DIW Wochenbericht 25 / 2021, S. 431-436
Jana Hamdan
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„Konsumschulden wachsen in ihrer Bedeutung für Überschuldungsfälle in Deutschland. Ein verhaltensökonomisches Experiment zeigt: Menschen mit geringerer Selbstkontrolle nehmen tendenziell eher Kredite für Konsum auf – insbesondere diejenigen mit zugleich niedrigerer finanzieller Bildung.“ Jana Hamdan
Aktuell machen sich 40 Prozent der Menschen in Deutschland Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation. In ernsten finanziellen Schieflagen ist bislang aber nur eine Minderheit. Im Jahr 2020 galten 6,85 Millionen Personen in Deutschland als überschuldet, konnten ihren Zahlungsverpflichtungen also über längere Zeit nicht nachkommen. Diese Zahl weicht nicht signifikant von den Vorjahren ab. Dabei geht jeder zehnte Überschuldungsfall auf problematisches Konsumverhalten zurück – Tendenz steigend. Eine repräsentative Haushaltsbefragung zeigt, dass mangelnde Selbstkontrolle und geringe finanzielle Bildung mit höheren Zahlungsschwierigkeiten bei Konsumentenkrediten verbunden sind. Der kausale Zusammenhang zwischen diesen Größen wird durch ein ökonomisches Experiment bestätigt. Für die Politik ist daher neben einem effektiven Verbraucherschutz bei Konsumentenkrediten eine nationale Strategie zur Finanzbildung hilfreich, da sie die Auswirkungen von geringer Selbstkontrolle abfedern kann.
In Deutschland ist die gesamte private Haushaltsverschuldung relativ zum verfügbaren Nettojahreseinkommen im Zeitraum von 2000 bis 2019 von 118 Prozent auf 96 Prozent kontinuierlich gesunken. Damit liegen die deutschen Haushalte unter dem OECD-Schnitt.Vgl. OECD Financial Indicators – Stocks (Datenbank) (online verfügbar, abgerufen am 1. Juni 2021. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Das erklärt sich vor allem dadurch, dass die Deutschen weniger Immobilien und entsprechende Hypotheken haben. Allerdings gilt in Deutschland laut dem Schuldenatlas 2020 etwa jede/r zehnte Erwachsene als überschuldet, kann also Zahlungsverpflichtungen über längere Zeit hinweg nicht mehr nachkommen, selbst wenn der Lebensstandard reduziert wird.Vgl. Creditreform Wirtschaftsforschung (Hrsg.) (2020): Schuldenatlas Deutschland, Jahr 2020. Neuss (online verfügbar). Die häufigsten Gründe sind Arbeitslosigkeit, Einkommensarmut, Krankheit, Trennung, gescheiterte Selbstständigkeit und eine sogenannte unwirtschaftliche Haushaltsführung. Die Anzahl der Überschuldungfälle mit dieser letztgenannten Ursache stieg von 2008 bis 2020 um 68 Prozent an. Unwirtschaftliche Haushaltsführung ist inzwischen für 16 Prozent der Fälle oder schätzungsweise 1,09 Millionen Personen maßgeblich. Im iff-Überschuldungsreport 2020 wird unangemessenes Konsumverhalten als wichtigste Ursache für etwa jeden zehnten Überschuldungsfall angegeben.Unwirtschaftliche Haushaltsführung wird im Schuldenatlas und im Überschuldungsreport unterschiedlich definiert. Im Schuldenatlas ist die Definition weiter und schließt unangemessenes Konsumverhalten ein. Vgl. Sally Peters und Ingrid Größl (2020): iff-Überschuldungsreport 2020. Überschuldung in Deutschland. Institut für Finanzdienstleistungen e.v. (iff) Hamburg (online verfügbar). Bei den unter 25-Jährigen ist diese Quote höher: Unangemessener Konsum macht in dieser Gruppe fast 16 Prozent der Überschuldungsfälle aus.
Auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)Das SOEP ist eine repräsentative Haushaltsstichprobe in Deutschland, in der seit 1984 jährlich Haushalte sowie deren Mitglieder wiederholt befragt werden. Vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239 (2), 345–360 (online verfügbar). zeigt sich in aktuellen Daten einer SondererhebungDas vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Projekt SOEP-CoV wird als Verbundprojekt zwischen der Universität Bielefeld und dem SOEP am DIW Berlin durchgeführt. Im Rahmen der SOEP-CoV-Studie wurden Haushalte aus der regulären Befragung in neun Stichproben (Tranchen) aufgeteilt, sodass sie alle Privathaushalte in Deutschland hinsichtlich ihrer Zusammensetzung repräsentativ abbilden. Die Erhebung der ersten Welle fand vom 1. April 2020 bis zum 4. Juli 2020 statt, die der zweiten Welle vom 18. Januar 2021 bis zum 16. Februar 2021. Insgesamt konnten Personen aus etwa 6700 Haushalten in Deutschland unter anderem zu ihren Sorgen und die Corona-Maßnahmen befragt werden. Für weitere Informationen vgl. SOEP-CoV (online verfügbar)., dass sich knapp neun Prozent der Befragten große Sorgen und weitere 31 Prozent sich einige Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation machen (Abbildung 1). Diese subjektive Wahrnehmung ist ein weiteres Signal dafür, dass die Haushaltsfinanzen in Deutschland vielfach als kritisch angesehen werden.
Vor allem bei Überschuldungsfällen aufgrund von unangemessenem Konsumverhalten ist es relevant zu verstehen, wie es dazu kommen kann, dass Menschen zu teure und zu viele Kredite aufnehmen. Neben überoptimistischen EinkommenserwartungenVgl. Theres Klühs, Melanie Koch und Wiebke Stein (2020): Haushaltsverschuldung hängt mit zu hohen Einkommenserwartungen und gelockerter Kreditvergabe zusammen. DIW Wochenbericht Nr. 11, 175–181 (online verfügbar). sind geringe finanzielle Bildung und fehlende Selbstkontrolle mögliche Ursachen für Überschuldungen.Geringe Selbstkontrolle steht in einem Zusammenhang mit finanziellem Stress, vgl. Nina Biljanovska und Spyros Palligkinis (2018): Control thyself: Self-control failure and household wealth. Journal of Banking & Finance, 92, 280–294.
Bestätigt wird dies durch eine Regressionsanalyse mit Daten der Innovations-Stichprobe des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-IS)Vgl. David Richter und Jürgen Schupp (2015): The SOEP Innovation Sample (SOEP-IS). Schmollers Jahrbuch: Journal of Applied Social Science Studies/Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 135 (3), 389–400. von 2016 bis 2018. Dabei wurden 901 Personen befragt, die durchschnittlich 54 Jahre alt waren und im Mittel ein monatliches Nettohaushaltseinkommen von 2946 Euro zur Verfügung hatten. Etwa jeder Vierte hatte persönliche oder Haushaltsschulden für Konsumgüter aufgenommen. Ausgehend von der sogenannten Self-Control Scale (Kasten) ist eine höhere Selbstkontrolle mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit korreliert, in Zahlungsschwierigkeiten bei Konsumschulden zu geraten (Tabelle 1).Dabei wird für das Geschlecht, das Alter, den Bildungsgrad und das Haushaltseinkommen kontrolliert. Auch Finanzwissen geht mit weniger Problemen bei der Rückzahlung von Konsumentenkrediten einher. Die Interaktion beider Faktoren ist positiv, aber statistisch nicht signifikant. Dies bestätigt dennoch die Tendenz, dass für Personen mit hoher finanzieller Bildung Selbstkontrolle weniger mit Überschuldung zusammenhängt.
Abhängige Variable: Probleme bei Tilgungen oder Rückzahlungen von Konsumentenkrediten zu haben (unter der Bedingung, dass solche Kredite gehalten werden)
Geschätzte Koeffizienten (Regressionsgleichung mit einer Interaktion der Selbstkontrolle mit der finanziellen Bildung) | ||
---|---|---|
Einflussgröße | Koeffizient | Standardfehler |
Selbstkontrolle | −0,13* | 0,076 |
Finanzwissen | −0,05*** | 0,015 |
Interaktion von Selbstkontrolle und Finanzwissen | 0,02 | 0,015 |
Beobachtungszahl | 240 |
Anmerkungen: Die Selbstkontrolle wurde anhand der Self-Control Scale (SCS) gemessen. Im Anschluss wurde der Durchschnitt der Antworten berechnet und standardisiert. Finanzwissen heißt, wie viele Fragen aus sechs Fragen zu finanzieller Bildung korrekt beantwortet wurden. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto genauer: ***, ** und * geben das Signifikanzniveau auf dem Ein-, Fünf-, und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesebeispiel: Personen mit Konsumschulden, die eine zusätzliche Frage zu Finanzwissen richtig beantworten, haben durchschnittlich eine um 5 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, Schwierigkeiten bei der Rückzahlung zu haben. Dieser Effekt ist statistisch hoch signifikant. Da die Variable zur Selbstkontrolle standardisiert ist, bedeutet ein negativer Koeffizient eine geringere Wahrscheinlichkeit für Zahlungsschwierigkeiten in Standardabweichungen. Dieser Effekt ist statistisch signifikant.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der SOEP Innovationsstichprobe (SOEP-IS), für die Jahre 2016, 2017 und 2018.
