullehrerInnen zusammenhängt, kann hier nicht untersucht werden.Dagegen spricht allerdings, dass es hinsichtlich des Angebots von Videokonferenzen keine statistisch signifikanten Unterschiede nach der Schulträgerschaft gibt, vgl. dazu auch die Tabelle in diesem Wochenbericht. Nach dem Lockdown hatten SchülerInnen an Privatschulen eine um 28 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, wieder regulär zur Schule gehen zu können, als SchülerInnen an öffentlichen Schulen (Abbildung 3). Entsprechend seltener war ein stunden- oder tageweiser Unterricht an Privatschulen. Dieser Unterschied im regulären Schulbesuch verringert sich zwar auf 16 Prozentpunkte, wenn sozioökonomische Merkmale der Eltern und SchülerInnen berücksichtigt werden, bestätigt aber den deutlichen und statistisch signifikanten Unterschied nach der Schulträgerschaft (Tabelle). Eine mögliche Erklärung ist, dass Privatschulen aufgrund ihrer meist geringeren Schülerzahl Hygienekonzepte schneller umsetzen konnten. Durch die häufigere Rückkehr zum regulären Unterricht erhielten PrivatschülerInnen nach dem Lockdown weniger Lernmaterial auf digitalem Wege. Dieser Unterschied ist im statistischen Sinne allerdings nicht signifikant, wenn weitere Merkmale berücksichtigt werden.
SchülerInnen, die vor dem Lockdown ganztags zur Schule gingen oder einen Hort besuchten, hatten während der Schulschließungen und in der Zeit danach über ähnliche Wege Zugang zu Lernmaterialien wie SchülerInnen in Halbtagsangeboten (Abbildungen 2 und 3). Auch bei Berücksichtigung weiterer Faktoren zeigt sich, dass der Lernzugang von SchülerInnen in Ganztagsformen ähnlich dem von SchülerInnen in Halbtagsformen war (Tabelle).
SchülerInnen in den ostdeutschen Bundesländern erhielten im Gegensatz zu denen im Westen während des Lockdowns signifikant seltener Lernmaterial über Videokonferenzen (Tabelle). Nach dem Lockdown nahm die Wahrscheinlichkeit, Lerninhalte über Videokonferenzen vermittelt zu bekommen, für SchülerInnen in Ostdeutschland weiter ab. Gleichzeitig gingen diese deutlich häufiger wieder regulär zur Schule. Dagegen berichten Eltern in Westdeutschland vermehrt nur von stunden- beziehungsweise tageweisen Schulbesuchen.
Des Weiteren zeigen differenziertere Analysen (ohne Abbildung), dass im Vergleich zu PrivatschülerInnen in Ostdeutschland jene in Westdeutschland ihr Lernmaterial während des Lockdowns eher digital, also per Cloud oder E-Mail, erhalten haben – vornehmlich an Haupt-, Realschulen und Gesamtschulen. Die Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Schulen wurden nach dem Lockdown mit Blick auf die stärkere Nutzung von Videokonferenzen vorwiegend durch die deutlich geringere Nutzung an öffentlichen Schulen in Ostdeutschland geprägt. Zudem zeigt sich, dass nach dem Lockdown vermehrt PrivatschülerInnen an nichtgymnasialen Sekundarschulen (im Vergleich zum Gymnasium) wieder regulär die Schule besuchten.Die Ergebnisse sind im Bericht nicht dargestellt und können von den AutorInnen auf Nachfrage zur Verfügung gestellt werden.
Der Zugang zu Lernmaterial war während der lockdownbedingten Schulschließungen im Frühjahr und auch noch im vielerorts eingeschränkten Schulbetrieb nach dem Lockdown ein großes Thema. Dieser Bericht hat Unterschiede nach Arten und Merkmalen der Schulen in den Fokus genommen. Diese Unterschiede fallen im Ergebnis mitunter deutlich aus, ohne dass es dafür in jedem Fall pädagogische Gründe gäbe. So hatten GymnasiastInnen sowohl während des coronabedingten Lockdowns als auch danach deutlich häufiger Zugang zu Videokonferenzen als andere SekundarschülerInnen. Diese wiederum hatten nach dem Lockdown ähnliche Zugangswege zu Lernmaterial wie GrundschülerInnen, obwohl sich die Kompetenzen mit Blick auf die Verarbeitung von Lernmaterial deutlich unterscheiden. Hier wäre eine Differenzierung zwischen und auch innerhalb der Schulen angebracht – insbesondere in Sekundarschulen nach Klassenstufen. Dass GrundschülerInnen nach dem Lockdown deutlich häufiger als andere wieder regulär zur Schule gehen konnten, erscheint hingegen sinnvoll.Vgl. beispielsweise Leopoldina (2020), a.a.O.
