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Der Fall der T-Aktie: Börsencrashs können dauerhaft Investitionsentscheidungen von Haushalten negativ beeinflussen

DIW Wochenbericht 25 / 2021, S. 423-429

Chi Hyun Kim, Alexander Kriwoluzky

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  • Trotz langfristig steigender Aktienkurse halten Deutsche Aktien so selten wie in 1990er Jahren
  • Anhand der Börsengänge der T-Aktie im Zeitraum 1996 bis 2000 wird untersucht, wie der anschließende Crash das Investitionsverhalten der Deutschen langfristig geprägt hat
  • Haushalte, die T-Aktien-Crash damals erlebt haben, investieren SOEP-Daten zufolge selbst nach 20 Jahren 60 Prozent weniger in Aktien als jüngere Haushalte
  • Haushalte, die in T-Aktien investierten, sind deutlich seltener am Aktienmarkt aktiv als Haushalte, die den Crash zwar miterlebt haben, aber keine T-Aktien hielten
  • Regulierung von Aufsichtsbehörden und auch bessere Bildungsmöglichkeit für KleinanlegerInnen könnten negativ behaftete Erfahrungen im Finanzmarkt reduzieren

„Börsencrashs tragen offensichtlich zur Aktienmüdigkeit der Deutschen bei. Da Aktien­investments aber ein wichtiger Baustein beim Vermögensaufbau und in der Altersvorsorge sind, sollten Anstrengungen in Richtung Anlegerschutz und finanzielle Bildung deutlich verstärkt werden.“ Chi Hyun Kim

Seit Jahrzehnten investiert nur jeder vierte bis fünfte Haushalt in Deutschland in Aktien. Mit den drei Börsengängen der Deutschen Telekom 1996 bis 2000 wurden die Deutschen in Aktienlaune versetzt. Der Kurssturz kurz nach dem zweiten Börsengang, gefolgt von Korruptionsskandalen, beendete aber die gute Aktienstimmung. Die vorliegende Studie auf Basis von SOEP-Daten zeigt, dass die Ereignisse rund um die T-Aktie zu einer anhaltend geringeren Beteiligung an den Aktienmärkten geführt hat – und zwar um rund 60 Prozent selbst noch 20 Jahre danach. Dieser Effekt ist bei Haushalten größer, die direkt in Telekom-Aktien investiert hatten. Es wurde also dauerhaft Vertrauen in Aktieninvestments zerstört, was auch einem langfristigen Vermögensaufbau im Weg stehen dürfte. Um dem entgegenzuwirken, sollten die Aufsichtsbehörden zum einen Unternehmen stärker prüfen, die Aktien an KleinanlegerInnen ausgeben, damit Fälle wie die Telekom oder jüngst Wirecard nicht weiter das Börsenvertrauen erschüttern. Zum anderen wäre es wichtig, durch finanzielle Bildung die KleinanlegerInnen in die Lage zu versetzen, Börseninvestments rationaler zu bewerten und ihre Portfolios abzusichern.

Obwohl Aktien durch ihre hohe Rendite in den vergangenen Jahren attraktive Geldanlagen waren und sind, investieren die meisten Haushalte in Deutschland nicht in Aktien.infoVgl. Michael Haliassos und Carol C. Bertaut (1995): Why do so few hold stocks? The Economic Journal, 105 (432), 1110–1129; Luigi Guiso, Paola Sapienza und Luigi Zingales (2018): Time varying risk aversion. Journal of Financial Economics, 128(3), 403–421. In der Literatur wurden große Mühen unternommen, um die Treiber eines solchen Verhaltens zu verstehen, da ineffiziente Investitionsentscheidungen privater Haushalte negative Folgen für ihr langfristiges finanzielles Wohlergehen haben können. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass persönliche Erfahrungen für Investitionsentscheidungen wichtig sind.infoJames J. Choi et al. (2009): Reinforcement learning and savings behavior. The Journal of Finance, 64(6), 2515–2534; Ulrike Malmendier und Stefan Nagel (2011): Depression babies: Do macroeconomic experiences affect risk taking? The Quarterly Journal of Economic, 126(1), 373–416. Insbesondere negative Erfahrungen wie Börsencrashs spielen eine entscheidende Rolle: Nach einem Crash meiden Haushalte den Aktienmarkt.infoTabea Bucher-Koenen und Michael Ziegelmeyer (2014): Once burned, twice shy? Financial literacy and wealth losses during the financial crisis. Review of Finance, 18(6), 2215–2246; Guiso, Sapienza und Zingales (2018), a.a.O.. Was aber noch nicht ausreichend erforscht wurde, ist, ob und in welchem Zeitrahmen sich Haushalte von solchen negativen Ereignissen erholen. Verblassen mit neuen positiven Erfahrungen die Erinnerungen an den vergangenen Crash oder hält das Erlebnis sie dauerhaft von der Börse fern?

