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Green Deal für die Industrie: Wichtiger als Förderung sind klare Rahmenbedingungen

DIW Wochenbericht 10 / 2021, S. 153-162

Karsten Neuhoff, Olga Chiappinelli, Mats Kröger, Frederik Lettow, Jörn C. Richstein, Franziska Schütze, Jan Stede, Xi Sun

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  • Mit rascher Umsetzung des Green Deals in Grundstoffindustrie können Klima- und Konjunkturziele zugleich erreicht werden
  • Dafür ist nicht nur kurzfristige Förderung, sondern vor allem Schaffung regulatorischer Rahmenbedingungen notwendig
  • Reform des EU-Emissionshandels und CO2-Differenzverträge machen Investitionen in emissionsarme Technologien langfristig wirtschaftlich
  • Nachhaltige Finanzwirtschaft und CO2-Produktanforderungen stellen rechtzeitige Umsetzung der Investitionen sicher
  • Klare Zielsetzung für Ausbau klimaneutraler Produktion ermöglicht Koordination notwendiger regulatorischer Ansätze

„Wenn es um die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität geht, wird immer wieder diskutiert, wie Investitionsmöglichkeiten gefördert werden können. Aber genauso wichtig sind regulatorische Rahmenbedingungen. Ohne sie wird die Industrie klimaneutrale Optionen nicht umsetzen.“ Karsten Neuhoff

Die Europäische Kommission steht vor der Herausforderung und Chance, den Green Deal umzusetzen und dabei gleichzeitig die Erholung der Wirtschaft infolge der Corona-Krise einzuleiten. Investitionen in die Transformation zur Klimaneutralität der Grundstoffindustrie spielen dabei eine zentrale Rolle, da der Sektor für 16 Prozent des CO2-Ausstoßes der EU verantwortlich und zentral für nachgelagerte Wertschöpfungsketten ist. Während oftmals über die Förderung der Investitionsmöglichkeiten diskutiert wird, sind für die Transformation aber vor allem klare Rahmenbedingungen notwendig, mit denen Investitionen in klimafreundliche Technologien erst wirtschaftlich werden und die sicherstellen, dass Unternehmen die Investitionen in die Transformation auch umsetzen. Dafür müssen dann auch die notwendige Infrastruktur und Institutionen bereitgestellt werden. Damit diese Maßnahmen rechtzeitig und koordiniert umgesetzt werden, ist es wichtig, auf nationaler und europäischer Ebene Ziele für den Anteil an CO2-neutraler Produktion zu setzen und diese im Klimaschutzgesetz und der EU-Governancestruktur zu verankern.

Die EU-Kommission hat im Jahr 2019 den Green Deal vorgestellt, der die Europäische Union bis 2050 klimaneutral machen soll.infoEuropäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Der europäische Grüne Deal. COM/2019/640 final. Seitdem hat die Kommission Gesetzesvorschläge erarbeitet, die sie in diesem Jahr dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat vorlegen wird. Gleichzeitig haben die EU und Deutschland als Reaktion auf die Corona-Krise Konjunkturpakete im Umfang von 750 Milliarden beziehungsweise 141 Milliarden Euro aufgelegt.infoWuppertal Institute und E3G (2021): Green Recovery Tracker Report: Germany (online verfügbar, abgerufen am 23. Februar 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Jeweils rund 37infoUrsula von der Leyen (2019): Rede zur Lage der Union bei der Plenartagung des Europäischen Parlaments, Brüssel, 16. September 2020 (online verfügbar). beziehungsweise 30 ProzentinfoWuppertal Institute und E3G (2021), a.a.O. davon sind für Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen.

Dieser Bericht untersucht am Beispiel der Herstellung und Nutzung von Grundstoffen wie Stahl, Basischemikalien und Zement, welche Instrumente erforderlich sind, um die Transformation der Industrie voranzutreiben und damit Klima- und Konjunkturziele gleichzeitig zu erreichen.infoFür frühere Arbeiten zur Politik für einen klimafreundlichen Grundstoffsektor siehe Karsten Neuhoff et al. (2019): Building Blocks for a Climate-Neutral European Industrial Sector. Climate Strategies Report (online verfügbar). Die Herstellung von Grundstoffen ist für 16 Prozent der Emissionen der EU verantwortlich.infoDavon sind etwa ein Drittel indirekte Emissionen aus der Erzeugung von Strom für die Grundstoffindustrie. Eigene Berechnungen basierend auf EEA (2012): End user GHG emissions from energy: reallocation of emissions from energy industries to end users, 2005–2010. Technical report No 19/2011 (online verfügbar) und EEA (2016): National emissions reported to the UNFCCC and to the EU Greenhouse Gas Monitoring Mechanism (online verfügbar). Der Sektor bildet die Basis für viele weitere Industrieprozesse und Produkte.

