DIW Wochenbericht 12 / 2021, S. 227-233
Theresa Entringer, Jannes Jacobsen, Hannes Kröger, Maria Metzing
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„Man muss Integration und psychische Gesundheit zusammen denken. Denn psychische Belastungen können zusätzliche Hürden sein, die Geflüchtete auf dem Weg zur Teilhabe in einer ohnehin schon schwierigen Situation überwinden müssen.“ Hannes Kröger, Studienautor
Unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden viele Menschen. Geflüchtete gehören jedoch in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu einer der am schlechtesten gestellten Gruppen. Sie leben überdurchschnittlich häufig in beengten Wohneinrichtungen wie Gemeinschaftsunterkünften und sind dadurch einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Gleichzeitig waren sie schon vor der Pandemie überproportional häufig psychisch stark belastet. Sie könnten daher von der Pandemie besonders betroffen sein. Der Wochenbericht untersucht deshalb, wie sich die ersten Monate der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit Geflüchteter ausgewirkt haben. Er zeigt, dass die psychischen Belastungen Geflüchteter im Jahr 2020 unverändert hoch sind. Darüber hinaus fühlten sich Geflüchtete in dieser Zeit weiterhin sehr einsam. Die psychische Gesundheit Geflüchteter sollte daher weiterhin genau beobachtet werden, um einerseits steigenden psychischen Belastungen rechtzeitig entgegenwirken zu können und andererseits bestehende Einsamkeit abzubauen. Dies ist auch für die erfolgreiche Integration der Geflüchteten wichtig.
Die Corona-Pandemie ist für die meisten Menschen ein einschneidendes Erlebnis. Eine Vielzahl an Studien zeigte bislang, dass die Pandemie und die Corona-Maßnahmen den Alltag der Menschen unterschiedlich stark beeinträchtigen.Carsten Schröder et al. (2020): Vor dem Covid-19-Virus sind nicht alle Erwerbstätigen gleich. DIW aktuell 41 (online verfügbar, abgerufen am 18.02.2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Theresa Entringer und Hannes Kröger (2020): Einsam, aber resilient – Die Menschen haben den Lockdown besser verkraftet als vermutet. DIW aktuell 46 (online verfügbar); Markus Grabka Carsten Braband und Konstantin Göbler (2020): Beschäftigte in Minjobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession. DIW Wochenbericht Nr. 45, 841–847 (online verfügbar); Mathias Huebener, C. Katharina Spieß und Sabine Zinn (2020): SchülerInnen in Corona-Zeiten: Teils deutliche Unterschiede im Zugang zu Lernmaterial nach Schultypen und -trägern. DIW Wochenbericht Nr. 47, 853–860 (online verfügbar). Eine benachteiligte Gruppe, zu der bislang allerdings noch keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen, sind Geflüchtete. Sie leben überdurchschnittlich häufig in beengten Wohneinrichtungen wie Gemeinschaftsunterkünften und sind dadurch einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt, was mit erhöhten Sorgen einhergeht. Gleichzeitig waren sie schon vor der Pandemie überproportional häufig psychisch belastet und deutlich einsamer als Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.Herbert Brücker et al. (2019): Geflüchtete machen Fortschritt bei Sprache und Beschäftigung. DIW Wochenbericht Nr. 4, 55–70 (online verfügbar); Maria Metzing, Diana Schacht und Antonia Scherz (2020): Psychische und körperliche Gesundheit von Geflüchteten im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen. DIW Wochenbericht Nr. 5, 63–72 (online verfügbar). Dieser Wochenbericht geht daher der Frage nach, inwiefern sich die ersten Monate der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit bei Geflüchteten in Deutschland im Vergleich zu Personen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland auswirkten. Hierfür wird die IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland herangezogen, an welcher Schutzsuchende, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland zugezogen sind, teilnehmen. Zusätzlich werden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) sowie zwei Sondererhebungen im Rahmen der Corona-Pandemie genutzt: einerseits eine Sonderbefragung zur Corona-Pandemie unter Geflüchteten in Deutschland sowie andererseits eine Sonderbefragung zur Corona-Pandemie unter in Deutschland lebenden Personen (Kasten 1 und Kasten 2).
