DIW Wochenbericht 50 / 2020, S. 960-969
Paul Berenberg-Gossler, Geraldine Dany-Knedlik, David Kläffling, Claus Michelsen
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Nach seiner Wahl hat Donald Trump recht schnell seiner angekündigten America-First-Strategie Taten folgen lassen. So standen aggressive Interventionen im Zentrum von Trumps Handelspolitik. Ihm ging es vor allem darum, Produktionsstätten und Arbeitsplätze, die ins Ausland verlagert wurden, wieder zurück in die USA zu holen und Handelsbilanzdefizite zu senken. Es zeigt sich aber, dass die zahlreichen handelspolitischen Interventionen nur begrenzt Spuren in den Handelsströmen mit den wichtigsten Partnern hinterlassen haben. Lediglich beim Handel mit China ging das Defizit kurzzeitig etwas zurück. Die 2018 eingeführten Importzölle auf chinesische Güter haben auch dazu geführt, dass das verarbeitende US-Gewerbe, das auf Importe aus China als Vorleistungen angewiesen ist, dadurch mit höheren Produktionskosten zu kämpfen hat. Auch für den neuen US-Präsidenten Joe Biden ist China der größte Konkurrent im Welthandel. Während Trump allerdings auf Alleingänge setzte, beabsichtigt Biden, internationale Allianzen zu suchen, um die Verhandlungsposition gegenüber China zu verbessern. Diese Chance sollte die Europäische Union rechtzeitig ergreifen.
Eine knappe Mehrheit der US-Amerikanerinnen und Amerikaner hat Präsident Donald Trump am 3. November 2020 abgewähltAm 14. Dezember 2020 wird das Electoral College, bestehend aus den Wahlleuten aller US-Staaten, offiziell den Präsidenten und seinen Vize wählen. Biden liegt mit 306 Wahlleuten deutlich vor Donald Trump. Seine Bestätigung als Präsident gilt damit nur als Formalie. – und damit auch seine America-First-Strategie. Das Vermächtnis der vierjährigen Trump-Administration ist nicht zuletzt in den veränderten Handelsbeziehungen der USA sichtbar. Donald Trump vollzog eine Kehrtwende in der bisherigen Politik internationaler Zusammenarbeit: weg von einer auf den Freihandel konzentrierten Wirtschaftspolitik und zurück zur protektionistischen Handelspolitik, um heimische Produktionsstätten und Arbeitsplätze zurückzuholen und Handelsdefizite zu senken.
So kündigten die USA in den letzten vier Jahren zahlreiche multilaterale Handelsabkommen und schlossen neue bilaterale Verträge. Sie erhoben eine Vielzahl von Zöllen und Importabgaben auf Einfuhren aus wichtigen Partnerländern und bauten verstärkt nichttarifäre Handelshemmnisse auf, wie beispielsweise durch Vorschriften, die einen fixen Anteil der lokalen Industrie in der Wertschöpfung der Automobilindustrie diktieren.
Viele der Maßnahmen, die konkret gegen einen Handelspartner gerichtet waren, lösten Vergeltungsspiralen aus. So erhoben betroffene Volkswirtschaften Gegenzölle, auf die die US-Regierung wiederum mit weiteren Maßnahmen reagierte. Kontinuierlich warnten Ökonominnen und Ökonomen vor den negativen wirtschaftlichen Folgen dieses wiederaufflammenden Handelsprotektionismus für alle Beteiligten.Vgl. Gabriel Felbermayr und Marina Steininger (2016): Wie gefährlich ist die angekündigte Handelspolitik von Donald Trump?. ifo Schnelldienst, 69(22), 34–41.
Dieser Beitrag analysiert, wie die Handelspolitik der Trump-Administration multilaterale Waren- und Dienstleistungsströme verändert und wie sich dies auf die US-Wirtschaft und den Außenhandel mit den wichtigsten Handelspartnern ausgewirkt hat.
Als größte Volkswirtschaft der Welt spielen die Vereinigten Staaten auch eine wichtige Rolle im internationalen Waren- und Dienstleistungshandel. So werden rund 14 Prozent aller weltweit gehandelten Waren und Dienstleistungen von den Vereinigten Staaten importiert. Nach der EU mit rund 25 Prozent sind die USA damit eine der importstärksten Regionen weltweit. Der Anteil der USA an den Weltexporten ist allerdings mit neun Prozent um einiges kleiner.
