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Studierende haben aufgrund von Studiengebühren zielstrebiger studiert: Interview

DIW Wochenbericht 15 / 2021, S. 260

Felix Weinhardt, Erich Wittenberg

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Herr Weinhardt, was unterscheidet Ihre Untersuchung von bisherigen Studien zu den Auswirkungen von Studiengebühren? Als in Deutschland in den Jahren 2006 und 2007 in sieben Bundesländern Studiengebühren eingeführt wurden, hat man etwas sehr Unübliches gemacht, denn diese wurden auch von bereits eingeschriebenen Studierenden verlangt, es gab also keinen Bestandsschutz. Das erlaubt es uns, in unserer Studie zu untersuchen, was sich für diese Studierenden mit der Einführung von Studiengebühren verändert hat.

Welche Auswirkungen hatte das auf die Studierenden, die bereits eingeschrieben waren? Wir sehen, dass Studierende, die ihre Studienentscheidung lange vor Einführung der Studiengebühren getroffen hatten, ab dem Moment, in dem sie anfangen mussten zu zahlen, schneller und häufiger erfolgreich das Studium abschlossen. Die Studiengebühren, die mit in der Regel 500 Euro pro Semester im internationalen Vergleich eher gering waren, hatten den positiven Effekt, dass mit größerer Zielstrebigkeit studiert wurde und ungefähr drei bis vier Prozent mehr Studierende einen Abschluss erreichten.

Liegt die Motivation darin, die Gesamtkosten zu senken oder ist ein Studium, das nichts kostet, weniger wert? Im Grunde ist dieser Befund überraschend. Dass man sich vielleicht ein bisschen beeilt, wenn das Studium auf einmal teurer wird, ist noch naheliegend, aber wir haben herausgefunden, dass Studierende, die ohne Gebühren gar nicht fertig geworden wären, häufiger ihr Studium erfolgreich abschlossen. Es geht also nicht nur darum, dass es schnellere Abschlüsse gab, sondern es gab auch mehr Abschlüsse. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Studiengebühren die Finanzierung und Qualität der Lehre verbessert haben und das den Studierenden ermöglichte, häufiger abzuschließen. Für diese Hypothese finden wir jedoch keine Evidenz in unseren Daten. Wir sehen, dass Studierende, die für das gleiche Studium nichts zahlen mussten, nicht schneller wurden. Das heißt, letztendlich muss es um individuelle Anreize gehen, sodass anscheinend eine relativ geringe Gebühr dazu geführt hat, dass man vielleicht etwas zielstrebiger studiert hat.

Inwieweit schrecken Studiengebühren AbiturientInnen ab, ein Studium zu beginnen? Diese Frage wurde in der bisherigen Literatur schon eingehend untersucht. Wir haben uns das auch angeguckt, und in der Tat ist es so, dass ungefähr drei Prozent weniger Studienzugangsberechtigte ein Studium aufnehmen, wenn Gebühren verlangt werden.

Welche Vor- oder Nachteile haben nachgelagerte Studiengebühren, die erst dann gezahlt werden müssen, wenn man ein Einkommen hat? Das ist eine sehr schöne Idee, die dazu führen kann, dass die negativen Effekte auf die Aufnahme eines Studiums nicht entstehen, aber sie ist administrativ nur schwer umzusetzen. Letztendlich wissen wir auch nicht, ob sich Studierende nicht auch durch nachgelagerte Gebühren abschrecken lassen würden.

Studiengebühren wurden in Deutschland in allen Bundesländern wieder abgeschafft. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung unter Berücksichtigung Ihrer Ergebnisse? Man hat ja nicht nur die 2006/2007 eingeführten Studiengebühren für die Regelstudienzeit wieder abgeschafft, sondern gleichzeitig auch die erst ein paar Jahre zuvor eingeführten Langzeitstudiengebühren. Daher gibt es jetzt insgesamt weniger Studiengebühren als unmittelbar vor der Einführung der Studiengebühren für ein Regelstudium. Das ist eine Entscheidung, die vor dem Hintergrund der nicht gerade üppigen Finanzierung der Hochschulen vielleicht noch einmal zu überdenken ist. Wenn aber über Studiengebühren nachgedacht wird, ist es wichtig, dass dadurch keine zusätzlichen sozialen Ungleichheiten entstehen.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Felix Weinhardt
Studierende haben aufgrund von Studiengebühren zielstrebiger studiert - Interview mit Felix Weinhardt

Felix Weinhardt

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

Themen: Bildung

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