Die vorliegenden Analysen beziehen sich auf vier Datenquellen: (1) die IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland, welche die Befragungsjahre 2016 bis 2019 umfasst, (2) die Sondererhebung der IAB-BAMF-SOEP Befragung Geflüchteter des Jahres 2020 zur Corona-Pandemie, (3) das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), eine repräsentative Befragung der Bevölkerung Deutschlands mit den Befragungsjahren 2016 bis 2019 und (4) die dazugehörige Sondererhebung „Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland“ (SOEP-CoV) des Jahres 2020.Für unsere Analysen wurden Geflüchtete aus dem SOEP und SOEP-CoV ausgeschlossen.
Alle Ergebnisse beziehen sich auf erwachsene Personen, die an den jeweiligen Befragungen teilgenommen haben (siehe Tabelle für Fallzahlen pro Jahr und Bevölkerungsgruppe).
Erhebungsjahr | Personen ohne Migrationshintergrund | Personen mit direktem Migrationshintergrund1 | Personen mit indirektem Migrationshintergrund | Geflüchtete | Insgesamt |
---|---|---|---|---|---|
2016 | 18127 | 4357 | 1537 | 4379 | 28400 |
2017 | 20468 | 4133 | 1665 | 5527 | 31793 |
2018 | 19756 | 3865 | 1646 | 4392 | 29659 |
2019 | 20429 | 3402 | 1649 | 3906 | 29386 |
2020 | 5560 | 744 | 322 | 1399 | 8025 |
1 Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst (direkter Migrationshintergrund) oder mindestens ein Elternteil (indirekter Migrationshintergrund) nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in DeutschlandDie Befragung wird aus Mitteln des Haushaltes der Bundesagentur für Arbeit, die dem Forschungshaushalt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zugewiesen sind, und aus Mitteln des Haushaltes des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Ferner tragen alle drei beteiligten Forschungseinrichtungen mit Personalmitteln zur Befragung bei. ist eine Längsschnittbefragung von Geflüchteten, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind.Simon Kühne, Jannes Jacobson und Martin Kroh (2019): Sampling in Times of High Immigration: The Survey Process of the IAB-BAMF-SOEP Survey of Refugees. Survey Methods: Insights from the Field (online verfügbar). Alle Haushaltsmitglieder einer ausgewählten Befragungsperson werden zu einem Interview eingeladen. Die Stichprobe wurde zufällig aus dem Ausländerzentralregister gezogen. Im ersten Erhebungsjahr bezog sich die Zielpopulation auf Schutzsuchende, die vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Januar 2016 zugezogen und bis zum 30. Juni 2016 im Ausländerzentralregister registriert waren. Im Erhebungsjahr 2017 wurde die Stichprobe nochmals aufgestockt und auch Geflüchtete, die bis zum 31. Dezember 2016 zugezogen und bis zum 1. Januar 2017 registriert waren, berücksichtigt. Unter Verwendung statistischer Gewichtungsverfahren können verallgemeinerbare Aussagen für die Schutzsuchenden, die vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 nach Deutschland zugezogen sind, und ihre Haushaltsangehörigen getroffen werden.
Im Jahr 2020 wurde auf Basis der IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter eine telefongestützte Sonderbefragung durchgeführt.Joseph W. Sakshaug et al (2020): Impacts of COVID-19 Pandemic on Labor Market Surveys at the German Institute for Employment Research. Survey Research Methods, 14(2), 229–233. Diese fand zwischen Juli und August 2020 statt und richtete sich an die Befragten des Jahres 2019. Jeweils ein Haushaltsmitglied wurde zu Corona-spezifischen Themen interviewt. Insgesamt konnten 1 439 Personen erfolgreich befragt werden.
Das SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird.Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für National-ökonomie und Statistik, 239(2), 345–360. Im Auftrag des DIW Berlin werden in Zusammenarbeit mit Kantar Public jedes Jahr über 30000 Personen aus rund 19000 Haushalten befragt. Darunter finden sich sowohl Personen ohne Migrationshintergrund als auch Zugewanderte und ihre Nachkommen.
Die SOEP-CoV-Befragung ist eine Sondererhebung des Sozio-oekonomischen Panels.Simon Kühne, Martin Kroh, Stefan Liebig und Sabine Zinn (2020): The Need for Household Panel Surveys in Times of Crises: The Case of SOEP-CoV. Survey Research Methods, 14(2), 195–203. Sie ist in neun Stichproben (Tranchen) aufgeteilt, um während des Corona-bedingten ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und der Zeit danach spezifische Informationen zur Lebenssituation von privaten Haushalten und Personen in Deutschland zu erheben. Die Tranchen sind so aufgebaut, dass sie alle Privathaushalte in Deutschland hinsichtlich ihrer Zusammensetzung repräsentativ abbilden. Sie beziehen sich auf Zeiträume von jeweils zwei Wochen (Tranchen eins bis vier) beziehungsweise einer Woche (Tranchen fünf bis neun), wodurch der zeitliche Ablauf der Corona-Krise und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Privathaushalte bis zum Sommer des Jahres 2020 dargestellt werden können. Die Erhebung startete am 1. April 2020 und wurde am 4. Juli 2020 abgeschlossen. Insgesamt konnten Personen aus knapp 7000 Haushalten befragt werden.
