DIW Wochenbericht 8 / 2021, S. 107-115
Ben Wealer, Christian von Hirschhausen, Claudia Kemfert, Fabian Präger, Björn Steigerwald
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„Kernkraft ist seit jeher stark anfällig für Störungen und Unfälle, das zeigen nicht nur die Reaktorunglücke in Fukushima und Tschernobyl, sondern auch der tägliche Betrieb mit hohen Ausfallzeiten. Kernkraft ist als Energiequelle gefährlich und unzuverlässig und daher auch vom ökonomischen Standpunkt nicht zukunftsträchtig.“ Christian von Hischhausen
Der katastrophale Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima am 11. März 2011 brachte einmal mehr unerwartete Sicherheitsrisiken zutage und beschleunigte den Bedeutungsverlust von Kernkraft in der internationalen Energiewirtschaft. Ihr Anteil an der globalen Stromerzeugung fiel von vormals 17 Prozent (1996) über 13 Prozent (2011) auf circa zehn Prozent, der Anteil am Primärenergieverbrauch liegt sogar bei nur noch vier Prozent. Neben den seit 1945 regelmäßig auftretenden Großunfällen kommt es auch immer wieder zu erheblichen Ausfallzeiten von Kernkraftwerken im normalen Betrieb: Weltweit beträgt die Nutzung der verfügbaren Kraftwerkskapazität seit den 1970er Jahren lediglich 66 Prozent. Auch in Deutschland und den Nachbarländern gab es eine Vielzahl von Zwischenfällen. Zwar liegen die Ausfallzeiten der deutschen Kernkraftwerke unter dem internationalen Durchschnitt, dennoch sind sie hier ebenfalls erheblich, auch bei den jüngeren Anlagen. Die unzuverlässige Verfügbarkeit von Kernkraft ist in der energiewirtschaftlichen Analyse bisher weitgehend vernachlässigt – bisher sehen viele Energie- und Klimamodelle noch eine Bedeutung von Kernkraft auch in der Zukunft. Der Unfall in Fukushima beschleunigte den Atomausstieg in Deutschland, der entsprechend des 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Juli 2011) bis Ende 2022 erfolgen soll.
Am 11. März 2021 jährt sich zum zehnten Mal der Unfall in Fukushima-Daiichi, der den Rückgang der Bedeutung der kommerziellen Nutzung von Kernkraft beschleunigte. In Deutschland hat die Katastrophe das bereits politisch festgelegte Ende der kommerziellen Nutzung von Kernkraft vorangetrieben. Im Kernkraftwerk Fukushima kam es nach einem Tsunami zur Kernschmelze, dem Austritt großer Mengen an Radioaktivität und als Folge zur langfristigen Evakuierung von Hunderttausenden Menschen. Fukushima reiht sich in eine lange Reihe von Störfällen in Kernkraftwerken (KKW) und Forschungsreaktoren ein, die 1945 begann und sich seitdem systematisch durch die Zeit zieht (Abbildung 1).
Zwischen 1965, der Zeit des Durchbruchs kommerzieller KKW, und 2019 wurden weltweit rund 93040 Terawattstunden (TWh) erzeugt. Davon wurden rund 40 Prozent in Europa und 35 Prozent in Nordamerika produziert. Nach den USA stabilisierte sich die Nutzung auch in Europa. In allen Regionen bis auf Asien stagniert die Stromproduktion seit Anfang der 2000er Jahre. In jüngster Zeit nimmt nur noch die Produktion in China zu.Alle Zahlen entstammen BP (2020): Statistical Review of World Energy (online verfügbar, abgerufen am 15. Februar 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt).
Seit dem vergangenen Jahrzehnt nimmt die Bedeutung der Kernkraft für die Stromproduktion weltweit ab: Seit 2010, dem Jahr vor dem Unfall in Fukushima, ist der Anteil der Kernkraft an der Stromproduktion von 13 Prozent auf gut zehn Prozent gefallen (Abbildung 2), dies entspricht 2796 TWh. Damit beschleunigte sich ein rückläufiger Trend, der seit 1996 anhält, als der Anteil bei 17,5 Prozent lag. Bezogen auf den Primärenergieverbrauch liegt der Anteil von Kernkraft sogar nur bei vier Prozent.Im Gegensatz zu anderen Primärenergieträgern wird Atomkraft überwiegend für Stromproduktion genutzt, aber kaum für andere Nutzungen wie Wärme beziehungsweise Verkehr. Der Bau neuer Kernreaktoren ist sogar seit 1978 rückläufig, also noch vor den großen Unfällen wie im amerikanischen Harrisburg (1979) und dem heute ukrainischen Tschernobyl (1986).Ausführlicher zu Entwicklungen der Kernkraft weltweit vgl. Ben Wealer et al. 2018. „Nuclear Power Reactors Worldwide – Technology Developments, Diffusion Patterns, and Country-by-Country Analysis of Implementation (1951–2017).“ Data Documentation 93. Berlin: DIW Berlin, TU Berlin. Zwar ist die Anzahl der Baubeginne in den vergangenen Jahren auf niedrigem Niveau leicht angestiegen (insbesondere in China). Dennoch kann von einer Renaissance der Kernkraft keine Rede sein.Vgl. Lars Sorge et al. (2020): Atomkraft international: Ausbaupläne von Newcomer-Ländern vernachlässigbar. DIW Wochenbericht Nr. 11/2020: 137–45; (online verfügbar).
