DIW Wochenbericht 6 / 2021, S. 89
David Kasprowski, Erich Wittenberg
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Herr Kasprowski, was versteht man unter dem Begriff LGBTQI*? Unter LGBTQI * oder + versteht man sexuelle oder geschlechtliche Minderheiten, also alle, die nicht eine rein heterosexuelle Orientierung haben und/oder eine andere Geschlechtsidentität. Das umfasst schwule Männer, lesbische Frauen, bisexuelle Personen, aber auch alle Personen, die sich nicht oder nur zum Teil mit der zugewiesenen Geschlechtsidentität als Mann oder Frau identifizieren. Das Sternchen oder Pluszeichen wird am Ende drangesetzt, um auch andere Personen mit einzubeziehen. Aktuell kann man auch „queer“ als Bezeichnung benutzen. Menschen, bei denen die Selbstbeschreibung mit dem bei Geburt zugeteilten Geschlecht zusammenfällt, werden mit dem Präfix „cis“ gekennzeichnet.
Wie ist es um die körperliche Gesundheit von LGBTQI*- Menschen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung bestellt? Die bei uns befragten queeren Menschen berichteten im Jahr 2019 weitaus häufiger von körperlichen Erkrankungen im Vergleich zur cis-heterosexuellen Bevölkerung. Das sind vor allem fast doppelt so hohe Werte bei Herzerkrankungen, aber auch weitaus höhere Werte bei Asthmaerkrankungen, Migräne, chronischen Rückenschmerzen und weiteren nicht näher spezifizierten Krankheiten.
Wie steht es um die psychische Gesundheit von LGBTQI*-Menschen? Beispielsweise sehen wir bei queeren Menschen eine doppelt so häufige Wahrscheinlichkeit, an Schlafstörungen zu leiden und eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, eine depressive Erkrankung oder einen Burnout zu haben. Auch von depressiven Symptomen wie Niedergeschlagenheit oder wenig Interesse im Alltag sind queere Menschen weitaus häufiger betroffen.
Welche Ursachen könnte das haben? Es gibt eine Vielzahl von möglichen Ursachen. Generell kann gesagt werden, dass es sich um gesellschaftliche Stressoren handelt. Von außen einwirkende Stressoren sind beispielsweise Diskriminierungserfahrungen und auch Formen von Gewalt. Auch, dass queere Menschen Diskriminierung auf der Arbeit, in der Schule oder im Alltag erleben, hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir den Paragrafen 175 bis zum Jahr 1994 hatten und Diskriminierung jahrelang institutionalisiert war.
Inwieweit gibt es Unterschiede der körperlichen und psychischen Gesundheit innerhalb der LGBTQI*-Gruppe? Hier sehen wir noch einmal deutliche Unterschiede. Fast 40 Prozent der Trans*-Personen leiden an Angststörungen, im Vergleich zu 9,1 Prozent der cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe. Das gilt auch für Essstörungen, die fast doppelt so häufig berichtet werden. Zudem erleben queere Menschen fast doppelt so häufig Einsamkeitsgefühle. Das gilt insbesondere für Trans*-Menschen, die weitaus häufiger von Einsamkeit geplagt sind. Hier schwanken die Werte von 31 bis zu 40 Prozent.
Wie könnte die gesundheitliche Situation von LGBTQI*- Menschen verbessert werden? Wir sehen, dass queere Menschen sich weitaus häufiger Freund*innen persönlich anvertrauen. Diese persönlichen Netzwerke mit Menschen, die ähnliche Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen machen mussten, sind hilfreich, um mit Stressoren umzugehen. Das bedeutet, wir brauchen eine Art Regenbogenrettungsschirm, jetzt in der COVID-19-Pandemie und auch danach, damit diese Art der Community Resilienz und sichere Orte, sogenannte „safe spaces“, gewahrt werden und weiter ausgebaut werden können. Wir dürfen das aber nicht dabei belassen, sondern brauchen generell eine queere Antidiskriminierungspolitik. Das bedeutet, dass Trans*-Personen entpathologisiert werden müssen und auch Hasskriminalität genauer erfasst und auch stärker sanktioniert werden muss.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gesundheit, Gender
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-6-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/231717