DIW Wochenbericht 25 / 2021, S. 430
Alexander Kriwoluzky, Erich Wittenberg
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Herr Kriwoluzky, die Deutschen gelten als Aktienmuffel. Was ist dran an diesem Vorurteil? An diesem Mythos der Deutschen als Aktienmuffel ist tatsächlich eine ganze Menge dran. Gerade im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn halten Deutsche wesentlich weniger Aktien.
Wie hat sich denn die Börsenbeteiligung deutscher Haushalte in den letzten Jahren entwickelt? Die Börsenbeteiligung deutscher Haushalte stieg in den neunziger Jahren auch aufgrund des Neuen Markts an. Mit dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase um das Jahr 2000 herum sank sie, und mit der Finanzkrise 2007/2008 ging sie weiter runter. Mittlerweile haben wir wieder das Niveau von Anfang bis Mitte der neunziger Jahre erreicht. Erst jetzt entdecken die Deutschen die Börse wieder für sich.
Sie haben das Anlegerverhalten rund um den Kurssturz der Telekom-Aktie in den neunziger Jahren untersucht. Welche Auswirkungen hatte dieses Ereignis? Die Medienoffensive der Deutschen Telekom in den neunziger Jahren hat dazu geführt, dass viele Deutsche zum ersten Mal in Aktien investiert haben. Als sich eigentlich schon abzeichnete, dass der Börsenboom ein Ende hat, stiegen immer mehr Haushalte ein. Als der Kurs von umgerechnet 100 Euro auf zehn Euro abstürzte, haben viele Kleinanlegerinnen und Kleinanleger viel Geld verloren. Und dadurch, dass dieser Börsengang so emotional aufgeladen war, haben viele danach gedacht, an der Börse kann man eigentlich nur Verluste machen und die Finger davongelassen.
Wie lange hat dieser Schock bei den Anlegern nachgewirkt? Unsere Daten zeigen, dass er sehr lange nachgewirkt hat. Erst in den Jahren 2005/2006 stieg die Beteiligung wieder, aber die Finanzkrise führte dazu, dass die Partizipationsquote wieder abnahm. Wir haben uns genauer angeschaut, wie das auf Anlegerinnen und Anleger gewirkt hat, die diese Medienoffensive, den Boom und das Zerplatzen der Blase miterlebt haben. Sogar bei Menschen, die nur Zeuge dieser Ereignisse waren, ist die Wahrscheinlichkeit weitaus geringer, dass sie in den Aktienmarkt investieren.
Könnte der aktuelle Wirecard-Skandal ähnliche Auswirkungen haben? Der Wirecard-Skandal zeigt viele Parallelen zum Telekom-Skandal. Zwar war Wirecard auch ein Liebling der Medien, auf der anderen Seite ist das aber schwer mit der Medienoffensive der Telekom zu vergleichen, die viel breitere Bevölkerungsschichten erreicht hat als Wirecard.
Wie groß sind die Chancen, dass sich das Anlageverhalten der Deutschen in Zukunft ändert? Man könnte natürlich sagen, dass es für jede Generation einen neuen Start gibt. Wir haben aber in unserer Studie nicht nur herausgefunden, dass bei Personen, die T-Aktien gehalten haben, die Wahrscheinlichkeit noch geringer ist, am Aktienmarkt zu investieren, als wenn sie nur Zeuge der Ereignisse waren. Wir sehen auch, dass sich dieses Verhalten auf die Kinder derjenigen vererbt, die damals T-Aktien gekauft und gehalten hatten.
Können private Haushalte überhaupt vor derartig negativen Erlebnissen am Aktienmarkt geschützt werden? Das ist durchaus möglich. Bei der Telekom kam ja auch noch ein Betrugsfall dazu, der den Kursrutsch verschlimmerte. Ähnliches haben wir auch bei Wirecard erlebt. Deshalb müssen die Aufsichtsbehörden die Finanzmärkte besser beobachten, um solche Fälle zu verhindern und das Vertrauen in die Aktienmärkte zu bewahren. Zudem brauchen wir ein gewisses Maß an finanzieller Bildung in der Bevölkerung. Das sollte eigentlich schon in der Schule vermittelt werden. Wenn man weiß, dass man in einem Aktiendepot mehrere Anlagen haben muss, um sich nicht dem Risiko einer einzigen Firma auszusetzen, könnte man viele negative Erfahrungen verhindern.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Finanzmärkte
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-25-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235744