DIW Wochenbericht 15 / 2021, S. 261-269
Johannes Seebauer, Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber
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„Die Auswirkungen von Covid-19 sind nicht geschlechtsneutral. So erleiden selbstständig tätige Frauen infolge der Pandemie deutlich häufiger Einkommenseinbußen als männliche Selbstständige. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig verwunderlich, dass selbstständige Frauen auch psychisch stärker von der Krise belastet sind.“ Johannes Seebauer
Die Covid-19-Pandemie hat das Leben vieler Menschen negativ beeinflusst. Auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-CoV) zeigt sich, dass die Pandemie die rund 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten stärker getroffen hat. Dabei besteht ein deutlicher Gender Gap: Während 47 Prozent der selbstständigen Männer Einkommensverluste verzeichnen, sind es bei den selbstständigen Frauen 63 Prozent. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass selbstständige Frauen häufiger in Branchen tätig sind, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind und deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit direkt mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie der Regulierung von Öffnungszeiten konfrontiert werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die psychische Gesundheit selbstständiger Frauen stärker unter den Folgen der Pandemie leidet als diejenige selbstständiger Männer. Insgesamt machen die Ergebnisse deutlich, dass die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in ihrer Wirkung nicht geschlechterneutral sind; dies müssen politische Verantwortungsträger stärker berücksichtigen.
Ein globales Phänomen der Covid-19-Pandemie ist, dass Selbstständige von den Folgen und den mit der Pandemie verbundenen Beschränkungen besonders stark betroffen sind.Vgl. zum Beispiel für die USA Robert W. Fairlie (2020): The impact of Covid-19 on small business owners: Evidence from the first three months after widespread social-distancing restrictions. Journal of Economics & Management Strategy 29(4), 727–740 (online verfügbar, abgerufen am 29. März 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, soweit nicht anders vermerkt) sowie Charlene M. Kalenkoski und Sabrina W. Pabilonia (2020): Initial impact of the Covid-19 pandemic on the employment and hours of self-employed coupled and single workers by gender and parental status. IZA Discussion Paper 13443 (online verfügbar); für Großbritannien Jack Blundell and Stephen Machin (Mai 2020): Self-employment in the Covid-19 crisis. CEP Covid-19 Briefings cepcovid-19-003 (online verfügbar); für Kanada Louis-Philipe Beland, Oluwatobi Fakorede und Derek Mikola (2020): The Short-Term Effect of Covid-19 on Self-Employed Workers in Canada. GLO Discussion Paper Series 585 (online verfügbar). Das gilt auch für die rund 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland, die rund zehn Prozent der Erwerbstätigen ausmachen. Viele von ihnen haben hohe Umsatz- und Einkommensverluste erlitten und sehen sich zunehmend in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet,Vgl. auch Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbstständige. DIW aktuell 47 (online verfügbar). wenn sie nicht schon ihre selbstständige Tätigkeit aufgegeben haben.
Unter geschlechterspezifischen Gesichtspunkten wird seit Beginn der Covid-19-Pandemie vor allem darüber diskutiert, inwieweit die weibliche Erwerbsbevölkerung stärker familiären Belastungen ausgesetzt ist als die männliche.Vgl. zum Beispiel Sabine Zinn et al. (2020): Subjektive Belastung der Eltern durch Schulschließungen zu Zeiten des Corona-bedingten Lockdowns. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research Nr. 1097 (online verfügbar); Jonas Jessen, C. Katharina Spieß, und Katharina Wrohlich (2021): Sorgearbeit während der Corona-Pandemie: Mütter übernehmen größeren Anteil – vor allem bei schon zuvor ungleicher Aufteilung. DIW Wochenbericht, Nr. 9, 131–139 (online verfügbar). Noch immer übernehmen Frauen häufiger Betreuungsaufgaben in der Familie und sind daher von der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten stärker betroffen.Vgl. Titan Alon et al. (2020): The impact of Covid-19 on gender equality. NBER Working Paper series No. 26947 (online verfügbar). Bisher wird in der Debatte um Geschlechterunterschiede in den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie aber kaum hinsichtlich der verschiedenen Beschäftigungsformen unterschieden. Dies erscheint jedoch vor dem Hintergrund, dass die Selbstständigen von der Corona-Krise in weitaus stärkerem Maße betroffen sind als die abhängig Beschäftigten, von zentraler Bedeutung.