Die genutzten Daten beziehen sich somit auf unterschiedliche Befragungszeiträume. Da das Infektions- und politische Geschehen im Jahr 2020 in Deutschland sehr dynamisch war, kann es sein, dass sich Antworten zur Gesundheit in Abhängigkeit des Fragezeitraums ändern und somit Unterschiede nicht auf die Umstände der zu vergleichenden Gruppen, sondern auf den Befragungszeitpunkt zurückzuführen wären. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, wurde in multivariaten Regressionsmodellen für die täglichen neuen Infektionen in Deutschland kontrolliert sowie dafür, ob die Befragung während und nach dem ersten Lockdown (Zeit der strikten Kontaktbeschränkungen; Stichtag 6. Mai) durchgeführt wurde.
Der Wochenbericht basiert auf drei zentralen Konstrukten, die in gleicherweise in allen vier Studien erhoben werden.
Der gegenwärtige Gesundheitszustand wird jährlich anhand einer fünfstufigen Skala von 1 („sehr gut“) bis 5 („schlecht“) erhoben. Für die Analysen wurden die Antwortmöglichkeiten „sehr gut“ und „gut“ sowie „zufriedenstellend“, „weniger gut“ und „schlecht“ in jeweils eine Gruppe zusammengefasst. In den Untersuchungen wird der Anteil der Personen, die einen „guten“ bis „sehr guten“ Gesundheitszustand berichtet haben, angegeben.
Psychische Belastungen werden anhand eines vierteiligen Kurzfragebogens erfasst und umfassen Symptome depressiver Erkrankungen und Ängste. Zur Messung der psychischen Belastungen wird ein Summenindex gebildet, der von 0 bis 12 skaliert ist. Je höher die Werte, desto stärker sind die zwei Hauptsymptome einer generalisierten Angst- beziehungsweise depressiven Störung ausgeprägt. Dieser Kurzfragebogen wurde in den Jahren Jahr 2016 und 2019 sowie 2020 im Rahmen der Sonderbefragungen erhoben.
Die subjektive Einsamkeit ergibt sich aus dem Summenindex dreier Fragen: (1) Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gesellschaft anderer fehlt? (2) Wie oft haben Sie das Gefühl, außen vor zu sein? (3) Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Sie sozial isoliert sind? Die Befragten haben die Möglichkeit auf einer fünfstufigen Antwortskala von 0 („nie“) bis 4 („oft“) zu antworten. Für die vorliegenden Analysen wurden die Antworten der drei Fragen aufsummiert (Skala von 0 bis 12). Höhere Werte entsprechen einer stärkeren Einsamkeit. Einsamkeit wurde sowohl 2017 als auch in den beiden Sondererhebungen erfragt. Für die Geflüchteten sind Beobachtungen aus den Jahren 2016 und 2017 zusammengefasst, da in diesen spezifischen Stichproben nicht alle zur gleichen Zeit befragt werden konnten.
Grundsätzlich schätzt ein Großteil der Geflüchteten die eigene Gesundheit positiv ein. In den Jahren 2016 bis 2019 gaben jeweils zwischen 70 und 80 Prozent der Befragten an, einen guten bis sehr guten Gesundheitszustand aufzuweisen. Während der ersten Monate im Jahr 2020 stieg dieser Wert signifikant auf über 90 Prozent. Ein ähnlicher Trend ist für Bevölkerungsgruppen ohne Fluchthintergrund zu sehen (Abbildung 1). Der Anstieg kann also wohl vor allem damit begründet werden, dass während der Pandemie Personen ihre eigene Gesundheit im Vergleich zu an Covid-19 erkrankten Personen bewerteten. Der Anstieg spiegelt daher sehr wahrscheinlich keine tatsächliche Verbesserung des Gesundheitszustandes wider. Darüber hinaus zeigt sich, dass Geflüchtete im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen ihre Gesundheit über den gesamten Befragungszeitraum am positivsten einschätzten, gefolgt von Personen mit indirektem Migrationshintergrund sowie Personen mit direktem beziehungsweise ohne MigrationshintergrundEine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst (direkter Migrationshintergrund) oder mindestens ein Elternteil (indirekter Migrationshintergrund) nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.. Dass Geflüchtete ihre Gesundheit – ungeachtet der Pandemie – grundsätzlich besser einschätzen als andere Bevölkerungsgruppen, liegt vor allem daran, dass diese vergleichsweise jung sind. Ähnliches gilt auch für Menschen mit indirektem Migrationshintergrund, sie schätzen ihre Gesundheit zwar nicht ganz so positiv ein wie Geflüchtete, jedoch signifikant besser als Menschen mit direktem und ohne Migrationshintergrund. Auch diese Beobachtung lässt sich vermutlich auf das geringere Alter von Menschen mit indirektem Migrationshintergrund zurückführen. Interessanterweise schätzen Menschen mit direktem Migrationshintergrund und Menschen ohne Migrationshintergrund bereits in 2019, aber auch während der Pandemie ihren Gesundheitszustand ähnlich ein.