Die Ein- und Ausfuhren der Vereinigten Staaten nach Produktkategorien zeigen, dass Dienstleistungen entsprechend der binnenwirtschaftlichen Struktur auch für den US-Außenhandel eine zentrale Bedeutung haben. Mit einem Anteil von 33 Prozent an den Exporten gehören die USA zu den Spitzenexporteuren von Dienstleistungen (Abbildung 1). Zwar gibt es einige Länder wie Frankreich oder Italien, die in ähnlich hohem Maße Dienstleistungen für das Ausland bereitstellen, allerdings sind dies hauptsächlich touristische Angebote. Die Vereinigten Staaten hingegen exportieren zu einem Großteil informationstechnische sowie Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. In diesen beiden Produktkategorien haben die USA mit Abstand den höchsten Exportanteil weltweit.
Der Großteil der Warenexporte verteilt sich auf Maschinen, Chemieerzeugnisse, Fahrzeuge, Rohstoffe, Elektronik und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Bei den Einfuhren entfällt die Hälfte auf Waren aus den Produktkategorien Maschinen, Fahrzeuge, Elektronik und Chemieerzeugnisse. Nur 20 Prozent der US-Importe sind Dienstleistungen (Abbildung 1). Anteilig werden also weniger Waren exportiert als importiert, was darauf hindeutet, dass die Vereinigten Staaten Wareneinfuhren vermehrt für den Endverbrauch und weniger zur Herstellung von Exportgütern verwenden.
Insgesamt handeln die USA zu 90 Prozent mit den drei auch für den Welthandel bedeutsamsten Regionen: Asien, Nordamerika und Europa (Abbildung 2). Dabei erwerben die Vereinigten Staaten rund 40 Prozent der Importe in Asien, 30 Prozent in Ländern des nordamerikanischen Kontinents und rund 20 Prozent in Europa. Die größte Abnehmerregion der US-Exporte mit 37 Prozent ist Nordamerika, danach folgen Asien und Europa mit rund 30 beziehungsweise 20 Prozent an den US-Ausfuhren. So finden sich unter den sieben größten Partnerländern für den Handel Kanada, Mexiko, China, Japan, Deutschland, Südkorea und das Vereinigte Königreich.
Insgesamt importieren die Vereinigten Staaten aus diesen Ländern mehr, als sie in diese exportieren und das schon seit längerer Zeit. Das seit Anfang der 1970er Jahre bestehende chronische Handelsbilanzdefizit (Abbildung 3) erklärt sich zu einem Großteil durch das Defizit im Handel mit China, aber auch durch überschüssige Importe aus der Europäischen Union, Japan und Mexiko. Zwar gibt die offizielle America-First-Strategie nicht explizit die Reduktion der Handelsbilanzdefizite mit Partnerländern als Ziel an. Der Präsident selbst formulierte dennoch das Ziel „fairer“ Handelspartnerschaften und bezeichnete vielfach die Handelsüberschüsse als ein zentrales Problem. Daher setzte die handelspolitische Agenda der Trump-Administration genau bei den Partnerländern mit ausgeprägtem Importüberschuss an.Vgl. Website des Weißen Hauses mit der offiziellen Position der US-Administration zur America-First-Strategie, 24. Februar 2017 (online verfügbar, abgerufen am 29. November 2020. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben).
Wie im Wahlkampf angekündigt, war die Neuausrichtung der US-Handelspolitik ein Eckpfeiler der Wachstumsstrategie des America-First-Programms. So erklärte die Trump-Administration, dass unfaire Handelsabkommen zur Abwanderung von Produktionsstätten und entsprechenden Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe sowie zum anhaltend großen Handelsbilanzdefizit geführt hätten. Durch Kündigung oder Neuverhandlungen von Handelsabkommen ginge die Trump-Administration gegen jene Handelspartnerländer vor, die dem US-Arbeitsmarkt schadeten.Vgl. Website des Weißen Hauses mit der offiziellen Position der US-Administration zu Handelsabkommen, 24. Februar 2017 (online verfügbar).
