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Weltwirtschaft: Erholung ausgebremst: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Winter 2020

DIW Wochenbericht 50 / 2020, S. 924-938

Claus Michelsen, Paul Berenberg-Gossler, Geraldine Dany-Knedlik, Hella Engerer, Sandra Pasch

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Die Weltwirtschaft hat sich im dritten Quartal schneller erholt als erwartet. Die Wirtschaftsleistung stieg nach den coronabedingten Einbrüchen im Vorquartal wieder um sieben Prozent. Geringe Infektionszahlen und entsprechende Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen trugen dazu bei, dass sich die Produktionsprozesse und der Warenverkehr normalisierten. Auch die privaten Haushalte fragten vermehrt Konsumgüter nach, insbesondere personennahe Dienstleistungen. Die zweite Infektionswelle im Herbst wird diese Erholung ausbremsen. Im Gesamtjahr 2020 wird die globale Produktion wohl um 3,4 Prozent schrumpfen. In den kommenden beiden Jahren dürften die Wachstumsraten mit 6,3 beziehungsweise 4,4 Prozent kräftiger ausfallen als noch im Herbst prognostiziert. Doch bestehen viele Risiken: Zum einen drohen erneut unkontrollierte Anstiege der Corona-Infektionen, auch wenn die Erfolge bei den Impfstoffen vielversprechend sind. Zum anderen ist noch nicht abzusehen, in welchem Umfang die Unternehmensinsolvenzen steigen und welche Auswirkungen eine Insolvenzwelle auf die weitere Erholung hätte.

Die Weltwirtschaft ist im dritten Quartal des Jahres 2020 deutlich gewachsen und hat sich von den Einbrüchen in der ersten Jahreshälfte teilweise erholt. Im dritten Quartal legte die globale Produktion im Vergleich zum Vorquartal um rund sieben Prozent zu (Abbildung 1). Damit wurden 68 Prozent der Einbußen aus dem ersten Halbjahr bereits kompensiert. Die Corona-Pandemie hinterlässt aber nach wie vor Spuren: Die Wirtschaftsleistung liegt trotz der Aufholeffekte im dritten Quartal unterhalb des Niveaus zu Jahresbeginn 2020. Zudem bremst das erneute Aufflammen des Infektionsgeschehens in vielen Ländern im vierten Quartal die Erholung aus.

Im dritten Quartal haben sinkende Infektionszahlen und entsprechende Lockerungen von Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens und des Geschäftsverkehrs die Erholung vorangetrieben. Die Produktionsprozesse und der internationale Warenverkehr normalisierten sich. Auch die privaten Haushalte fragten vermehrt Konsumgüter nach und konnten nach den Einschränkungen auch wieder personennahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Vielerorts verzeichneten das Verkehrswesen, der Tourismus, der stationäre Einzelhandel und die Gastronomie besonders starke Zuwächse. Die in vielen Ländern sehr expansiv ausgerichtete Finanz- und Geldpolitik dürfte den Erholungsprozess erheblich unterstützt haben: Viele Volkswirtschafen, beispielsweise in Europa und Nordamerika, haben finanzpolitische Hilfsprogramme aufgelegt, Lohneinbußen abgefedert und Unternehmen, die aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen Umsatzeinbußen erlitten, Liquidität oder Kreditbürgschaften in erheblichem Umfang bereitgestellt.

Zu Beginn des vierten Quartals stieg die Zahl der Corona-Neuinfektionen in vielen Ländern wieder rapide an. Insbesondere in Europa, den Vereinigten Staaten und einigen südamerikanischen Ländern erkranken derzeit täglich deutlich mehr Menschen an Covid-19 als noch im Frühjahr. Einige Regierungen verschärften daraufhin die Infektionsschutzmaßnahmen merklich. So wurden in vielen europäischen Ländern erneute Lockdowns beschlossen, die allerdings oftmals geringere Anteile des öffentlichen Lebens einschränken als im Frühjahr.

Erfolge bei der Impfstoffentwicklung wecken derzeit die Hoffnung auf ein baldiges Abklingen der Pandemie. Anfang November beantragten einige Pharmaunternehmen die Zulassung von wirksamen Impfstoffen; bereits im Dezember dürften in Europa und Amerika erste Impfstoffe zum Einsatz kommen. Ein flächendeckender Schutz wird wohl in bevölkerungsreichen Volkswirtschaften nicht in kurzer Zeit zu erreichen sein. Mit einer vollständigen Rückführung von Reise- und Kontaktbeschränkungen ist daher nicht im ersten Halbjahr 2021 zu rechnen.

Die zweite Infektionswelle trübte die Stimmung der Unternehmen und der Haushalte bereits im Herbst. Die Einkaufsmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes in vielen großen Volkswirtschaften stagnieren seit dem Ende des Sommers und sind teilweise leicht rückläufig (Abbildung 2). Auch die Zuversicht der Konsumentinnen und Konsumenten stieg nicht weiter an und liegt vielerorts nach wie vor unterhalb des Vorkrisenniveaus. Allerdings wurden die vorliegenden Umfragen noch vor den Erfolgen in der Impfstoffentwicklung durchgeführt, so dass diese kein aktuelles Bild zeichnen können. Dass die jüngsten Durchbrüche die Konjunkturaussichten deutlich aufhellen, zeigt sich an den Finanzmärkten. Die Aktienmärkte verzeichneten Anfang November erhebliche Kursgewinne und erreichten teilweise neue Rekordstände.

Die weitere wirtschaftliche Erholung wird sich voraussichtlich zum Jahresende dennoch verlangsamen. Die in vielen Ländern, vor allem in Europa, stark steigenden Neuinfektionen und damit einhergehenden Verschärfungen der Infektionsschutzmaßnahmen dürften die Produktion und den Handel, insbesondere die personennahen Dienstleistungen, belasten.

Der vorliegenden Prognose liegt die Annahme zugrunde, dass die in vielen Ländern bereits beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen den Infektionsverlauf kurzfristig verlangsamen und weitere unkontrollierte, erhebliche Anstiege der Neuinfektionen verhindern. Neuerliche umfangreiche Lockdowns werden also nicht angenommen. In der ersten Jahreshälfte 2021 dürften die Eindämmungsmaßnahmen wieder schrittweise reduziert und durch einen allmählichen Aufbau eines flächendeckenden Impfschutzes ersetzt werden. Daher ist im weiteren Prognoseverlauf mit einer moderat verlaufenden Erholung zu rechnen. Ihren langfristigen Wachstumspfad wird die globale Produktion damit wohl erst zum Ende des Prognosezeitraums erreichen.

Eine weiterhin äußerst expansiv ausgerichtete Geld- und Finanzpolitik dürfte den Erholungsprozess weiter stützen. Zwar laufen in vielen großen Volkswirtschaften Teile der finanzpolitischen Impulse aus den Corona-Hilfspaketen im kommenden Jahr aus. Jedoch sind in einigen Volkswirtschaften, wie beispielsweise in Europa, bereits weitere Konjunkturprogramme zur Stärkung des Erholungsprozesses auf den Weg gebracht.

Die umfangreichen Finanzhilfen werden die Verluste der Unternehmen und Einkommenseinbußen der privaten Haushalte wohl nur teilweise kompensieren, so dass sie sich nur allmählich wieder erholen dürften. Neben der neuerlichen Infektionswelle wird, trotz des hier unterstellten geregelten Austritts, die zuletzt gestiegene Unsicherheit über einen harten Brexit die Erholung zusätzlich bremsen.