1998 verzeichnete Japan mit 31 Prozent den höchsten Anteil der Kernkraft an der Stromproduktion. Der Anteil ging bis 2010 auf 25 Prozent zurück. Nach dem Unfall von Fukushima und anhaltenden Notabschaltungen war der Beitrag der Kernenergie längere Zeit zu vernachlässigen. 2014 waren sogar alle Kernkraftwerke vom Netz gegangen. Derzeit spielt die Atomenergie in Japan nur noch eine untergeordnete Rolle.
Mit Blick auf die Relevanz für Sicherheit und Energieversorgung müssen neben den katastrophalen Großunfällen auch die erheblichen Ausfallzeiten von Kernkraftwerken im normalen Betrieb untersucht werden. In diesem Wochenbericht wird auf die Störanfälligkeit von Kernkraft weltweit eingegangen und der Unfall in Fukushima in den Kontext eingeordnet. Darüber hinaus erfolgt eine Darstellung der hohen Ausfallzeiten von Kernkraftwerken, sowohl weltweit als auch konkret in Frankreich und Deutschland. Kernkraft ist eine unzuverlässige Energiequelle, ein Fakt, der lange unterschätzt worden ist, auch in der Energie- und Klimaökonomik.
Seit dem Beginn der Nutzung der Kernkraft stehen Fragen der Reaktorsicherheit im Mittelpunkt des kritischen Umgangs mit dieser Technologie. In Kernreaktoren werden nicht nur während des Produktionsprozesses große Mengen an Energie und radioaktiver Strahlung erzeugt, sondern dieser Prozess hält lange nach dem Ende der kommerziellen Nutzung noch an. Daher müssen drei Schutzziele über sehr lange Zeiträume beachtet werden:Vgl. Julia Mareike Neles und Christoph Pistner (2012): Kernenergie: eine Technik für die Zukunft? Technik im Fokus. Berlin. der Einschluss der radioaktiven Brennelemente und anderer Stoffe, die Kontrolle der Leistung („Reaktivität“) sowie die Abführung der im Reaktorkern entstehenden Wärme und die Kühlung der Brennelemente.
Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, die Entwicklung kommerzieller Kernkraftwerke mit Sicherheitsaspekten zu koordinieren, wurden Fragen der Reaktorsicherheit zu Beginn des Kernkraft-Zeitalters getrennt von Fragen der kommerziellen Nutzung diskutiert.Dies galt auch in Deutschland, wo bis Mitte der 1960er Jahre die Reaktorsicherheit im Bundeshaushalt weniger als ein Prozent der Gesamtausgaben für die Kerntechnik ausmachte. Vgl. Joachim Radkau (1983): Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975: Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklearen Kontroverse. Reinbek bei Hamburg, insb. Kapitel IV: „Die Enthüllung der Sicherheitsproblematik und die verspätete Reaktion der Gesellschaft“. Zudem wurden grundlegende Fragen zu den kerntechnischen Risiken durch eine schlichte Sozialisierung der Unfallrisiken verdrängt. Sowohl die Energie- als auch die Versicherungswirtschaft gingen bei der Entwicklung der kommerziellen Kernkraft davon aus, dass diese Risiken von der Gesellschaft getragen werden mussten.Vgl. Radkau (1983), a.a.O., 389. Dieser Tatbestand ist bis heute gelebte Praxis: Risiken von Kernkraft sind nicht versicherbar, sodass die Haftpflicht der Kernkraftwerksbetreibern eher symbolischen Charakter trägt.Siehe für eine frühe Analyse C. T. Highton (1959): Die Haftung für Strahlenschäden in Grossbritanien. Die Atomwirtschaft: Zeitschrift für wirtschaftliche Fragen der Kernumwandlung, sowie Jochen Diekmann (2011): Verstärkte Haftung und Deckungsvorsorge für Schäden nuklearer Unfälle – Notwendige Schritte zur Internalisierung externer Effekte. Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 34 (2), 119–126.
Seit Beginn der Nutzung der Kernenergie kam es tatsächlich immer wieder zu Störungen mit teilweise erheblichen Auswirkungen auf Menschen und die Umwelt. Zwar sind die als „katastrophal“ klassifizierten Unfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl selten, jedoch gibt es eine Vielzahl von Zwischenfällen – sowie in jedem Jahrzehnt auch größere Unfälle (Abbildung 3).
