DIW Wochenbericht 22 / 2021, S. 380
Jana Hamdan
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Die Corona-Maßnahmen werden zunehmend gelockert, doch für viele gibt es wenig Anlass zur Freude. Viele Haushalte sind durch Jobverlust und Einkommenseinbußen in die Schuldenfalle geraten. Das sorgt für immensen Stress bei den Betroffenen. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2020 circa 588000 Menschen in Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen beraten, 6000 mehr als 2019 – trotz der eingeschränkten persönlichen Beratungsmöglichkeiten. Hinter den Zahlen stecken aber nicht nur individuelle Schicksale, nicht zurückgezahlte Kredite können auch die Finanzstabilität gefährden. Zeit also, mit entsprechenden Maßnahmen gegenzusteuern.
Schaut man in die Portemonnaies der Deutschen, sind diese nach über einem Jahr Corona-Pandemie sehr unterschiedlich gefüllt. Viele sind in der komfortablen Situation, einiges an Geld gespart zu haben. Weniger Reisen, geschlossene Geschäfte und eine ordentliche Portion Konsumvorsicht haben sie weniger ausgeben lassen. Deutlich wird das an den merklich gestiegenen Sparquoten und entsprechend gesunkenen Konsumausgaben.
Doch dann gibt es die andere Seite: diejenigen, die aufgrund von Corona Einkommenseinbußen hinnehmen mussten oder gar ihren Job verloren haben. Besonders betroffen sind die Selbstständigen und Geringverdienenden, aber auch all jene, bei denen das Kurzarbeitergeld nicht ausreicht, um das tägliche Leben zu finanzieren. Bestehende und neue Kredite drohen dann zum Problemfall zu werden. Schon vor der Pandemie waren circa zehn Prozent der Deutschen überschuldet, oft nach einem Jobverlust. Dass diese Zahl nach der Pandemie steigen wird, ist wahrscheinlich. Grund zur Sorge gibt es also reichlich.
Um aus einer Überschuldung herauszufinden, ist es zunächst einmal notwendig, sich einen Überblick über die finanzielle Lage zu verschaffen. Ein Schritt, der mit großen Ängsten einhergehen kann und durch komplexe Kreditkonditionen noch erschwert wird. Es sind praktische Fragen, um die es geht: Wie sieht meine finanzielle Situation aus und wie hoch sind meine Schulden? Wann und wie kann man umschulden? Welchen Kredit zahlt man zuerst ab?
Finanzielle Bildung kann hier zielgerichtet ansetzen und helfen. Finanziell gebildet zu sein bedeutet zunächst einmal ein grundlegendes Verständnis von Zinsen, Inflation und Risikodiversifikation zu haben. In diesem Fall heißt es auch, das Wissen und die Möglichkeiten zu haben, fundierte Entscheidungen zu treffen und die Schulden effizient zu managen. Es heißt auch zu lernen, sich im Fall der Fälle Hilfe zu holen. Denn: Menschen mit mehr Finanzwissen nutzen eher professionellen Rat. Finanzielle Bildung ist ein Mittel der Prävention. Hohe finanzielle Bildung macht es wahrscheinlicher, mehr zu sparen, in Aktien zu investieren und dabei auch noch diversifizierter anzulegen, also ein geringeres Einzelrisiko einzugehen. Durch die verschiedenen Kanäle ergibt sich insgesamt eine höhere finanzielle Resilienz.
Die finanzielle Bildung ist in Deutschland sehr ungleich verteilt. Besonders Geringverdienende, Menschen mit geringerer Bildung und Frauen schneiden bei Umfragen schlechter ab. Dabei haben genau diese Gruppen sowieso geringere Rücklagen. Eine deutsche oder, noch besser, europäische, Strategie zur finanziellen Bildung ist notwendig, um die finanzielle Resilienz der besonders gefährdeten Gruppen zu verbessern.
Finanzielle Bildung ist aber nicht der einzige und alleinige Weg. Selbstverständlich muss außerdem ein konsequenter Verbraucherschutz bei Kreditverträgen sein. Für diejenigen, die schon in finanziellen Engpässen stecken, sind die Ressourcen zu abstraktem Finanzwissen nicht ausreichend. Für sie sind die gemeinnützigen Beratungsstellen wie die Schuldnerberatungen eine wichtige Anlaufstelle, die in der Regel telefonisch und per E-Mail kostenlose individuelle Beratungen anbieten. Es ist wichtig, diese Schuldner- und Insolvenzberatungen noch bekannter zu machen und ihre ausreichende Finanzierung zu garantieren. Zusammen mit Investitionen in die finanzielle Bildung kann sich das nur auszahlen. Weniger Überschuldungsfälle bedeuten auch eine höhere Finanzstabilität.
Dieser Beitrag ist am 1. Juni 2021 im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Verbraucher, Finanzmärkte, Bildung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-22-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235736