Selbstkontrolle, also die Fähigkeit, die eigenen Impulse zu kontrollieren, wird in wissenschaftlichen Befragungen häufig mithilfe der Self-Control ScaleVgl. Die Self-Control Scale (SCS) ist inzwischen der Standard zur Messung bestimmter Persönlichkeitseigenschaften. Vgl. zur Entwicklung und ersten Anwendung June P. Tangney, Roy F. Baumeister und Angie L. Boone (2004): High self-control predicts good adjustment, less pathology, better grades, and interpersonal success. Journal of Personality 72 (2), 271–324. (SCS) erhoben. Die Befragten werden gebeten, 13 Aussagen zu lesen und anzugeben, inwieweit diese im Allgemeinen auf sie zutreffen. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass Selbstkontrolle eine konstante Eigenschaft ist. Eine Alternative zur Nutzung der SCS ist die Verwendung von Proxy-Variablen, die Eigenschaften darstellen, die mit dem Mangel von Selbstkontrolle in Verbindung gebracht werden, beispielsweise Raucher zu sein. Sowohl die SCS als auch Proxy-Variablen sind valide Möglichkeiten, um die Korrelation von (mangelnder) Selbstkontrolle mit anderen Variablen zu untersuchen. Allerdings können sie keine Aussage zu kausalen Effekten geben.
In der SOEP-Innovationsstichprobe (SOEP-IS) von 2018 wurde der SCS eingesetzt. Die Antworten zu Aussagen wie „Andere würden sagen, dass ich eine eiserne Selbstdisziplin habe“ können zu einem Durchschnittswert umgerechnet werden, der umso höher ist, je besser die Befragten ihre Selbstkontrolle einschätzen. Es zeigt sich, dass die Antworten einer Standardverteilung ähneln (Abbildung 2). Die meisten Befragten wählen eine Drei auf der 1-5-Skala, was darauf hindeutet, dass sie sich einigermaßen mit der Aussage identifizieren können. Es gibt aber auch Befragte, die sich sehr stark oder sehr wenig darüber identifizieren und entsprechend ihre Selbstkontrolle als sehr gut oder sehr schlecht einschätzen.
Die Messung von Selbstkontrolle in Langzeitstudien hat gezeigt, dass Selbstkontrolle eine stabile Eigenschaft ist, allerdings bleibt eine gewisse Variation bestehen.Vgl. beispielsweise Michael G. Turner und Alex R. Piquero (2002): The stability of self-control. Journal of Criminal Justice 89 (2), 392–406; Stephan Meier und Charles D. Sprenger (2015): Temporal stability of time preferences. Review of Economics and Statistics 97 (2), 273–286. Abseits der Ökonomie wird ein größerer Fokus darauf gelegt, ob und wie beeinflussbar die Fähigkeit zur Selbstkontrolle ist. So kommen die Methoden der Ego-Depletion aus der Psychologie. Diese Methoden zielen darauf ab, innerhalb eines Experiments die Selbstkontrolle von Teilnehmern zu verringern.Die Methode Ego-Depletion wurde eingeführt von Roy F. Baumeister, Ellen Bratslavsky, Mark Muraven und Dianne M. Tice (1998): Ego depletion: Is the active self a limited resource? Journal of Personality and Social Psychology, 74 (5), 1252–1265. Eine Meta-Analyse findet sich in Martin S. Hagger, Chantelle Wood, Chris Stiff und Nikos L. D. Chatzisarantis (2010): Ego depletion and the strength model of self-control: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 136 (4), 495–525. Die Grundlage sind anstrengende Aufgaben, bei denen die Leistung nicht honoriert wird. Das Ziel von Ego-Depletion ist es, dass begrenzte mentale Ressourcen verbraucht werden. Es wird angenommen, dass eine erfolgreiche Ego-Depletion dazu führt, kurzfristig weniger Selbstkontrolle für anschließende Aufgaben zur Verfügung zu haben. Dies ist für ökonomische Fragestellungen relevant, da eine externe Beeinflussung von Selbstkontrolle erlaubt, den kausalen Effekt von reduzierter Selbstkontrolle auf Entscheidungen in Experimenten zu testen.