Bereits während der Entwicklung der Atombombe in Los Alamos (USA, Project Manhattan) kam es 1945/46 zu tödlichen Unfällen im Kontakt mit radioaktiven Brennstoffen.Vgl. Edith C. T Ruslow und Ralph Carlisle Smith (1947): Manhattan District History. Project Y. The Los Alamos Project. Los Alamos. Dies setzte sich auch bei der Entwicklung kommerzieller Kernkraft beziehungsweise von Forschungsreaktoren in den 1950er Jahren fort: In Chalk River (Kanada) gab es 1952 einen größeren Unfall mit einer partiellen Kernschmelze.Vgl. W. B. Lewis (1953): The accident to the NRX reactor on December 12, 1952. Chalk River, Ontario (online verfügbar) 1957 geriet der Graphitkern des KKW Windscale (Großbritannien) in Brand und konnte erst nach mehreren Tagen gelöscht werden.Vgl. Walter C. Patterson (1986): Chernobyl: worst but not first. Bulletin of the Atomic Scientists 42 (7), 43–45. Ebenfalls 1957 explodierte in der Wiederaufarbeitungsanlage Majak (bei Tscheljabinsk, Sowjetunion) ein Tank mit radioaktiver Flüssigkeit, wobei eine erhebliche Menge an Strahlung freigesetzt wurde.Vgl. Paul Josephson (2002): Minatom: Dreams of glory. Bulletin of the Atomic Scientists 58 (5), 40 47.
1961 explodierte der Reaktordruckbehälter des Forschungsreaktors SL-1 in Idaho Falls (USA) bei einer Fehlmanipulation der Moderatorenstäbe.Vgl. Patterson, a.a.O. Der Fermi-Brutreaktor bei Detroit schmolz 1966 teilweise durch, ebenfalls aufgrund von Kühlproblemen.Vgl. John G. Fuller (1978): We Almost Lost Detroit. New York. 1975 kam es im KKW Leningrad (Sowjetunion) zur Freisetzung radioaktiver Substanzen durch die teilweise Zerstörung des Reaktorkerns. Analog ereignete sich 1977 auch im Druckröhrenreaktor Belojarsk (Sowjetunion) ein schwerer Unfall durch eine Teilschmelze des Reaktorkerns.Vgl. Minh Ha-Duong und V. Journé (2014): Calculating nuclear accident probabilities from empirical frequencies. Environment Systems and Decisions 34 (2), 249–258. Im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg (TMI, Pennsylvania, USA) fielen 1979 zwei Hauptspeisepumpen aus, durch Bedienungsfehler bei der Reaktorkühlung kam es zu einer Teil-Kernschmelze und der Freisetzung großer Mengen radioaktiver Gase.Vgl. Samuel J. Walker (2005): Three Mile Island: A Nuclear Crisis in Historical Perspective. Berkeley.
Neben Fukushima ist auch der Unfall in Tschernobyl von der IAEA als katastrophal klassifiziert (INES-Skala 7). Dort kam es am 26. April 1986 im Testbetrieb zu einem drastischen Leistungsanstieg, der zur Explosion des Reaktors Nummer Vier und anschließenden langanhaltenden Bränden führte. Tausende von „Liquidatoren“ wurden bei den Rettungsarbeiten stark verseucht; die radioaktive Wolke breitete sich über die Nordukraine, Weißrussland und bis nach Mittel- und Westeuropa aus.Vgl. Adriana Petryna (2011): Chernobyl’s survivors: Paralyzed by fatalism or overlooked by science? Bulletin of the Atomic Scientists 67 (2), 30–37.
1999 kam es in der japanischen Brennelementefabrik in Tokaimura (Japan) zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, als Arbeiter einen Vorbereitungstank mit einem zu stark angereicherten Urangemisch befüllten.Vgl. Edwin Lyman und Steven Dolley (2000): Accident prone. Bulletin of the Atomic Scientists 56 (2), 42–46. Im April 2003 ereignete sich in der Paks-2-Anlage in Ungarn ein „ernster Störfall“ (INES-Stufe 3), als 30 Brennelemente in einem Reinigungstank aufgrund unzureichender Kühlung schwer beschädigt wurden.World Nuclear Association (2021): Nuclear Power in Hungary (online verfügbar). 2006 ereignete sich im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark ein elektrischer Kurzschluss, der zum Ausfall von zwei Notstromsystemen führte.Analysgroup (2007): The Forsmark incident 25th July 2006 (online verfügbar).