Klimaneutralität nur mit Transformation der Grundstoffproduktion und -nutzung

Um Klimaneutralität im Grundstoffsektor zu erreichen, muss eine Abkehr von den konventionellen Produktionsprozessen erfolgen.infoSiehe u.a. klimafreundliche Sektorstrategien: EA, European Aluminium (2019): Vision 2050: A vision for Strategic, low carbon and competitive aluminium. EA Report (online verfügbar). CEMBUREAU (2020): Cementing the European Green Deal: reaching climate neutrality along the cement and concrete value chain by 2050. CEMBUREAU Report (online verfügbar). EUROFER (2019): Low Carbon Roadmap: Pathways to a CO2-Neutral European Steel Industry. EUROFER Report (online verfügbar). VCI, Verband der chemischen Industrie (2019): Roadmap Chemie 2050 auf dem Weg zu eitner treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland: eine Studie von DECHEMA und FutureCamp für den VCI. VCI Report (online verfügbar). Es existieren bereits innovative, klimaneutrale Technologien, die typischerweise auf Elektrifizierung, grünem Wasserstoff, der Nutzung von Biomasse oder CO2-Abscheidung und Speicherung basieren. Allerdings gibt es derzeit zwei Herausforderungen: Erstens sind und bleiben die neuen Technologien aller Voraussicht nach sowohl in der Anschaffung als auch im Betrieb teurer als konventionelle Produktionsverfahren.infoOlga Chiappinelli et al. (2020): A Green COVID-19 Recovery of the EU Basic Materials Sector: Identifying Potentials, Barriers and Policy Solutions. DIW Discussion Paper Nr. 1921 (online verfügbar). Zweitens benötigen sie große Mengen an Energie. So würde beispielsweise die Umstellung der derzeitigen Produktion von Stahl in Deutschland auf die strombasierte Wasserstoff-Erzeugung den deutschen Strombedarf um 18 Prozent erhöhen.infoEigene Berechnung auf Basis eines Stromverbrauchs der auf grünem Wasserstoff basierenden Stahlerzeugung von 3,48 MWh/t Stahl, einer Primärstahlproduktion von 27,8 Mt in Deutschland im Jahr 2019 und einem Gesamtstromverbrauch von 538,4 TWh im Jahr 2019. Valentin Vogl, Max Ahman und Lars Nilsson (2018): Assessment of hydrogen direct reduction for fossil-free steelmaking. Journal of Cleaner Production 203, 736–745; Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (2020): Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland. (online verfügbar); World Steel Association (2020): World Steel in Figures 2020 (online verfügbar). Deswegen und aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von kostengünstigen erneuerbaren EnergiepotenzialeninfoAbhängig von Akzeptanz und Flächenverfügbarkeit, vgl. Pablo Ruiz et. al. (2019): ENSPRESO—an open, EU-28 wide, transparent and coherent database of wind, solar and biomass energy potentials. Energy Strategy Reviews, 26, 100379. ist die Reduktion des Bedarfs an primärproduzierten Grundstoffen durch Materialeffizienz und Kreislaufwirtschaft essenziell für das Gelingen der Transformation. Dies senkt den Energiebedarf und die Kosten der Primärproduktion und stärkt zugleich die Resilienz von Wertschöpfungsketten durch einen geringeren Ressourcenbedarf.

Bei der Transformation des Grundstoffsektors werden drei Kriterien für effektive Konjunkturmaßnahmen erfüllt:infoMats Kröger et al. (2020). Green New Deal nach Corona: Was wir aus der Finanzkrise lernen können, DIW aktuell Nr. 39 (online verfügbar). Erstens werden zusätzliche Investitionen ausgelöst durch die Ausrichtung auf neuartige Produktionsprozesse, Recyclingtechnologien sowie strategische Infrastruktur. Zweitens kann die Umsetzung vieler der Projekte zeitnah erfolgen. Europaweit gibt es bis zum Jahr 2025 ein Investitionspotenzial von rund 30 Milliarden Euro. Damit werden etwa 20 Prozent der Grundstoffe in der EU auf emissionsarme primäre Produktionsprozesse umgestellt oder durch hochwertiges Recycling ersetzt (Abbildung 1).infoChiappinelli et al. (2020), a.a.O. Drittens ist der Förderbedarf zum Anstoß der Transformation zeitlich begrenzt. Dafür ist es allerdings notwendig, dass Unternehmen die Mehrkosten einer klimaneutralen Grundstoffproduktion erwirtschaften können.

Bislang sind die Kunden der Grundstoffindustrie wie zum Beispiel die Bau- oder Automobilindustrie nicht bereit, einen ausreichenden Preisaufschlag für grüne Materialien zu zahlen. Grund hierfür ist auch, dass unklar ist, inwieweit die EndverbraucherInnen diesen Aufschlag bezahlen würden.infoDie Erfahrungen mit der Wahl von Ökostromtarifen durch Haushalte deuten zudem darauf hin, dass das Verbesserungspotenzial begrenzt sein könnte. Bislang entscheidet sich in der Regel nur ein Bruchteil der Verbraucher für einen Ökostromtarif und ist nicht bereit, einen nennenswerten Aufpreis zu zahlen. Daher braucht es einen politischen Rahmen, in dem die höheren Kosten klimaneutraler Produktionsprozesse gedeckt werden.