In den Jahren 2016 und 2019 waren die psychischen Belastungen bei Geflüchteten höher als bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund (Abbildung 2). Im Jahr 2019 berichteten Geflüchtete aber etwas seltener von psychischen Belastungen als noch 2016. Es ist jedoch nicht eindeutig, ob sich die psychische Gesundheit der Geflüchteten tatsächlich verbessert hat, oder ob sich die Zusammensetzung der Gruppe der Schutzsuchenden über die Jahre geändert hat. Dies könnte der Fall sein, wenn Geflüchtete mit einer hohen psychischen Belastung Deutschland zwischen 2016 und 2019 häufiger wieder verlassen haben als Geflüchtete mit einer niedrigeren psychischen Belastung.
Vor der Pandemie, im Jahr 2019, waren Menschen mit indirektem Migrationshintergrund und Menschen ohne Migrationshintergrund ähnlich stark psychisch belastet. Menschen mit direktem Migrationshintergrund waren etwas stärker belastet, jedoch nicht so sehr wie Geflüchtete. Interessanterweise zeigt sich während der Pandemie ein signifikanter Anstieg der psychischen Belastungen bei Menschen mit direktem und indirektem Migrationshintergrund. Gleichzeitig verändert sich die psychische Belastung bei Geflüchteten und bei Menschen ohne Migrationshintergrund kaum (Abbildung 2). Während der ersten Monate der Corona-Pandemie sind Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund daher ähnlich stark psychisch belastet, was jedoch auf den Anstieg der Belastungen unter Menschen mit Migrationshintergrund zurückzuführen ist. Über die besondere Situation der Pandemie hinaus sollte beobachtet werden, ob es nicht auch für Geflüchtete mittel- oder langfristig zu Verschlechterungen kommt.
Ein Blick auf die Ursachen der psychischen Belastungen Geflüchteter zeigt, dass insbesondere fehlende Deutschkenntnisse und ein geringes verfügbares Haushaltseinkommen mit höherer psychischer Belastung bei Geflüchteten einhergehen (Abbildung 4). Beispielsweise geben Geflüchtete, die über Deutschkenntnisse verfügen, im Durchschnitt eine 0,4 Skalenpunkte geringere psychische Belastung an, als Geflüchtete, die über keine Deutschkenntnisse verfügen. Darüber hinaus sinkt pro 100 Euro mehr verfügbarem Haushaltseinkommen die psychische Belastung im Durchschnitt um 0,15 Punkte.