Entsprechend hat die Trump-Administration eine aktive Neuausrichtung der Handelspolitik betrieben und löste, oftmals unter Androhung oder tatsächlicher Erhebung von Importzöllen, Neuverhandlungen bestehender Handelsabkommen aus (Abbildung 4). Kurz nach seinem Amtsantritt am 23. Januar 2017 beschloss Trump den Rückzug der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership, TPP).Vgl. vorläufiger Text des Trans-Pacific Strategic Economic Partnership Agreement (online verfügbar). Im Rahmen der TPP wurden innerhalb eines siebenjährigen Verhandlungsprozesses Handelsbarrieren, unter anderem mit Importzöllen um neunzig Prozent, unter ursprünglich zwölf Ländern erheblich reduziert. Die TPP umfasste Länder wie die USA, Australien, Japan, Malaysia, aber auch Mexiko und Peru. Neben der massiven Senkung von Handelsbarrieren diente das Abkommen auch dazu, die zentrale Rolle Chinas im asiatischen Raum zu schmälern und den Einfluss der Vereinigten Staaten in dieser Region zu stärken.Nach der gescheiterten TPP verabschiedeten die verbleibenden Länder ein ähnlich umfassendes Abkommen unter sich und ratifizierten es 2018 (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership, CPTPP).
Auch tri- und bilaterale Abkommen mit den größten Handelspartnern wurden mit denselben Mitteln zur Disposition gestellt. Die US-Regierung drohte den Rückzug aus bestehenden Abkommen wie dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (North American Free Trade Agreement, NAFTA) und dem Freihandelsabkommen mit Südkorea an. Darüber hinaus verhängten die Vereinigten Staaten Importzölle, um die Partnerländer zu neuen Verhandlungen zu zwingen. So beschloss die US-Regierung im Januar 2018 Einfuhrzölle in Höhe von zunächst 30 beziehungsweise 20 Prozent auf End- und Zwischenproduktion von Solarzellen und Waschmaschinen. Im März verhängten die USA Zölle von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium, von denen zunächst wichtige Partnerländer, wie Mexiko und die EU, ausgenommen blieben.Die EU, Kanada, Mexiko, Australien, Argentinien, Brasilien und Südkorea waren zunächst ausgenommen. Im Zuge der Neuverhandlungen der Handelsabkommen, wie dem Nachfolger des NAFTA mit Kanada und Mexiko, wurden die Ausnahmen wiederholt aufgehoben und wieder eingeführt, um die amerikanische Verhandlungsposition zu stärken.
Die bis dahin eingeführten Importzölle zielten hauptsächlich auf den Handel mit China, da die US-Importe der Produktgruppen in den Bereichen Solarzellen, Waschmaschinen und Aluminium zu erheblichen Teilen aus China stammen. Dies provozierte wiederum Vergeltungsmaßnahmen der betroffenen Partnerländer, allen voran Chinas. Insbesondere der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China eskalierte in den Jahren 2018 und 2019 (Kasten).
Eines der erklärten Ziele von Trumps Handelspolitik war es, die Außenhandelsdefizite der USA gegenüber den Handelspartnern zu verringern. Mit 345 Milliarden Dollar im Jahr 2019 weist China das mit Abstand größte bilaterale Handelsdefizit gegenüber den USA auf, weswegen China in der handelspolitischen Agenda der Trump Administration eine zentrale Rolle einnimmt.Vgl. Website des United States Census Bureau.
Eine im August 2017 in Auftrag gegebene Untersuchung des US-Handelsbeauftragten kam zu dem Ergebnis, dass China unlautere Handelspraktiken anwende. Daraufhin kündigte Präsident Trump im März 2018 erstmals Zölle auf chinesische Importe im Wert von bis zu 60 Milliarden Dollar an. Derzeit erheben die Vereinigten Staaten Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Importgüter aus China im Wert von etwa 250 Milliarden Dollar und Zölle in Höhe von 7,5 Prozent auf chinesische Warenimporte im Wert von etwa 112 Milliarden Dollar.Vgl. Erica York (2020): Tracking the Economic Impact of U.S. Tariffs and Retaliatory Actions. Berechnungen der Tax Foundation, 18. September (online verfügbar). Die Zölle auf chinesische Waren machen mit derzeit 70,9 Milliarden Dollar den Großteil der rund 80 Milliarden Dollar Zolleinnahmen insgesamt aus, was die Bedeutung Chinas in der US-Handelspolitik eindrucksvoll unterstreicht.