Sowohl die technische als auch die sozioökonomische Bewertung von Unfällen bleibt bis heute kontrovers, es gibt keine einheitliche Bewertungsskala für Kernenergie-Unfälle. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) bewertet Ereignisse anhand der INES-Skala (International Nuclear Event Scale), die von null bis sieben reicht.INES-Skalen: Stufe 0 „keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung“, Stufe 1 „Störung“, Stufe 2 „Störfall“, Stufe 3 „Ernster Störfall“, Stufe 4 „Unfall mit örtlich begrenzten Auswirkungen“, Stufe 5 „Unfall mit weitergehenden Auswirkungen“, Stufe 6 „Schwerer Unfall“ und Stufe 7, einem „katastrophalen Unfall“. Siehe RS Handbuch, S. 4. Die von den Internationalen Atomenergiebehörden entwickelte Skala wird nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von der Atomindustrie selbst kritisiert.Vgl. Declan Butler (2011): Nuclear Safety Chief Calls for Reform.” Nature 472 (7343), 274 (online verfügbar) Eine statistische Untersuchung der Daten über nukleare Vorfälle und Unfälle hat ergeben, dass die INES-Skala inkonsistent ist und die von der IAEO gelieferten Scores unvollständig sind.So hatten nur 50 Prozent der Ereignisse in der Datenbank INES-Scores. Außerdem schlussfolgerten die Autoren, dass die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima zwischen einem INES-Level von 10 und 11 liegen und nicht durch die maximale Stufe von 7 gedeckelt werden sollte. Siehe auch Spencer Wheatley, Benjamin Sovacool und Didier Sornette (2017): Of Disasters and Dragon Kings: A Statistical Analysis of Nuclear Power Incidents and Accidents. Risk Analysis 37 (1), 99–115.
Nach dem Unfall in Fukushima wurde der IAEO, die in ihren Statuten die Förderung der Nutzung der Kernkraft als Aufgabe hat, vorgeworfen, ihr würde die nötige Unparteilichkeit fehlen, Unfälle klar einzuordnen.Vgl. David Smythe (2011): An Objective Nuclear Accident Magnitude Scale for Quantification of Severe and Catastrophic Events. Physics Today. Eine mögliche Lösung wäre der kontinuierlichen NAMS-Ansatz (Nuclear Accident Magnitude Scale of Radiation Release), der auf die freigesetzte Radioaktivität selbst abzielt und nach oben hin offen ist.Vgl. Smythe (2011), a.a.O. Auch eine ökonomische Skala anhand monetärer Bewertungen ist möglich, aber aufgrund unterschiedlicher Monetarisierungsansätze schwer zu vergleichen.Vgl. Hans Jürgen Ewers und Klaus Rennings (1992): Abschätzung der monetären Schäden durch einen sogenannten Super-Gau. Basel. Wheatley et al. , a.a.O.; sowie Rainer Friedrich und Alfred Voss (1993): External Costs of Electricity Generation. Energy Policy 21 (2), 114–122.
In einer statistischen Analyse von 216 kerntechnischen Zwischenfällen wurde festgestellt, dass diese zwar durchschnittlich seit den 1970er Jahren rückläufig sind. Jedoch gibt es in jeder Periode schwere Unfälle und kleinere Zwischenfälle mit Schäden von 20 Millionen Dollar, deren Erwartungswert (Eintreten) von Jahr zu Jahr steigt. Statistisch gesehen kommt es demnach mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit alle 60 bis 150 Jahre zu einem Zwischenfall mit Ausmaßen vom Fukushima-Unglück. Ein Vorfall wie im US-Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg tritt alle zehn bis 20 Jahre auf.Siehe auch Thomas Rose und Trevor Sweeting (2016): How safe is nuclear power? A statistical study suggests less than expected. Bulletin of the Atomic Scientists 72 (2), 112–115; für eine ähnliche Studie.
Ungeachtet der Zwischenfälle ist Kernkraft aber auch im Normalbetrieb störanfällig und weist daher niedrige Kapazitätsauslastungen auf. Der aggregierte AuslastungsfaktorQuotient aus Stromerzeugung aus Kernenergie und Referenzleistung der Anlage multipliziert mit 8760 Stunden. aller Kernkraftwerke seit den 1970er Jahren liegt bei 66 Prozent, das heißt, über ein Drittel der Kapazität wurde nicht zur Stromerzeugung eingesetzt, was überwiegend mit langen Betriebsunterbrechungen zu tun hat.Eigene Berechnungen auf Basis der IAEO PRIS Datenbank (online verfügbar). Die aggregierte Kapazitätsauslastung (Abbildung 4) zeigt, dass in der ersten Dekade der kommerziellen Kernenergienutzung in den 1970er Jahren die Auslastung im Mittel bei nur rund 50 Prozent lag. Danach stieg sie kontinuierlich an. Jedoch lagen die Höchstwerte der Kapazitätsauslastung selbst in den 2000er Jahren nur bei 80 Prozent, das heißt ein Fünftel der Kapazitäten konnte nicht genutzt werden. Seit den 2000er Jahren bis zum Fukushima-Unglück betrug die Auslastung circa 80 Prozent und fiel danach seit 2012 wieder ab (Abbildung 4).