Dies dürfte die Investitionsneigung der Unternehmen belasten. Stützen wird wohl hingegen die Hoffnung auf einen wirksamen Impfschutz. Aber auch der Wahlsieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten in den USA dürfte handelspolitische Unsicherheiten auflösen.infoVgl. den dritten Bericht in diesem Heft: Paul Berenberg-Gossler et al. (2020): Trumps protektionistische Handelspolitik hat ihre Ziele verfehlt. DIW Wochenbericht Nr. 50. Zudem dürften Störungen der internationalen Lierferketten aus dem Frühjahr behoben sein, und der Welthandel wird seine schnell voranschreitende Erholung voraussichtlich fortsetzen. Unter dem Strich dürften diese Entwicklungen die Investitionstätigkeit etwas anschieben.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich voraussichtlich nur allmählich erholen. Zwar verzeichneten viele Volkswirtschaften zuletzt einen Beschäftigungsaufbau. Dieser kompensiert in den meisten Fällen aber weniger als die Hälfe der Beschäftigungsverluste des ersten Halbjahrs. Auch die Arbeitslosenraten sind nach teilweise historisch einzigartigen Anstiegen in vielen Ländern wieder gesunken, liegen aber oftmals noch deutlich über dem Vorkrisenniveau. In einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist durch das Auslaufen der Soforthilfen für Unternehmen, beispielsweise die Zahlung von Kurzarbeitergeld, mit einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Insgesamt dürften Einkommenseinbußen der Haushalte und deren anhaltende Verunsicherung über die zukünftige Einkommensentwicklung den privaten Verbrauch nach wie vor schwächen. Dies belegen vielerorts auch hohe Sparquoten.

Die schlechte Lage auf den Arbeitsmärkten wird wohl ebenfalls die Lohnentwicklung in vielen Volkswirtschaften belasten. Bei weiterhin niedrigen Energiepreisen ist vielerorts zunächst mit einer schwachen Konsumentenpreisinflation zu rechnen, die im Zuge der Erholung und entsprechend anziehender Löhne allmählich steigen dürfte.

Insgesamt lässt die Corona-Pandemie die globale Produktion in diesem Jahr um 3,4 Prozent schrumpfen (Tabelle). Der Erholungsprozess beginnt mit recht starken Raten von 6,3 im kommenden Jahr und 4,4 Prozent im Jahr 2022. Damit hebt das DIW Berlin seine Prognose für dieses Jahr um 0,6 Prozentpunkte an. Dies ist hauptsächlich auf die starken Aufholeffekte im dritten Quartal zurückzuführen. Im Jahr 2021 und 2022 rechnet das DIW Berlin mit jeweils rund einem halben Prozentpunkt höheren Zuwächsen.

Tabelle: Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in der Weltwirtschaft

In Prozent

Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote in Prozent
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent
2019 2020 2021 2022 2019 2020 2021 2022 2019 2020 2021 2022
Euroraum 1,3 −7,5 4,8 2,9 1,3 0,0 0,8 1,3 7,5 8,2 9,8 9,5
ohne Deutschland 1,6 −8,4 4,5 2,9 1,2 –0,2 0,4 1,2 9,5 9,9 12,4 12,1
Frankreich 1,5 −9,7 5,2 2,8 1,1 0,6 0,7 1,1 8,5 7,9 10,5 10,6
Italien 0,3 −9,2 4,4 2,9 0,6 −0,1 0,5 1,3 9,9 9,4 11,1 11,0
Spanien 2,0 −11,3 5,9 3,6 0,7 −0,2 0,8 1,1 14,1 15,8 18,8 17,7
Niederlande 1,6 −5,2 2,1 2,0 2,7 1,1 1,3 1,4 3,4 4,4 6,5 6,1
Vereinigtes Königreich 1,3 −10,0 4,7 2,7 1,7 1,0 0,9 1,6 3,8 4,4 6,7 6,3
USA 2,2 −3,5 3,9 3,0 1,9 1,3 2,3 2,0 3,6 7,6 6,4 5,3
Japan 0,7 −5,2 2,6 1,2 0,6 0,0 0,2 0,6 2,4 2,9 2,7 2,5
Südkorea 2,0 −1,0 3,0 2,8 0,4 0,6 1,3 1,4 3,7 3,9 4,1 3,7
Mittel- und Osteuropa 4,1 −4,7 5,4 4,0 2,7 3,2 3,0 2,6 3,3 3,8 4,2 3,7
Türkei 1,0 0,4 2,5 3,1 15,2 11,6 10,7 10,0 13,7 14,5 14,3 13,3
Russland 1,3 −3,7 2,6 1,9 4,5 3,3 3,9 3,4 4,6 6,0 5,9 4,8
China 6,2 1,8 9,0 5,8 2,4 3,6 2,9 3,0 4,1 4,1 4,1 4,1
Indien 4,7 −9,8 9,2 7,9 3,7 6,2 4,4 4,0
Brasilien 1,1 −5,0 5,9 2,0 3,8 3,1 4,7 3,5 11,9 13,4 12,5 11,5
Mexiko −0,3 −8,6 4,5 2,2 3,4 3,4 3,4 3,3 3,5 4,6 5,1 4,0
Fortgeschrittene Volkswirtschaften 1,7 −5,1 3,9 2,7 1,5 0,8 1,6 1,6 4,5 6,7 6,7 6,0
Schwellenländer 4,5 −2,4 7,8 5,4 3,6 4,5 3,9 3,7 5,2 5,6 5,6 5,2
Welt 3,4 −3,4 6,3 4,4 2,8 3,0 3,0 2,9 4,9 6,1 6,0 5,5

Quellen: Nationale statistische Ämter; DIW Wintergrundlinien 2020.

Trotz der Aussicht auf einen baldigen Beginn der ersten Impfungen in einigen Ländern bleibt der kurzfristige Verlauf der Pandemie unsicher. Die Prognoseunsicherheit ist dementsprechend weiterhin überwiegend mit erheblichen abwärtsgerichteten Risiken behaftet. So könnten die weltweiten Corona-Neuinfektionen trotz einsetzender Maßnahmenverschärfung weiterhin stark ansteigen und den Erholungsprozess verlangsamen. Dadurch würden strengere und bis ins nächste Jahr anhaltende Eindämmungsmaßnahmen nötig, die erneut zu erheblichen Einbrüchen der Wirtschaftsleistung führen (Kasten 1). Ein weiteres Risiko besteht darin, dass im kommenden Jahr die Unternehmens- und Privatinsolvenzen stark steigen. Dies könnte zu erheblichen Kreditausfällen führen und im Zuge dessen die Finanzmärkte destabilisieren, was auch die Solvenz etlicher Staaten gefährden kann.

Seit Herbstbeginn steigen in vielen bevölkerungsreichen Volkswirtschaften die Neuinfektionen wieder stark an. Vor allem in Europa, aber auch in den Vereinigten Staaten und einigen lateinamerikanischen Ländern liegt die Zahl der Neuinfektionen auf neuen Höchstständen (Abbildung 1). Zwar scheint es bei der Entwicklung von wirksamen Impfstoffen zu Durchbrüchen gekommen zu sein. Allerdings dürfte der Aufbau einer ausreichenden Immunität der Bevölkerung global gesehen Jahre dauern.

In vielen Ländern Europas wurden bereits wieder weitreichende Infektionsschutzmaßnahmen aus dem Frühjahr ergriffen: Reise- und Kontaktbeschränkungen oder Lockdowns. Mit den rapide ansteigenden Neuinfektionen und entsprechenden Eindämmungsmaßnahmen und/oder Verhaltensänderungen ist das öffentliche Leben vielerorts wieder eingeschränkt. So dürfte die Teilnahme von Personen am öffentlichen Leben zuletzt rückläufig sein, wie es bereits bei Indikatoren zur Mobilität ersichtlich ist (Abbildung 2).

