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Insolvenzgeschehen in Deutschland: Corona-Pandemie hinterlässt erste Spuren

DIW Wochenbericht 11 / 2021, S. 216-221

Marius Clemens, Geraldine Dany-Knedlik, Claus Michelsen, Sandra Pasch

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Die Corona-Pandemie beeinträchtigt die Geschäfte vieler Unternehmen massiv. Dennoch ist es im vergangenen Jahr nicht zu einem Anstieg an Firmenpleiten gekommen. Im Gegenteil: Die Zahl der Insolvenzen ist über den seit Jahren rückläufigen Trend hinaus gesunken. Die noch bis Ende April geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die Hilfeleistungen für Betriebe verschleiern jedoch das wahre Ausmaß der Probleme im Unternehmenssektor. Dieses wird sich frühestens im Laufe des aktuellen Jahres zeigen. Die Insolvenzen könnten dann erheblich steigen, denn in vielen Unternehmen gehen die Eigenkapitalpuffer zu Neige. Gemessen am Insolvenzgeschehen der vergangenen Jahre ist damit zu rechnen, dass bis zu 4500 Firmenpleiten „nachgeholt“ werden. Trotz der geringeren Insolvenzfälle im vergangenen Jahr sind in der Statistik bereits erste Spuren der Corona-Pandemie sichtbar: So lag das Volumen der voraussichtlichen Forderungen von GläubigerInnen um fast 21 Milliarden Euro höher als im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2019. Die Zahl der betroffenen Beschäftigten überstieg den langjährigen Durchschnitt um fast 60000 Personen. Das Insolvenzgeschehen hat ökonomisch also bereits deutlich an Bedeutung gewonnen.

Die Corona-Pandemie prägt seit gut einem Jahr das weltweite Wirtschaftsgeschehen. Nach den Lockdowns im Frühjahr des vergangenen Jahres mussten in vielen Ländern in den Wintermonaten erneut weitreichende Kontaktbeschränkungen und Geschäftsschließungen beschlossen werden, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Seit Anfang November des vergangenen Jahres wurden beispielsweise in Deutschland gastronomische Betriebe oder Kunst- und Kultureinrichtungen für den Publikumsverkehr geschlossen. Seit Mitte Dezember ist auch der stationäre Einzelhandel zu. Gerade der Dienstleistungssektor ist durch diese Maßnahmen massiv in seiner Geschäftstätigkeit beeinträchtigt – die Industrie hingegen kommt bislang ohne schwerwiegende Einbußen durch die zweite Welle der Corona-Pandemie.

Die Bundesregierung hat den betroffenen Betrieben weitreichende finanzielle Unterstützung zugesagt, um die Geschäfte vor der Insolvenz zu retten. Im Rahmen des Wirtschaftsstabilisierungsgesetzes stellt sie mit Hilfe der Staatsbank KfW den Unternehmen Sonderkredite zur Verfügung und beteiligt sich zudem bei angeschlagenen, größeren Konzernen auch direkt. Hierfür stehen jeweils 100 Milliarden Euro bereit, von denen aktuell insgesamt rund 50 Milliarden Euro in Form von Krediten und etwa acht Milliarden Euro in Form von Beteiligungen vergeben wurden.infoSiehe auch Statistisches Bundesamt (2021): Dashboard Deutschland. Zudem setzte der Bund auch ein Bürgschafts- und Garantieprogramm auf, in dessen Rahmen er sich allerdings seither nur mit rund drei Milliarden Euro zusätzlich verbürgt. Beide Maßnahmen richten sich tendenziell eher an größere Unternehmen.

Insbesondere für Klein- und Kleinstunternehmen, die aufgrund ihrer geringeren Krisenpuffer in deutlich höherem Maße von Insolvenzen bedroht sind, stellen Bund und Länder wirtschaftliche Soforthilfen bereit.infoDie Überbrückungshilfen III richten sich aber auch an Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 750 Millionen Euro pro Jahr sowie an alle Unternehmen, die von den Schließungsanordnungen auf Grundlage eines Bund-Länder-Beschlusses betroffen sind, gemeinnützige Unternehmen und Organisationen. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung hierfür in mehreren Tranchen insgesamt 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, zu denen sich zumindest auf dem Papier auch noch die außerplanmäßigen Wirtschafshilfen im November und Dezember (sogenannte November- und Dezemberhilfen) gesellten, für die rund 30 Milliarden Euro veranschlagt wurden. Insgesamt sind allerdings zum derzeitigen Stand nur 25 Milliarden Euro bewilligt. Ursachen hierfür sind zum einen wohl bürokratische Anlaufschwierigkeiten, wegen derer die November- und Dezemberhilfen des Jahres 2020 erst im Februar 2021 ausgezahlt werden konnten. Zum anderen könnte aber auch die besser als erwartete konjunkturelle Entwicklung dazu geführt haben, dass einige Unternehmen die Hilfen nicht in Anspruch nehmen mussten. Darüber hinaus dürfte das ein oder andere Unternehmen auch die zusätzlichen bürokratischen Kosten abgeschreckt haben.

