DIW Wochenbericht 52/53 / 2020, S. 998
Laura Pagenhardt, Erich Wittenberg
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Frau Pagenhardt, Sie haben untersucht, wie sich Fiskalregeln auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nach Krisen auswirken. Was genau versteht man unter Fiskalregeln und wie viele Länder haben sie überhaupt? Eine Fiskalregel wird vom Internationalen Währungsfonds als eine langanhaltende Beschränkung der Fiskalpolitik durch numerische Grenzen auf öffentliche Haushaltsaggregate definiert. Das heißt vereinfacht, dass eine Fiskalregel begrenzt, wie viel der Staat ausgibt oder wie viele Schulden er macht. Fiskalregeln sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viel beliebter geworden. Wir hatten 1990 sieben Länder weltweit, die irgendeine Art von Fiskalregel hatten, und der letzte Stand von 2015 sagt uns, dass es mittlerweile 91 Länder gibt, die eine Fiskalregel haben. Ein sehr starker Anstieg also.
Können Länder mit Fiskalregeln die Folgen einer Krise oder einer Naturkatastrophe besser bewältigen als Länder ohne Fiskalregeln? Ja. Wir haben Naturkatastrophen als sogenannte Schockvariable verwendet und uns angeschaut, wie sich verschiedene volkswirtschaftliche Aggregate nach so einem Schock verhalten haben. Wir haben herausgefunden, dass verschiedene Aggregate sich sehr viel besser entwickeln, nachdem ein Schock in einem Land mit Fiskalregeln beobachtet wurde. So entwickeln sich zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, aber auch seine Unteraggregate, wie der private Konsum und die privaten Investitionen, besser in Ländern, die Fiskalregeln haben, gegenüber Ländern, die keine haben. Die Produktion wächst um bis zu zwei Prozentpunkte mehr, die privaten Investitionen sogar um vier Prozentpunkte. Besonders interessant ist die Entwicklung der öffentlichen Ausgaben. Sie steigen in Ländern mit Fiskalregeln um fast 20 Prozentpunkte stärker als in Ländern ohne solche Vorgaben.
Woran liegt das? Warum können Länder mit Fiskalregeln Krisen besser wegstecken? Fiskalregeln als solche werden oft kritisiert, weil befürchtet wird, dass zum Beispiel eine Schuldenregel oder eine Defizitregel eventuell dafür sorgen könnte, dass im Krisenfall keine stärkeren Ausgaben getätigt werden können. Deswegen ist es wichtig, dass diese Regeln eine Ausnahmeklausel definieren. Das bedeutet, dass in Ausnahmesituationen, zum Beispiel einer Pandemie, die Möglichkeit besteht, diese Regel außer Kraft zu setzen und dem Staat zu erlauben, mehr Geld auszugeben. Zudem ist es wahrscheinlich so, dass Staaten mit Fiskalregeln dem Markt signalisieren, dass sie gut wirtschaften können und es somit für sie in einer Krise leichter und günstiger ist, am Markt Geld zu bekommen.
Das heißt aber auch, dass ein Land irgendwann wieder zu den Fiskalregeln zurückkehren muss. Im Falle Deutschlands wäre das die Schuldenbremse. Wann also sollte Deutschland wieder zur Schuldenbremse zurückkehren? Das ist richtig. Unsere Schlussfolgerung ist, dass es sehr wichtig ist, Fiskalregeln eben mit diesen Notfallklauseln zu haben, und es ist auch richtig, dass diese Regel im Moment ausgesetzt ist, um die Krise zu kompensieren. Aber wir schlussfolgern auch, dass die Fiskalregeln irgendwann wieder eingesetzt werden sollten und zwar möglichst nicht zu spät. Es ist gut, dass wir aktuell für dieses Jahr und auch für das kommende Jahr die Schuldenbremse ausgesetzt haben, um möglichst viel Spielraum zu haben. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sie, wenn die Pandemie überstanden ist und die Wirtschaft langsam zum normalen Zustand zurückkehrt, wieder in Kraft tritt, um für potenzielle kommende Krisen gewappnet zu sein.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Öffentliche Finanzen, Konjunktur, Gesundheit, Geldpolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-52-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/229918