Partizipationsrate im Aktienmarkt von deutschen Haushalten sinkt stetig seit 2000

Um zu untersuchen, wie hoch die Börsenbeteiligung deutscher Haushalte ist, werden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) genutzt.infoDas SOEP ist eine repräsentative Haushaltsstichprobe in Deutschland, in der seit 1984 jährlich Haushalte sowie deren Mitglieder wiederholt befragt werden. Derzeit sind es jedes Jahr etwa 30 000 Personen in rund 19 000 Privathaushalten. Vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel Study (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 239(2), 345–360 (online verfügbar, abgerufen am 10. Juni 2021. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). In dieser seit 1984 laufenden Haushaltsbefragung geben die Befragten jedes Jahr an, ob sie in Wertpapiere wie Sparbriefe, Pfandbriefe, Anleihen oder Aktien investiert haben (Abbildung 1).infoErst ab dem Jahr 2001 unterscheidet das SOEP zwischen Aktieninvestments und sonstigen Wertpapieren. Dennoch lässt sich annehmen, dass bis 2001 im Wertpapierbesitz viele Aktien­investments enthalten waren.

Es lässt sich folgender Verlauf beobachten: Zwischen 1990 und 2000 verdoppelt sich der Wertpapierbesitz. Investieren im Jahr 1990 nur 21 Prozent der Haushalte in Wertpapiere, sind es auf dem Höhepunkt des Dotcomhypes knapp 40 Prozent.

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 geht aber der Wertpapierbesitz bis 2016 ohne nennenswerte Erholung kontinuierlich auf den Stand der 1990er Jahre zurück.infoAusgewertet wurden die SOEP-Zahlen bis 2016. Zahlen des Deutschen Aktieninstituts deuten darauf hin, dass die Partizipationsrate bis 2019 auf diesem Stand bleibt und erst in der Pandemie wieder steigt. Vgl. Deutsches Aktieninstitut (2021): Deutschland entdeckt 2020 die Liebe zu Aktien. Februar (online verfügbar). In den Jahren 2006 und 2012 nehmen die Aktieninvestments der privaten Haushalte zwar leicht zu, die Größenordnung ist jedoch eher gering und nicht von langer Dauer. Dies ist bemerkenswert, da die Aktienkurse trotz der Crash-Perioden während der globalen Finanzkrise 2008/09 stetig steigen.

Um zu untersuchen, in welchem Zusammenhang die Partizipationsrate an der Börse mit der Kursentwicklung steht, wird in die Untersuchung der deutsche Aktienleitindex Dax 30 einbezogen (Abbildung 2). Interessanterweise investieren deutsche Haushalte immer weniger in Aktien, obwohl der Aktienkurs stetig steigt. Dies impliziert, dass deutsche Haushalte, die ihr Geld meist in Form von festverzinslichen Einlagen wie Sparbüchern oder Festgeld anlegen, sich für den langfristigen Vermögensaufbau die besonders wichtigen Eigenkapitalprämien des Aktienmarktes entgehen lassen. Erst seit Kurzem gibt es Anzeichen für eine Trendumkehr; die Investitionstätigkeit der Haushalte steigt wieder.infoDeutsches Aktieninstitut (2021), a.a.O.

Die T-Aktie: Wie sie ihren Ruf als „Volksaktie“ verdiente

Warum sinkt die Börsenpartizipationsrate von deutschen Haushalten stetig seit dem Jahr 2000? Warum scheuen deutsche Haushalte, trotz seit 2009 steigender Aktienkurse wieder in den Aktienmarkt einzusteigen? Im Folgenden wird untersucht, inwiefern die Erfahrung vom Börsengang der Deutschen Telekom zwischen 1996 und 2000 dabei eine Rolle spielt.