Die IAEO führt eine sehr detaillierte Statistik über alle kommerziell genutzten Kernreaktoren weltweit und deren Ausfallzeiten (outages). Dabei handelt es sich um Situationen, in denen die tatsächliche Ausgangsleistung eines Reaktorblocks über einen bestimmten Zeitraum hinweg niedriger ist als die Referenzleistung.Nach dieser Definition umfassen Ausfallzeiten sowohl die Leistungsreduzierung als auch die Abschaltung eines Reaktors. Die Ausfallzeit wird als signifikant angesehen, wenn der Verlust an Energieerzeugung äquivalent mit mindestens zehn Stunden Dauerbetrieb mit Referenzleistung entspricht. Siehe IAEA (2020): Operating Experience with Nuclear Power Stations in Member States. Wien. Dabei werden drei Kategorien von Ausfallzeiten unterschieden: Erstens: geplanter Ausfall aufgrund von Ursachen, die unter der Kontrolle der Betriebsleitung stehen. Zweitens: ungeplanter Ausfall aufgrund von Ursachen, die unter der Kontrolle der Betriebsleitung stehen. Drittens: Ausfall aufgrund von Ursachen außerhalb des Einflussbereichs der Betriebsleitung (sogenannte „externe“ Ereignisse). Geplante Ausfallzeiten beinhalten den regelmäßig notwendigen Brennstoffwechsel, sowie andere Zeiten, die nicht direkt mit einem Brennstoffwechsel zusammenhängen. Die ungeplanten Ausfälle resultieren vor allem aus technischen Problemen, Testphasen sowie Faktoren im Zusammenhang mit Bedienpersonal (human factor related). Die extern motivierten Ausfallzeiten fallen überwiegend in die Kategorie „andere“ (other). Sie werden nicht näher definiert.Vgl. zur technischen Standards zur Analyse von Zuverlässigkeit Roy Billinton und Ronald N. Allan (1996): Reliability Evaluation of Power Systems. 2nd ed. New York: Plenum Press.
Eine Betrachtung der Entwicklungen in Frankreich ist aufgrund des hohen Anteils der Kernenergie in dem Land sowie der hohen Anzahl an Reaktoren interessant. Frankreich ist mit über 50 laufenden Kernreaktoren und einem Anteil an der Stromproduktion von gut 70 Prozent nach den USA der weltweit zweitgrößte Produzent von Elektrizität aus Kernenergie. Jedoch ist der französischen Kernkraftwerkswirtschaft trotz unterschiedlicher Versuche der Standardisierung vom Reaktorbau und Nutzung von Lerneffekten kein wirtschaftlicher Durchbruch gelungen. Zum einen stiegen die Kosten beim Bau neuer Generationen von Kernkraftwerken an – anstatt wie erwartet zu sinken.Vgl. Arnulf Grubler (2010): The Costs of the French Nuclear Scale-up: A Case of Negative Learning by Doing. Energy Policy 38 (9), 5174–88. Lina Escobar Rangel und François Lévêque (2015): Revisiting the Cost Escalation Curse of Nuclear Power: New Lessons from the French Experience. Economics of Energy & Environmental Policy 4 (2), 103–26. Zum anderen sind auch die Ausfallzeiten im Laufe der Jahre nicht wesentlich zurückgegangen. Eine Betrachtung historischer Einsatzzeiten ergibt, dass der durchschnittliche Lastfaktor (load factor) französischer Kernkraftwerke nicht wesentlich höher ist als der weltweite Wert: Er beträgt durchschnittlich nur 69,3 Prozent.Vgl. Mycle Schneider et al. (2019): World Nuclear Industry Status Report 2019. Paris, Budapest. Das bedeutet, dass mehr als 30 Prozent der investierten Kernkraftkapazitäten nicht genutzt werden (Abbildung 5).
Darüber hinaus kommt es zu regelmäßigen Beeinträchtigungen des französischen Energiesystems:Die Angaben in diesem Abschnitt stammen aus dem World Nuclear Industry Status Report (2019; 2020). Mycle Schneider et al. 2019, a.a.O. Mycle Schneider et al. (2020): World Nuclear Industry Status Report 2020. Paris. Dies lässt sich anhand der Ausfälle in den Jahren 2016 bis 2019 zeigen. Im Sommer 2016 war über die Hälfte der französischen Kernkraftwerke außer Betrieb, wodurch der Strompreis stark nach oben ausschlug.Vgl. Joachim Moxon (2016): The French nuclear outages of 2016: the backstory (online verfügbar: abgerufen am 15. Februar 2021). Am 25./26. August 2018 waren 27 der 58 Kernreaktoren außer Betrieb, wodurch mehr als die Hälfte der installierten Kapazitäten nicht zur Verfügung stand. Im Jahr 2019 waren in der Spitze immer noch 24 der 56 Reaktoren zeitgleich außer Betrieb. An 94 Tagen lieferten mindestens 20 Reaktoren im Verlauf eines Tages keinen Output. An 303 Tagen (83 Prozent des Jahres) waren mindestens zehn Einheiten am selben Tag ausgefallen. Mindestens vier Reaktoren (4,8 Gigawatt) waren an jedem Tag des Jahres gleichzeitig außer Betrieb (null Leistung). 2019 erreichte die Gesamtdauer des Stillstandes der französischen Reaktorflotte 5580 Tage; dies entspricht einem Durchschnitt von 96,2 Tagen pro Reaktor oder einer Ausfallquote von mehr als einem Viertel der Zeit.Vgl. Schneider et al. (2019), a.a.O.: Die Verteilung der Ausfälle war folgendermaßen: 16 KKW bis 50 Tage, 18 KKW 50 bis 100 Tage, 15 KKW 100 bis 150 Tage, 5 KKW 150 bis 200 Tage, 2 KKW 200 bis 250 Tage, 1 KKW 250 bis 300 und 1 KKW 365 Tage.