Reform des EU-Emissionshandels notwendig, damit klimaneutrale Investitionen wirtschaftlich werden

Eine Reform des EU-Emissionshandels (EU-ETS) wird aktuell diskutiert, um die Minderungsziele und Marktstabilitätsreserve mit dem neuen Emissionsreduktionsziel von mindestens 55 Prozent bis 2030 in Einklang zu bringen.infoEuropäische Kommission (2020). Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030: In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren. COM/2020/562 final (online verfügbar). Darüber hinaus sollten zwei weitere Ziele erreicht werden. Erstens müssen sich die CO2-Kosten der konventionellen Grundstoffproduktion in der Wertschöpfungskette widerspiegeln, damit klimaneutrale Produktionsprozesse ihre Mehrkosten erwirtschaften können und Anreize für effiziente Materialnutzung und -auswahl entstehen. Dieses Ziel wird derzeit nicht erreicht, da die Materialhersteller, die im internationalen Wettbewerb stehen, kostenlose Zertifikate erhalten zur Verhinderung von Carbon Leakage, also einer Verlagerung von Produktion und damit Emission ins Ausland.infoDie Verhinderung von Carbon Leakage durch freie Zuteilung hat bislang gut funktioniert. Vgl. Helene Naegele und Aleksandar Zaklan (2019): Does the EU ETS cause carbon leakage in European manufacturing? Journal of Environmental Economics and Management, 93, 125–147. So wird aber nur ein kleiner Teil der CO2-Kosten des EU-ETS weitergegeben.infoKarsten Neuhoff und Robert A. Ritz (2019): Carbon cost pass-through in industrial sectors. Cambridge Working Papers in Economics Nr. 1988 (online verfügbar).

Zweitens benötigen Investoren eine Perspektive, wie der CO2-Preis im EU-ETS die notwendige Höhe erreichen kann, um klimaneutrale Produktionsprozesse wirtschaftlich zu machen. Dazu muss der bisherige Zielkonflikt gelöst werden: Einerseits soll die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten reduziert werden, damit die CO2-Kosten in der Wertschöpfungskette besser abgebildet werden und damit notwendige Anreize und Erlöse geschaffen werden. Andererseits ist zur Vermeidung einer Verlagerung der Produktion in der Grundstoffindustrie eine freie Zuteilung notwendig.

Dieser Zielkonflikt kann nicht allein durch die Ausgestaltung der freien Zuteilung gelöst werden. Die EU-Kommission hat vor diesem Hintergrund einen Grenzausgleichsmechanismus vorgeschlagen. Im Ratsbeschluss ist eine Umsetzung zum Januar 2023 vorgesehen.infoAufbauend auf dem Ratsbeschluss verpflichtete sich die Kommission in der am 16. Dezember 2020 mit dem Europäischen Parlament und dem Rat unterzeichneten interinstitutionellen Vereinbarung, bis Juni 2021 einen Vorschlag vorzulegen. Die Kommission prüft gegenwärtig verschiedene Möglichkeiten der Ausgestaltung, unter anderem in Form eines Klimabeitrages.

Ergänzung des EU-ETS um einen Klimabeitrag zur effektiven CO2-Bepreisung

Eine Herausforderung EU-ETS ist die derzeit fehlende Weitergabe der CO2-Kosten an die Grundstoffpreise. Dies kann durch die Ergänzung des EU-ETS um einen Klimabeitrag gelöst werden.infoChristoph Böhringer et al. (2017): Robust policies to mitigate carbon leakage. Journal of Public Economics 149, 35-46. Zum Vergleich mit anderen Reformoptionen siehe Roland Ismer, Karsten Neuhoff und Alice Pirlot (2020): Border Carbon Adjustments and Alternative Measures for the EU ETS. An Evaluation. DIW Discussion Paper Nr. 1855 (online verfügbar). Hierbei handelt es sich um eine Abgabe, die für jede Tonne produzierten oder importierten Grundstoffs anfällt.infoFür Analysen zu administrativen, wirtschaftlichen und juristischen Fragen der Ausgestaltung vgl. Climate Friendly Materials Plattform (online verfügbar). Für eine aktuelle Beschreibung aus einer polnischen Perspektive siehe auch Krzysztof Brzeziński und Aleksander Śniegocki (2020): Climate Contribution and its role in European industrial decarbonisation, Climate Strategies Report (online verfügbar). Die Zahlung der Abgabe kann ausgesetzt und die Verbindlichkeit entlang der Wertschöpfungskette weitergegeben werden. Beim Export der Grundstoffe oder von Produkten aus den Grundstoffen wird die Verbindlichkeit dann erlassen (Abbildung 2).