Die vorliegenden Wintergrundlinien unterliegen der Annahme, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um die Pandemie einzudämmen. Zudem wird ein unkontrollierter Anstieg der Neuinfektionen ausgeschlossen. Tatsächlich ist der weitere Verlauf der Corona-Ausbreitung kurzfristig allerdings sehr unsicher. Insbesondere kann sich zu Beginn des kommenden Jahres die globale Virusausbreitung weiter beschleunigen, was vielerorts zusätzliche Eindämmungsmaßahmen und weitere Verhaltensanpassungen mit sich bringen würde.

Um die zusätzlichen Wachstumseinbußen einer solchen Verschärfung für die Weltwirtschaft abzuschätzen, wird hier ein Prognoseverfahren eines vektorautoregressiven Modells (VAR-Modell) verwendet.infoBasierend auf der Studie von Giorgio E. Primiceri und Andrea Tambalotti (2020): Macroeconomic Forecasting in the Time of COVID-19. Manuscript, Northwestern University (online verfügbar). Da es in der Vergangenheit kaum vergleichbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie gegeben hat, basieren aussagekräftige Prognosen makroökonomischer Größen zum einen auf Informationen aus Prognosefehlern dieses Jahres und zum anderen auf Annahmen über den Pandemieverlauf. So wird zunächst ein VAR-Modell mit logarithmierten Daten zum globalen Bruttoinlandsprodukt (Weltbank), zu globalen Konsumentenpreisen (Weltbank) und Renditen von zehnjährigen US-Staatsanleihen (Federal Reserve Bank of San Francisco) auf Quartalsfrequenz von 1991 bis zum ersten Quartal 2020 mit vier Verzögerungen geschätzt. Auf Basis dieser Schätzung wird eine Prognose bis zum Jahresende des Jahres 2022 erstellt. Zusätzlich wird ein Pandemieschock und dessen Wirkung im Zeitverlauf auf die Modellvariablen mit Hilfe des Prognosefehlers aus dem zweiten und dritten Quartal dieses Jahres und einer Annahme über den Schockverlauf geschätzt und auf die Prognose aufgeschlagen. So entsteht eine szenariobasierte Vorhersage, die die bereits ersichtlichen Wirkungen der Pandemie erhöht.

Das hier unterstellte pessimistische Szenario nimmt an, dass der Pandemieschock im zweiten Quartal 2020 eingetreten ist. Der Schock ist anfänglich auf Eins normiert. Die Annahmen über den weiteren Schockverlauf wurden von aktuellen Mobilitätsdaten abgeleitet. So wird angenommen, dass der Schock im dritten Quartal dieses Jahres auf 0,15 zurückfällt und im vierten Quartal auf 0,25 steigt (Abbildung 3).

Es wird im weiteren Verlauf unterstellt, dass sich zu Beginn des kommenden Jahres die Pandemie und die entsprechenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens weiter verschärfen. Die Mobilitätseinschränkungen dürften annahmegemäß ungefähr halb so umfangreich sein wie im zweiten Quartal 2020. Nach dem ersten Quartal 2021 wird mit zunehmender Pandemie-Eindämmung ein allmählicher Anstieg der Mobilität unterstellt.

Die auf diesem pessimistischen Szenario basierende Prognose deutet einen merklich verlangsamten Erholungsprozess in Form eines W an (Abbildung 4). Im Vergleich zum Pandemieverlauf, der dieser Prognose unterstellt ist, wird das globale Bruttoinlandsprodukt durch einen pessimistischeren Verlauf im kommenden Jahr 1,7 und im Jahr 2022 1,9 Prozentpunkte weniger wachsen.

Eine schnellere Eindämmung der Pandemie durch eine rasche Verbreitung des Impfschutzes würde den globalen Aufschwung hingegen stärken. Der Erholungsprozess in Europa dürfte zudem erheblich ausgebremst werden, wenn ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich trotz sich abzeichnender Einigung bei den Verhandlungen doch noch platzt.

USA: Erholung der Wirtschaft setzt sich abgeschwächt fort

Im dritten Quartal 2020 hat das Bruttoinlandsprodukt der USA im Vergleich zum Vorquartal um 7,4 Prozent (annualisiert um 33,1 Prozent) zugelegt, nachdem es im ersten Halbjahr pandemiebedingt eingebrochen war.

Der private Konsum und die Investitionen stützten das Wachstum. Die Binnennachfrage stieg um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Die erhöhte Binnennachfrage schlug sich ebenfalls auf die Importe nieder, die um 17,6 Prozent zulegten. Auch der Export legte zu, allerdings mit 12,4 Prozent deutlich weniger als die Importe, so dass der Außenhandelsbeitrag insgesamt negativ war und das Wachstum im dritten Quartal belastete. Im Zuge der binnenwirtschaftlichen Erholung verbesserte sich auch das Geschäftsklima kontinuierlich seit Juni 2020. Damit wurde die coronabedingte Eintrübung der unternehmerischen Stimmung teils wieder wettgemacht.

Während der US-Arbeitsmarkt am Jahresanfang mit einer Arbeitslosenrate von weniger als vier Prozent nahezu Vollbeschäftigung erreichte, stieg die Quote im dritten Quartal auf 7,9 Prozent. Die Arbeitslosigkeit dürfte zwar im vierten Quartal 2020 mit dem Abbau der Eindämmungsmaßnahmen wieder leicht auf 7,1 Prozent sinken. Erst in den Jahren 2021 und 2022 dürfte sie aber wieder graduell abnehmen.

Gestützt wird die wirtschaftliche Erholung durch die expansive Geldpolitik. So liegt der Leitzins seit März 2020 bei fast null Prozent, und es werden umfangreiche Wertpapierkäufe durchgeführt. Die Geldpolitik wird über den Prognosezeitraum wohl expansiv ausgerichtet bleiben.infoSeit dem 27. August verfolgt die amerikanische Zentralbank eine überarbeitete geldpolitische Strategie, die nun ein durchschnittliches Inflationsziel anpeilt. Damit kann sie zukünftig ein längeres moderates Überschießen der Inflationsrate über dieses durchschnittliche Inflationsziel zulassen, um ein vorangegangenes Unterschießen zu kompensieren. Das Inflationsziel für den Index der privaten Konsumausgaben liegt aber nach wie vor bei zwei Prozent. Außerdem hat die US-Notenbank Fed angekündigt, den expansiven geldpolitischen Kurs fortzuführen, bis wieder Vollbeschäftigung erreicht ist. Vgl. Richard H. Clarida (2020): U.S. Economic Outlook and Monetary Policy. Rede am 14. Oktober 2020 (online verfügbar, abgerufen am 26. November 2020. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Zusätzlich plant die neue Biden-Administration, die Handelsbeziehungen mit traditionellen Handelspartnern, wie Kanada, Mexiko und der EU, zu verbessern. Zudem dürften die von Biden angekündigten Infrastrukturinvestitionen die US-Wirtschaft anschieben.