Die Pandemie trifft vor allem jene Wirtschaftszweige, die physische Nähe erfordern und bei denen deshalb die Kontaktbeschränkungen eine große Rolle spielen. Dazu zählen beispielsweise die Kultur- und Kreativbranche, das Gastgewerbe, der Handel oder persönliche Dienstleistungen wie etwa Friseursalons. Dies sind Branchen, in denen anteilig mehr Selbstständige und kleinste Unternehmen zu finden sind als etwa im verarbeitenden Gewerbe. Obwohl selbstständige Frauen relativ häufiger im Dienstleistungssektor tätig sind als selbstständige Männer,Im Jahr 2016 arbeiteten 91 Prozent der selbstständigen Frauen und 68 Prozent der selbstständigen Männer in Deutschland im Dienstleistungssektor. Vgl. OECD (2017): Entrepreneurship at a glance (online verfügbar). blieb in der öffentlichen Diskussion bisher aber unberücksichtigt, inwieweit sich die stärkeren branchenspezifischen Belastungen der Selbstständigen in Geschlechterunterschiede übersetzen.
Im Folgenden wird daher untersucht, inwieweit es im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie geschlechterspezifische Unterschiede bei den selbstständig und abhängig Beschäftigten gibt. Dazu werden die realisierten Einkommensverluste von Männern und Frauen betrachtet und schließlich mögliche Ursachen für die geschlechterspezifischen Unterschiede analysiert.Für weitergehende Informationen siehe Daniel Graeber, Alexander S. Kritikos und Johannes Seebauer (2021): Covid-19: a crisis of the female self-employed, zur Veröffentlichung angenommen im Journal of Population Economics.
Dabei geht es nicht allein um monetäre Aspekte. Die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, die aus epidemiologischer Sicht zweifelsohne sinnvoll sind, bedrohen die Existenz der betroffenen Selbstständigen. Dies kann auch Auswirkungen auf deren psychische Gesundheit haben. Daher wird abschließend untersucht, welche Auswirkungen von der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Selbstständigen beiderlei Geschlechts – auch im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten – ausgehen.
Für diese Analyse wird das Sozio-oekonomische Panel-CoV (SOEP-CoV, Kasten 1) verwendet, ein repräsentativer Datensatz, der im Zuge der Pandemie erhoben wurde. Die SOEP-CoV-Daten wurden zwischen April und Juli 2020 erhoben. Dabei wurde aus dem Kreis der vom SOEP regelmäßig befragten Haushalte eine zufällige Stichprobe ausgewähltDas SOEP ist eine repräsentative Haushaltsstichprobe in Deutschland, in der seit 1984 jährlich Haushalte sowie deren Mitglieder wiederholt befragt werden. Vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2), 345–360 (online verfügbar). und zur wirtschaftlichen und familiären Situation, zur Gesundheit sowie dem Einsatz öffentlicher Unterstützungsinstrumente während der Covid-19-Pandemie interviewt. Die Integration dieser Daten in das SOEP hat den Vorteil, dass die Informationen aus dem SOEP-CoV mit zahlreichen Vorjahresinformationen verknüpft werden können.
Die Analysen basieren auf Daten der SOEP-CoV-Erhebung.Vgl. SOEP-CoV (2020): Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland (online verfügbar); Simon Kühne et al. (2020): The Need for Household Panel Surveys in Times of Crisis: The Case of SOEP-CoV. Survey Research Methods No. 2, 195–203 (online verfügbar). Darin wurden Haushalte der regulären Befragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in neun Stichproben (Tranchen) aufgeteilt, um während des Covid-19-bedingten ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und der Zeit danach spezifische Informationen zur Lebenssituation von privaten Haushalten und Personen in Deutschland zu erheben. Die Tranchen sind so aufgebaut, dass sie alle Privathaushalte in Deutschland hinsichtlich ihrer Zusammensetzung repräsentativ abbilden.
Die Erhebung startete am 1. April 2020 und wurde am 4. Juli 2020 abgeschlossen. Insgesamt konnten Personen aus etwa 6700 Haushalten befragt werden. Die Befragungen erfolgten über computergestützte telefonische Interviews (CATI) durch das Erhebungsinstitut Kantar. Befragte, die nicht unmittelbar erreicht werden konnten, wurden über mehrere Tage hinweg und zu verschiedenen Uhrzeiten erneut angerufen.