In den ersten Monaten der Corona-Pandemie gaben Geflüchtete an, in etwa so einsam zu sein wie in den Jahren 2016/2017. Gleichzeitig stieg die Einsamkeit bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund enorm an. Der absolute Anstieg in Einsamkeit für Personen ohne Fluchthintergrund ist so groß, dass sich diese im Jahr 2020 so einsam fühlten, wie die Geflüchteten schon in den Jahren 2016/2017 (Abbildung 3). Interessanterweise zeigt sich erneut ein ähnliches Bild wie bei den psychischen Belastungen: Menschen mit indirektem und ohne Migrationshintergrund sind über alle Befragungszeitpunkte ähnlich einsam, während Menschen mit direktem Migrationshintergrund etwas einsamer sind. Die Geflüchteten sind bis zu der Pandemie die einsamste Bevölkerungsgruppe. In anderen Worten: Geflüchtete fühlten sich in den Jahren 2016/2017 so einsam wie die meisten anderen Menschen mitten in einem Lockdown. Aus gesundheitspolitischer Perspektive ist es dabei wichtig zu beobachten, wie lange Einsamkeit anhält. Insbesondere macht es einen Unterschied, ob die Einsamkeit nur einmalig und kurzzeitig auftritt oder über einen längeren Zeitraum besteht. Vor allem chronische Einsamkeit kann eine Ursache für andere ernsthafte psychische oder physische Erkrankungen sein.Luise C. Hawkley und John T. Cacioppo (2010): Loneliness Matters: A Theoretical and Empirical Review of Consequences and Mechanisms. Annals of Behavioral Medicine, 40(2), 218–227. Darüber hinaus geht anhaltende Einsamkeit häufig mit weiterem sozialem Rückzug einher und kann sich somit benachteiligend auf den Integrationsprozess Geflüchteter auswirken.John T. Cacioppo und Luise C. Hawkley (2009): Perceived social isolation and cognition. Trends in cognitive sciences, 13(10), 447–454. Die immer noch erhöhte Einsamkeit bei Geflüchteten muss daher in Zukunft, unabhängig von der Pandemie, mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Ein Blick auf die Ursachen von Einsamkeit bei Geflüchteten zeigt: Fehlende Deutschkenntnisse, ein geringes Einkommen beziehungsweise eine fehlende Erwerbstätigkeit weisen auf eine fehlende gesellschaftliche Teilhabe hin und hängen mit Einsamkeit zusammen (Abbildung 4). So reduziert sich die Einsamkeit bei Geflüchteten mit Deutschkenntnissen im Durchschnitt um fast 0,5 Skalenpunkte. Üben Geflüchtete eine Erwerbstätigkeit aus, sind die im Durchschnitt 0,4 Punkte weniger einsam als Geflüchtete ohne Erwerbstätigkeit und mit steigendem verfügbarem Haushaltseinkommen (in 100 Euro) sinkt die Einsamkeit Geflüchteter im Durchschnitt um ungefähr 0,2 Punkte.
Geflüchtete schätzten ihren eigenen Gesundheitszustand auch in der Pandemie positiv ein. Ihre psychischen Belastungen waren in den ersten Monaten der Corona-Pandemie vergleichbar zum Vorjahr, während die psychischen Belastungen der Gesamtbevölkerung stiegen. Darüber hinaus zeigen die Befragungsdaten, dass Geflüchtete, die sich bereits vor der Pandemie deutlich einsamer fühlten als der Rest der Bevölkerung, weiterhin sehr einsam sind. Das Einsetzen der Pandemie führt also bei der Gesamtbevölkerung zu einer ähnlich starken Einsamkeit, wie sie Geflüchtete bereits seit einiger Zeit erleben. Darüber hinaus führte es dazu, dass Menschen mit Migrationshintergrund eine ähnliche psychische Belastung erleben, wie sie bei Geflüchteten schon seit einiger Zeit zu beobachten ist. Auch während der Pandemie liegt die psychische Belastung von Geflüchteten dabei noch über der von Menschen ohne Migrationshintergrund. Grund für die anhaltende psychische Belastung und Einsamkeit bei Geflüchteten ist beispielsweise fehlende soziale Teilhabe aufgrund von Sprachbarrieren, fehlender Erwerbstätigkeit und geringem verfügbaren Haushaltseinkommen. Die Politik sollte daher weiter in die Sprachförderung und einen besseren Arbeitsmarktzugang investieren. Sie sind die Schlüssel zu einer gelungenen Integration und können helfen, Einsamkeit abzubauen und somit die Grundlage zu schaffen, psychische Belastungen Geflüchteter zu reduzieren.Manfred E. Beutel et al. (2017): Loneliness in the general population: prevalence, determinants and relations to mental health. BMC Psychiatry, 17:97 (online verfügbar); John T. Cacioppo und Stephanie Cacioppo (2014): Older adults reporting social isolation or loneliness show poorer cognitive function 4 years later. Evidence-based nursing, 17(2), 59-60. Da psychische Belastungen mit einem geringeren Integrationserfolg assoziiert sind, sollte dies für die Politik ein wichtiges Ziel sein.Lena Walther et al. (2020): Psychological distress among refugees in Germany: a cross-sectional analysis of individual and contextual risk factors and potential consequences for integration using a nationally representative survey. BMJ Open 2020;10:e033658 (online verfügbar).
Themen: Ungleichheit, Migration, Gesundheit
JEL-Classification: I14
Keywords: refugees, mental health, Covid-19, corona
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-12-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233781