Insgesamt weist der Zugang zu Lernmaterialien in Pandemiezeiten Ungleichheiten mit Blick auf soziale Merkmale und Schulstrukturfaktoren auf, die das Potential haben, ohnehin schon existierende Bildungsungleichheiten weiter zu vergrößern. Das ist zumindest dann der Fall, wenn diese Unterschiede nicht auf Alters- und anderen Kompetenzunterschieden beruhen. Unterschiede zwischen Gymnasien und anderen Sekundarschulen sowie zwischen privaten und öffentlichen Schulen sollten demnach weitgehend reduziert werden. Daher sind neben den wichtigen Handlungsempfehlungen unterschiedlichster Expertengruppen für den SchulbereichVgl. unter anderem Leibniz-Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale (2020): Bildung in der digitalen Welt: Potenziale und Herausforderungen (online verfügbar). Gesamtkonzepte auf Ebene der SchulverwaltungenInsgesamt gab bei der eingangs erwähnten Lehrkräftebefragung nur knapp ein Drittel der Lehrkräfte an, dass ihre Schule im April 2020 über ein Gesamtkonzept verfügte, das die Versorgung von SchülerInnen mit Lernangeboten für die Zeit der Schulschließung und die besondere Situation der Beschulung regelte, vgl. Eickelmann und Drossel (2020), a.a.O. notwendig: Unabhängig vom Schulträger und dem Schultyp sollten SchülerInnen im Sekundarschulbereich gleichberechtigen Zugang zu Lernmaterial erhalten. Insbesondere jetzt, wo die Infektionszahlen vergleichsweise hoch sind und Einschränkungen des Schulbetriebs etwa durch Quarantänemaßnahmen zunehmen, müssen allen SchülerInnen unabhängig vom Infektionsgeschehen gute Lernchancen geboten werden. Dafür braucht es eine geeignete digitale Infrastruktur.
Dabei muss es auch vermehrt darum gehen, Lernmaterial zu strukturieren und es nicht nur – wie im Frühjahr vielfach geschehen – in Kernfächern anzubieten, sondern auch in Nebenfächern. Darüber hinaus weisen viele Elternbefragungen darauf hin, dass sich Eltern und SchülerInnen insbesondere mehr Rückmeldungen zur Bearbeitung des Lernmaterials gewünscht hätten.Vgl. zum Beispiel Wildemann und Hosenfeld (2020), a.a.O. Ganz abgesehen davon muss sichergestellt sein, dass alle SchülerInnen online erreicht werden könnenObwohl die Zahlen sehr schwanken, was den Anteil der nicht erreichbaren SchülerInnen angeht, berichten Huber et al. (2020), a.a.O. auf Basis des Schulbarometers zum Beispiel: 14 Prozent der Mitarbeitenden der Schule und der Schulleitungen geben an, dass 25 bis 50 Prozent der SchülerInnen digital nicht erreichbar sind. 27 Prozent geben an, dass alle SchülerInnen erreichbar sind und 25 Prozent berichten, dass etwa fünf Prozent der SchülerInnen digital nicht erreichbar sind. und in den Familien die Voraussetzungen für digitale Formen des Lernens geschaffen werden.Mehr als ein Viertel der Eltern gibt an, dass sie vor technischen Problemen bei der Umsetzung des Home-Schoolings stehen. Das betrifft in erster Linie fehlende beziehungsweise nicht ausreichend vorhandene Endgeräte und unzureichende Internetverbindungen, vgl. Wildemann und Hosenfeld (2020), a.a.O. Oberste Priorität sollte unter fortwährendem Ausbau von Infektionsschutzmaßnahmen dennoch weiterhin der Präsenzunterricht sein – solange es möglich ist. Sobald das nicht mehr möglich ist, sollten zielgruppenspezifische und damit auch altersgerechte Hybridmodelle, die digitales Lernen mit Präsenzunterricht verknüpfen, angestrebt werden. Dafür notwendige Konzepte könnten die in der Corona-Zeit aufgebaute digitale Kompetenz auch in der Zeit nach der Pandemie etablieren und bewahren.Vgl. zum Beispiel die Empfehlungen in der 5. Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina (2020), a.a.O. und Leibnitz-Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale (2020), a.a.O.
Themen: Ungleichheit, Gesundheit, Bildung
JEL-Classification: I24;J24;D30
Keywords: school, learning material, school type, school provider, all day schooling, Covid-19
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-47-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226768