Im SOEP-CoV geben Befragte unter anderem an, ob sich infolge der Covid-19-Pandemie ihr Erwerbseinkommen verringerte. Es zeigt sich einerseits, dass Selbstständige deutlich häufiger Einkommensverluste hinnehmen mussten als abhängig Beschäftigte, und andererseits, dass selbstständige Frauen stärker betroffen waren. Während rund 47 Prozent der selbstständigen Männer eine Verringerung ihres Einkommens hinnehmen mussten, waren es bei den weiblichen Selbstständigen etwa 63 Prozent (Tabelle 1; Abbildung 1). Bei den abhängig Beschäftigten waren hingegen keine signifikanten geschlechterspezifischen Unterschiede beobachtbar.
Anteile (soweit nicht anders angegeben)
Selbstständige | Abhängig Beschäftigte | |||
---|---|---|---|---|
Männer | Frauen | Männer | Frauen | |
Relative Häufigkeit von Einkommensverlusten | 0,47 | 0,63 | 0,15 | 0,12 |
Betroffenheit von Schocks | ||||
Regulierungen der Unternehmung (zum Beispiel Öffnungszeiten) | 0,35 | 0,56 | ||
Zulieferprobleme | 0,13 | 0,11 | ||
Nachfrageeinbußen | 0,41 | 0,46 | ||
Demographie | ||||
Alter in Jahren | 55,33 | 52,25 | 46,87 | 47,14 |
Migrationshintergrund | 0,17 | 0,15 | 0,22 | 0,2 |
Haushaltskontext | ||||
Haushaltsgröße in Personen | 2,61 | 2,63 | 2,72 | 2,88 |
Verheiratet | 0,63 | 0,61 | 0,59 | 0,58 |
Kind im Haushalt lebend | 0,35 | 0,35 | 0,43 | 0,49 |
Haushaltsnettoeinkommen in Euro | 4862,82 | 4374,67 | 3926,69 | 3763,45 |
Bildung | ||||
Mittlere Bildung | 0,35 | 0,41 | 0,43 | 0,54 |
Hohe Bildung | 0,54 | 0,48 | 0,38 | 0,33 |
Erfahrung in Arbeitslosigkeit in Jahren | 0,88 | 0,87 | 0,72 | 0,99 |
Beobachtungszahl | 156 | 155 | 1252 | 1970 |
Lesebeispiel: Der erste Wert in der ersten Spalte bedeutet, dass 47 Prozent der selbstständigen Männer Einkommensverluste hinnehmen mussten.
Anmerkung: Mittelwerte für verschiedene Variablen in den jeweiligen Gruppen. Sofern nicht anders angegeben, sind diese als Anteile aller Befragten der jeweiligen Gruppe zu verstehen.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels während der Corona-Pandemie (SOEP-CoV).
Um die geschlechterspezifische Auswirkung der Covid-19-Pandemie hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten aus selbstständiger Tätigkeit näher zu untersuchen, wird eine Gelbach-Dekomposition verwendet. Diese gibt den Beitrag verschiedener Charakteristika oder Gruppen von Charakteristika zum erklärbaren Teil des Gender Gaps an (Kasten 2).
Die Gelbach-Dekomposition ist eine Dekompositionsmethode, die den Beitrag verschiedener Variablen (oder Gruppen von Variablen) zu der Gesamtveränderung eines Koeffizienten misst, die sich durch das Hinzufügen der Kontrollvariablen ergibt.Vgl. Jonah B. Gelbach (2016): When do covariates matter? And which ones, and how much? Journal of Labor Economics 34(2), 509–543 (online verfügbar). Im Kontext der Analyse wird betrachtet, wie sich der Koeffizient des Gender-Indikators durch das Hinzufügen verschiedener Kontrollvariablen ändert und welchen Beitrag die jeweiligen Variablen zu dieser Veränderung leisten. Tabelle 2 zeigt jeweils den unbereinigten Gender Gap ohne Kontrollvariablen sowie den bereinigten Gender Gap unter Berücksichtigung aller Kontrollvariablen. Abbildungen 2 und 3 zeigen den Beitrag der im Haupttext beschriebenen Variablen(-Gruppen) zur Differenz zwischen diesen beiden Größen. Abbildung 4 führt die jeweiligen Schocks als zusätzliche Variable in die Gelbach-Dekomposition des Gender Gaps hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten ein. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich die unbereinigten Gender Gaps in Tabelle 2 von den Werten in den deskriptiven Statistiken der Tabelle 1 leicht unterscheiden. Dies liegt darin begründet, dass auch in der Schätzung ohne Kontrollvariablen Indikatoren für das Bundesland sowie die Kalenderwoche berücksichtigt werden. Damit wird dem Verlauf der Pandemie über die Zeit sowie der Heterogenität der Bundesländer Rechnung getragen. Die Schätzungen werden somit nicht dadurch verzerrt, dass Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in verschiedenen Bundesländern befragt wurden.