In dem andauernden Handelsstreit stellen gegenseitige Strafzollerhöhungen auf Importe den wichtigsten Pfeiler dar (Abbildung). Es lassen sich seit Anfang 2018 fünf Phasen ausmachen. Im ersten Halbjahr 2018 kam es nur zu einer moderaten Erhöhung der Zölle. In diese Zeit fallen Zollerhöhungen der USA auf Aluminium und Stahl, die mit nationalen Sicherheitsinteressen begründet wurden, und im Gegenzug chinesische Zölle auf Produkte im Wert von drei Milliarden Dollar, wie Wein oder Schweinefleisch.
Im Juli 2018 begann der Handelskonflikt zu eskalieren und führte bis September 2018 auf beiden Seiten zu einer starken Erhöhung der Zölle: In dieser zweiten Phase stiegen die US-Durchschnittszölle von 3,8 Prozent auf 12,0 Prozent, die Durchschnittszölle Chinas von 7,2 Prozent auf 18,3 Prozent. Ausgangspunkt dafür war die Umsetzung der Ankündigung Trumps, Strafzölle von 25 Prozent auf chinesische Produkte, wie beispielsweise Spielzeug und Elektronikgeräte, im Wert von etwa 50 Milliarden Dollar zu erheben. Die Zölle wurden in zwei Stufen am 6. Juli und 23. August 2018 für chinesische Importe im Wert von 34 Milliarden beziehungsweise 16 Milliarden Dollar umgesetzt. Als Antwort setzte China ebenfalls einen Zoll von 25 Prozent auf ein Warenbündel amerikanischer Produkte im Wert von 50 Milliarden US-Dollar fest, von landwirtschaftlichen Erzeugnissen bis hin zu Automobilen.
Die dritte Phase umfasst den Zeitraum von September 2018 bis Juni 2019, in dem die Zeichen auf Entspannung standen. Im Dezember 2018 einigten sich beide Staaten am Rande des G20-Gipfels in Buenos Aires darauf, zunächst von weiteren Zöllen abzusehen, um den Handelskonflikt zu entschärfen. Während dieser Phase der Entspannung senkte China beispielsweise die Zölle auf amerikanische Kraftfahrzeuge, während die USA auf die angedrohte Erhöhung der Zölle auf 25 Prozent Anfang des Jahres 2019 verzichteten.
Von Juni bis September 2019 kam es dann zu einer weiteren Reihe von Zollerhöhungen, infolge derer der US-Durchschnittszoll um neun Prozentpunkte auf 21 Prozent und der chinesische um 4,6 Prozentpunkte auf 21,1 Prozent stieg.Chad P. Bown (2019): US-China Trade War Tariffs: An Up-to-Date Chart. PIIE Chart, Peterson Institute for International Economics (online verfügbar). Die US-Regierung kündigte im August 2019 an, ab 1. September 2019 einen neuen Zoll von zehn Prozent auf zusätzliche chinesische Waren im Wert von rund 300 Milliarden Dollar einzuführen. Dies sollte zweistufig mit einem Zehn-Prozent-Zoll auf Importe zunächst im Wert von 112 Milliarden Dollar ab dem 1. September 2019 (Stufe 4a) und weiteren 160 Milliarden Dollar am 15. Dezember 2019 (Stufe 4b) erfolgen.
Bevor die Stufe 4b jedoch umgesetzt werden konnte, handelte die US-Regierung den sogenannten Phase-One-Deal mit China aus und stimmte zu, diese Zölle auf unbestimmte Zeit zu verschieben und Anfang 2020 die Zölle der Stufe 4a von 15 Prozent auf 7,5 Prozent zu halbieren. Das Abkommen verhinderte also einen weiteren Anstieg der Zölle, führte jedoch bis auf kleinere Ausnahmen nicht maßgeblich zur Reduktion der Zollsätze. Daher stellt die aktuelle fünfte Phase mit Durchschnittszöllen, die sich trotz des Abkommens auf einem erhöhten Niveau eingependelt zu haben scheinen, eine Art neue Normalität dar.