Allerdings bleibt die Perspektive vor allem durch einen potenziell schlechten Pandemieverlauf eingetrübt.infoDie Sieben-Tage-Inzidenz (neuinfizierte Personen pro 100000 Personen) ist weltweit immer noch eine der höchsten, auch wenn sie sich zuletzt stabilisiert hat. Die Trump-Administration hat aber bereits angekündigt, keine erneuten Lockdowns im Falle eines Anstiegs durchzuführen. Zudem macht die derzeitige politische Blockade im US-Senat weitere Konjunkturmaßnahmen kurzfristig unmöglich.infoOhne eine demokratische Mehrheit im Senat, die sich erst im Januar mit den letzten Stichwahlen vor allem in Georgia entscheiden dürfte, werden zukünftige Konjunkturmaßnahmen wohl verhaltener ausfallen. Da die amerikanische Zentralbank aber bereits knapp an der unteren Grenze nomineller Zinssätze angekommen ist, ist es fraglich, wie sehr die expansive Geldpolitik längerfristig ohne zusätzliche Konjunkturmaßnahmen die Wirtschaft stützen kann.

Auch der Handelsstreit zwischen China und den USA schwelt weiterhin – trotz des „Phase-One“-Abkommens, das die von Trump geplanten Zollerhöhungen auf unbestimmte Zeit verschob oder senkte.infoVgl. dritten Bericht in dieser Ausgabe: Paul Berenberg-Gossler et al. (2020): Trumps protektionistische Handelspolitik hat ihre Ziele verfehlt. DIW Wochenbericht Nr. 50. Aber auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden wird der Handelsstreit mit China wohl nicht rasch beigelegt werden können.

Die Zuwächse im dritten Quartal konnten die Einbrüche der Wirtschaftsleistung durch die Corona-Krise noch nicht vollständig kompensieren. Alles in allem wird die US-Wirtschaft im laufenden Jahr wohl um 3,5 Prozent schrumpfen. Die Wachstumsrate im vierten Quartal 2020 dürfte bei 1,0 Prozent im Vergleich zum dritten Quartal liegen. In den Jahren 2021 und 2022 werden die Wachstumsraten wohl 3,9 beziehungsweise 3,0 Prozent erreichen.

China: Exporte stützen langsame Rückkehr auf den Wachstumspfad

Das Bruttoinlandsprodukt Chinas hat im dritten Quartal 2020 um 2,7 Prozent zugelegt. Die Wirtschaftsleistung wurde vor allem durch starke Exporte, einen positiven Pandemieverlauf und fiskalpolitische Impulse in Höhe von 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts getrieben.infoPolicy Tracker des IWF (online verfügbar, abgerufen am 27. November 2020) Besonders die weltweite Nachfrage nach medizinischen Gütern und die durch die Corona-Pandemie reduzierten Fertigungskapazitäten anderer Länder stützten die chinesischen Exporte. Dies wird seit Mai 2020 durch den starken Anstieg indirekter Indikatoren für chinesische Exporte, wie Frachtraten für Containerschiffe, eindrucksvoll untermauert.

Der Binnenkonsum hat noch nicht in gleichem Maße von dieser Entwicklung profitiert, auch wenn die Importe im Oktober im Jahresvergleich um 4,7 Prozent stiegen und die Kfz-Zulassungen fast wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Ebenso holen die Umsätze aus dem Einzelhandel aufgrund des anziehenden privaten Verbrauchs seit dem Einbruch Anfang 2020 schnell auf.

Das verbesserte Verbrauchervertrauen, die Aufwertung des Renminbi und die weiterhin sehr niedrige Konsumentenpreisinflation stützen den Konsum der Haushalte. Die Inflationsraten verharren im Oktober auf einem elfjährigen Tief von 0,5 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat, obgleich die chinesische Zentralbank seit Februar 2020 ihre Leitzinsen in mehreren Schritten von 4,15 Prozent auf 3,85 Prozent gesenkt hat. Zwar lässt dies noch einigen Spielraum für eine expansivere Geldpolitik, mit weiteren Zinsschritten ist aber zunächst nicht zu rechnen.

Die Risiken für ein abruptes Ende des Aufschwungs sind gering und bestehen hauptsächlich darin, dass die Auslandsnachfrage nachlässt, wenn sich die Pandemie in traditionellen Abnehmerregionen wie der EU oder den USA verschärft. Auch wenn sich die Handelsbeziehungen unter der neuen Biden-Administration höflicher gestalten könnten, so ist kein nennenswertes Abweichen der derzeitigen amerikanischen Position gegenüber China und keine deutlich andere Entwicklung der Auslandsnachfrage zu erwarten.

Angetrieben durch die Unsicherheiten in den Handelsbeziehungen mit den USA hat die chinesische Führung im letzten Quartal unter anderem ein neues Handelsabkommen unterschrieben. Das Regional-Comprehensive-Economic-Partnership-Abkommen (RCEP) umfasst 15 wichtige Länder im asiatisch-pazifischen Raum, die knapp ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts stellen.infoNeben China gehören dazu Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland sowie Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Details zum Abkommen sind noch nicht bekannt, es dürfte aber Zölle unter Mitgliedsländern leicht senken und Handelsverfahren vereinfachen.

Die verschlechterten US-Handelsbeziehungen haben auch Einfluss auf Chinas wirtschaftspolitische Ziele. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas gab Ende Oktober Grundzüge des nächsten Fünfjahresplans (2021 bis 2025) und seine langfristigen Wirtschaftsziele bis 2035 bekannt. Hierbei setzt China vor allem auf größere Autonomie im Technologiebereich und möchte zukünftig Hochtechnologie, wie Mikrochips, selbst produzieren. Die Führung strebt an, innerhalb der nächsten 15 Jahre das Pro-Kopf-Einkommen auf das Level Polens zu heben und das reale Bruttoinlandsprodukt zu verdoppeln. Eine solche Verdoppelung würde eine durchschnittliche BIP-Wachstumsrate von knapp fünf Prozent pro Jahr erfordern.

Alles in allem wird das chinesische Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um 1,6 Prozent im Vergleich zum dritten Quartal zunehmen. Das ergibt ein Wachstum von 1,8 Prozent für das Jahr 2020. In den Jahren 2021 und 2022 dürften die Wachstumsraten bei 9,0 und 5,8 Prozent liegen. Langfristig dürfte China also in seine Rolle als weltweiter Wachstumsmotor zurückkehren.

Euroraum: Zweite Infektionswelle verlangsamt Aufschwung

Der Euroraum erholte sich im Sommer in großen Schritten von den Verlusten im zweiten Quartal. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im dritten Quartal um 12,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Der Ausbruch der Corona-Pandemie und entsprechende Lockdowns der Mitgliedstaaten hatten in der ersten Jahreshälfte vor allem den privaten Verbrauch stark gesenkt. Umfangreiche Finanzpakete konnten die Einkommenseinbußen wohl zum Teil abfedern und die Kaufkraft der Haushalte stabilisieren, so dass mit den Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen über den Sommer auch der private Verbrauch deutlich stieg. Mitgliedsländer mit größeren Anteilen an personennahen Dienstleistungen in der Wertschöpfung, die besonders starke wirtschaftliche Verwerfungen durch die Lockdowns im Frühjahr erlitten, profitierten im Sommer erheblich von den Lockerungen. Etwas verhaltener als die Binnenwirtschaft der Währungsunion konnte sich ihr Außenhandel erholen. Zwar trugen die Nettoexporte zum Wachstum des dritten Quartals bei, allerdings erreichten vor allem die Ausfuhren noch nicht das Vorkrisenniveau.