Der unbereinigte Gender Gap hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten aus selbstständiger Tätigkeit beträgt 17 Prozentpunkte (Tabelle 2). Bereinigt um den Einfluss demographischer Charakteristika (Alter, Migrationshintergrund), des Haushaltskontexts (Größe des Haushalts, Ehestand, Haushaltsnettoeinkommen, Vorhandensein von Kindern im Haushalt), von Persönlichkeitsmerkmalen (den sogenannten „Big Five“)Die aus der psychologischen Literatur bekannten „Big Five“ –Persönlichkeitsmerkmale (Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) beeinflussen sowohl den Eintritt in als auch den Verbleib in Selbstständigkeit. Vgl. zum Beispiel Marco Caliendo, Frank Fossen und Alexander S. Kritikos (2014): Personality characteristics and the decisions to become and stay self-employed. Small Business Economics, 42(4), 787–814 (online verfügbar)., von Bildung, den Jahren in Arbeitslosigkeit sowie der Branchenzugehörigkeit (NACE Rev. 2), reduziert sich der Gender Gap auf etwa acht Prozentpunkte. Dieser Teil des Gender Gaps bleibt unerklärt durch die berücksichtigten Charakteristika. Der Rückgang des Gender Gaps um rund neun Prozentpunkte (der erklärbare Teil) lässt sich überwiegend auf die Branchenzugehörigkeit zurückführen (Abbildung 2). Selbstständige Frauen arbeiten häufig in den Branchen, die von den Folgen der Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen waren. Hierzu zählen persönliche Dienstleistungen wie zum Beispiel das Friseurgewerbe, der Handel oder auch das Beherbergungsgewerbe.
Auf einer Skala von 0 bis 1
Unbereinigter Gender Gap | R-Quadrat | Bereinigter Gender Gap | R-Quadrat | |
---|---|---|---|---|
Einkommensverluste | 0,17 *** | 0,13 | 0,08 | 0,41 |
Betroffenheit von Schocks | ||||
Regulierungen der Unternehmung (zum Beispiel Öffnungszeiten) | 0,2 *** | 0,13 | 0,05 | 0,46 |
Zulieferprobleme | −0,03 | 0,05 | −0,06 | 0,31 |
Nachfrageeinbußen | 0,05 | 0,09 | −0,01 | 0,38 |
Beobachtungszahl | 311 | 311 |
Lesebeispiel: Der erste Wert in der ersten Spalte bedeutet, dass selbstständige Frauen mit einer um 17 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit Einkommenseinbußen hinnehmen mussten als selbstständige Männer.
Anmerkungen: Die Tabelle zeigt die unbereinigten und bereinigten Gender Gaps für die Gelbach-Dekomposition: Spalte 1 zeigt den Koeffizienten des Gender-Indikators (1 = weiblich) einer Regression der abhängigen Variablen (Inzidenz von Einkommensverlusten beziehungsweise Schock) auf den Gender-Indikator und Indikatoren für Bundesland und Kalenderwoche (unbereinigter Gender Gap). Spalte 3 zeigt den Koeffizienten des Gender-Indikators einer Regression der abhängigen Variablen auf den Gender-Indikator, Indikatoren für Bundesland und Kalenderwoche sowie der Kontrollvariablen(-gruppen) Demographie, Haushaltskontext, Persönlichkeit, Bildung, Jahre der Arbeitslosigkeit und Branche (bereinigter Gender Gap). Das R-Quadrat drückt den Anteil der Variabilität der abhängigen Variable auf einer Skala von null bis eins aus, der durch das Modell erklärt wird. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis einer Sonderbefragung des Sozio-oekonomischen Panels während der Corona-Pandemie (SOEP-CoV 2020).
