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Die süße Medizin der Staatshilfen: Wieso der Entzug jetzt geplant werden muss

Blog Marcel Fratzscher vom 22. Februar 2021

Dieser Text erschien am 22.2.21 als Gastbeitrag im Handelsblatt.

In der Coronakrise stützt der Staat die Wirtschaft mit Milliardenbeträgen. Doch die Politik muss nun langsam eine Entzugsstrategie entwerfen, fordert Marcel Fratzscher.

Trotz Verspätung erfolgreich

Kaum ein Staat der Welt hat in dieser Corona-Pandemie größere Wirtschaftshilfen bereitgestellt als Deutschland. Bald könnten Bund und Länder jedoch am Scheideweg stehen und entscheiden müssen, wie lange und in welcher Form diese Wirtschaftshilfen fortgesetzt werden müssen und können.

Die Wirtschaftshilfen waren, trotz manch gerechtfertigter Kritik und der teils verzögerten Auszahlung von Unterstützungsleistungen an die Unternehmen, im Großen und Ganzen effektiv und erfolgreich. Sie haben unzähligen Unternehmen das Überleben ermöglicht und mehr als sieben Millionen Menschen durch Kurzarbeitergeld einen Teil ihrer Einkommenseinbußen kompensiert.

Familien und Wirtschaft wurden gestützt

Das im Sommer 2020 beschlossene Konjunkturprogramm der Bundesregierung enthielt unter anderem einen Kinderbonus und eine temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer – das verschaffte Familien und anderen Haushalten vor allem in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres mehr Geld für Konsum und half so ebenfalls der Wirtschaft.

Unsere Berechnungen am DIW Berlin ergeben, dass allein das Konjunkturprogramm die Wirtschaftsleistung im abgelaufenen Jahr um 1,3 Prozent gestützt hat und in diesem Jahr sogar 1,5 Prozent dazu beiträgt. Dies kann die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie zwar bei Weitem nicht kompensieren, die Schmerzen aber zumindest etwas lindern.

Stunde der Wahrheit naht

Mit den neuen Maßnahmen, darunter die Überbrückungshilfen III, signalisiert die Bundesregierung Kontinuität und Verlässlichkeit. Diese Entscheidungen sind richtig, auch wenn man im Nachhinein weiß, dass man einiges hätte besser machen können, etwa bei der Zielgenauigkeit der Hilfen für Soloselbstständige oder Minijobber.

Man kann es sich angesichts der aktuellen Corona-Lage noch nicht wirklich vorstellen, doch die große Herausforderung für die Wirtschaftspolitik wird bald in diesem Jahr die Frage sein, wie der Übergang in die wirtschaftliche Erholung – also der Entzug der süßen Medizin der Wirtschaftshilfen – gestaltet werden kann.

Viele Unternehmen werden in diesem und im kommenden Jahr mit der Existenzfrage konfrontiert sein. Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen ist im Jahr 2020 rückläufig gewesen, auch da sich viele Unternehmen auf hohe staatliche Fördergelder verlassen konnten und die Antragspflicht für Unternehmensinsolvenzen ausgesetzt war. Die Stunde der Wahrheit wird für viele Unternehmen dann schlagen, wenn der Staat mit dem Abklingen der Pandemie die Wirtschaftshilfen zurückfährt.

Viele sind jetzt abhängig

Viele Unternehmen sind abhängig geworden von diesen Hilfen, sodass deren schnelles Ende wohl unmöglich ist. Viele Unternehmen werden so stark überschuldet sein, dass sie wichtige Investitionen kaum tätigen können. Einige Branchen im Bereich des sozialen Konsums, wie die Reisebranche, Gastronomie oder Veranstaltungen, werden wohl auf Jahre hinweg weniger Umsätze erzielen, da Menschen ihr Verhalten ändern.

Für einige wird die Transformation, hin zu Klimaschutz und digitalem Wandel, durch die Pandemie eine noch größere Herausforderung, sodass der Ruf nach staatlichen Hilfen und Subventionen noch lauter werden könnte. Für andere, wie die Automobilbranche, könnte die Pandemie weiterhin ein Vorwand sein, um noch stärkere Konzessionen und Hilfen mit der Politik auszuhandeln.

Zurück zur Schuldenbremse wäre eine wirtschaftliche Vollbremsung

Auch makroökonomisch dürfte es gefährlich sein, wenn der Versuch unternommen werden sollte, die Staatsverschuldung von den geplanten 180 Milliarden Euro in diesem Jahr auf wenig mehr als zehn Milliarden Euro im kommenden Jahr zurückzufahren, damit die Schuldenbremse wieder eingehalten werden kann. Denn diese finanzpolitische Konsolidierung würde einer wirtschaftlichen Vollbremsung gleichkommen.

Damit wird der Druck steigen, auch weit über das laufende Jahr hinaus Unternehmen mit Überbrückungshilfen zu stützen, Steuern zu senken, Subventionen zu erhöhen oder einzuführen und sich an großen oder einflussreichen Unternehmen staatlich zu beteiligen. Die Abhängigkeit von der süßen Medizin der Staatshilfen könnte für viele Unternehmen somit weiter zunehmen und deren Ende politisch wie wirtschaftlich immer schwerer machen.

Der Strukturwandel ist unvermeidlich

Doch der unvermeidliche Strukturwandel, vor allem mit Blick auf Klimaschutz und digitale Transformation, wird umso schwerer, je länger der Staat versucht, existierende Strukturen zu zementieren. Dies bedeutet nicht, dass die Politik die Wirtschaftshilfen inmitten der Pandemie kürzen soll.

Aber die Politik muss in diesem Jahr eine klare und ambitionierte Strategie zum Ausstieg entwerfen, die die erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels als oberste Priorität setzt.

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