Die Abgabe basiert ausschließlich auf dem Gewicht des Grundstoffs und einem grundstoffspezifischen Emissionsbenchmark (Referenzwert), wobei nicht nach Produktionsverfahren oder -standort unterschieden wird. Dies vereinfacht die Verwaltung und gewährleistet die WTO-Kompatibilität der Abgabe. Zugleich wird sichergestellt, dass die vollen CO2-Kosten im Grundstoffpreis enthalten sind und der CO2-Preis Anreize für Materialeffizienz und -auswahl und Recycling setzt.

Im Unterschied zur Lenkungswirkung in der Industrie wären die Kostenanstiege durch die Klimaprämie für EndkundInnen von fertigen Produkten gering, da die Kosten von Grundstoffen hier nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. So würden sich Haushaltsausgaben bei einem CO2-Preis von 30 Euro nur um rund 0,2 Prozent erhöhen (ohne Berücksichtigung von Nachfrageeffekten). Die Wirkung ist leicht progressiv, da Haushalte mit höherem Einkommen einen größeren Anteil des Einkommens für grundstoffintensive Produkte wie Autos verwenden.infoJan Stede et al. (2021): Carbon pricing of basic materials: Incentives and risks for the value chain and consumers. DIW Discussion Paper (im Erscheinen).

Da der Klimabeitrag die CO2-Preisanreize entlang der Wertschöpfungskette sicherstellt, entfällt der bisherige Zielkonflikt bei der freien Allokation zwischen effektiven CO2-Preisen und Carbon-Leakage-Verhinderung. Die freie Allokation von Zertifikaten kann somit weitergeführt werden und mit klaren Regeln auch bei steigenden CO2-Preisen Carbon-Leakage-Schutz bieten.infoDie freie Zuteilung für die konventionelle Grundstoffproduktion würde weiterhin anhand eines Emissionsbenchmarks erfolgen, der sich aus der CO2-Intensität der besten zehn Prozent der konventionellen Anlagen ergibt. Zusammen mit einer stärkeren Verknüpfung der freien Allokation mit den aktuellen Produktionsniveaus und Inputfaktoren wird so den Carbon-Leakage-Risiken auch bei steigenden CO2-Preisen entgegengewirkt. Dabei sollte durch eine klare Definition des Benchmarks sichergestellt werden, dass zum Beispiel höhere Anteile an Stahlschrott in einzelnen Anlagen den Referenz-Benchmark nicht reduzieren. Siehe Vera Zipperer, Misato Sato und Karsten Neuhoff (2017): Benchmarks for Emissions Trading – General Principles for Emissions Scope. DIW Discussion Paper Nr. 1712 (online verfügbar).

Absicherung regulatorischer Risiken durch Differenzverträge

Eine wesentliche Hürde für Investitionen ist die CO2-Preisunsicherheit, die ein finanzielles Risiko für emissionsarme Projekte darstellt. Von staatlichen Stellen ausgegebene CO2-Differenzverträge (Carbon Contracts for Differences, CCfDs) können Investoren in klimafreundliche Produktions- und Recyclingprozesse gegen diese Unsicherheit absichern.infoJörn C. Richstein (2017): Project-Based Carbon Contracts: A Way to Finance Innovative Low-Carbon Investments. DIW Discussion Paper Nr. 1714. (online verfügbar); Timo Gerres und Pedro Linares (2020): Carbon Contracts for Differences: their role in European industrial decarbonisation. Climate Strategies Report (online verfügbar). Basierend auf einem Vertragspreis für die Emissionsreduzierung im Vergleich zu einer konventionellen Referenztechnologie wird den Investoren ein fester Erlös pro Tonne eingespartem CO2 garantiert. Solange die EU-ETS-Preise unter dem Vertragspreis liegen, wird die Differenz zwischen Vertrags- und Marktpreis durch den Staat vergütet. Wenn der CO2-Preis den Vertragspreis jedoch übersteigt, müssen die Investoren zusätzliche Erträge zurückzahlen, um Mitnahmegewinne zu vermeiden.

Durch die Beseitigung des CO2-Preisrisikos führen CCfDs schon bei niedrigeren erwarteten CO2-Preisen zu höheren Investitionen in saubere Technologien als zum Beispiel CO2-Mindestpreise.infoJörn Richstein et. al. (2021): Project-based Carbon Contracts for Differences or Price Floors: how to derisk innovative low-carbon investments. DIW Discussion Paper (im Erscheinen). Im Fall von Stahl würde der benötigte erwartete CO2-Preis von etwa 140 auf 77 Euro pro Tonne falleninfoWeitere Unsicherheiten neben dem CO2-Preis sind in der Analyse nicht abgebildet und würden den nötigen CO2-Preis erhöhen. Diese könnten über Referenzindizes oder separate Instrumente wie CfDs für Erneuerbare abgesichert werden (siehe unten im Text). (Abbildung 3). Darüber hinaus können CCfDs den Bedarf an öffentlichen Mitteln zur Unterstützung der Transformation erheblich reduzieren, da Perioden mit hohen CO2-Preisen zu positiven Erlösen für den Staat führen.infoFür Deutschland würde der Nettobarwert (r = 0,08) der staatlichen Ausgaben von 33 Milliarden Euro auf circa acht Milliarden Euro fallen, für das mittlere Kostenszenario zur Dekarbonisierung von 30 Prozent der Produktion ausgewählter Materialien (Stahl, Zement und Ammoniak). Richstein et al. (im Erscheinen). Unter hohen CO2-Preisen würden somit die staatlichen Zahlungsströme sogar einen positiven Erwartungswert annehmen.