Welch wichtige Rolle die Branchenzugehörigkeit von Selbstständigen hinsichtlich der geschlechterspezifischen Wirkung der Pandemie spielt, lässt sich aus den Antworten der Selbstständigen auf die Frage ableiten, welche Schocks in Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie für sie eine Rolle gespielt haben. Mögliche Schocks sind die Betroffenheit von Eindämmungsmaßnahmen, beispielsweise der Beschränkung von Öffnungszeiten (Politikschock), von Zulieferschwierigkeiten (Angebotsschock) sowie von einem Einbruch der Nachfrage nach den jeweiligen Produkten und Dienstleistungen (Nachfrageschock). Geschlechterspezifische Unterschiede bei den Antworten deuten auf mögliche Ursachen des Gender Gaps bei der Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten hin.
Wie die Gelbach-Dekomposition – ohne Berücksichtigung der Kontrollvariablen – zeigt, waren selbstständige Frauen mit einer um 20 Prozentpunkte signifikant höheren Wahrscheinlichkeit direkt von Beschränkungen ihrer Unternehmungen betroffen, die zur Eindämmung der Pandemie von der Bundes- und den Landesregierungen erlassen worden waren (Tabelle 2). Bei der Inzidenz von Angebot- oder Nachfrageschocks finden sich hingegen keine signifikanten Geschlechterunterschiede. Wird der Einfluss der Kontrollvariablen berücksichtigt, zeigt sich, dass der Gender Gap bei der direkten Betroffenheit durch die Eindämmungsmaßnahmen um rund 15 auf rund fünf Prozentpunkte sinkt (Abbildung 3). Davon lassen sich knapp neun Prozentpunkte auf die Branchenzugehörigkeit zurückführen: Selbstständige Frauen arbeiten überproportional häufig in Wirtschaftszweigen, die durch Regelungen bei den Öffnungszeiten oder durch allgemeine Kontaktbeschränkungen stark betroffen sind, was sich in Einkommensverlusten aus Selbstständigkeit widergespiegelt hat. Dieser Zusammenhang lässt sich durch die Einführung des jeweiligen Schocks als zusätzliche Variable in die Gelbach-Dekomposition des Gender Gaps für die Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten beobachten (Abbildung 4).Für eine bessere Übersichtlichkeit sind die demographischen Variablen, der Haushaltskontext, Persönlichkeitsmerkmale, Bildung sowie Jahre in Arbeitslosigkeit in der Kategorie „Rest“ zusammengefasst. Auf diese Weise kann geprüft werden, ob sich die Geschlechterunterschiede bei der Betroffenheit von Eindämmungsmaßnahmen direkt in die Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten übersetzen. Es zeigt sich, dass die direkte Betroffenheit von Eindämmungsmaßnahmen einen signifikanten Beitrag zum Gender Gap hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten leistet. Bei Angebots- und Nachfragschocks findet sich ein solcher Mechanismus nicht.
Die Begleitumstände der Pandemie spiegeln sich nicht nur in finanziellen Einbußen wider, sondern belasten auch die Psyche der Menschen. Dies wurde bei der Befragung im SOEP-CoV berücksichtigt.Im SOEP-CoV werden Befragte gebeten, den PHQ-4-Fragebogen (Patient-Health-Questionnaire) auszufüllen, der als Screeninginstrument für Depressions- und Angstsymptome eingesetzt wird. Vgl. auch Teresa Entringer et al. (2020): Psychische Krise durch Covid-19? Sorgen sinken, Einsamkeit steigt, Lebenszufriedenheit bleibt stabil. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research Nr. 1087 (online verfügbar). Dazu wurden vier Einzelfragen gestellt, die die Häufigkeit verschiedener Symptome in den vorangegangenen zwei Wochen auf einer vierstufigen Skala abfragen.Die Antwortskala reicht von „überhaupt nicht“ (0) über „an einigen Tagen“ (1) und „an mehr als der Hälfte der Tage“ (2) bis zu „(fast) jeden Tag“ (3). Die Antworten werden zum sogenannten „PHQ-4-Score“ als Maß für die Frequenz von Depressionssymptomen aufsummiert. Da der PHQ-4-Fragebogen auch Bestandteil der regulären SOEP-Befragung des Jahres 2019 war, kann die Veränderung dieses Maßes für die psychische Gesundheit im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie betrachtet werden. Auffällig ist, dass der Mittelwert des PHQ-4-Scores zwischen 2019 und 2020 deutlich gestiegen ist – von 1,55 auf 2,15 auf einer Skala von null bis zwölf (Abbildung 5). Die Inzidenz von Depressionssymptomen steigt dabei besonders deutlich. Während im Jahr 2019 rund 38 Prozent der Befragten zu keiner Zeit Depressions- oder Angstsymptome berichteten, trifft dies im Jahr 2020 nur noch auf 21 Prozent der Befragten zu. Insgesamt lässt sich eine deutliche Rechtsverschiebung der Häufigkeitsverteilung beobachten.