Trotz der Konflikte konnte die Trump-Administration innerhalb von vier Jahren vier größere Abkommen mit wichtigen Handelspartnern abschließen: Den NAFTA-Nachfolger, United States-Mexico-Canada Agreement (USMCA), den Phase-One-Deal mit China und die Freihandelsabkommen mit Japan und Südkorea. Schon bei den Abschlüssen der Abkommen war allerdings fraglich, ob die USA damit ihre Handelsposition tatsächlich verbessern. Im Abkommen mit Südkorea sind beispielsweise höhere Autoimporte aus den USA vereinbart, allerdings reichten die Einfuhren von US-Automobilen nach Südkorea in den letzten Jahren kaum an die niedrigere Importgrenze des alten Abkommens heran. Auch das Handelsabkommen mit China zielte weniger darauf, die in den letzten Jahren aufgebauten chinesischen Handelsbarrieren zu reduzieren, als vielmehr den Export US-amerikanischer Erzeugnisse aus der Land- und der Energiewirtschaft und des verarbeitenden Gewerbes bis in das Jahr 2021 zu erhöhen.
Die aggressive Handelspolitik der Trump-Administration erhöhte auch die Spannung zwischen den USA und der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Das Verhältnis ist allerdings nicht erst seit der Wahl Trumps zerrüttet.Keith Johnson (2019): How Trump May Finally Kill the WTO. Foreign Policy vom 9. Dezember (online verfügbar, abgerufen am 26. November 2020). Bereits in der Obama-Administration vertraten die USA die Position, dass die WTO vor allem bei den Schiedsverfahren in zweiter Instanz (Appellate Body) ihre juristischen Kompetenzen überschreitet. Deswegen blockierten sowohl Obama als auch Trump turnusmäßige NeubesetzungenJohnson (2019), a.a.O., wodurch diese Instanz seit Dezember 2019 nicht mehr beschlussfähig ist.
Im chinesisch-amerikanischen Handelsstreit führte diese Blockade dazu, dass dem Einspruch Chinas gegen die im Jahr 2018 eingeführten US-Strafzölle in erster Instanz im September 2020 stattgegeben wurde, es in zweiter Instanz aber auf Eis liegt. Hinzu kommt, dass die USA die von allen Ländern akzeptierte Nominierung der nigerianischen Entwicklungsökonomin Ngozi Okonjo-Iweala zur WTO-Generalsekretärin, die auf eine Reform der WTO drängt, blockieren.BBC (2020): US tries to block Ngozi Okonjo-Iweala, who would be first African WTO head, 28. Oktober (online verfügbar, abgerufen am 26. November 2020).
Betrachtet man den US-Handel mit den wichtigsten Partnerländern seit dem Jahr 2016 zeigt sich, dass die zahlreichen handelspolitischen Interventionen nur begrenzt Spuren in den aggregierten Handelsströmen hinterlassen haben. Seit dem Jahr 2018 sanken bislang lediglich die US-Warenexporte und -importe in die und aus der chinesischen Volksrepublik deutlich (Abbildung 5).Ausgenommen sind hier die Effekte der Covid-19-Pandemie, die in diesem Jahr zu einem erheblichen Einbruch in den globalen Handelsströmen führte. Die Warenexporte nach China gingen zwischen 2017 und 2019 um rund 18 Prozent und die Warenimporte aus China um 32 Prozent zurück. In Anbetracht des Ausmaßes der Zollerhebungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sind die Änderungen der Handelsströme aber recht gering.
Der Warenhandel mit anderen wichtigen Handelspartnern wie der EU, Japan, Kanada oder Mexiko hat in den letzten vier Jahren weiter zugelegt, im Jahr 2019 allerdings mit einer geringeren Dynamik als zuvor. Vor allem die Warenexporte der USA scheinen seit Mitte 2018 bis Ende 2019 zu stagnieren. Der Dienstleistungshandel scheint hingegen kaum von den Handelsinterventionen berührt.
