Hoffnung auf eine Fortsetzung der Erholung ist noch nicht geschwunden: Interview

DIW Wochenbericht 50 / 2020, S. 955

Claus Michelsen, Erich Wittenberg

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Herr Michelsen, nach den ersten Corona-Maßnahmen Anfang dieses Jahres schien sich die deutsche Wirtschaft wieder zu erholen. Hat der Schein getrogen? Aus einem kräftigen Aufholprozess mit einem Plus bei der Wirtschaftsleistung von 8,5 Prozent im dritten Quartal haben wir die Hoffnung geschöpft, dass die Erholung sehr schnell vonstatten geht und es vielleicht nicht so schlimm kommt mit der zweiten Welle. Das hat sich tatsächlich als trügerisch herausgestellt. Die zweite Welle hat viele Volkswirtschaften heftig erfasst. Das Infektionsgeschehen ist sehr dynamisch, dementsprechend kommt es jetzt wieder zu Einschränkungen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik, die wir im Winterhalbjahr beobachten.

Welche Bereiche der deutschen Wirtschaft sind am stärksten in Mitleidenschaft gezogen? Im Frühjahr war der Einbruch relativ breit und hat sowohl die Industrie als auch die Dienstleistungen hart getroffen. Jetzt hat man sich darauf konzentriert, die gastronomischen Einrichtungen und Hotels zu schließen, um Kontakte zu reduzieren. Das trifft die deutsche Industrie deutlich weniger stark. Auch dort gibt es Verlangsamungen, aber aktuell können wir davon ausgehen, dass die Industrie ihren Erholungspfad fortsetzen wird und die Einschränkungen vor allem in den Dienstleistungsbereichen zu Buche schlagen.

Wie ist die Perspektive, wenn die Zahl der Neuinfektionen im Winter erfolgreich eingedämmt werden kann? Wir sind optimistisch, dass man sich in einer V-förmigen Erholung befindet und die Wirtschaftsleistung im nächsten Jahr kräftig steigen kann. Das ist aber unter der Voraussetzung zu sehen, dass die Infektionszahlen in Schach gehalten werden können. Falls nicht, wird es dazu kommen müssen, dass man bestimmte Wirtschaftsbereiche und möglicherweise auch wieder Schulen schließt. All das würde uns einen Fehlstart ins neue Jahr bescheren.

Welche Auswirkungen hatten die starken Einschränkungen auf den privaten Konsum? Im Frühjahr hat man gesehen, dass die Sparquote sehr stark gestiegen ist, also die Haushalte offensichtlich keine Möglichkeiten hatten, ihr Geld auszugeben beziehungsweise sehr vorsichtig waren. Dort, wo Geschäfte gemacht werden konnten, liefen sie sehr gut. Der Online-Handel hatte ein sehr gutes Jahr, der stationäre Einzelhandel hingegen wurde durch die Krise schwer gebeutelt.

Inwieweit ist auch der Finanzsektor bedroht? Bislang sehen wir noch kein Überspringen auf den Bankensektor. Die Unternehmen werden großzügig mit Krediten, Liquidität und Bürgschaften unterstützt, sodass die Insolvenzgefahr bislang nicht besonders groß gewesen ist. Kommt es zu einer Insolvenzwelle, und die ist nicht ausgeschlossen, dann könnte sie auch auf den Finanzsektor überschwappen. Das hätte dann auch erhebliche Konsequenzen für die Staatsfinanzen.

Wie lange reicht das Geld für Stützmaßnahmen der Bundesregierung? Die Schuldenlast ist durchaus überschaubar. Wir werden dieses Jahr mit einer Staatsschuldenquote von ungefähr 69 Prozent abschließen. Das ist im internationalen Vergleich relativ gering. Ein wichtiger Indikator für die Frage, ob wir uns das alles leisten können, ist die Finanzierungsseite. Nach wie vor sind GeldanlegerInnen bereit, ihr Erspartes zu negativen Zinsen an den deutschen Staat zu verleihen. Die Zuversicht, dass wir gut aus dieser Krise heraus gehen, ist also relativ groß. Das eröffnet weiterhin große Spielräume, finanzielle Unterstützungen zu geben. Es wird sehr wahrscheinlich günstiger sein, jetzt die Krise entschlossen mit finanzpolitischen Maßnahmen zu bekämpfen, als dagegen anzusparen, um eine Staatsschuldenkrise vermeiden zu wollen. Die zeichnet sich aktuell nämlich nicht ab.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Claus Michelsen
Hoffnung auf eine Fortsetzung der Erholung ist noch nicht geschwunden - Interview mit Claus Michelsen

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