Durch die erwartete Elektrifizierung der Prozesse ist ein ausreichendes Volumen an Wind- und Solarenergie zu international wettbewerbsfähigen und stabilen Preisen eine essenzielle Grundlage der Transformation. Dies können öffentliche Ausschreibungen von Differenzverträgen für erneuerbare Energien (Contracts for Difference, CfDs) ermöglichen. Sie sichern Investoren in Wind- und Solarprojekte gegen meist regulatorisch bedingte langfristige Unsicherheiten der Strompreise ab. Damit können Finanzierungskosten und damit die Kosten für erneuerbaren Strom um rund 30 Prozent reduziert werden.infoKarsten Neuhoff, Nils May und Joern. C. Richstein (2018): Renewable energy policy in the age of falling technology costs. DIW Discussion Paper Nr. 1746 (online verfügbar). Die Preise aus den langfristigen öffentlichen Ausschreibungen können an industrielle Stromkunden weitergegeben werden. Das senkt die Preisvolatilität und reduziert den erforderlichen CO2-Preis bei der Absicherung von Investitionen durch CCfDs (Abbildung 3).

Ein Maßnahmenpaket aus CCfDs in Kombination mit CfDs für Erneuerbare und einer Reform des EU-ETS, die eine fortgesetzte kostenlose Zuteilung mit einem Klimabeitrag kombiniert, kann einen robusten Mechanismus bieten, um effektive und stabile CO2-Preisanreize für alle relevanten Akteure sicherzustellen (Abbildung 4). Dies erhöht die politische Unterstützung und damit die regulatorische Stabilität.infoOlga Chiappinelli und Karsten Neuhoff (2020): Time-consistent carbon-pricing: the role of carbon contracts for differences, DIW Discussion Paper Nr. 1859 (online verfügbar).

Umsetzung klimaneutraler Optionen sicherstellen

Wind- und Solarenergie wurden in den Anfangsjahren vorrangig von neuen Technologiefirmen und Energieversorgern entwickelt. Das war dank kleinteiliger Anlagen möglich und wurde durch Enthusiasmus sowie teilweise sehr attraktive Förderung getrieben. Die Herstellung von Grundstoffen findet hingegen in großen Anlagen statt und ist oftmals integriert mit ihrer Weiterverarbeitung. Damit stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass etablierte Unternehmen diese Strukturen auf neue Produktionsprozesse umstellen.

Nachhaltige Finanzwirtschaft kann Investitionsentscheidungen mit längerfristigen Zielen in Einklang bringen

Neue Technologien, wie auch klimaneutrale Produktionsprozesse, bergen für etablierte Unternehmen zum Beispiel das Risiko, Wettbewerbsvorteile aufgrund langjähriger Erfahrung mit existierenden Technologien oder Kunden durch fehlerhafte Umsetzung neuer Technologien zu verlieren. Deswegen werden sie oftmals nur zögerlich aufgegriffen. Damit sich das ändert, müssen auch Transitionsrisiken für Unternehmen, die sich nicht auf die geplante Klimaneutralität vorbereiten, erfasst werden.

Ein nachhaltiges Finanzwesen kann einen wichtigen Beitrag leisten, diese Transitionsrisiken zu erfassen und abzubilden, indem es die Transparenz für Investoren und Stakeholder erhöht. Dazu empfiehlt der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung ein Stresstest-Szenario „Klimaneutralität 2035“:infoSustainable Finance-Beirat der Bundesregierung (2021): Shifting the Trillions – Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation (online verfügbar) Was wäre, wenn Industrieländer plötzlich Maßnahmen umsetzen, um zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius Klimaneutralität bereits 2035 und nicht erst im Jahr 2050 zu erreichen? Große Unternehmen und Investoren sollen berichten, wie sich solch ein Szenario auf Umsatz, Gewinnmargen und Investitionen auswirken.

Auf dieser Grundlage können Transitionsrisiken von Unternehmen bestimmt und im Risikomanagement von Finanzinstituten genutzt werden. Das ist notwendig, um die Stabilität von Finanzinstituten und Finanzmarkt in einem solchen Szenario sicherzustellen.infoDie EZB hat angekündigt, dass der nächste aufsichtsrechtliche Stresstest auch klimabezogene Risiken in den Fokus nehmen wird, siehe EZB Pressemitteilung vom 27. November 2020 (online verfügbar). Zugleich können Unternehmen anhand des Stresstestszenarios darstellen, wie gut sie auf die Klimaneutralität vorbereitet sind. Wenn sie zeigen können, dass sie geringeren Transitionsrisiken ausgesetzt sind, können sie möglicherweise bessere Finanzierungskonditionen erhalten.

