DIW Wochenbericht 48 / 2020, S. 902
get_appDownload (PDF 75 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 4.59 MB)
Es klingt wie eine neue Staffel von House of Cards: Der Schwiegersohn des Präsidenten tritt als Finanzminister zurück, nachdem sein Schwiegervater gegen seinen Willen seinen Berater als neuen Notenbankchef ernannt hat. Nicht ohne zuvor kräftig gegen den designierten Notenbankchef ausgeteilt zu haben – und zwar wohl auch im handgreiflichen Sinne des Wortes. Von seinem Rücktritt erfährt die Bevölkerung zunächst nur aus den sozialen Medien, wo der Schwiegersohn seinen Rücktritt über Instagram bekannt gibt.
Was sich wie ein fiktives Polit- und Familiendrama anhört, hat sich wohl mehr oder weniger so in der Türkei abgespielt. Die Rollen bekleiden Berat Albayrak als Finanzminister, sein Schwiegervater Recep Tayyip Erdogan als Präsident des Landes und der frisch ernannte Gouverneur der türkischen Zentralbank, Naci Agbal. Doch was steckt dahinter und was bedeutet diese Familienschmonzette für das Land und seine Finanzen?
Die türkische Lira befindet sich in freiem Fall: Sie hat sowohl im Land an Kaufkraft eingebüßt als auch weltweit an Wert verloren – allein gegenüber dem Euro um 18 Prozent in den vergangenen drei Monaten. Selbst ein Kaufprogramm der Zentralbank, die mit ihren Dollarreserven Stützkäufe auf dem internationalen Markt tätigte, konnte den Fall der Lira nicht aufhalten. Das hat tiefergehende Gründe als einen Streit in der Familie. Da ist zum einem die fehlende Unabhängigkeit der Zentralbank. Sie hat die Zinsen nicht hoch genug gesetzt, um den Preisverfall im Inland aufzuhalten. Stattdessen gab sie dem Druck des Finanzministers und des Präsidenten nach und ließ die Zinsen niedrig. Die erste Amtshandlung des neuen Notenbankchefs war es, den Leitzins kräftig zu erhöhen. Dies hatten viele Beobachter gehofft; entsprechend zog der Wert der Lira wieder etwas an. Doch selbst steigende Zinsen werden nicht ausreichen, um die Währung nachhaltig zu stützen.
Neben der fehlenden Unabhängigkeit der Zentralbank ist die defizitäre Fiskalpolitik der Regierung Grund für den Wertverfall der Lira. Die ausgegebenen Lira-Scheine sind formal Schulden der Zentralbank. Wie bei jedem Schuldner, sind die Schulden nur so gut und so viel wert wie das Guthaben, das die Schulden deckt. Unter dem Goldstandard war es das Gold, das die Zentralbank vorhalten musste. Heutzutage sind es vor allem Staatsschulden. Das bedeutet, dass in dem Moment, in dem die Staatspapiere an Wert verlieren, auch die Währung an Wert verliert. So führen solide Staatsfinanzen zu einem stabilen Wert der Staatsschulden und damit zu einer stabilen Währung. Das gleiche gilt aber eben auch umgekehrt für unsolide Staatsfinanzen und eine unstabile Währung.
Der Schlüssel für eine stabile Lira liegt also in der Fiskalpolitik – und hier wird sich auch mit einem neuen Notenbankchef wenig ändern. Die mögliche Zinserhöhung der Zentralbank wird die Lage für das Finanzministerium sogar noch verschärfen. Wenn die Regierung nun mehr Zinsen auf ihre Schulden zahlen muss, wird sich das Defizit weiter erhöhen. Der neue Notenbankchef wird sich wahrscheinlich demnächst sogar der Forderung des Präsidenten ausgesetzt sehen, die Zinserhöhung deswegen wieder zurückzunehmen. Denn die Regierung wird ihr Staatsdefizit nicht durch Ausgabenkürzungen senken wollen.
Getrieben ist das Defizit vor allem durch die hohen Ausgaben für das türkische Militär. Von Libyen über Syrien bis nun Berg-Karabach: Kaum ein Konflikt, in dem Erdogans Türkei nicht eine prominente Rolle einnimmt. Das kostet Geld, das der türkische Staat nicht hat. Weder der Familienstreit noch der zurückgetretene Finanzminister oder der Notenbankchef sind schuld an dem Verfall der Währung, sondern allein die teure Großmachtpolitik der Türkei. Präsident Erdogan wird sich entscheiden müssen – zwischen dem wirtschaftlichen Wohl des Landes auf der einen Seite und den Großmachtplänen auf der anderen. Beides zusammen wird nicht funktionieren, auch wenn die militärischen Abenteuer ganz gut von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten ablenken.
Dieser Beitrag erschien am 25.11.2020 im Tagesspiegel.
Themen: Geldpolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-48-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226776