Im vierten Quartal trüben das erneute Aufflammen der Corona-Pandemie und die in vielen Ländern stark verschärften Eindämmungsmaßnahmen die Aussichten auf eine andauernde Erholung. Mit den fortschreitenden Lockerungen zogen die täglichen Zahlen der Neuinfektionen in vielen Mitgliedstaaten im September wieder an. Anfang Oktober überschritten die Neuinfektionen die Hochstände vom Frühjahr. Aus diesem Grund beschlossen viele Mitgliedstaaten Verschärfungen der Reise- und Kontaktbeschränkungen oder verhängten zweite Lockdowns, die in vielen Fällen allerdings weniger Bereiche des öffentlichen Lebens einschränken als die Eindämmungsmaßnahmen im Frühjahr.

Die französische Regierung hat am 30. Oktober das gesellschaftliche Leben landesweit auf die Erledigungen des täglichen Bedarfs beschränkt und touristische Aufenthalte untersagt. Seit dem 5. November stellt auch die italienische Regierung einzelne Regionen für mindestens 15 Tage unter einen strikten Lockdown, von der fast die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist. Der Lockdown Spaniens im vierten Quartal gestaltet sich weniger stringent als in Italien und Frankreich. Für ganz Spanien wurde am 25. Oktober 2020 der Alarmzustand ausgerufen, der bis zum 9. Mai 2021 verlängert wurde. Dieser ermächtigt die autonomen Regionen, abhängig von der Infektionslage, nächtliche Ausgangssperren zu verhängen, Zusammenkünfte auf eine Personenzahl zu begrenzen und Bewegungsbeschränkungen für besonders betroffene Gebiete oder die gesamte Gebietskörperschaft durchzusetzen. Derzeit sind etwa 16 Millionen Spanier (35 Prozent der Landesbevölkerung) von einem sehr strikten Lockdown betroffen. Die Niederlande befinden sich seit dem 14. Oktober 2020 in einem Teil-Lockdown, der bis Mitte Januar 2021 andauern soll.

Unter dem erneuten Pandemiegeschehen litt die Stimmung der Unternehmen zuletzt deutlich. So fielen die Einkaufsmanagerindizes unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten, was vor allem an den schlechten Aussichten für den Dienstleistungsbereich lag. Die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe blieb hingegen vielerorts stabil. Auch die Zuversicht der Konsumentinnen und Konsumenten hat sich in Anbetracht der verschärften Eindämmungsmaßnahmen in vielen Mitgliedstaaten wieder verschlechtert.

Die aktuellen Anti-Corona-Maßnahmen werden die Wirtschaft wohl im vierten Quartal weniger belasten als im Frühjahr, da sie in den meisten Ländern weniger rigide sind. Einerseits wird die Kinderbetreuung in vielen Mitgliedstaaten aufrechterhalten, andererseits dürfte es aufgrund der heterogenen Infektionsverläufe und unterschiedlichen Eindämmungsmaßnahmen weltweit nicht zu massiven Lieferkettenstörungen kommen wie im Frühjahr. Auch aktuell sind insbesondere personennahe Dienstleistungen von den Eindämmungsmaßnahmen betroffen. Vor allem die Gastronomie, die Kunst- und Kultur- sowie die Tourismusbranche können vielerorts ihre Dienstleistungen nicht oder nur in sehr beschränktem Maße anbieten.

Dennoch werden die mit den Maßnahmen verbundenen Einschränkungen den Erholungsprozess der Währungsunion wohl verlangsamen. Gestützt werden dürfte die Erholung von der weiterhin sehr expansiv ausgerichteten Finanzpolitik. Für die Erholung in den kommenden Jahren hat die EU bereits das Aufbauprogramm „Next Generation EU“ aufgelegt.infoDas Aufbauinstrument „Next Generation EU“ soll den langfristigen EU-Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 ergänzen. Die Europäische Kommission kann zu diesem Zweck Schuldtitel im Umfang bis zu 750 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten emittieren, von denen 390 Milliarden Euro als Zuschüsse und 360 Milliarden Euro als Darlehen an die Mitgliedsländer zugeteilt werden. Ziel des Instruments ist sowohl die Unterstützung der Mitgliedsländer bei der Krisenbewältigung als auch die Stärkung des europäischen Binnenmarkts und die Beschleunigung eines ökologischen und digitalen Wandels. Ein zügiges Inkrafttreten des Instruments wurde zuletzt von Polen und Ungarn verhindert. Im Dezember soll erneut verhandelt werden. Zur Unterstützung der Unternehmen und Haushalte während der Lockdowns im Herbst haben die nationalen Regierungen ihre finanzpolitischen Maßnahmen noch einmal ausgeweitet. Diese betreffen insbesondere das Kurzarbeitergeld, die finanzielle Unterstützung der von Einkommensausfällen betroffenen Selbstständigen und die Bereitstellung von Liquidität für Unternehmen. So dürften die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im vierten Quartal nur bedingt sichtbar werden. Im kommenden Jahr, wenn die nationalen Arbeitsplatzerhaltungsmaßnahmen auslaufen, wird sich dies wohl in steigenden Arbeitslosenzahlen niederschlagen. Die Arbeitslosenrate dürfte erst im Jahr 2022 allmählich wieder sinken, wenn im Zuge einer sich verbessernden konjunkturellen Lage neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Bis zum Ende des Prognosezeitraums dürfte die Arbeitslosenrate jedoch in allen Staaten über dem Vorkrisenniveau liegen.

Der private Konsum wird im vierten Quartal 2020 voraussichtlich deutlich zurückgehen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert sich wohl nur allmählich, und die Unsicherheit über zukünftiges Einkommen dürfte zunächst andauern, was den privaten Verbrauch wohl belasten wird. Stützend wirkt neben finanzpolitischen Hilfen auch eine weiterhin geringe Konsumentenpreisinflation. Die geringere Teuerung und der Abbau der Einschränkungen dürften den privaten Verbrauch vermehrt anregen, so dass er in den Jahren 2021 und 2022 wohl zunehmend zum Wachstum beitragen wird.

Das verarbeitende Gewerbe dürfte neben dem Pandemiegeschehen auch von den Unwägbarkeiten um den EU-Austritt Großbritanniens belastet werden. Zum Jahreswechsel endet die Übergangsfrist zum Austritt Großbritanniens aus der EU. Zwar ist bisher noch kein Abkommen zwischen dem Inselstaat und der EU geschlossen worden, die Verhandlungen haben zuletzt aber Fortschritte gemacht. So wird in dieser Prognose unterstellt, dass es zu keinem harten Brexit kommt, sondern zu einer Einigung über ein Austrittsabkommen und einer kurzfristigen Verlängerung der Übergangsphase. Die zuletzt gestiegene Unsicherheit über einen harten Brexit dürfte zunächst bestehen bleiben, da selbst bei einer Einigung einige riskante politische Hürden zu bewältigen sind, an denen das Abkommen noch scheitern und ein harter Brexit trotz Einigung auftreten könnte (Kasten 2). Die im Zuge des Brexit entstandene Unsicherheit dürfte wohl vor allem die Investitionen, aber auch die Ausfuhren der Industrie zusätzlich belasten.

Hingegen dürfte der zuletzt leicht gefallene Außenwert des Euro die Ausfuhren der Währungsunion stützen. Zudem ist mit einer kräftigen Auslandsnachfrage von wichtigen Handelspartnern aus dem asiatischen Raum, wie China, zu rechnen.

Weiterhin hohe Unsicherheit bezüglich des zukünftigen Pandemieverlaufs dürfte die Investitionslaune der Unternehmen dämpfen. So wird die Investitionstätigkeit vor allem im ersten Halbjahr 2021 wohl noch zurückhaltend sein, solange Unternehmen mit geringerer Kapazitätsauslastung wirtschaften. Allerdings dürften die weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen die Unternehmensinvestitionen begünstigen.