Verkaufsverbot für Grundstoffe aus emissionsintensiver Produktion

Analog zum deutschen Kohleausstieg bis 2038 würde ein ähnliches langfristiges Ziel für die Grundstoffindustrie Klarheit für Firmen und Investoren darüber schaffen, dass sie auf neue Technologien und Praktiken umsteigen müssen. Im Gegensatz zur Kohleverstromung könnte ein europäisches Verbot der emissionsintensiven Produktion von Grundstoffen ohne internationale Koordination jedoch zur Verlagerung von Produktion und Emissionen in andere Regionen führen.

Deswegen sollte auch der Verkauf von emissionsintensiv hergestellten Grundstoffen verboten werden. Dies könnte durch die Verabschiedung von CO2-Produktanforderungen (Product Carbon Requirements, PCRs) erreicht werden.infoTimo Gerres et al. (2019): Can Governments Ban Materials with Large Carbon Footprint? Legal and Administrative Assessment of Product Carbon Requirements. DIW Discussion Papers Nr. 1834 (online verfügbar). PCRs würden für Grundstoffe wie Stahl, Zement, Aluminium, Kunststoffe oder Zellstoff und Papier Grenzwerte nahe der Null-Emission festlegen. Nur Produkte, die mit Grundstoffen aus nahezu klimaneutralen Produktionsprozessen hergestellt wurden, dürften verkauft werden. Dies würde sowohl für inländische als auch für importierte Produkte gelten.

Wenn große Märkte wie die USA, China oder die EU PCRs einführen, dann können zum Beispiel Firmen ohne Zugang zu klimaneutral hergestellten Grundstoffen keine Autos in diesen Regionen mehr verkaufen. Solch ein Risiko zu vermeiden, ist ein starker Anreiz, frühzeitig die eigene Grundstoffproduktion auf Klimaneutralität umzustellen oder bei den Zulieferern darauf hinzuwirken.

Welche weiteren Rahmenbedingungen sind notwendig?

Der Erfolg der emissionsarmen Strategien privater Akteure wird nicht nur vom eigenen Handeln abhängen, sondern auch davon, ob es der Politik gelingt, die weiteren Rahmenbedingungen in vier Schlüsselbereichen zu schaffen:

Strukturen für mehr und höherwertiges Recycling

Es ist notwendig, dass recycelte Materialien von einer Qualität sind, die es erlaubt, primär produzierte Materialien als Input für industrielle Prozesse zu ersetzen.infoEuropäische Kommission (2018): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine europäische Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft. COM/2018/028 final (online verfügbar). Die Verfügbarkeit von Einsatzstoffen für Recyclingprozesse könnte verbessert werden, indem die CO2-Emissionen der Abfallverbrennung und die Entsorgung auf Deponien bepreist werden und die entsprechenden Kosten bereits beim Verkauf der Produkte angerechnet werden. Dies trägt zu einem gerechten Wettbewerb zwischen Materialien bei und schafft zugleich Anreize für die Einführung verbesserter Sortier- und Recyclingtechnologien.infoEugenie Joltreau (2018): Pricing products’ negative externalities at end-of-life using eco-modulation: Discussion from case studies. Economics and Policy of Energy and the Environment, 1, 149–172. Ergänzende Maßnahmen könnten Quoten für Unternehmen beinhalten, einen steigenden Anteil an recycelten Materialien (Rezyklaten) in ihren Produktionsprozessen zu verwenden.

Maßnahmen zur Steigerung der Materialeffizienz

Zu einem effizienteren Materialeinsatz gehören Anpassungen im Produktdesign, die Reduzierung von Abfällen bei Herstellungs- und Bautechniken und die Verwendung alternativer Werkstoffe.infoIRP (2020). Resource Efficiency and Climate Change: Material Efficiency Strategies for a Low-Carbon Future. Hertwich, E., Lifset, R., Pauliuk, S., Heeren, N. A report of the International Resource Panel. United Nations Environment Programme, Nairobi, Kenya (online verfügbar). Dazu müssen bestehende Vorschriften zum Produktdesign wie die Ökodesign-Richtlinie überarbeitet und mit den Zielen der Kreislaufwirtschaft und der verbesserten Reparatur und Wiederverwendung in Einklang gebracht werden.infoRichtlinie 2009/125/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte (online verfügbar). Dies umfasst strengere Regeln für die Produktlebensdauer, die Reparierbarkeit und den Materialeinsatz.infoZum Beispiel kann durch die Vereinheitlichung der Materialverwendung für bestimmte Anwendungen, etwa Verpackungen, die Sortierung von Abfallströmen und deren Verwendung als Input für industrielle Produktionsprozesse erleichtert werden, während gleichzeitig Downcycling vermieden wird. Chiappinelli et al. (2020), a.a.O. Weitere Möglichkeiten, den Bedarf an Grundstoffen zu reduzieren, ergeben sich aus Verhaltensänderung der VerbraucherInnen hin zu mehr Teilen, Reparieren und Wiederverwenden von materialintensiven Produkten. Sie können durch Förderung von Pilotprojekten sowie Anpassung von regulatorischen Rahmenbedingungen unterstützt werden.infoDie Regulierung der Flächennutzung könnte zum Beispiel eine höhere Nutzungsintensität von Wohngebäuden fördern. IRP (2020), a.a.O.