Die Deutsche Telekom AG, ein ehemaliges Unternehmen der Deutschen Bundespost, wurde im Jahr 1995 privatisiert und wollte im November 1996 an die Börse gehen. Allerdings hatte das Unternehmen Anfang 1996 in der Bevölkerung aufgrund seiner Tarifstrukturen, seines schlechten Services und hoher Ortsgesprächspreise einen eher schlechten Ruf.infoJohann-Günther König (1997): Global Player Telekom. Der Kampf um die Marktmacht: Wer verliert, wer profitiert. Reinbek bei Hamburg. Der Deutschen Telekom wurde klar, dass ihr Börsengang nur erfolgreich sein kann, wenn es ihr gelingt, ihr Image zu verbessern.

Daraufhin setzte die Deutsche Telekom auf eine breite Medienoffensive, um die Aufmerksamkeit potenzieller KleinanlegerInnen zu gewinnen. Das Bestreben, die Telekom-Aktie zur „Volksaktie“ zu etablieren, ist erfolgreich: Rund 1,9 Millionen KleinanlegerInnen investieren in 285 Millionen T-Aktien im Wert von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro.infoDer Euro-Wechselkurs wurde mit 1,96 DM berechnet. Die Zahlen stammen aus Johann-Günther König (1997), a.a.O. Der Preis der T-Aktie schießt nach dem ersten Börsengang in die Höhe (Abbildung 3).

Weitere Investitionen in die T-Aktie nach dem Dotcom-Börsencrash im Jahr 2000

Dieser Höhenflug ist aber leider nur von kurzer Dauer. Die sogenannte Dotcom-Blase, also extrem hohe Kurse von Unternehmen im Technologiesektor, platzt im Jahr 2000, und die globalen Börsen erleben einen Crash.

Die T-Aktien, die Teil des Neuen Markts an der Deutschen Börse sind, können diesem Crash nicht entgehen. Im März 2000 stürzen die Preise binnen kurzer Zeit in die Tiefe (Abbildung 3). Interessant ist insbesondere die Tatsache, dass beim dritten Börsengang, der im Juni 2000, also nach dem Crash, stattfindet, trotzdem sehr viele AnlegerInnen in T-Aktien investieren (Tabelle). 70 Prozent des Emissionsvolumens gehen an KleinanlegerInnen, was darauf hindeutet, dass trotz des allgemeinen Crashs die T-Aktie als sicher erachtet wird, das Vertrauen der KleinanlegerInnen also weiterhin groß ist. Die institutionellen Investoren halten sich dagegen zurück.

Tabelle: Eckdaten zu den Börsengängen der Telekom

Erster Börsengang Zweiter Börsengang Dritter Börsengang
Datum 18. November 1996 28. Juni 1999 19. Juni 2000
Gesamterlös (Euro) 10 Milliarden 10,8 Milliarden 13 Milliarden
Kleinanlegeranteil 43 Prozent 54 Prozent 70 Prozent
Anteil institutioneller Investoren 57 Prozent 46 Prozent 30 Prozent

Quelle: Deutsche Telekom Investor Relations.

Das richtige Ende der „Telekom-Ära“ wird erst im Jahr 2001 eingeläutet, als herauskommt, dass die Deutsche Telekom ihre Immobilienbestände überbewertet und falsche Zahlen während des zweiten und dritten Börsengangs in die Öffentlichkeit getragen hat. Berechnungen zufolge soll der Wert der Immobilienbestände umgerechnet zwischen rund 1,7 bis 2,1 Milliarden Euro zu hoch angesetzt worden sein. Im Juli 2002 muss Ron Sommer, der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, sein Amt niederlegen – ein deutliches Signal und das Ende der Ära T-Aktie. infoVgl. zum Beispiel: Klage gegen Ron Sommer. Der Spiegel vom 27. Februar 2001 (online verfügbar); Frank Dohmen et al.: T wie Tiefpunkt. Der Spiegel vom 14. Juli 2002 (online verfügbar). Danach lenkt das Unternehmen seine operative Strategie mit strikten Sparmaßnahmen um.

KleinanlegerInnen fühlen sich hintergangen

Obwohl zu diesem Zeitpunkt der gesamte deutsche Aktienmarkt einen Crash erlebt, hat der Niedergang der T-Aktie eine einzigartige Bedeutung für die deutschen Haushalte. Die hohe Medienpräsenz, einschließlich einer beispiellosen Werbekampagne mit dem damals populären Schauspieler Manfred Krug, schürt große Hoffnungen auf eine stabile Wertanlage für alle. Die Tatsache, dass die Deutsche Telekom früher ein staatlicher Konzern war, schafft zusätzlich Vertrauen und macht sie scheinbar zu einer besonders sicheren Investitionsanlage für die Zukunft. Der Absturz dürfte deshalb starke negative Emotionen ausgelöst haben. Die Deutschen fühlen sich betrogen und hintergangen.