Abschließend wird untersucht, ob sich die stärkere Betroffenheit selbstständiger Frauen durch die Covid-19-Pandemie auch in einer relativ stärkeren Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit widerspiegelt. Hierbei wird erneut auch zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten unterschieden. Ebenso wird danach unterschieden, ob Einkommensverluste hingenommen werden mussten. Bei den selbstständigen Frauen zeigen sich vor allem bei denjenigen mit Einkommensverlusten substanziell häufiger Depressions- und Angstsymptome als im Jahr 2019 (Abbildung 6).Die Veränderungen sind regressions-adjustiert und werden in Prozent einer Standardabweichung ausgedrückt (Kasten 3). Weitergehende Analysen legen nahe, dass auch hier die Betroffenheit von Eindämmungsmaßnahmen als Mechanismus fungiert: Selbstständige Frauen, die direkt von Eindämmungsmaßnahmen betroffen sind, erleiden eine stärkere Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit. Ähnliches gilt für selbstständige Frauen mit Kindern. Die erhöhte Betreuungslast im Verbund mit einer selbstständigen Tätigkeit scheint sich auch negativ auf die psychische Gesundheit von Frauen auszuwirken. Aber auch bei den abhängig beschäftigten Frauen treten diese Symptome häufiger auf, allerdings deutlich schwächer ausgeprägt. Ganz anders bei den Männern. Bei den selbstständigen Männern löst die Covid-19-Pandemie kaum psychische Belastungen aus, bei den abhängig beschäftigten Männern mit Einkommensverlusten verschlechtern sich die PHQ-4-Scores hingegen in etwa in der gleichen Größenordnung wie bei den weiblichen Selbstständigen mit Einkommensverlusten.Abhängig Beschäftigte mit Einkommensverlusten sind überwiegend solche Beschäftigte, die von ihren Arbeitgebern in Kurzarbeit geschickt wurden.
Die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen beeinträchtigen das Wirtschaftsleben in erheblicher Weise. Besonders Selbständige sind von der Pandemie betroffen: Von den 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland mussten Frauen jedoch um etwa ein Drittel häufiger Covid-19-bedingte Einkommensverluste als Männer hinnehmen. Zumindest im untersuchten Zeitraum von April bis Juni 2020 findet sich für die abhängig Beschäftigten kein vergleichbarer geschlechterspezifischer Unterschied.
Die Analyse zeigt, dass diese geschlechterspezifischen Unterschiede bei Selbstständigen zu großen Teilen darauf zurückzuführen sind, dass selbstständige Frauen überproportional häufig in Branchen arbeiten, die von der Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen sind. Eine zentrale Rolle hierbei kommt den staatlich verfügten Eindämmungsmaßnahmen wie beispielsweise der Beschränkung von Öffnungszeiten zu. Während andere pandemiebedingte Schocks wie Nachfrageeinbrüche oder Lieferengpässe nicht zu geschlechterspezifischen Unterschieden führen, sind selbstständige Frauen mit einer rund 60 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen als selbstständige Männer.