Die Entwicklung der US-Handelsbilanz insgesamt und gegenüber ausgewählten Partnerländern in den letzten Jahren zeigt, dass sich das US-Defizit nur zum Ende des Jahres 2019 leicht verringert hat, was sich wohl durch eine gleichlaufende Senkung des Handelsbilanzdefizits mit China erklärt (Abbildung 3). In diesem Jahr hat sich das Handelsbilanzdefizit jedoch wieder deutlich erhöht, da im Zuge der weltweiten Corona-Krise US-Exporte, insbesondere nach Europa, deutlich stärker zurückgegangen sind als US-Importe.
Das Bild ändert sich allerdings, wenn verschiedene Sektoren betrachtet werden. Die im Jahr 2018 eingeführten Zölle, die den Import chinesischer Güter reduzieren sollten, haben ihr Ziel stellenweise erreicht. Obwohl sie teilweise wieder aufgehoben wurden, trafen diese Zölle vor allem Stahl-, Aluminium- und Elektronikimporte. Dort hatten sie einen spürbaren Effekt auf das Importvolumen aus China (Abbildung 6), das sich seit Einführung der Zölle merklich reduziert hat.
Gleichzeitig heißt das aber auch, dass die durch die Zölle erhöhten Einfuhrkosten auf andere Sektoren, die auf ausländische Güter für ihre Produktion angewiesen sind, abgewälzt werden. In diesen Sektoren sind vor allem die Importpreise gestiegen. Ein Beispiel hierfür sind Importe von Haushaltsgeräten und elektrischen Motoren (NAICS Sektor 335: Electrical, Equipment, Appliances & Components), wo sich der zusätzliche Aufschlag von 25 Prozent in den Importpreisen niederschlägt.Die offiziellen Zahlen des U.S. Bureau of Labor Statistics zeigen einen deutlichen Anstieg der Importpreisindizes ab Januar 2018 (online verfügbar).
Deshalb stellt sich in diesem Fall die Frage, wie sich diese zusätzlichen Kosten auf verschiedene Bundesstaaten und Bevölkerungsschichten aufteilen. Insbesondere das verarbeitende Gewerbe, das auf Importe aus China als Vorleistungen angewiesen ist, hat dadurch mit höheren Produktionskosten zu kämpfen. Dies betrifft vor allem die sogenannten Rust-Belt-Staaten sowie Mississippi und Alabama und damit Bundesstaaten, in denen die Unterstützung für Trump in der Wahl im Jahr 2016 besonders groß war. Zusätzlich wirken sich die Vergeltungszölle Chinas gerade in diesen republikanischen Staaten negativ aus.Theorien der internationalen Makroökonomik legen nahe, dass Importzölle, aber auch Exportsubventionen und quantitative Begrenzungen von Importen zu gesamtwirtschaftlichen Produktions- und Wohlfahrtsverlusten führen. So ist damit zu rechnen, dass ein höherer Zoll auf ein importiertes Gut den Preis im Importland erhöht. Kalkül und ausgewiesenes Ziel der America-First-Strategie ist, dass dadurch die relative Profitabilität der inländischen Produktion steigt und das Gut vermehrt im Inland produziert wird. Tatsächlich aber steigen nicht nur die Preise der importierten Güter. Auch die Preise der inländischen Güter bleiben höher als vor der Erhebung des Importzolls, wodurch die nachgefragte Menge dieses Gutes insgesamt und damit auch die Wohlfahrt der inländischen Haushalte sinken. Zudem werden Produktionskapazitäten aus dem Bereich der handelbaren Güter abgezogen, da inländische Ressourcen durch den Zoll auf den unproduktiveren Sektor umgeleitet werden. Insgesamt sinkt das gesamtwirtschaftliche Produktionsniveau mit Einführung der Handelsbeschränkungen. Eine Aufteilung und Rückführung dieser Mehrkosten über das amerikanische Steuersystem kann hier nur bedingt angenommen werden.Emmanuel Saez und Gabriel Zucman (2020): The Rise of Income and Wealth Inequality in America: Evidence from Distributional Macroeconomic Accounts. Journal of Economic Perspectives 34, no. 4, 3–26.