Trotz massiver geldpolitischer Impulse zeigen sich noch keine bedeutsamen Steigerungen bei der Konsumentenpreisinflation. In Anbetracht der langsamen Erholung auf den Arbeitsmärkten und entsprechend nur allmählich anziehender Löhne dürften die Teuerungsraten in den meisten Ländern nur schleppend steigen. Damit einhergehend hat die EZB bereits angekündigt, ihren expansiven geldpolitischen Kurs fortzuführen und die bestehenden geldpolitischen Maßnahmen beizubehalten.

Alles in allem dürfte das verschlechterte Pandemiegeschehen und entsprechende Eindämmungsmaßnahmen die Wirtschaft im Euroraum vor allem zum Jahreswechsel belasten. Mit Eindämmung des Virus und Abbau der Infektionsschutzmaßnahmen dürfte sich die Produktion der Währungsunion allmählich erholen, so dass zum Ende des Jahres 2022 der langfristige Wachstumspfad wohl wieder erreicht sein wird. Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr deutlich um 7,5 Prozent schrumpfen. Im kommenden Jahr wird voraussichtlich ein Teil der Produktionsausfälle wieder aufgeholt werden, so dass das Bruttoinlandsprodukt 2021 um 4,8 Prozent und 2022 um 2,9 Prozent steigen dürfte.

Aufgrund der Unwägbarkeiten bezüglich des Pandemieverlaufs ist diese Prognose mit einer erhöhten Unsicherheit und vielen Risiken behaftet. Ein unkontrollierter Infektionsverlauf im Euroraum, aber auch erneute Infektionswellen bei Handelspartnern könnten die Wirtschaftskrise in einigen Ländern weiter vertiefen. Außerdem besteht die Gefahr, dass vermehrte Unternehmensinsolvenzen im kommenden Jahr die Erholung unterbrechen und das Bankensystem stark belasten sowie die Finanzmärkte destabilisieren. Zudem könnte ein ungeregelter Austritt Großbritanniens die Erholung merklich bremsen. Für eine raschere Erholung könnte eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung gegen das Corona-Virus sorgen.

Vereinigtes Königreich: Brexit bremst Erholung enorm

Von einem niedrigen Niveau kommend hat die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs im dritten Quartal stark aufgeholt. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs um rund 15 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Ähnlich wie in anderen Ländern Europas trieben auch hier die Lockerungen der Reise- und Kontaktbeschränkungen den privaten Verbrauch, insbesondere von personennahen Dienstleistungen. Die von der britischen Regierung im Frühjahr beschlossenen umfangreichen finanzpolitischen Hilfspakete dürften die Kaufkraft der Haushalte stabilisiert haben, und so trug der private Konsum einen erheblichen Teil zum Wachstum über die Sommermonate bei. Gestützt wurde die Erholung auch von Unternehmensinvestitionen, die ebenfalls von den finanzpolitischen Hilfen, aber auch sehr günstigen Finanzierungsbedingungen profitiert haben dürften.

Nachdem die Neuinfektionen im Oktober rapide angestiegen waren, ordnete die britische Regierung Anfang November einen vierwöchigen abgemilderten Lockdown an: Es wurden strenge Eindämmungsmaßnahmen verhängt. So wurden beispielsweise die Gastronomie und Teile des Einzelhandels und Freizeitgewerbes geschlossen. Dieser Teillockdown dürfte in der britischen Wirtschaft deutlich geringere Spuren hinterlassen als die rigiden Einschränkungen im Frühjahr. Im Gegensatz zum Frühjahr blieben nun Schulen offen, und Arbeitsstätten in den nicht von den Schließungen betroffenen Branchen konnten weiterhin aufgesucht werden. Zudem hat die Regierung die finanzpolitischen Hilfen aus dem Frühjahr verlängert oder ausgeweitet, was unternehmerische Verluste und Einkommenseinbußen zum Teil abfedern dürfte. Trotzdem trübte der erneute Lockdown die Stimmung britischer Unternehmen und privater Haushalte. So lag beispielsweise der Einkaufsmanagerindex im November wieder deutlich unterhalb der Expansionsschwelle von 50.

Obwohl die Neuinfektionen deutlich rückläufig sind und die Eindämmungsmaßnahmen annahmegemäß ab dem kommenden Jahr schrittweise abgebaut werden, wird die Erholung der britischen Wirtschaft schleppend verlaufen.

In Anbetracht der großen wirtschaftlichen Verluste scheint der Arbeitsmarkt bislang vergleichsweise glimpflich davon gekommen zu sein. Die Arbeitslosenrate lag zuletzt bei knapp unter fünf Prozent und damit deutlich unter dem Niveau von rund acht Prozent während der Finanzkrise. Arbeitsplätze dürften vor allem durch das Programm Coronavirus Job Retention (CJR), das britische Äquivalent zum Kurzarbeitergeld, erhalten geblieben sein. So wurden im Mai rund 30 Prozent der Erwerbspersonen durch das Programm unterstützt, was ungefähr neun Millionen Arbeitsplätzen entspricht. Ende Oktober waren es noch rund 1,75 Millionen Arbeitsplätze.infoVgl. Monetary Policy Report. Novermber 2020. Bank of England (online verfügbar). Obwohl das CJR-Programm im Zuge der erneuten Lockdowns noch einmal verlängert wurde, ist bis ins kommende Jahr damit zu rechnen, dass die Arbeitslosenrate stark ansteigt. Dies dürfte die Einkommen der Haushalte zusätzlich belasten und den privaten Verbrauch dämpfen. Die nur allmähliche Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt dürfte auch die Lohnentwicklung belasten. So ist mit einer weiterhin recht niedrigen Konsumentenpreisinflation zu rechnen. Aufgrund der anhaltend schwachen Inflation hat die britische Notenbank bereits angekündigt, ihren expansiven geldpolitischen Kurs beizubehalten.

Alles in allem senkt die Corona-Krise die Produktion des Vereinigten Königreichs in diesem Jahr um 10,0 Prozent. In den Jahren 2021 und 2022 ist auch aufgrund des harten Brexits nur mit geringen Zuwächsen des Bruttoinlandsprodukts von 4,7 im kommenden Jahr und 2,7 im Jahr 2022 zu rechnen. Der Erholungsprozess hängt aber maßgeblich von der endgültigen Einigung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ab (Kasten 2)

Seit dem 31. Januar 2020 ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Seitdem verhandeln die beiden Parteien über einen Austrittsvertrag – mit Übergangsfrist bis zum 31. Dezember.

Im vergangenen Jahr konnte ein harter Brexit noch um Haaresbreite verhindert werden: Kurz vor dem eigentlichen Austrittsdatum, dem 31. Dezember 2019, wurde im Oktober ein geändertes Austrittsabkommen beschlossen und der Austritt auf den 31. Januar 2020 verschoben. Vorgezogene Neuwahlen am 12. Dezember 2019 bescherten der Conservative Party mit Boris Johnson an der Parteispitze die absolute Mehrheit. Mit der Zustimmung des Unterhauses, der Unterzeichnung des Brexit-Abkommens seitens des britischen Premiers und der EU-Spitze, der Ratifizierung des EU-Parlaments sowie der schriftlichen Zustimmung durch die EU-Mitgliedstaaten ist Großbritannien am 31. Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Seitdem gilt das Brexit-Übergangsgesetz, dessen Ziel es ist, die Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien nicht abrupt enden zu lassen und Rahmenbedingungen während einer einjährigen Verhandlungsphase über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Inselstaat zu erhalten. So gilt für das Vereinigte Königreich bis zum 31. Dezember 2020 weiterhin das EU-Recht, und der Inselstaat bleibt bis dahin Teil des EU-Binnenmarkts und der EU-Zollunion.