Auch die von der IAEO als „geplant“ bezeichneten Ausfälle unterliegen erheblichen Schwankungen und tragen somit zur Unzuverlässigkeit der Leistungsbereitstellung bei. Insbesondere ist es an der Tagesordnung, dass sich die „geplanten“ Ausfallzeiten aufgrund ungeplanter Verzögerungen verlängern, und somit eigentlich in die Kategorie „ungeplant“ gehören. So lagen die als „geplant“ ausgewiesenen Ausfallzeiten in den 58 französischen Kernkraftwerken 2019 um 44 Prozent (1705 Tage) höher als zu Beginn der jeweiligen Ausfällen vorgesehenen Zeiträume.Vgl. Schneider et al. (2020), a.a.O., S. 141/142. Dabei werden Lastfolgebetrieb oder andere Betriebssituationen mit reduzierter, aber über Null liegender Leistung, wie zum Beispiel während der Hitzewelle und der Dürre, nicht berücksichtigt. Bei nur einem der 58 Kernkraftwerke (Dampierre-3) entsprach die tatsächliche Ausfallzeit der vorgesehenen Planung (82 Tage). Kürzer als geplant waren die Ausfallzeiten in Nogent-1 sowie den (2020 abgestellten) Reaktoren Fessenheim-1 und Fessenheim-2. Dagegen lag bei 54 Reaktoren die Ausfallzeit oberhalb der Planwerte.
Die hohen Ausfallzeiten tragen somit erheblich zum kommerziellen Misserfolg der französischen Kernkraft bei. Diese durch Kostensteigerungen und nicht erreichte Größen- und Lerneffekte begründete Tatsache beschleunigte sich noch nach der Öffnung des europäischen Strombinnenmarktes, bei dem der Energieversorger EdF zunehmend von kostengünstigeren Wettbewerbern unter Druck gesetzt wurde. EdF ist hoch überschuldet. Es bedarf wahrscheinlich einer vollständigen Verstaatlichung dieser Schulden, um zu überleben. Ob das derzeit in Bau befindliche Kernkraftwerk Flamanville zu Ende gebaut wird beziehungsweise die ebenfalls teuren Laufzeitverlängerungen für alternde Kernkraftwerke durchgeführt werden können, ist unklar.Vgl. Lorenz, Casimir, et al. 2016. “Atomkraft ist nicht wettbewerbsfähig: auch im Vereinigten Königreich und Frankreich ist Klimaschutz ohne Atomkraft möglich.” DIW Wochenbericht, no. 44 /2016: 2047–1054; Mario Kendziorski, Jan Paschke, Joris Kruckelmann und Pao-Yu Oei (2016): “Transition énergétique à la française – Dekarbonisierung mit oder ohne Atomumstieg?” Energiewirtschaftliche Tagesfragen 66 (11): 81–85, sowie Christian von Hirschhausen und Ben Wealer (2021): Restructuation inéluctable d’EDF et du nucléaire francais – La fin du rêve d’éléctricité nucléaire bon marché ; eingereicht bei „Le Monde Diplomatique“.
Zwar hat es in Deutschland noch keine katastrophalen Unfälle gegeben, jedoch gab es auch hier eine große Anzahl von Zwischenfällen, die auch in der INES-Unfallstatistik ausgewiesen werden (Abbildung 3). Und auch in Deutschland unterlag die Verfügbarkeit von Kernkraft seit dem Beginn der kommerziellen Nutzung in Kahl (Bundesrepublik Deutschland, 1962) beziehungsweise Rheinsberg (Deutsche Demokratische Republik, 1966) stets erheblichen Fluktuationen. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung führt ein Register von meldepflichtigen Ereignissen, die mit der Inbetriebnahme des ersten deutschen Kernkraftwerks begonnen wurde. Bis heute sind circa 6500 solcher Ereignisse gemeldet.BASE (2021): Kernkraftwerke in Deutschland: Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme (online verfügbar,); für die Kernkraftwerke der DDR, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands abgeschaltet wurden, werden die Zwischenfälle erst seit dem 03. Oktober 1990 geführt. Seit 1991, dem Zusammenwachsen der Berichterstattung über die neuen und die alten Bundesländer wurden insgesamt 3449 meldepflichtige Ereignisse registriert. Davon sind 78 der Stufe 1 und 3 der Stufe 2 zuzuordnen:INES Stufe 2 entspricht einem „Störfall“, ab welchem die Vorfälle auch an die IAEO gemeldet werden müssen. Die Zahlen basieren auf den Jahresberichten, abrufbar auf BASE (2021): Jahresberichte zu meldepflichtigen Ereignissen (online verfügbar). Zwei der Ereignisse der Stufe 2 erfolgten 2001 im KKW Philippsburg 2, ein weiteres 1998 im KKW Unterweser.