Die aggressive Handelspolitik in den USA hat gesamtwirtschaftlich negativ gewirkt, da sich die Preise von mit Importzöllen belegten Güter deutlich erhöht haben.Vgl. Eugenio Cerutti, Gita Gopinath und Adil Mohommad (2014): The Impact of US-China Trade Tensions. International Monetary Review 82; Aaron B. Flaaen, Ali Hortaçsu und Felix Tintelnot (2020): The production relocation and price effects of US trade policy: the case of washing machines. American Economic Review, Juli. Die Wohlfahrtsverluste der US-Konsumenten, die sich aus den bis Dezember 2018 erhobenen Importzöllen ergeben, beziffern Studien auf jährlich mehr als 50 Milliarden Euro.Mary Amiti, Stephen J. Redding und David E. Weinstein (2019): The impact of the 2018 tariffs on prices and welfare. Journal of Economic Perspectives 33 (4), 187–210; Pablo D. Fajgelbaum et al. (2020): The return to protectionism. The Quarterly Journal of Economics, 135(1), 1–55.
Neben gesamtwirtschaftlichen Einbußen legen Studien nahe, dass aufgrund der Vergeltungszölle und Maßnahmen sogar bis zu 75000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe der USA verloren gingen.Insbesondere gehen Schätzungen von einem Verlust an Arbeitsplätzen in ungeschützten Sektoren wie Textilproduktion oder Chemie aus. Jobgewinne sind in den von Zöllen geschützten Sektoren zu erwarten. Durch die Verkettung der Wertschöpfungsketten kann aber von einem gesamtwirtschaftlichen Schaden ausgegangen werden. Vgl. Cecilia Bellora und Lionel Fontagne (2020): Shooting Oneself in the Foot? Trade War and Global Value Chains. CEPII Working Paper No. 2019–18 (online verfügbar); Lydia Cox und Kadee Russ (2020): Steel Tariffs and U.S. Jobs Revisited. Econofact, 6. Februar (online verfügbar); Fajgelbaum et al. (2020), a.a.O. Damit ist das Ziel der America-First-Strategie, Arbeitsplätze zurückzuholen oder zu schützen, bislang nicht aufgegangen. Auch auf den Finanzmärkten haben die handelspolitischen Turbulenzen zu Verwerfungen geführt und Unsicherheit geschürt.Lukas Boer, Lukas Menkhoff und Malte Rieth (2020): The multifaceted impact of US trade policy on financial markets. VfS Annual Conference 2020 (Virtual Conference): Gender Economics, no. 224529. Verein für Socialpolitik; Massimo M. Ferrari et al. (2020): Do words hurt more than actions? The impact of trade tensions on financial markets. ECB Working Paper Series, no. 2490.
Neben höheren Importpreisen drückt die Androhung von Zöllen oder eines Handelskriegs auf die Planungssicherheit im internationalen Handel. Exporteure und Importeure haben es somit schwerer, ihre Kosten langfristig einzuschätzen, und verschieben Investitionen. Während der Trump-Präsidentschaft erhöhten sich die Unsicherheitsfaktoren im Welthandel spürbar, wie anhand des Trade-Policy-Uncertainty-Index nachvollzogen werden kann.Scott Baker, Nicholas Bloom und Steven J. Davis (2020): Measuring Economic Policy Uncertainty. EPU Indices (online verfügbar). Seit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 erreicht der Index regelmäßig neue Höchststände.
Der Wahlkampf des nun gewählten Demokraten Joe Biden und sein Regierungsprogramm geben einen ersten Hinweis auf die künftige Ausrichtung der US-Handelspolitik. Diese wird durch weniger Unsicherheit und eine Rückkehr zu traditionellen Partnern wie Kanada oder der Europäische Union geprägt sein. Kurzfristig bedeutet dies, dass seine Regierung vor allem an einer weiteren Normalisierung der Handelsbeziehungen mit Kanada, Mexiko und der EU interessiert sein dürfte. Biden ist aber kein ausgewiesener Verfechter des Freihandels. Er teilt Trumps Grundeinstellung zu China – auch wenn sich sein Ton und Stil deutlich unterscheiden. Auch für Biden ist China der größte Konkurrent im Welthandel, dem entschieden entgegengetreten werden muss. Während Trump allerdings auf Alleingänge setzte, beabsichtigt Biden, internationale Allianzen zu suchen, um die Verhandlungsposition gegenüber China zu verbessern.