Die negativen Auswirkungen des Pandemieschocks beschränken sich jedoch nicht allein auf monetäre Einbußen, sondern belasten die Betroffenen auch psychisch. Im Vergleich zur Situation vor der Krise hat die Frequenz von Depressions- und Angstsymptomen bei Frauen im Allgemeinen deutlich zugenommen. Am häufigsten sind davon selbstständige Frauen betroffen, insbesondere wenn sie finanzielle Verluste erleiden. Bei den Männern betrifft dies besonders abhängig Beschäftigte mit Einkommensverlusten – also vor allem Männer in Kurzarbeit.
Diese Ergebnisse geben auch der Diskussion um die im Zuge der Pandemie als unzureichend empfundenen Hilfen für Selbstständige eine zusätzliche Dimension. Vielen Selbstständigen werden Hilfen häufig mit großer Verspätung gewährt (die Auszahlung der sogenannten Novemberhilfen des Jahres 2020 hat sich bis zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Wochenberichts hingezogen), das Stellen von Hilfsanträgen erweist sich darüber hinaus als zunehmend aufwendig und kostspielig, muss doch seit den Überbrückungshilfen eine Steuerberatung zwischengeschaltet sein. Außerdem sind viele der Hilfen auf die Erstattung fixer Betriebskosten beschränkt. Hilfen zur Deckung des Lebensunterhalts werden nur in der jüngst verabschiedeten Neustarthilfe berücksichtigt. Gerade für selbstständige Frauen, die neben finanziellen Verlusten durch weitere Belastungen – wie Home Schooling (wenn sie schulpflichtige Kinder haben) und Home Office – zusätzlich unter Druck geraten, wäre eine verlässliche und mit wenig Aufwand zu beantragende Hilfe wichtig, die zudem in jenen Monaten mit hohen Umsatzverlusten fließt und auch die Lebenshaltungskosten deckt.
Dies gilt umso mehr, da die Ergebnisse dieser Studie auch in Zusammenhang mit der in den vergangenen zwei Jahrzehnten positiven Entwicklung einer langsam zunehmenden Bereitschaft von Frauen zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit gesehen werden sollten.Siehe hierzu etwa Michael Fritsch, Alexander Kritikos und Alina Rusakova (2012): Selbständigkeit in Deutschland: Der Trend zeigt seit langem nach oben. DIW Wochenbericht Nr. 4, 3–12 (online verfügbar). Wenn sich selbstständige Frauen während eines systemischen Schocks durch politische Maßnahmen zu wenig unterstützt fühlen, riskiert die Gesellschaft, dass sie sich von dieser Erwerbsform abwenden. Der Abstand zwischen den Geschlechtern bei der Selbstständigkeit dürfte sich dann wieder vergrößern. Eine solche Trendumkehr könnte sich negativ auf das Wachstum in Teilen der Wirtschaft auswirken.
Statt einer Vielzahl von Programmen würde den Selbstständigen ein einziges, fortlaufendes Instrument besser helfen, welches in Monaten mit großen Umsatzverlusten eine stetige und verlässliche finanzielle Unterstützung gewährt, die über die fixen Betriebskosten hinaus in begrenztem Umfang auch die Kosten des Lebensunterhalts deckt. Die Abfederung finanzieller Verluste könnte zudem psychische Belastungen verringern.
Die Analyse der Veränderung des PHQ-4-Scores als Maß für die psychische Gesundheit der Befragten beruht auf einem linearen Regressionsmodell mit personenspezifischen „Fixed Effects“. Dabei wird der PHQ-4-Score auf gruppenspezifische Indikatoren (selbstständige Männer/Frauen, abhängig Beschäftigte Männer/Frauen) sowie einen Jahresindikator regressiert. Zudem werden die Koeffizienten mittels personenspezifischer „Fixed Effects“ um zeitinvariante Charakteristika bereinigt. Dies verhindert Verzerrungen der Schätzungen durch Faktoren, die sich zwischen den betrachteten Gruppen systematisch unterscheiden können (zum Beispiel Bildung, sozio-demographische Charakteristika oder unveränderliche Persönlichkeitsmerkmale). Für den Zweck der Regressionsanalyse wird der PHQ-4-Score auf den Mittelwert null und die Standardabweichung eins standardisiert, sodass die geschätzten Koeffizienten in Prozent einer Standardabweichung ausgedrückt werden. Dies erleichtert die Interpretation der Effektgrößen.
JEL-Classification: D72;Z13
Keywords: Self-employed, Covid-19, income, gender, mental health, representative real-time survey data
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-15-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233788