Öffentliche Beschaffung nachhaltig ausrichten

Grüne öffentliche Beschaffung (Green Public Procurement, GPP) kann angesichts der großen Hebelwirkung öffentlicher BeschaffungsausgabeninfoIn Deutschland zum Beispiel machen die Aufträge des öffentlichen Sektors 27 Prozent des Umsatzes der deutschen Bauindustrie aus. HDB, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2019): Struktur des baugewerblichen Umsatzes im deutschen Bauhauptgewerbe 2019 (online verfügbar). nicht nur die Emissionen der Aktivitäten des öffentlichen Sektors reduzieren, sondern auch Leitmärkte und Nachfrage nach klimafreundlichen und recycelten Materialien sowie Anreize für Materialeffizienz beim Produktdesign schaffen.infoOlga Chiappinelli, Friedemann Gruner, und Gustav Weber (2019): Klimakriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge können dazu beitragen, deutsche Treibhausgasemissionen zu senken. DIW Wochenbericht Nr. 51+52 (online verfügbar). International wurden diesbezüglich beim GPP für Infrastruktur teils sehr erfolgreiche Ansätze aufgezeigt.infoFür einen umfassenden länderübergreifenden Überblick über Ansätze zur Beschaffung von emissionsarmer Infrastruktur siehe Anna Kadefors et al. (2020): Designing and implementing procurement requirements for carbon reduction in infrastructure construction–international overview and experience., Journal of Environmental Planning and Management, 1–24. Genauso wichtig kann die Rolle von GPP bei der Erleichterung der Koordination entlang der Wertschöpfungskette sein. Beispielsweise ermöglichte ein kollaboratives GPP-Vertragsmodell in Großbritannien eine frühzeitige Abstimmung zwischen Projektplanern und Bauunternehmen, wodurch Maßnahmen mit größerem Minderungspotenzial, einschließlich einer materialeffizienteren Konstruktion, erkannt und umgesetzt werden konnten und dadurch Emissionsminderungen von rund 50 Prozent erreicht wurden (Abbildung 5).infoKadefors et al. (2020), a.a.O.

Bereitstellung strategischer Infrastruktur

Ohne den Aufbau der benötigten Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff, Strom und CO2 werden Unternehmen nicht in die Transformation ihrer Prozesse investieren. Die Verfügbarkeit von Konjunkturfördermitteln bietet die Möglichkeit, Projekte in Auftrag zu geben und zu finanzieren, um die notwendige Infrastruktur zu schaffen und damit ein glaubwürdiges Signal an Investoren zu geben. Finanzierungsmöglichkeiten zur Konjunkturerholung, wie sie den Mitgliedsstaaten durch den Corona-Wiederaufbaufonds zur Verfügung gestellt werden, könnten in Kombination mit Förderstrukturen auf EU-Ebene wie dem aufgestockten EU Just Transition Fund sowie React-EU und Invest-EU für dieses Ziel besonders geeignet sein.infoDer Just Transition Fund hat ein Gesamtbudget von 17,5 Milliarden Euro, wovon 7,5 Milliarden Euro aus dem mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und zehn Milliarden Euro aus dem NextGenerationEU-Fonds stammen. Europäische Kommission (2020): Kommission begrüßt politische Einigung über den Fonds für einen gerechten Übergang (online verfügbar), React-EU beläuft sich auf 47,5 Milliarden Euro und InvestEU auf 5,6 Milliarden Euro. Europäische Kommission (2020): Europäischer Aufbauplan (online verfügbar).

Rechtzeitiges und koordiniertes Handeln der öffentlichen Hand sicherstellen

Die Vielzahl oftmals auch kleinteiliger Aktivitäten, die von öffentlicher Seite initiiert und koordiniert werden müssen, erfordert eine Governance-Struktur, die das richtige Timing und die Koordination aller relevanten Regierungsaktivitäten sicherstellt. In Deutschland könnte das Klimaschutzgesetz mit seinen Reporting- und Review-Prozessen dafür einen geeigneten Rahmen bilden.

Eine gewisse Unsicherheit ergibt sich dadurch, dass Emissionsminderungen bis 2030 mit unterschiedlicher Gewichtung zwischen klimaneutralen Produktionsprozessen und Maßnahmen zur Effizienzverbesserung und Umstieg auf erneuerbare Energien im breiteren Industriekontext erreicht werden kann. Für die Koordination der verschiedenen Aktivitäten einer Transformation zu klimaneutralen Produktionsprozessen sollte diese Unsicherheit möglichst minimiert werden. Das spricht für die Formulierung eines Mindestanteils an klimaneutralen Produktionskapazitäten auf dem Weg bis 2030 – analog zu den Zielen zum Ausbau von erneuerbaren Energien.