Trotz der Hilfen dürften die Eigenkapitalpuffer in vielen Unternehmen aufgebraucht sein. So berichtet beispielsweise der Handelsverband (HDE), dass 60 Prozent der Geschäfte vor der Aufgabe stehen.infoVgl. Handelsverband Deutschland (2021): Die Hälfte der geschlossenen Geschäfte ist in akuter Existenzgefahr: Handel fordert rasche Öffnungsperspektive. Pressemitteilung vom 25. Februar 2021 (online verfügbar; abgerufen am 12. März 2021). Andere Schätzungen gehen von einer insgesamt mittleren vierstelligen Zahl zusätzlicher Unternehmensinsolvenzen im laufenden Jahr aus.infoVgl. beispielsweise Klaus-Heiner Röhl (2020): Corona: Droht eine Zombiefizierung der deutschen Wirtschaft? IW-Kurzbericht Nr. 130/2020; und Deutsche Bundesbank (2020): Potenziell starker Anstieg der Insolvenzen im Unternehmenssektor. Finanzstabilitätsbericht 2020, 38–48. Die Sorge ist groß, dass Deutschland eine Welle an Insolvenzen droht, die die wirtschaftliche Erholung ausbremsen und deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen könnte.

Insolvenzmeldepflicht zwischenzeitlich ausgesetzt oder eingeschränkt

Die Politik hat nicht nur finanzielle Unterstützungen beschlossen. Auch das Insolvenzrecht wurde angepasst: Das Bundeskabinett hat am 27. März 2020 einen Gesetzentwurf zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht als Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen beschlossen. Das Gesetz legt im Bereich des Insolvenzrechts fünf Maßnahmen fest:

Erstens wird die haftungsbewehrte und teilweise auch strafbewehrte dreiwöchige Insolvenzantragspflicht vorübergehend bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt ausschließlich für Fälle, bei denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch die Corona-Pandemie verursacht wurde. Zudem muss die Aussicht bestehen, dass die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Antragspflichtige Unternehmen sollen die Gelegenheit erhalten, ein Insolvenzverfahren durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, abzuwenden. Zweitens haften GeschäftsführerInnen während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen. Drittens sind während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an durch die Corona-Pandemie betroffene Unternehmen gewährte neue Kredite nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen. Viertens sind während der Aussetzung erfolgte Leistungen an Vertragspartner nur eingeschränkt anfechtbar. Fünftens wurde die Möglichkeit für GläubigerInnen, Insolvenzverfahren zu erzwingen, für drei Monate eingeschränkt.infoGeregelt ist dies im Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) und im Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz.

Im September 2020 wurde die Verlängerung der meisten Maßnahmen bis zum Jahresende beschlossen: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde bis zum 31. Dezember 2020 ausgedehnt, allerdings nur für Unternehmen, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind. Die Zahlungsunfähigkeit ist allerdings mit Abstand der wichtigste Grund der Insolvenzanmeldung. Diese Verlängerung wurde ebenfalls durch Regelungen zur Reduzierung von Haftungs- und Anfechtungsrisiken flankiert.

Seit dem Januar 2021 gilt die Aussetzung erneut auch für den Fall der Zahlungsunfähigkeit. Die Insolvenzantragspflicht für Geschäftsleitende von Unternehmen, die einen Anspruch auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie (sogenannte November- und Dezemberhilfen) haben, ist ausgesetzt. Voraussetzung ist, dass ein entsprechender Antrag auf Hilfeleistungen im Zeitraum vom 1. November bis zum 31. Dezember 2020 gestellt wurde. War eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich, wird die Insolvenzantragspflicht ebenfalls ausgesetzt. Diese ist jedoch nicht ausgesetzt, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist.