Die damalige Stimmung lässt sich an vielen Medienberichten ablesen.infoVgl. zum Beispiel Frank Hornig: Laute Wut, stiller Triumph. Der Spiegel vom 2. Juni 2001 (online verfügbar); Georg Bönisch und Frank Dohmen: Start mit falschen Zahlen. Der Spiegel vom 9. Juli 2001; Wolfgang Koch: Volksaktie auf Tiefstand. Stuttgarter Zeitung vom 11. September 2001; Martin Reim: Die falsche Aktie zur richtigen Zeit. Süddeutsche Zeitung vom 17. November 2001. Wie sich diese genau entwickelt hat, wird im Folgenden beispielhaft an Zeitungsartikeln zur T-Aktie aus der Tageszeitung Handelsblatt nach dem Crash mithilfe einer wörterbuch-basierten Sentimentanalyse belegt. Ein Online-Wörterbuch SentiWS bewertet die „Stimmung“ zahlreicher deutscher Wörter auf einer Skala von -1 (sehr negative Stimmung) bis 1 (sehr positive Stimmung).infoRobert Remus, Uwe Quasthoff und Gerhard Heyer (2010): SentiWS-A Publicly Available German-language Resource for Sentiment Analysis. LREC. Die Medienstimmung wird dann als die Durchschnittsstimmung aller Handelsblatt-Zeitungsartikel, die über die T-Aktie berichten, für ein bestimmtes Jahr berechnet. Verglichen werden soll, wie sich die Stimmung in den Medien in diesem Zeitraum parallel zu der Entwicklung der Telekom-Aktienpreise verändert. Die Entwicklung des Telekom-Aktienkurses dient als „objektiver“ Maßstab (Abbildung 4).

Direkt nach dem Crash im Jahr 2000 rauschen sowohl der Aktienkurs als auch die Medienstimmung in die Tiefe. Beide sinken in diesem Jahr um rund 50 Prozent. Während der Kurs der Aktie im folgenden Jahr um weitere 50 Prozent sinkt, rauscht die Stimmung weiter um 250 Prozent in die Tiefe. Dies ist vor allem der Aufdeckung des Missmanagements und der Korruption zu verdanken, die sich weniger im Aktienkurs als vielmehr in der Medienberichterstattung niederschlägt.

T-Aktien-Crash beeinflusst bis heute Investitionsentscheidungen deutscher Haushalte

Im Folgenden soll untersucht werden, welchen Einfluss diese Ereignisse auf die Teilnahme am Aktienmarkt hatten und bis heute noch haben. Einbezogen werden dazu Haushaltsvorstände, die während des Absturzes im Jahr 2000 älter als 20 Jahre alt waren, also die Ereignisse rund um die T-Aktie verfolgen konnten (Kasten).

Variablen

Als Datengrundlage werden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) verwendet. Bei der seit 1984 laufenden repräsentativen Haushaltsbefragung wird jährlich abgefragt, ob ein Haushalt Wertpapiere besitzt. Seit dem Jahr 2001 werden bei der Abfrage Aktien von sonstigen Wertpapieren unterschieden. Mithilfe dieser Informationen werden drei Dummy-Variablen für die Analyse konstruiert: Partizipation im Aktienmarkt, Einstieg in den Aktienmarkt und Austritt aus dem Aktienmarkt.

Methodologie

Das Basismodell für die statistische Analyse ist ein Probit-Modell mit Fixed Effects auf Haushaltsebene für das Umfragejahr 2016:infoFür weitere Details zur Methodik vgl. Chi Hyun Kim (2021): Optimism gone bad? The persistent effects of traumatic experiences on investment decisions. DIW Discussion Paper Nr. 1952 (online verfügbar).

yi = α + β1TEi + β2Ai(λ) + γxi + δi + εi,

wo yi entweder die Partizipation sowie Einstieg und Austritt des Haushalts im Aktienmarkt darstellt. Das Hauptinteresse gilt dem Effekt von TEi – die Variable steht für die Telekomerfahrung – auf diese Variablen.