Gleichzeitig würde es Sicherheit für Unternehmen und Investoren schaffen, entsprechende Ziele auf EU-Ebene zu formulieren und in der EU 2030 GovernanceinfoRegulation (EU) 2018/1999 of the European Parliament and of the Council of 11 December 2018 on the Governance of the Energy Union and Climate Action (online verfügbar). sowie den Aufbau- und Resilienzplänen der EU-Mitgliedsstaaten abzubilden. Dann können Mechanismen wie das Europäische Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik die öffentliche Seite bei der Umsetzung der Maßnahmen unterstützen, die zur Zielerreichung notwendig sind.

Schlussfolgerung: Politikmaßnahmen zur Erschließung von Synergien dringend notwendig

Das Jahr 2021 wird entscheiden, ob die EU ihrer Verpflichtung gerecht werden kann, sowohl die Klimaziele für 2050 zu erreichen als auch die Wirtschaft aus der Krise zu führen. Hierbei können sich die Umsetzung des Green Deals und die Konjunkturerholungsstrategie gegenseitig ergänzen. Am Beispiel des Grundstoffsektors mit seinen hohen Emissionen und seiner zentralen Rolle für unsere Volkswirtschaft zeigen sich vier Anforderungen an die Politik (Abbildung 6).

Erstens sind politische Rahmenbedingungen notwendig, durch die klimaneutrale Optionen für private Akteure erst wirtschaftlich werden. Dies kann mit der Ergänzung des EU-ETS um einen Klimabeitrag unter Weiterführung der freien Allokation erreicht werden. Zugleich müssen regulatorische Risiken minimiert werden, zum Beispiel durch CO2-Differenzverträge.

Zweitens muss sichergestellt werden, dass private Unternehmen klimaneutrale Optionen auch umsetzen. Vorausschauende Berichterstattung von Unternehmen und deren Nutzung im Risikomanagement des Finanzsektors stärken hier die Anreize und können zugleich die Investitionsrahmenbedingungen für klimaneutrale Optionen verbessern. Mit der Vorbereitung von Produktanforderungen kann zudem frühzeitig Klarheit geschaffen werden, etwa dass in den 2030er Jahren CO2-intensiv hergestellte Grundstoffe nicht mehr in der EU verkauft werden können.

Drittens sind viele weitere Einzelmaßnahmen notwendig. So können zum Beispiel grüne öffentliche Ausschreibungen zur Koordination entlang der Wertschöpfungskette hin zu einer effizienteren Materialnutzung im Bausektor beitragen. Zugleich muss sichergestellt werden, dass die Pläne zum Ausbau von erneuerbaren Energien und Netzen ausreichen, um die zukünftige zusätzliche Nachfrage von Grundstoffherstellern zu decken. Wichtig sind auch Rahmenbedingungen für mehr und höherwertiges Recycling.

Unternehmen können und werden Investitionen in die Klimaneutralität nur umsetzen, wenn sie Vertrauen haben, dass all diese Rahmenbedingungen geschaffen werden. Deswegen sind, viertens, klare politische Zielvorgaben und Strukturen für deren Umsetzung notwendig. Das Klimaschutzgesetz bietet hier für Deutschland einen wichtigen Rahmen, sollte aber noch um klarere Zielvorgaben und Pfade zu den Anteilen von klimaneutralen Prozessen ergänzt werden. Analog sollte auf EU-Ebene sichergestellt werden, dass in der EU-2030-Governance-Verordnung und den Aufbau- und Resilienzplänen der EU-Mitgliedstaaten entsprechende Ziele abgebildet werden.

Öffentliche Mittel, die im Rahmen von EU- und nationalen Konjunkturpaketen als Reaktion auf die Corona-Krise zur Verfügung stehen, stellen eine einzigartige Gelegenheit dar, die Transformation der Grundstoffindustrie anzustoßen. Dies kann sicherstellen, dass die EU auf dem richtigen Weg ist, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das Zeitfenster ist günstig: Erstmalig gibt es zunehmende Übereinstimmung der großen Volkswirtschaften (zum Beispiel USA und China), der Öffentlichkeit und der Unternehmen im Hinblick auf die Verpflichtung zur Bekämpfung des Klimawandels. Deshalb muss der Green Deal jetzt umgesetzt werden.

Xi Sun

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klimapolitik

Mats Kröger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Klimapolitik

Franziska Schütze

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klimapolitik

Jörn C. Richstein

Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Themenleitung Strommärkte in der Abteilung Klimapolitik

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik



JEL-Classification: Q54;Q58;L61;L52;H12
Keywords: Green COVID-19 Recovery; Industrial Decarbonisation; Policy Package; EU Green Deal
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-10-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233002

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