Um den Einfluss mangelnder Selbstkontrolle auf die Verschuldung näher zu untersuchen, wurde ein ökonomisches Experiment durchgeführt und dabei die Methode der Ego-Depletion angewandt, um über das Aufzeigen von bloßen Korrelationen hinauszugehen (Kasten).Die Analyse basiert auf Antonia Grohmann und Jana Hamdan (2021): The Effect of Self-Control and Financial Literacy on Impulsive Borrowing: Experimental Evidence. DIW Discussion Paper Nr. 1950 (online verfügbar). Ego-Depletion fordert eine aktive Impulskontrolle und soll die Fähigkeit zur Selbstkontrolle vorübergehend mindern. Dies erlaubt es, einen kausalen Effekt von reduzierter Selbstkontrolle auf finanzielle Entscheidungen zu messen. Das Experiment beruht auf dem Vergleich von zwei Gruppen. Während TeilnehmerInnen in einer Treatmentgruppe sowohl einfache als auch komplexe Textaufgaben bearbeiten müssen, brauchen TeilnehmerInnen in der Kontrollgruppe nur einfache Textaufgaben zu lösen. Auf diese Weise sollen die TeilnehmerInnen der Treatmentgruppe kurzfristig angestrengt werden und Fähigkeiten zur Selbstkontrolle verlieren. Im Anschluss können alle TeilnehmerInnen des Experiments Heißgetränke auf Kredit kaufen, wobei in der ersten Runde des Experimentes höhere Zinsen als in der zweiten Runde anfallen (Tabelle 2).
Treatmentgruppe (N = 142) | Kontrollgruppe (N = 141) | ||
---|---|---|---|
Runde 1 | 1 | Instruktionen und Verständnisfragen | Instruktionen und Verständnisfragen |
2 | Einfache Textaufgabe zur Eingewöhnung | Einfache Textaufgabe zur Eingewöhnung | |
3 |
Komplexe Textaufgabe: Ego-Depletion |
Einfache Textaufgabe | |
4 | Kurzer Fragebogen zur mentalen Verfassung | Kurzer Fragebogen zur mentalen Verfassung | |
5 | Möglichkeit ein Heißgetränk zu kaufen für einen Zins von 20 Prozent% | Möglichkeit ein Heißgetränk zu kaufen für einen Zins von 20 Prozent | |
Runde 2 | 6 | Einfache Textaufgabe zur Eingewöhnung | Einfache Textaufgabe zur Eingewöhnung |
7 |
Komplexe Textaufgabe: Ego-Depletion |
Einfache Textaufgabe | |
8 | Kurzer Fragebogen zur mentalen Verfassung | Kurzer Fragebogen zur mentalen Verfassung | |
9 | Möglichkeit ein Heißgetränk zu kaufen für einen Zins von 10 Prozent% | Möglichkeit ein Heißgetränk zu kaufen für einen Zins von 10 Prozent | |
10 | Langer Fragebogen | Langer Fragebogen | |
11 | Auszahlung der Aufwandsentschädigung (minus Getränkepreis und Zins) | Auszahlung der Aufwandsentschädigung (minus Getränkepreis und Zins) |
Anmerkungen: Der Ablauf des Experiments unterscheidet sich für die Treatment- und Kontrollgruppen nur zu zwei Zeitpunkten. Jeweils in Runde 1 und 2 sollen die TeilnehmerInnen der Treatmentgruppen für eine Weile komplexere Textaufgaben bearbeiten.
Quelle: Eigene Darstellung.
Das Experiment wurde im November und Dezember 2019 an der Technischen Universität Berlin mit 283 Personen durchgeführt. Die Treatment- und Kontrollgruppen wurden zufällig zusammengesetzt und unterscheiden sich nicht in ihren beobachtbaren Charakteristika. Unterschiede in den finanziellen Entscheidungen können damit allein auf die unterschiedliche Ego-Depletion zurückgeführt werden.