Dazu wird in einem ersten Schritt angenommen, dass Haushaltsvorstände eine direkte Erfahrung mit den Ereignissen rund um die T-Aktie haben, die im Jahr des Kursabsturzes (2000) mindestens 20 Jahre alt waren. Haushaltsvorstände unter 20 Jahren wiederum waren zu jung, um den Ernst der damaligen Lage aktiv wahrzunehmen.

Im zweiten Schritt wird überprüft, ob eine emotionale Bindung zu den Ereignissen rund um die T-Aktie den Effekt auf zukünftiges Investitionsverhalten der Haushalte verstärkt hat. Für diese Analyse wird angenommen, dass Haushalte, die aktiv in T-Aktien investiert hatten, emotionaler an das Ereignis gebunden sind, da sie Verluste ihres Vermögens erlitten haben können. Leider fehlen beim SOEP Angaben zur detaillierten Portfoliozusammensetzung und Investments in Einzelaktien der Haushalte. Daher wird eine Annäherung (Proxy) konstruiert: Es wird angenommen, dass Haushalte mit hoher Wahrscheinlichkeit in T-Aktien investiert haben, wenn sie während der ersten drei Börsengänge zum ersten Mal an die Börse gegangen sind.

Des Weiteren wird eine Variable Ai(λ) in die Analyse einbezogen, die mit einer Gewichtungsfunktion den gesamten Informationsbestand der vergangenen Aktienrenditen von Haushaltsvorständen seit ihrem Geburtsjahr einbezieht. Die Einbeziehung dieser Variablen als Kontrolle ist wichtig, um den Telekom-Effekt sauber von der allgemeinen Börsensituation zu isolieren. Da die Börsengänge und die Talfahrt der T-Aktie parallel zum Platzen der Dotcom-Blase stattfanden, muss sichergestellt sein, dass die Identifizierung des Telekom-Ereignisses nicht von anderen Faktoren an der Börse getrieben wird.

Als Kontrollvariablen (x) werden demografische und finanzielle Merkmale der Haushalte genutzt. Dies ist wichtig, um den Effekt der Telekomerfahrung zu schätzen. Dazu herangezogen werden das Alter des Haushaltsvorstands, Geschlecht, Bildungsgrad sowie Haushaltsgröße, Einkommen und Vermögen. Darüber hinaus wird berücksichtigt, wie die privaten Haushalte ihre Bereitschaft, finanzielle Risiken einzugehen, subjektiv einschätzen.

Kontrollgruppe

Um den Effekt der emotionalen Betroffenheit eindeutig zu identifizieren, werden die Telekom-AnlegerInnen einer Kontrollgruppe von Haushalten gegenübergestellt, die zwar das Telekom-Ereignis erlebt haben (also mindestens 20 Jahre alt während des Crashs im Jahr 2000) und ähnliche sozioökonomische Merkmale (wie Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen) aufweisen wie die Telekom-AnlegerInnen, aber nicht in T-Aktien investiert haben.

Demnach halten Haushalte, die die Ereignisse rund um die T-Aktie miterlebt haben, 20 Jahre nach dem ersten Telekom-Börsengang zu 60 Prozent weniger Aktien an der Börse als diejenigen, die während des Absturzes der T-Aktie jünger als 20 Jahre alt waren (Abbildung 5). Interessant ist auch, dass Haushalte mit Telekomerfahrung sowohl weniger in den Aktienmarkt eintreten als auch austreten. Dies deutet auf ein allgemein weniger aktives Investitionsverhalten.

Direkte Betroffenheit spielt wichtige Rolle

Studien weisen darauf hin, dass prägende Erfahrungen in der Vergangenheit zukünftige Investitionsentscheidungen beeinflussen können.infoSo zeigt beispielsweise eine Studie, wie emotionale Bindungen zum Kommunismus die Investitionsentscheidungen von deutschen Haushalten langfristig beeinflussen können, vgl. Christine Laudenbach, Ulrike Malmendier und Alexandra Niessen-Ruenzi (2020): The long-lasting effects of experiencing communism on attitudes towards financial markets (online verfügbar). Basierend auf dieser These soll im Folgenden untersucht werden, ob die direkte Betroffenheit von den Ereignissen rund um die T-Aktie die Wirkung auf die zukünftige Investitionsentscheidung verstärkt. Haushalte, die in T-Aktien investierten (und nach dem Crash Verluste erlebten), haben wahrscheinlich eine höhere emotionale Bindung an die Ereignisse rund um die T-Aktie. Der These zufolge dürften diese Haushalte weniger in Aktien investieren als Haushalte, die die Ereignisse nur über die Medien verfolgt haben.