Der schwerste Unfall in einem deutschen Atomreaktor wurde von der IAEO mit INES-Stufe 3 bewertet: Am 7. Dezember 1975 brach in Block 1 des KKWs Greifswald ein Kabelbrand aus, wodurch die Kühlung des Reaktors stark eingeschränkt wurde.Ein IAEO-Team untersuchte 1990 die Ursachen und Bedeutung des Brandes. Berichten zufolge hatte der Brand die „Degradierung wichtiger Schutzsysteme“ verursacht. Außerdem soll der Brand die Kabel für die Normal- und Notstromversorgung beschädigt haben. Eine einzelne Pumpe, die an eine externe Stromversorgung angeschlossen war, soll eine Kernschmelze verhindert haben.Vgl. David A. V. Fischer (1990): Eastern Europe After Pax Sovietica. Bulletin of the Atomic Scientists 46 (6), 23–27.
Im Hochtemperatur-Versuchsreaktor AVR in Jülich kam es zwischen 1971 und 1982 zu einer Reihe von Störfällen, die zur Außerbetriebnahme führten.Vgl. Rainer Moormann (2008): Safety Re-Evaluation of the AVR Pebble Bed Reactor Operation and Its Consequences for Future HTR Concepts. Forschungszentrum Jülich. Im Kernkraftwerk Gundremmingen A ereignete sich 1977 ein Störfall, der den jungen Reaktor flutete und sein Aus bedeutete.BR (2017): Historischer Störfall im Atomkraftwerk Gundremmingen (online abrufbar). 2001 führte eine Wasserstoffexplosion im KKW Brunsbüttel zur Zerstörung eines Rohrleitungsteils, was zwei Monate lang nicht bemerkt wurde.Tagesspiegel (2002): Explosion im Atomkraftwerk (online abrufbar). 2007 sorgte ein Brand im KKW Krümmel für das Aus des Reaktors, der allerdings erst 2011 offiziell vom Netz genommen wurde.
Auch in Deutschland litten die kommerziellen Kernkraftwerke unter hohen Ausfallzeiten und einer fluktuierenden Verfügbarkeit. Zwar liegt der Kapazitätsfaktor seit 1975 mit durchschnittlich 71 Prozent oberhalb des weltweiten Durchschnitts, und auch oberhalb von Frankreich (Abbildung 5). Jedoch sorgten auch in Deutschland eine Vielzahl von Ursachen zu erheblichen Ausfallzeiten mit entsprechenden Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit.Vgl. für die deterministische Analyse von Verfügbarkeiten und Nichtverfügbarkeiten VGB (2020): Analyse der Nichtverfügbarkeit von Kraftwerken 2010–2019. Essen, sowie VGB (2020): Verfügbarkeit von Kraftwerken 2010–2019. Essen: VGB PowerTech e.V.
Die 16 Anfang 2011 noch aktiven Kernkraftwerke hatten im Durchschnitt über ihre Lebensdauer 1116 Ausfallstunden pro Jahr. Besonders bemerkenswert sind die hohen Ausfallzeiten der älteren Kernkraftwerke Biblis A und Biblis B, Isar 1, Neckarwestheim und Unterweser, die alle bereits 2011 vom Netz genommen wurden. Mit 2179 durchschnittlichen Ausfallstunden sticht das KKW Krümmel besonders hervor. Die nach dem Moratorium vom März 2011 weiterbetriebenen Kernkraftwerke weisen zwar lediglich dreistellige Ausfallzeiten auf, jedoch liegen auch diese bei durchschnittlich 763 Stunden.
Fukushima hat weltweit, wie nach jedem größeren Kernkraftunfall, zu einem Reflexionsprozess über Sicherheitsrisiken von Kernkraft geführt, so auch in Deutschland. Am 14. März 2011, drei Tage nach dem Unglück, kündigte die Bundesregierung ein drei-monatiges Moratorium an, um die zukünftige Atompolitik zu überdenken. In diesem Zusammenhang wurden die sieben älteren noch laufenden Reaktoren vom Netz genommen (Abbildung 6). In ihrer Regierungserklärung vom 9. Juni 2011 begründete Bundeskanzlerin Merkel diesen Ausstiegsbeschluss mit nicht beherrschbaren Risiken der Kernenergie. Für die verbliebenen neun Kernkraftwerke wurde ein konkreter Ausstiegsplan festgelegt. Seitdem wurden die Kraftwerke Grafenrheinfeld (2015), Gundremmingen B (2017) sowie Philippsburg 2 (2019) abgeschaltet. Nach dieser noch gültigen Gesetzeslage gehen Ende 2021 die Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde sowie Gundremmingen C vom Netz, Ende 2022 dann Neckarwestheim, Isar sowie Emsland.
