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„Pipeline setzt Geld in den Sand“ – Erdgas und Klimaziele? Passt nicht zusammen

Interview vom 15. Februar 2021

Das Interview mit DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert erschien am 15.2.2021 in der taz.

taz: Frau Kemfert, die Grünen und große Teile der Klimabewegung fordern einen Baustopp für Nord Stream 2, obwohl die Pipeline fast fertig ist. Würde es dann nicht Schadenersatzforderungen regnen?

Claudia Kemfert: Gefordert wird viel, aber die Berechtigung ist sehr fraglich. Von Anfang an war Nord Stream 2 ein Hochrisiko-Investment. Alle beteiligten Unternehmen wussten, dass diese wahnsinnig kostspielige Pipeline nur schwer rentabel sein wird, selbst wenn sie in Betrieb geht.

All diese Unternehmen dürften unsere Studien kennen, die seit mehr als zehn Jahren sehr deutlich nahelegen, dass der europäische Gasbedarf zurückgehen wird – mal ganz abgesehen davon, dass seit mehreren Jahrzehnten allgemein bekannt ist, dass die fossile Energiegewinnung wegen des Klimawandels ein Auslaufmodell sein muss. Schon 2008 habe ich in meinem Buch ein ganzes Kapitel lang dargelegt, warum auch fossiles Erdgas dazugehört. Wieso sollten deutsche Steu­er­zah­le­r:in­nen also für schlechtes Unternehmertum aufkommen?

Im Jahr 2019 hat Erdgas fast ein Viertel des deutschen Primärenergieverbrauchs ausgemacht. Anders als bei der Kohle gibt es noch keinen politisch gesetzten Ausstiegspfad. Wie viel Gas brauchen wir noch?

Vorausgesetzt, dass Deutschland tatsächlich vorhat, seine Klimaschutzversprechen einzulösen: Im deutschen Klimaschutzplan 2050 von 2016 steht, dass die CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte um 80 bis 95 Prozent sinken sollen. Dazu, wie die künftige Energieversorgung dann aussehen kann, gibt es zahlreiche Szenarien. In allen verliert Erdgas als fossiles Produkt an Bedeutung und verschwindet bis spätestens 2040, allerspätestens 2050 ganz aus dem Energiemix. Nun hat man die Emissionsminderungsziele nochmals verschärft.

Mit dem Klimaschutzgesetz hat Deutschland 2019 versprochen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das ist nun auch vereinbarter EU-Standard.

Genau. Und das bedeutet, dass der deutsche Gasausstieg parallel zum Kohleausstieg stattfinden muss. 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Und etwa bis dahin müssen wir auch aus fossilem Erdgas aussteigen. Sonst verletzen wir die Vereinbarungen.

Wie lange müsste Nord Stream 2 denn Gas transportieren, um sich zu rechnen?

Sehr lange! Sicher länger als bis 2040. Doch wie gesagt: Die Rentabilität ist fraglich, selbst wenn die Pipeline mehrere Jahrzehnte im Einsatz sein sollte. Noch mal: Die beteiligten Unternehmen haben wissentlich schlecht investiert. Allerspätestens ab 2050 können und wollen wir kein fossiles Gas mehr nutzen. Das ist schon lange klar. Vielleicht steigen wir sogar vorher aus. So oder so wird die Nord Stream 2 AG entweder wahnsinnig viel Geld in den Sand setzen oder wir alle zahlen die Zeche, sei es durch sehr hohe Gaspreise, sei es in Form von – eigentlich unberechtigten – Entschädigungszahlungen.

Wenn Europas Gasbedarf nicht über Nord Stream 2, sondern neben Nord Stream 1 weiter vor allem über die osteuropäischen Pipelines gedeckt werden soll, müssten die vollsaniert werden. Auch das wären doch wieder neue Investitionen?

Ja. Doch erstens reden wir hier nicht über Pipeline-Ruinen, sondern über ein aktuell funktionsfähiges Rohrsystem. Auch wenn das laufend gewartet und irgendwann saniert werden muss, kommt das bei Weitem nicht an die Kosten von Nord Stream 2 heran. Und zweitens beziehen die Transitländer weiterhin Gas über diese Pipelines. Die Leitungen müssen also sowieso instand gehalten werden.

Gegen Nord Stream 2 sind auch die USA, die ihr Flüssiggas nach Europa liefern wollen. Um sie von Sanktionen abzubringen, hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) angeboten, Subventionen für ein deutsches Gasterminal um eine Milliarde Euro zu erhöhen. Brauchen wir das für unseren Bedarf?

Definitiv nicht. Es gibt genug LNG-Terminals in Europa, die bislang nicht mal ausgelastet sind. Die bestehende Infrastruktur reicht vollständig aus, um unseren Gasbedarf zu decken. Der politische Kuhhandel von Scholz ist aus energiewirtschaftlicher Sicht ein Desaster. Er befeuert die Beharrungskräfte, die die Energiewende im schlimmsten Fall aufhalten und im besten Fall unnötig teuer machen.

Scholz will Bundeskanzler werden, seine SPD im Wahlkampf mit Klimapolitik punkten. Passt das mit der Erdgas-Fankultur zusammen?

Nein, das tut es nicht. Erdgas als Brückentechnologie zur Energiewende ist eine hartnäckige, aber falsche Legende. Richtig ist: Gaskraftwerke emittieren zwar weniger CO2 als Kohlekraftwerke, aber die Schornsteine erzählen nur die halbe Wahrheit. Bei Erdgas verschlechtern auch Förderung und Transport die Klimabilanz. Das Problem dabei heißt nicht Kohlendioxid, sondern Methan.

Dieses Gas hat eine höhere Treibhausgaswirkung als Kohlendioxid. Es wird in der Atmosphäre zwar auch schneller wieder abgebaut, aber selbst wenn man das herausrechnet, ist der Effekt einer Tonne Methan auf das Klima 25-mal stärker als der einer Tonne CO2.

Erdgas besteht im Grunde aus Methan. Bei der Förderung entweicht ein Teil davon einfach in die Atmosphäre. Aber auch beim Transport gibt es Methanaustritte, an den Pipelineventilen und durch Lecks. Dieser Effekt ist lange unterschätzt worden, auch weil er schwer zu messen ist. An den Ventilen werden schon viele Jahre lang Messungen durchgeführt, so ein Leck muss man aber erst mal aufspüren.

2018 haben US-For­scher:innen herausgefunden, dass der Methanausstoß der Öl- und Gasindustrie in den USA um 60 Prozent höher ist als gedacht.

Wie viel Methan austritt, hängt unter anderem von der Fördermethode und vom Transportweg ab. Die vor allem in den USA verbreiteten Fracking-Bohrungen zum Beispiel lassen besonders viel Gas entweichen. Und bei Erdgas aus Russland kommt es allein durch den weiten Weg nach Deutschland zu etwa zehnmal höheren Methanemissionen als bei Importen aus Norwegen und den Niederlanden. Die Klimabilanz von Flüssiggas ist zusätzlich schlecht, weil die Verflüssigung so viel Energie benötigt. In der Gesamtbetrachtung ist Erdgas deshalb kaum besser fürs Klima als Kohle.

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