Auch nach Annäherung kann es noch zu hartem Brexit kommen

Die seit März und trotz Coronakrise regelmäßig stattfindenden Verhandlungsrunden führten zunächst zu keinem Ergebnis. Stichtag für eine Einigung war der 10. Dezember, wenn der EU-Rat zum letzten Mal in diesem Jahr tagt. Erst zwei Tage vor diesem Stichtag signalisierte der britische Premier Verhandlungsbereitschaft, vor allem bei dem umstrittenen Binnenmarktgesetz, das die im Austrittsvertrag festgehaltenen Regelungen zu Zoll- und Qualitätskontrollen an der Grenze von Nordirland und der Republik Irland aushebeln würde. So ist ein Abkommen doch noch wahrscheinlich.

Beidseitig gibt es Bestrebungen zu einem zoll- und abgabenfreien Handel. Die EU signalisierte bislang, dass sie sich nur auf einen uneingeschränkten Handel einließe, wenn sich der britische Partner an europäische Produktstandards und anderen EU-Regularien im Arbeitsrecht sowie Sozial- und Umweltbereichen hält. Großbritannien hingegen möchte die bisherige enge Bindung an EU-Regularien deutlich lockern und forderte ähnliche Bedingungen ein, wie sie die EU bereits Kanada im Rahmen des CETA gewährt hatte. Ein weiterer Streitpunkt ist der Zugang zu britischen Gewässern für EU-Fischfangflotten.

Bei einer Einigung und einer kurzen Verlängerung der Übergangsfrist bleiben recht hohe Risiken, dass das Abkommen dennoch scheitert. Sollte das Abkommen auch Regularien zu Dienstleistungen, Finanzgeschäften, Daten oder Investitionsschutz enthalten, müsste es auch von den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten beschlossen werden. Dass sich eine Zustimmung über alle Ebenen dadurch potenziell verzögert und ein Abkommen im ersten Anlauf unwahrscheinlich ist, zeigte der Einspruch des wallonischen Regionalparlaments zum Abkommen zwischen der EU und Kanada.

Auswirkungen eines ungeregelten Brexit

Im Falle eines Austritts des Vereinigten Königreichs ohne Abkommen treten ab dem 1. Januar 2021 die grundlegenden Zollregelungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Kraft. Auf einen Großteil der zwischen der EU und Großbritannien gehandelten Waren würden Zölle anfallen, und auch Grenzkontrollen würden wieder notwendig. Neben dem Handel von Gütern und Dienstleistungen sind auch finanzwirtschaftliche Transaktionen und die Freizügigkeit von Personen zwischen den LänderninfoArbeitnehmerInnen und deren Familienangehörige, die sich bis zum 1. Januar 2021 für mindestens fünf aufeinanderfolgende Jahre in ihrem Gastland aufgehalten haben, erhalten eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Für alle anderen gilt eine Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2021. Bis dahin müssen sich EU-BürgerInnen im Vereinigten Königreich für das „EU-Settlement Scheme“ registrieren und BürgerInnen des Vereinigten Königreichs in ihrem EU-Gastland einen Antrag auf Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung stellen. Dieser kann für Fachkräfte auch über die Beantragung der EU Blue Card erfolgen. von einem ungeregelten Brexit betroffen. Obwohl die europäischen und britischen Unternehmen fast das gesamte Jahr zur Vorbereitung auf einen harten Brexit hatten, dürfte es im Falle eines harten Brexit zu großen wirtschaftlichen Folgen wie Lieferkettenstörungen vor allem für das Vereinigte Königreich kommen.

So dürfte nach Schätzungen die britische Produktion im kommenden Jahr um rund zwei Prozentpunkte weniger wachsen, als es mit unveränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Fall gewesen wäre.infoVgl. OECD (2016): The economic consequences of Brexit: A taxing decision. OECD Economic Policy Paper No. 16, April; Arno Hantzsche, Amit Kara und Garry Young (2019): Update: Modelling the short- and long-run Impact of Brexit: NiGEM Observations No. 14. National Institute of Economic and Social Research; Massimiliano Pisani und Filippo V. Caffarelli (2018): What will Brexit mean for the British and euro area economies? A model-based assessment of trade regimes. Bank of Italy working paper 116; IMF (2019): Growth Slowdown, Precarious Recovery. World Economic Outlook, April 2019. Zusätzlich dürfte eine deutliche Abwertung des britischen Pfund die Einfuhrpreise ins Vereinigte Königreich erhöhen. Folglich ist mit einem direkten Rückgang der Exporte ins Vereinigte Königreich zu rechnen.

Schätzungen des DIW BerlininfoVgl. Claus Michelsen et al. (2019): Weltwirtschaft und Euroraum: Unsicherheiten lasten auf Außenhandel und Industrie: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Herbst 2019. DIW Wochenbericht Nr. 37 (online verfügbar). und Simulationen, die im Rahmen der Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2019infoVgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2019): Industrie in der Rezession – Wachstumskräfte schwinden, Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2019. Halle (Saale), Kasten 1.2, 19. erstellt wurden, gehen davon aus, dass ein harter Brexit zwar das Wachstum im Euroraum belasten, jedoch nicht zu einem dramatischen Einbruch der Konjunktur führen würde. Im Vergleich zu einem Szenario mit Handelsabkommen dürfte das Wachstum im Euroraum im Falle eines harten Brexit im kommenden Jahr um 0,2 Prozentpunkte und im Jahr 2022 um 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen.