Am 20. Januar wurde eine weitere Verlängerung des Insolvenzaussetzungsgesetzes bis zum 30. April 2021 beschlossen. Die Verlängerung soll jenen SchuldnerInnen zugutekommen, die einen Anspruch auf finanzielle Hilfen aus den aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen haben und deren Auszahlung noch aussteht. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass die Hilfe bis zum 28. Februar 2021 beantragt wurde und die erwartete Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet ist. Auf die tatsächliche Antragstellung kommt es ausnahmsweise nicht an, wenn eine Beantragung der Hilfen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bis zum 28. Februar 2021 nicht möglich war. In diesen Fällen soll auf die Antragsberechtigung abgestellt werden.

Wie schon bisher gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur, wenn die Krise des Unternehmens pandemiebedingt ist, mit einer Auszahlung der Hilfen gerechnet werden kann und hierdurch eine Überlebenschance für das Unternehmen besteht. Wenn ein Unternehmen von einem Insolvenzantrag absieht, obwohl die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vorliegen, handelt die Geschäftsleitung pflichtwidrig. Dies kann sowohl eine Haftung als auch eine Strafbarkeit der Geschäftsleitung begründen.

Insolvenzanmeldungen mit langfristigem Abwärtstrend

Die Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht dürfte erheblichen Einfluss auf das Insolvenzgeschehen haben. Die Anzahl der gemeldeten Insolvenzen ist 2020 im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 erheblich gesunken. Allerdings zeigte der Trend schon in den Vorjahren nach unten: Seit dem Jahr 2010 geht die Zahl der Insolvenzanmeldungen kontinuierlich zurück. Gegenüber dem Jahr 2010 hat sich die Zahl der Insolvenzanmeldungen in etwa halbiert. Dies betrifft sowohl die Unternehmen als auch die sonstigen SchuldnerInneninfoUnter die sonstigen SchuldnerInnen fallen natürliche Personen als GesellschafterInnen, ehemals selbstständig Tätige, VerbraucherInnen und Nachlässe. (Abbildung 1).

Trotz des bereits rückläufigen Trends ist die Zahl der Insolvenzanmeldungen im vergangenen Jahr in beiden Kategorien sichtbar abgeknickt. Auszugehen ist davon, dass die Aussetzung der Meldepflicht zunächst zu einer niedrigeren Zahl an Insolvenzanmeldungen geführt hat und die Hilfen der öffentlichen Hand die Unternehmen gestützt haben. Auch nach Wirtschaftszweigen differenziert zeigt sich für alle betrachteten Branchen ein ähnliches Bild: Die Zahl der Insolvenzanmeldungen sinkt sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch in den Dienstleistungsbereichen – selbst in der Gastronomie, die in der Corona-Krise in besonderem Maße beeinträchtigt ist, hat sich die Zahl der Insolvenzanmeldungen zuletzt weiter reduziert (Abbildung 2).

Volumen voraussichtlicher Forderungen seit 2010 weitgehend konstant

Die Zahl der Insolvenzen für sich genommen sagt allerdings nur wenig über die ökonomische Relevanz des Insolvenzgeschehens aus. Hierfür sind die Zahl der betroffenen Beschäftigten und die voraussichtlichen Forderungen maßgeblicher. Die geringere Zahl der Insolvenzen spiegelt sich tatsächlich nicht in einem sinkenden Volumen voraussichtlich offener Forderungen wider: Diese blieben in den Jahren ab 2010 mit Ausnahme einiger Großinsolvenzen in nominaler Betrachtung weitgehend konstant (Abbildung 3). Im Jahr 2009 waren es beispielsweise die Insolvenzen von Karstadt, Primondo und Quelle, die den Anstieg der offenen Forderungen bestimmten. Auch in den Folgejahren kam es immer wieder zu Großinsolvenzen wie bei Schlecker, Praktiker, Air Berlin oder zuletzt Wirecard und Maredo, die sichtbar in der Statistik aufscheinen. Auch wenn man diese Ereignisse ausklammert, geht der fallende Trend der eröffneten Insolvenzverfahren nicht mit einem gleichwertigen Rückgang der offenen Forderungen einher.