In dem Experiment erwerben 22 Prozent der TeilnehmerInnen ein Heißgetränk auf Kredit. Personen aus der Treatmentgruppe nehmen öfter den Konsumentenkredit auf, insbesondere in der teureren ersten Runde des Experimentes. Hier geben sie durchschnittlich 53 Prozent mehr aus als die TeilnehmerInnen aus der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der Berechnung zeigen, dass es für eine Person der Treatmentgruppe im Durchschnitt 6,83 Prozentpunkte wahrscheinlicher ist, den teuren Spontan-Kauf auf Kredit zu tätigen (Tabelle 3). Obwohl dieser durchschnittliche Effekt des Treatments statistisch nicht signifikant ist, reagieren die TeilnehmerInnen unterschiedlich stark auf die Beeinflussung ihrer Selbstkontrolle. In dem Experiment wurden im Rahmen eines Fragebogens auch Fragen zu finanzieller Bildung gestellt. Es zeigt sich, dass diejenigen, die ego-depleted sind, also vorrübergehend weniger Energie zur Ausübung von Selbstkontrolle haben, und gleichzeitig unterhalb des Medians beim Finanzwissen liegen, deutlich häufiger spontan Schulden aufnehmen. Ihre Wahrscheinlichkeit ist durchschnittlich 23 Prozentpunkte höher als für diejenigen mit hoher finanzieller Bildung in der Treatmentgruppe. Dieser Koeffizient ist statistisch hoch signifikant auf dem Fünf-Prozent-Niveau.
Abhängige Variable: Kauf eines Heißgetränks in Runde 1 für einen Zins von 20 Prozent
Geschätzte Koeffizienten (Einfache Regressionsgleichung) | ||
---|---|---|
Einflussgröße | Koeffizient | Standardfehler |
Treatment | 0,0683 | 0,0495 |
Beobachtungszahl | 236 | |
Geschätzte Koeffizienten (Regressionsgleichung mit einer Interaktion des Treatments mit niedriger finanzieller Bildung) | ||
Treatment | −0,0481 | 0,0681 |
Finanzielle Bildung < Median | −0,0440 | 0,0707 |
Interaktion: Treatment und zusätzlich finanzielle Bildung < Median | 0,231** | 0,0977 |
Beobachtungszahl | 236 |
Anmerkungen: Die Ergebnisse basieren auf einer multivariaten linearen Regression mit Kontrollvariablen, die hier nicht dargestellt werden. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau des Unterschieds zwischen der Treatmentgruppe und der Kontrollgruppe. Je mehr Sternchen, desto genauer: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf-, und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesebeispiel: TeilnehmerInnen in der Treatmentgruppe haben eine um knapp sieben Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit ein Heißgetränk in Runde 1 zu kaufen. Dieser Effekt ist statistisch nicht signifikant. Verfügen die TeilnehmerInnen jedoch zusätzlich über eine finanzielle Bildung unterhalb des Medians, haben sie eine um 23 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit einen Kauf zu tätigen – im Vergleich zu denjenigen mit höherer finanzieller Bildung. Dieser Unterschied ist im statistischen Sinne signifikant.
Quelle: Eigene Berechnungen.
Insgesamt ergeben sich Hinweise darauf, dass geringe Selbstkontrolle einen kausalen Effekt auf spontane Kaufentscheidungen mittels Krediten hat. Dieser Effekt ist für diejenigen mit niedriger finanzieller Bildung statistisch signifikant. Im Umkehrschluss deutet dies darauf hin, dass finanzielle Bildung vor Ego-Depletion und/oder deren Folgen zu schützen vermag.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hatten zwar weitreichende Konsequenzen für Beschäftigte und Selbstständige in Deutschland, bislang kam es allerdings zu keinem Anstieg der Überschuldungsquoten. Die vorgestellten Ergebnisse aus der SOEP-CoV-Studie zeigen aber, dass ein großer Anteil der Deutschen sich dennoch Sorgen um die eigenen Finanzen macht. Eine repräsentative Haushaltsbefragung zeigt zudem, dass mangelnde Selbstkontrolle und geringe finanzielle Bildung mit höheren Zahlungsschwierigkeiten bei Konsumentenkrediten verbunden sind. Ein kausaler Effekt zwischen mangelnder Selbstkontrolle und Verschuldung wird durch ein ökonomisches Experiment bestätigt. Dieser Effekt ist besonders stark für Personen mit geringer finanzieller Bildung. Wichtig sind daher der Verbraucherschutz bei Kreditbedingungen und ein nationales Engagement für mehr Finanzwissen wie es bereits von der OECD empfohlen wird.Siehe auch Lukas Menkhoff und Doris Neuberger (Hrsg.) (2021): Finanzielle Bildung: Was soll die Politik tun? Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung (VJH), 90 (1).
Themen: Verteilung, Verbraucher, Ungleichheit, Finanzmärkte, Bildung
JEL-Classification: D14;G51;C91
Keywords: household finance, over-indebtedness, consumer debt
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-25-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235745