DIW Wochenbericht 47 / 2020, S. 876
C. Katharina Spieß, Erich Wittenberg
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Frau Spieß, wie konnten Schulen während und nach dem ersten Lockdown im Frühjahr die Vermittlung des Lernstoffs und den Zugang zu Lernmaterial gewährleisten? Nahezu 90 Prozent der befragten Eltern berichten, dass ihre Kinder während des Lockdowns digital Lernmaterial bereitgestellt bekommen haben. Ungefähr ein Viertel der Eltern sagt, dass ihre Kinder über Videokonferenzschaltungen mit den LehrerInnen in Kontakt gekommen sind. Und etwas mehr als die Hälfte gibt an, dass den Kindern vor der Schulschließung Lernmaterial mitgegeben wurde. Andere Wege machten nur einen geringen Prozentsatz aus. Positiv ist, dass nahezu kein Elternteil angab, dass überhaupt kein Lernmaterial kam.
Wie sah das nach dem Lockdown aus? Nach dem Lockdown gab es ja teilweise schon wieder einen regulären Schulbetrieb, allerdings bei nur wenigen Kindern. Im gelegentlichen Schulbetrieb haben dann wiederum die digitalen Lernstoffvermittlungen eine große Rolle gespielt. Bemerkenswert ist, dass Video- und Konferenzschaltungen dann sogar etwas zugenommen haben. Interessant und bemerkenswert ist auch, dass SchülerInnen in Ostdeutschland nach dem Lockdown wieder früher in den regulären Schulbetrieb konnten, was ganz besonders für jüngere SchülerInnen sehr wichtig ist.
Inwieweit unterschied sich der Zugang zu Lernmaterial zwischen den verschiedenen Schulträgern und Schultypen? Kinder, die auf ein Gymnasium gehen, hatten sowohl während des Lockdowns als auch danach viel öfter Videokonferenzen, also interaktivere Möglichkeiten, mit den LehrerInnen in Kontakt zu treten. Der Unterschied im Vergleich zu Haupt-, Real- und Gesamtschülern beträgt für die Zeit während des Lockdowns elf Prozentpunkte, 36 im Vergleich zu 25 Prozent, für die Zeit danach sind es sogar 57 im Vergleich zu 23 Prozent. Wir können auch sehen, dass Kindern auf Privatschulen das Lernmaterial sehr viel eher digital bereitgestellt wurde als an öffentlichen Schulen. Zudem haben Kinder auf Privatschulen in der Zeit unmittelbar nach dem Lockdown mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit wieder regulär die Schule besuchen können. Beim Vergleich von Ganztags- und Halbtagsschulen können wir keinen signifikanten Unterschied feststellen. Kinder, die am Nachmittag eigentlich eine professionelle Unterstützung bei den Hausaufgaben haben, mussten im Lockdown also ohne solche spezifischen Angebote auskommen.
Werden bereits bestehende Bildungsungleichheiten durch die Pandemiebedingungen noch weiter verschärft? Es ist zumindest so, dass viele der Unterschiede, die wir zwischen SchülerInnen unterschiedlicher Schularten feststellen, nicht unbedingt pädagogisch begründet sind. Deshalb halten wir es für wichtig, dass man auch diese Merkmale mit bedenkt, wenn es um Bildungsungleichheiten geht und darum, SchülerInnen an allen Schulen gleiche Lernmöglichkeiten bereitzustellen. Dabei soll und darf natürlich nicht vergessen werden, dass es auch zielgruppenspezifische Ansätze braucht, die beispielsweise die unterschiedlichen Entwicklungen von SchülerInnen miteinbeziehen.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für zukünftige bildungspolitische Weichenstellungen? Für die Zukunft können wir Hinweise finden, in welchen Schulen zum Beispiel digitale Lernformen schon mehr im Einsatz sind als in anderen Schulen. Wenn wir alle Schulen auf ein ähnliches digitales Niveau stellen wollen, dann müssen wir vermehrt in die Schularten investieren, die diese Bereitstellung von Lernmaterial jetzt noch nicht so sehr im Fokus haben. Für zukünftige Schulschließungen oder Schulschichtbetriebe ist es wichtig, dass wir uns auch anschauen, welche SchülerInnen zuvor ganztags betreut wurden. Diese brauchen jetzt vielleicht andere Formen der Lernunterstützung als SchülerInnen, die in halbtägigen Schulprogrammen waren und es ohnehin eher gewohnt sind, am Nachmittag zu Hause zu lernen.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Ungleichheit, Gesundheit, Bildung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-47-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226773