Ein ähnliches Bild zeigt sich für die Zahl betroffener ArbeitnehmerInnen. Auch hier ist die Zahl seit der Finanzkrise relativ konstant und schwankt um etwa 10000 Beschäftigte monatlich. Vor allem Großinsolvenzen fallen ins Auge: Gerade bei Handelsunternehmen wie Schlecker, Karstadt oder Quelle ist die Zahl der betroffenen Beschäftigten hoch (Abbildung 4).

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verschleiert Probleme im Unternehmenssektor

Die Zahl der Insolvenzen war im Jahr 2020 insgesamt niedriger als in den Jahren zuvor. Berücksichtigt man den zugrundeliegenden Trend, dann zeigt sich eine signifikante, allerdings nicht besonders ausgeprägte Abweichung bei den Anmeldungen der Unternehmensinsolvenzen im vergangenen Jahr (Abbildung 5). Angesichts des starken wirtschaftlichen Einbruchs ist dies zunächst überraschend – allerdings dürften die ausgereichten Liquiditätshilfen neben der ausgesetzten Antragspflicht Unternehmensaufgaben in größerer Zahl bislang verhindert haben.infoVgl. Timo Wollmershäuser et al. (2020): ifo Konjunkturprognose Winter 2020: Das Coronavirus schlägt zurück – erneuter Shutdown. ifo Schnelldienst 73 (Sonderausgabe), 3–61.

Zusammengenommen deuten die Zahl der Insolvenzen, der Forderungen und der Beschäftigten auf eine zumindest kurzfristige Veränderung des Insolvenzgeschehens hin. Während die Zahl der Insolvenzen weniger anfällig für Einzelereignisse ist als die Höhe der Forderungen und die Zahl der Beschäftigten, sagen diese beiden Größen wiederum mehr über die gesamtwirtschaftliche Relevanz aus. Die ausstehenden Forderungen lagen im Jahr 2020 im Durchschnitt über dem Trend der Vorjahre. Auch bei den Beschäftigten war dies zu beobachten. Naheliegend ist daher die Schlussfolgerung, dass im Corona-Jahr 2020 zwar eine beträchtliche Zahl an Insolvenzen ausgeblieben ist, es sich dabei allerdings um eher kleine Unternehmen mit niedriger Bilanzsumme und wenigen Beschäftigten handelt.

Gemessen an den Werten der Vorjahre zeigt sich dies ebenfalls. Gegenüber dem üblichen Insolvenzgeschehen der vergangenen Jahre dürften im Jahr 2020 etwa 5000 Unternehmen weniger Insolvenz angemeldet haben. Dies entspricht rund einem Drittel der sonst gestellten Anträge und Verfahren. Hingegen lagen die offenen Forderungen mit zusätzlich fast 21 Milliarden Euro fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2019 (Tabelle).

Tabelle: Insolvenzanmeldungen, offene Forderungen und betroffene ArbeitnehmerInnen im Jahr 2020 im Vergleich zu Vorjahren

2019 Hochrechnung 2020 Durchschnitt 2014 bis 2019 Differenz zu 2019 Differenz zum Durchschnitt
Eröffnete Insolvenzverfahren (Anzahl) 13609 10906 15428 −2703 −4522
Mangels Masse abgewiesene Insolvenzverfahren (Anzahl) 5140 4837 5714 −303 −877
Angemeldete Insolvenzverfahren (Anzahl) 18749 15743 21141 −3006 −5398
ArbeitnehmerInnen (Anzahl) 143666 177172 119458 33506 57714
Voraussichtliche Forderungen (in Millionen Euro) 26758 45541 24563 18783 20978

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Ähnliches gilt für ArbeitnehmerInnen: Knapp 60000 Beschäftigte mehr als im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2019 arbeiteten in Unternehmen, für die ein Insolvenzverfahren angemeldet wurde – dies entspricht einem Anstieg um gut 48 Prozent. Verglichen mit dem Jahr 2019 beträgt der Anstieg gut 20 Prozent. Im vergangenen Jahr haben also weniger kleine und mittelständische Unternehmen Insolvenz angemeldet, dafür aber vermehrt größere Unternehmen mit entsprechend hohen Forderungen und vielen Arbeitsplätzen. Beispielsweise stiegen die eröffneten Insolvenzverfahren von Unternehmen mit mehr als hundert ArbeitnehmerInnen um rund 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.