Der katastrophale Unfall im Kernkraftwerk Fukushima war von besonderem Ausmaß, jedoch steht er auch repräsentativ für 75 Jahre voller Stör- und Unfälle. Die Risiken für Menschen und Umwelt, die von Kernkraft ausgehen, sind so hoch, dass sie auf keinem Markt der Welt versicherbar sind und daher von der Gesellschaft getragen werden müssen, sollte sich ein Staat für den Bau von Kernkraftwerken entscheiden. Die ordnungspolitische Entscheidung begünstigte auch den raschen Ausbau der unsicheren Technologie seit den 1950er Jahren und die geringe relative Bedeutung, die der Reaktorsicherheit zugemessen wurde. Seit dieser Zeit ist kein Jahrzehnt ohne größere Unfälle vergangen. Statistisch gesehen kommt es alle 60 bis 150 Jahre zu einem katastrophalen Unfall vom Typ Fukushima.
Die internationalen Regeln zur Bewertung von Unfällen werden von der Kraftwerkswirtschaft selbst aufgestellt und sind teilweise schwer nachvollziehbar und unflexibel. Alle größeren Unfälle sollten anhand der von der Industrie selbst entwickelten INES-Unfallskala, aber auch von alternativen Indikatoren bewertet werden, wie zum Beispiel dem NAMS-Ansatz (Nuclear Accident Magnitude Scale of Radiation Release); dies gilt auch retrospektiv für größere Unfälle in der Vergangenheit, für die diese Bewertung nicht vorliegt.
Jenseits der Unfallgefahren sind Kernkraftwerke auch bei regulärem Betrieb störanfällig und stehen nicht dauerhaft zur Verfügung. Historisch gesehen sind über ein Drittel der verfügbaren Kapazitäten nicht genutzt worden. Selbst in den 2000er Jahren wurden immer noch mehr als ein Fünftel der Kapazität nicht genutzt. Frankreich, ein Land mit weit über 50 Kernreaktoren und dem höchsten Anteil von Kernkraft an der Stromerzeugung, leidet besonders unter der unzuverlässigen Verfügbarkeit von Kernkraftwerken, die zum kommerziellen Misserfolg beiträgt. Wiederum sind die von der IAEO etablierten Metriken der Stochastizität unzureichend: Insbesondere ist ein Großteil der geplanten Ausfallzeiten in Wirklichkeit nicht planbar, sondern unterliegt unvorhersehbaren Ereignissen, die die Ausfallzeiten zum Teil erheblich verlängern können. Eine genauere Darstellung und Quantifizierung von Unsicherheitsfaktoren kann zu einem besseren Verständnis dieses Phänomens beitragen. Mit geringen Auslastungstagen, insbesondere aufgrund geplanter und übermäßig langer ungeplanter Ausfälle, benötigt Kernkraft hohe Backup-Kapazitäten, wodurch ihr ökonomischer Wert weiter sinkt.
Auch in Deutschland hat es seit den 1960er Jahren eine Vielzahl von Störfällen gegeben, unter anderen in den Kernkraftwerken Greifswald, Unterweser, Philippsburg und Krümmel. Die Ausfallzeiten sind zwar geringer als in anderen Ländern, dennoch liegen diese sehr hoch, selbst bei den jüngeren Kraftwerken, die 2021 und 2022 vom Netz genommen werden.
Die hohen Sicherheitsrisiken und fluktuierende Fahrweise von Kernkraftwerken ist in der energiewirtschaftlichen Analyse bisher weitgehend vernachlässigt worden. Demzufolge weisen Energiesystemmodelle der Kernkraft eine besondere und in Zukunft teilweise sogar steigende Bedeutung zu und widersprechen damit der empirischen Beobachtung des wirtschaftlichen Niedergangs kommerzieller Kernkraft. Hier besteht methodischer Forschungsbedarf zur Abbildung der stochastischen Verfügbarkeit als auch der damit zusammenhängenden zusätzlichen Reservekapazität. Insbesondere die integrierten Energie- und Klimamodelle (Integrated Assessment Models, IAM), die im Weltklimarat eine wichtige beratende Funktion haben, sollten einer kritischen Analyse ihrer Modellannahmen bezüglich Kernkraft unterzogen werden. Auch die Auswirkungen von größeren Unfällen mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, zum Beispiel vom Typ Fukushima und der Ausfall der gesamten Kernkraftwerksflotte in Japan 2011, sollte durch die Anwendung robuster Modellbildung genauer untersucht werden.
Themen: Europa, Energiewirtschaft
JEL-Classification: L95;Q48
Keywords: nuclear power, outages, accidents, economics, Europe
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-8-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/232994