Da der Datensatz keine genauen Informationen über die Telekom-Investition von Haushalten enthält, wird eine Proxy-Variable für die Tätigkeit als „Telekom-InvestorIn“ entwickelt (Kasten).infoWeitere Details zur Methodik vgl. Chi Hyun Kim (2021): Optimism gone bad? The persistent effects of traumatic experiences on investment decisions. DIW Discussion Paper Nr. 1952 (online verfügbar), abgerufen am 18. Juni 2021. Zusätzlich wird eine Kontrollgruppe identifiziert, die ähnliche Merkmale wie die Telekom-InvestorInnen aufweist, aber während der Telekom-Börsengänge nicht an der Börse investiert hatte. Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung einer direkten Betroffenheit vom T-Aktien-Crash für langfristige Anlageentscheidungen (Abbildung 6). Haushalte, die damals in T-Aktien investiert haben, investieren 20 Jahre später nicht nur zwölf Prozent weniger in Aktien als Haushalte, die zwar das Telekom-Ereignis miterlebt haben, aber nicht aktiv investiert hatten. Sie steigen auch mit einer um 18 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit in den Aktienmarkt ein.

Fazit: Mehr Regulierung im Finanzmarkt, mehr Bildungsmöglichkeiten für KleinanlegerInnen

Investitionen, die mehr aus dem Bauch heraus getätigt werden, sind in der Realität nicht selten, und Börsencrashs wiederholen sich (leider) regelmäßig. Die Untersuchung hat gezeigt, dass eine starke emotionale Bindung von KleinanlegerInnen bei einer negativen Entwicklung das Potenzial hat, ihnen die Türen zum Finanzmarkt dauerhaft zu verschließen. Dadurch kann ein kontinuierlicher Vermögensaufbau – auch zur Altersvorsorge – verhindert werden. Diese Faktoren spielen für KleinanlegerInnen eine größere Rolle, da sie in der Regel weniger Erfahrungen mit Aktienmärkten haben und tendenziell schlechter diversifizierte Portfolios als institutionelle Investoren halten.infoBrad M. Barber und Terrance Odean (2001): Boys will be boys: Gender, overconfidence, and common stock investment. The Quarterly Journal of Economics, 116(1), 261–292. William N. Goetzmann und Alok Kumar (2008): Equity portfolio diversification. Review of Finance, 12(3), 433–463. Dadurch sind sie dann auch stärker von Börsencrashs betroffen.

In der heutigen Zeit, wo jeder einen leichten Zugriff auf Börseninformationen hat und Einstiegs- und Handelskosten für Aktien durch das Onlinebanking stark gesunken sind, nimmt die Zahl von PrivatanlegerInnen im Finanzmarkt wieder zu.infoSirio Aramonte und Fernando Avalos (2021): The rising influence of retail investors. BIS Quarterly Review, März. Besonders in der Pandemie tätigen KleinanlegerInnen Masseninvestitionen in Aktien wie in den Videospielhändler Gamestop, aber auch im Kryptowährungsmarkt. Diese neue Dynamik bringt zwar Vorteile mit sich, da viele private Haushalte von Kursgewinnen profitieren, sie birgt aber auch potenzielle Risiken: Starke Verluste können das Investitionsverhalten dauerhaft negativ beeinflussen, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat.

Allein schon um solche negativen emotionalen Erfahrungen im Finanzmarkt zu minimieren, ist es sinnvoll, dass Aufsichtsbehörden die Marktentwicklung und Handelsvolatilität sorgfältig überprüfen, um auf missbräuchliche oder manipulative Handelsaktivitäten reagieren zu können. Des Weiteren müssen die Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfungen ihrer Arbeit sorgfältig nachgehen, um weitere Fälle wie bei Wirecard zu verhindern. Vor allem ist es wichtig, dass KleinanlegerInnen sich zum Thema Finanzierung weiterbilden können und dieses Thema im Schulunterricht gelehrt wird. Ein besseres Verständnis über den Aktienmarkt und risiko-minimierende Investitionsmethoden wie die Diversifizierung des Portfolios können KleinanlegerInnen helfen, den Marktverlauf rationaler zu betrachten und somit irrationale Investitionsentscheidungen zu reduzieren.

Alexander Kriwoluzky

Abteilungsleiter in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: D14;G01;G11;E21
Keywords: Stock market crashes, emotional tagging, stock market participation
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-25-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235743

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