DIW Wochenbericht 26 / 2021, S. 453
Karsten Neuhoff, Erich Wittenberg
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Herr Neuhoff, was versteht man unter dem Begriff Kreislaufwirtschaft? Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist, dass Materialien effizient und lange genutzt und am Ende ihres Lebenszyklus wieder eingesetzt werden, um neue Produkte daraus zu machen. Das heißt, wir halten das Material so lange wie möglich im Kreislauf, um damit den Abbau von Ressourcen zu reduzieren und vor allem den großen Energieaufwand und damit die CO2-Emissionen bei der primären Herstellung von Materialien zu reduzieren.
Welche Bedeutung hat die Kreislaufwirtschaft für die Klimaneutralität? Die Kreislaufwirtschaft spielt für die Klimaneutralität eine sehr wichtige Rolle. Beispielsweise erzeugt die Herstellung von einer Tonne Kunststoff fast zwei Tonnen CO2, und beim Verbrennen entstehen noch einmal fast drei Tonnen CO2. Rund zwei Drittel der Kunststoffe werden heutzutage am Ende des Lebenszyklus verbrannt. Somit verursacht eine Tonne Kunststoff fast fünf Tonnen CO2-Emissionen, wenn sie nicht in der Kreislaufwirtschaft ist.
Ein Schwerpunkt Ihres Berichts ist ein verbessertes Recycling von Grundstoffen, insbesondere von Kunststoffverpackungen. Wo liegen diesbezüglich die größten Probleme? Wenn heutzutage Kunststoff primär hergestellt wird, dann sind zwar die Raffinerien und Chemiewerke im Emissionshandel erfasst, aber sie bekommen ihre CO2-Zertifikate kostenlos, das heißt, die CO2-Kosten sind nicht in den Grundstoffpreisen abgebildet. Weiterhin haben die Hersteller ein Interesse daran, den Kunststoffen viele Additive zur Verbesserung spezifischer Materialeigenschaften beizumengen, doch durch diese Zugaben wird das spätere Recycling der Kunststoffe schwierig, weil es viel zu viele unterschiedliche Kunststoffe gibt. Die Kunden wiederum kaufen Produkte, bei denen die Kaufpreise nicht berücksichtigen, welche Kosten die Materialien am Ende des Lebenszyklus verursachen. Die Entsorgungswirtschaft zahlt für die Verbrennung von Kunststoffen keine CO2-Abgaben, weil die Müllverbrennungsanlagen größtenteils vom CO2-Handel ausgeschlossen sind. Das heißt, entlang der gesamten Wertschöpfungskette fehlen die wichtigen Anreize zur Zirkularität. Das spiegelt sich darin wieder, dass wir im Endeffekt weniger als 20 Prozent der Kunststoffe in Deutschland stofflich wiederverwenden.
Welche politischen Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Recyclingquote zu erhöhen? Wir müssen zunächst einmal Rahmenbedingungen schaffen, damit Recycling überhaupt sinnvoll möglich ist. Das heißt, die CO2-Kosten müssten bei der Produktion und bei der Verbrennung voll internalisiert werden und dann durch die Gebührenordnung des dualen Systems auch für die Hersteller von Produkten relevant werden. Zweitens erscheint es uns sehr wichtig, dass wir die Vielzahl der verwendeten Kunststoffe so stark reduzieren, dass sie auf die notwendigen Plastiksorten reduziert werden, damit das für das Recycling notwendige Sortieren dieser Stoffe besser möglich ist. Dementsprechend müsste auch die Gebührenordnung des dualen Systems weiter entwickelt werden, um die Anreize für die Hersteller zu erhöhen. Drittens muss auch die Infrastruktur für eine verbesserte Abfallsammlung bereitstehen. Dafür sind Investitionen notwendig. Doch wenn Unternehmen nicht wissen, wie viel Rezyklate in Zukunft genutzt werden, scheuen sie sich solche Investitionen zu tätigen. Das heißt, es wäre wichtig, hier klare Zielvorgaben für die Politik, aber auch für Unternehmen zu setzen.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
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Themen: Umweltmärkte, Klimapolitik, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-26-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235749