Mittel- und Osteuropa: Zweite Corona-Welle trifft Region hart

Die Länder Mittel- und Osteuropas konnten nach einem frühzeitigen und meist umfassenden Lockdown im Frühjahr die Corona-Pandemie zunächst eindämmen. Im dritten Quartal erholte sich die Wirtschaft deutlich, allerdings in Rumänien und Bulgarien weniger stark als in den anderen Ländern. Im Spätsommer stiegen die Fallzahlen wieder, besonders stark in Tschechien. Hier wurden daraufhin zum 5. Oktober der nationale Notstand ausgerufen und strikte Eindämmungsmaßnahmen angeordnet, die erst Anfang Dezember gelockert wurden.infoIn Tschechien durften nur Geschäfte des Grundbedarfs öffnen; Schulen waren geschlossen. Die Sieben-Tage-Inzidenz (neuinfizierte Personen der letzten sieben Tage pro 100000 Personen) stieg bis Ende Oktober auf 840 und fiel bis Ende November auf 300. Mitte November wurde das Anti-Epidemie-System „PES“ (dt. Hund) eingeführt. Auf der Grundlage von verschiedenen, für die Ausbreitung der Pandemie zentralen Werten werden ein Indikator mit einer Skala von 0 bis 100 und fünf Risiko- und Reaktionsstufen ermittelt. Zum 3. Dezember wurde auf Stufe 3 zurückgestuft. Vgl. Ministry of Health of the Czech Republic, Covid-19 epidemic in the Czech Republic (online verfügbar). Die anderen Länder folgten angesichts steigender Neuinfektionen im November meist mit zusätzlichen Anti-Corona-Maßnahmen.infoIn Polen wurden bereits Ende Oktober stärkere Einschränkungen beschlossen, die Anfang November zunächst verschärft, Ende November aber wieder etwas gelockert wurden. Die Sieben-Tage-Inzidenz ging zwar zurück, erreichte Anfang Dezember aber immer noch 300; auch die Todesfälle waren deutlich gestiegen. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Rumänien und Bulgarien lag bei 270 beziehungsweise 290. In Rumänien wurde am 9. November ein Teillockdown angeordnet (unter anderem Schulschließung, nächtliche Ausgangssperre). Bulgarien hatte am 12. November zunächst weitere Einschränkungen eingeführt und Ende November einen Teillockdown angeordnet. In Ungarn waren Anfang November weitere Einschränkungen (unter anderem Ausgangsbeschränkungen) umgesetzt worden; die Sieben-Tage-Inzidenz ist hingegen bis Anfang Dezember auf über 400 gestiegen. Die erneuten Einschränkungen dürften im Schlussquartal den privaten Konsum dämpfen. So bleibt das Konsumentenvertrauen in der Region eingetrübt. Der Anstieg der Arbeitslosenquote konnte unter anderem durch Kurzarbeitergeld begrenzt werden. Am stärksten war er in Bulgarien; dort stieg die Quote um zwei Prozentpunkte auf sechs Prozent. Für die Unternehmen hat sich die Lage gegen Jahresende offenbar verschlechtert. Zwar stieg noch im Oktober der Einkaufsmanagerindex in Tschechien und Polen über die Expansionsschwelle. Daten von Ende November zum Geschäftsklima des tschechischen und des polnischen statistischen Amts weisen allerdings über alle Bereiche hinweg (verarbeitendes Gewerbe, Bauwirtschaft, Handel und Dienstleistungen) eine deutlich negative Tendenz auf.infoStatistics Poland (2020): Business tendency in manufacturing, construction, trade and services. 20. November (online verfügbar); Czech Statistical Office (2020): Business cycle survey. Overall confidence in the economy still decreases. 24. November (online verfügbar). Auch das rumänische statistische Amt berichtet in seinen Short-term Surveys über negative Tendenzen im verarbeitenden Gewerbe, in der Bauwirtschaft und bei den Dienstleistungen. Vgl. National Institute of Statistics Romania (2020): Trends in the Evolution of the Economic Activity in the Period November 2020—January 2021. Pressemitteilung vom 27. November (online verfügbar).

Die in den Ländern zu Beginn der Pandemie aufgelegten staatlichen HilfsprogrammeinfoVgl. Claus Michelsen et al. (2020): Pandemie stürzt Weltwirtschaft in tiefe Rezession. Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Sommer 2020. DIW Wochenbericht Nr. 24, 416 (online verfügbar). wurden in den letzten Monaten teilweise verlängert (unter anderem das Kurzarbeitergeld) sowie um Unterstützungen für spezielle Bereiche und Branchen ergänzt. Dies dürfte die Kaufkraft und die Investitionen in der Region im weiteren Verlauf stützen. Die mittel- und osteuropäischen Länder, allen voran Polen, erhalten zudem Fördermittel aus Fonds der Europäischen Union. Restmittel der Förderperiode 2014 bis 2020 können sie im Prognosezeitraum noch abrufen. Zudem werden sie wohl Mittel aus dem EU-Aufbauplan erhalten.infoEine Einigung über den EU-Haushalt für die Förderperiode 2021–2027 sowie den speziellen Corona-Rettungsfonds (insgesamt 1,8 Billionen Euro) steht noch aus. Polen und Ungarn verweigern ihre Zustimmung, da sie den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus ablehnen. Dies dürfte eine Belebung der Wirtschaft im Prognosezeitraum unterstützen. In Reiseländern wie Bulgarien und Tschechien dürfte zudem nach der Pandemie der Tourismus wieder anziehen. Das Bruttoinlandsprodukt wird in der Region im laufenden Jahr wohl um 4,7 sinken, im Jahr 2021 um 5,4 sowie im Jahr 2022 um 4,0 steigen.

Russland: Wachstum bleibt auch mit Abklingen der Pandemie schwach

Im Zeitraum Januar bis Oktober ist das russische Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 3,6 Prozent gesunken.infoMinisterstvo ekonomiceskoj ravitija Rossijskoj Federacii, 20. nojabrja 2020 g, Kartina delovoj aktivnosti za oktjabr‘ 2020 goda (online verfügbar). Dieser Rückgang erscheint moderat, ist doch Russland – wie auch andere Ölexporteure – durch den Ölpreisrückgang und die direkten Folgen der Corona-Pandemie gleichzeitig betroffen.infoVgl. Dawud Ansari und Hella Engerer (2020): Corona-Pandemie und gesunkene Ölpreise setzen Golfstaaten unter Druck. DIW Wochenbericht Nr. 48, 881–888 (online verfügbar). Russland weist weltweit die höchste absolute Zahl an Covid-19-Neuinfektionen auf. Die Sieben-Tage-Inzidenz (Neuinfizierte der letzten sieben Tage pro 100000 Personen) stieg ebenfalls und lag Anfang Dezember bei etwa 120 – und damit noch unter dem Niveau der meisten Länder der Europäischen Union. Auf regionaler Ebene wurden die Eindämmungsmaßnahmen im Herbst verstärkt, landesweit wurde aber kein (Teil-)Lockdown verhängt.infoÜber Eindämmungsmaßnahmen entscheiden die Regionen. In einigen Landesteilen – unter anderem in Sibirien – ist die Lage im Gesundheitssektor angespannt. In Moskau und Petersburg wurden Mitte November weitere Einschränkungen angeordnet.

Im Oktober hat sich die Lage im verarbeitenden Gewerbe eingetrübt; der Einkaufsmanagerindex ist weiter gesunken. Die Arbeitslosigkeit verharrt seit Sommer bei 6,3 Prozent. Der private Verbrauch dürfte sich zuletzt stabilisiert haben. So standen leicht gestiegene Einzelhandelsumsätze etwas gesunkenen Dienstleistungen gegenüber.

Aufgrund des globalen Ölpreisrückgangs und der im April beschlossenen Förderkürzungen der OPEC+ waren die russischen Exporterlöse zunächst zurückgegangen; im Laufe des Sommers sind Ölpreis und Fördermenge etwas gestiegen, so dass die Erlöse im zweiten Halbjahr wieder zulegen dürften. Ausfälle der öffentlichen Haushalte aus dem Ölgeschäft können über den Nationalen Wohlstandsfonds in einem vorgegebenen Rahmen ausgeglichen werden.infoGemäß der Fiskalregeln orientieren sich Einspeisung und Entnahmen des Nationalen Wohlstandsfonds unter anderem an der Baseline-Annahme für den Ölpreis. Liegt der Ölpreis unter der Baseline-Annahme, dürfen Ausfälle im Haushalt ausgeglichen werden, aber nur solange das Volumen des Wohlstandfonds fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht unterschreitet. Mindereinnahmen im Nichtölsektor und Mehrausgaben durch die Pandemie lasten auf dem Haushalt. Allerdings bleibt im Ansatz zum föderalen Haushalt das Defizit im Jahr 2021 auf 2,4 Prozent und in den beiden Folgejahren auf 1,0 Prozent und 1,1 Prozent begrenzt. Die russische Zentralbank hat im Herbst keine weitere Zinssenkung beschlossen; regulatorische Lockerungen bei der Kreditvergabe wurden verlängert.

Nach einem Rückgang im laufenden Jahr von wohl 3,7 Prozent dürfte das russische Bruttoinlandsprodukt 2021 um 2,6 und 2022 um 1,9 Prozent zunehmen.

Geraldine Dany-Knedlik

Co-Leitung Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie

Hella Engerer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt



JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-50-2

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/229632

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