Die geringere Zahl der Insolvenzen legt nahe, dass einige Unternehmen, die ansonsten aus dem Markt ausgetreten wären, dank der Hilfen zunächst eine Chance auf die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs sehen. Ob dies dann allerdings verzögert zu einem stärkeren Insolvenzgeschehen in den kommenden Jahren führt, ist schwer zu prognostizieren und hängt einerseits von der Wirksamkeit der Überbrückungshilfen ab und andererseits davon, ob die Pandemie zu einer nachhaltigen Veränderung des Konsum- und Investitionsverhaltens bei den privaten Haushalten und Unternehmen führt. Die Tragfähigkeit bisheriger Geschäftsmodelle kann zumindest in einigen Wirtschaftsbereichen wie dem Handel, der Reisebranche oder unternehmensnahen Dienstleistungen in Frage gestellt sein.

Werden die Zusammenhänge des Insolvenzgeschehens und der wirtschaftlichen Entwicklung aus den vergangenen Jahren zugrunde gelegt, dann ist zumindest mit deutlich mehr Anmeldungen von Insolvenzverfahren zu rechnen. So deuten Prognosen der Bundesbank auf einen starken Anstieg der Insolvenzverfahren hin – diesen Berechnungen zufolge könnte die Zahl der quartalsweise gemeldeten Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2021 zeitweise um rund ein Viertel steigen. Dabei spielt vor allem das Insolvenzgeschehen im verarbeitenden Gewerbe eine wesentliche Rolle. Dies erscheint angesichts der Anatomie der Krise – die sich derzeit primär im Dienstleistungsbereich niederschlägt – wenig plausibel.infoVgl. Bundesbank (2020), a.a.O. Prognosen zum Volumen ausstehender Forderungen deuten unter Berücksichtigung der Unternehmenshilfen ebenfalls auf einen Anstieg hin: Das Volumen hätte im vergangenen Jahr um die Hälfte höher liegen müssen als es tatsächlich lag – das spricht für einen Insolvenzstau, der sich demnächst auflösen dürfte.infoVgl. Wollmershäuser et al. (2020), a.a.O.

Fazit: Insolvenzgeschehen schwer zu prognostizieren – Nachholeffekte scheinen allerdings wahrscheinlich

Trotz der schweren wirtschaftlichen Krise schlagen die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht auf das Insolvenzgeschehen in Deutschland durch. Die Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht und die umfangreichen Hilfen für Unternehmen haben bislang dafür gesorgt, dass die Insolvenzzahlen gegenüber den Vorjahren weiter gesunken sind. Dies betrifft alle Wirtschaftsbereiche – auch jene, die von den Restriktionen und Geschäftsschließungen besonders betroffen sind.

Gleichwohl spiegelt sich die geringere Zahl der Insolvenzen nicht in einem Rückgang der Forderungen und der betroffenen ArbeitnehmerInnen wider. Hier ist im ersten Krisenjahr 2020 ein deutlicher Anstieg zu beobachten, der zwar durch zwei Großinsolvenzen von Wirecard und Maredo mitbestimmt ist. Rechnet man diese heraus, zeigt sich insbesondere zuletzt aber dennoch ein steigender Trend dieser beiden Größen. Dies deutet darauf hin, dass die Insolvenzen zwar in ihrer Zahl rückläufig sind, die ökonomische Relevanz solcher Ereignisse aber steigt, also größere Unternehmen aus dem Markt ausscheiden müssen.

Das tatsächliche Insolvenzgeschehen wird durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verschleiert, entsprechend schwierig sind genauere Abschätzungen. Bis in das Frühjahr 2021 sind Geschäftsführende von ihrer Anzeigepflicht befreit, sofern die beantragten Corona-Hilfen ausreichen, um eine Insolvenz abzuwenden. Gleichwohl scheint es wahrscheinlich, dass in einer ökonomischen Krise mehr Unternehmen als üblich in die Pleite gehen. Legt man das – gemessen am Durchschnitt der vergangenen Jahre – geringere Insolvenzgeschehen des Jahres 2020 zugrunde, dann ist damit zu rechnen, dass rund 4500 Firmenpleiten „nachgeholt“ werden dürften. Dies entspricht rund einem Drittel des üblichen Insolvenzgeschehens.

Geraldine Dany-Knedlik

Co-Leitung Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: G33;G38;E32
Keywords: insolvencies, corona crisis, subsidies
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-11-5

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233779

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