Biden setzt verstärkt auf den positiven Effekt einer ambitionierten Infrastruktur- und Investitionsagenda auf die US-Außenhandelsbilanz. So will er vor allem in Bildung, Forschung und Entwicklung, Telekommunikation (5G), Straßenausbau und Stromnetze investieren, um eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der US-Exporte zu erreichen. Obwohl diese Ziele ambitioniert und sinnvoll sind, wird seine Agenda Zeit brauchen, um konkrete Effekte zu erzielen.Der Effekt einer bestimmten Summe an öffentlichen Ausgaben auf die Wirtschaftsleistung wird in Multiplikatoren gemessen. Die Höhe dieser Multiplikatoren ist eine Kernfrage der Volkswirtschaft und wird seit langem regelmäßig und kontrovers in der akademischen Literatur diskutiert. Es gibt allerdings einen relativ breiten Konsens, dass Multiplikatoren kurzfristig geringe Größe aufweisen. Vgl. Olivier Blanchard und Roberto Perotti (2002): An empirical characterization of the dynamic effects of changes in government spending and taxes on output. The Quarterly Journal of Economics 117, no. 4, 1329–1368.
Insbesondere in Steuerfragen besteht ein großer Unterschied zur Linie der Trump-Administration. Unabhängig davon, ob Zölle aufgehoben werden, kündigte Biden im Wahlkampf eine gerechtere Verteilung der Gewinne aus dem weltweiten Handel an. Die demokratische Regierung beabsichtigt unter anderem, hohe Einkommen über 400000 Dollar zusätzlich zu besteuern und auch Unternehmenssteuern wieder anzuheben. Biden setzt also auf eine stärkere Rolle des Steuersystems, um gesamtgesellschaftliche Gewinne und Kosten, zum Beispiel bedingt durch ein Beibehalten der Zölle auf chinesische Importe, gerechter zu verteilen.Joseph R. Biden (2020): Why America Must Lead Again. Rescuing U.S. Foreign Policy After Trump. Foreign Affairs im März/April (online verfügbar, abgerufen am 26. November 2020).
Die Trump-Administration hat mit ihrer America-first-Strategie eine Kehrtwende weg von der am Außenhandel orientierten Wirtschaftspolitik zurück zur protektionistischen Handelspolitik vollzogen. So erhoben die Vereinigten Staaten in den vergangenen vier Jahren eine Reihe von Zöllen gegenüber ihren wichtigsten Partnerländern, insbesondere gegenüber China, kündigten das gerade beschlossene multilaterale Handelsabkommen TPP und forcierten Neuverhandlungen bestehender Handelsabkommen wie NAFTA. Das aggressive Vorgehen seitens der USA löste eine Interventionsspirale aus und viele Länder erhoben ebenfalls Importrestriktionen. Vor allem der Handelsstreit zwischen China und den USA eskalierte. Zum Ende der Trump-Administration wurden zwar mit fünf großen Handelspartnern – China, Kanada, Mexiko, Südkorea und Japan – neue Handelsabkommen beschlossen. Allerdings ist fraglich, ob diese die Vereinigten Staaten auch gesamtwirtschaftlich besserstellen.
Betrachtete man aggregierte Handelsströme zeigt sich, dass die Handelspolitik kaum Effekte auf die Ein- und Ausfuhren der USA und damit auf die Außenhandelsdefizite hatte. Eine Ausnahme bildet der Handel mit China, der aber lediglich im Jahr 2019 leicht sank. Die Handelspolitik der Trump-Administration hat ihre Ziele – das Handelsbilanzdefizit zu senken und das verarbeitende Gewerbe zu stärken – nicht erreicht. Im Gegenteil, die Handelsinterventionen verursachen erhebliche Kosten für die Haushalte und Unternehmen in den USA.
Mit der neuen demokratischen Regierung und Joe Biden als Präsidenten dürfte zwar wieder ein diplomatischer und höflicher Ton in die Handelsgespräche einkehren, allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass die Biden-Administration eine schnelle Rückführung der Handelshemmnisse anstrebt. Die EU sollte diese Chance nutzen und Bidens Suche nach internationalen Partnern gegen die Vormacht Chinas unterstützen.
Themen: Konjunktur
JEL-Classification: F44;O24
Keywords: Handelspolitik, US-Konjunktur, Handelsbilanz
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-50-5
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/229634