DIW Wochenbericht 13/14 / 2021, S. 247
Hannes Ullrich, Erich Wittenberg
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Herr Ullrich, Sie haben in Dänemark untersucht, wie man mit Hilfe von Verwaltungsdaten die Zahl der Fehlverschreibungen von Antibiotika verringern könnte. Wo liegt das Problem bei diesen Fehlverschreibungen? Antibiotika zählen zu den wichtigsten Medikamenten, um gängige Infektionen zu behandeln. Wenn allerdings Keime oder Erreger Antibiotika ausgesetzt sind, können sich auch Antibiotikaresistenzen entwickeln. Das heißt, Medikamente werden in naher Zukunft nicht mehr so effektiv sein wie sie es heute noch sind. Deswegen möchte man verhindern, dass unnötig viele Antibiotika verschrieben werden.
Wie ist es überhaupt möglich, dass man mit einer Analyse von persönlichen Daten die Genauigkeit einer medizinischen Verschreibung erhöht? Wenn ein Patient oder eine Patientin in eine Arztpraxis kommt, dann sehen die ÄrztInnen die Person und wissen ihr Geschlecht und Alter und vielleicht auch etwas mehr. In diesem Augenblick haben die ÄrztInnen schon Erwartungen darüber, was das Problem sein könnte. Dann werden sie Diagnosen stellen, in dem sie zum Beispiel Proben entnehmen oder Symptome untersuchen. Dieser Schritt wird jedoch nicht sehr systematisch gemacht. Über die Hintergründe von PatientInnen kann man Daten erheben und diese systematisch auswerten, um für künftige PatientInnen die Erwartungsbildung zu verbessern.
Welche Angaben werden für eine solche Diagnose benötigt? Man kann verschiedene Informationen in Verbindung bringen mit der Erwartung, ob eine Person wahrscheinlich eine bakterielle Infektion hat oder nicht. Zum Beispiel korrelieren Alter und Geschlecht schon relativ stark mit der Wahrscheinlichkeit, eine bakterielle Ursache für eine Infektion zu haben. Aber auch der berufliche Hintergrund, die beruflichen Risiken oder der Ort, an dem man lebt, können eine Rolle spielen. Über die einzelnen Merkmale hinaus ist auch die Verbindung dieser Merkmale wichtig. Daraus kann man dann insgesamt sehr feinkörnig etwas über die Wahrscheinlichkeit, eine bakterielle Infektion zu haben, lernen.
Inwieweit lassen sich die persönlichen Angaben auf ein Minimum reduzieren, ohne dass die Genauigkeit der Vorhersage leidet? Das ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage, der wir auch in unserer Studie nachgehen. Wir versuchen zu verstehen, mit wie wenig Daten und sensiblen Informationen man bereits gute Vorhersagen und Verbesserungen in den ärztlichen Entscheidungen erzielen kann. Wir finden zum Beispiel heraus, dass die Kenntnis von Alter und Geschlecht schon sehr hilfreich sein kann, wenn diese Kenntnis systematisch ausgewertet wird.
Wo bekommen Sie die Daten überhaupt her und mit welchen Problemen haben sie dabei zu kämpfen? Wir arbeiten mit dänischen Daten und in Dänemark werden schon seit den 1990er Jahren diese Administrativdaten der Forschung zur Verfügung stellt. Das heißt, wir können hier eine hypothetische Situation sehr gut evaluieren. Zusätzlich mussten wir Testdaten von Laboren in Dänemark anfragen, um diese dann mit den Administrativdaten zu verknüpfen. Wenn man mit unserer Methode in die Praxis gehen möchte, stellen sich allerdings weitere Herausforderungen. Man muss natürlich die Ärzteverbände mit an Bord nehmen, man muss auch juristisch klären, ob diese Forschungsdaten für solche Anwendungen überhaupt verwendet werden können, und das ist eher schwierig. Wir sind gerade in Gesprächen zu praktischen Anwendungen und da läuft es eher darauf hinaus, dass wir nur einen Teil dieser Daten verwenden werden. Die vorliegende Analyse ist essenziell, um zu erkennen, welche Daten benötigt werden und ob es sich insgesamt um eine vielversprechende Anwendung handelt.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-13-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233785