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Mit der Flut kommt die Erkenntnis: Wir müssen handeln! Sofort! Kommentar

DIW Wochenbericht 31 / 2021, S. 528

Claudia Kemfert

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Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen. Leider. Idyllische Dörfer wurden über Nacht aus der Welt gespült. Hunderte Menschen verlieren ihre Heimat, ihr Hab und Gut, viele sogar ihr Leben. Es ist nicht so, als hätte die Wissenschaft nicht gewarnt. Aber niemand hat sich gewünscht, dass die öffentliche Erkenntnis mit solcher Brutalität erfolgt.

Seit über 40 Jahren legen KlimaforscherInnen eine Studie nach der anderen vor, die belegen, dass der Klimawandel menschengemacht ist und immer bedrohlichere Ausmaße annimmt. Die Erde heizt sich auf. Extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Überflutungen, Tornados, Hitze und Dürren nehmen immer weiter zu.

Die Folgen sind fatal: All diese Extremwetterereignisse verursachen enorme wirtschädliche Schäden, selbst wenn keine Menschen dabei sterben. Im Jahr 2002 gab es nach tagelangem Starkregen eine schreckliche Flutkatastrophe in Deutschland, Tschechien und Österreich. Bilanz: 45 Tote und mehr als zehn Milliarden Euro volkswirtschaftlicher Schaden. Ein Jahr später verursachte eine extreme Hitzewelle in ganz Europa einen volkswirtschaftlichen Schaden in ähnlicher Höhe und kostete sogar tausenden Menschen das Leben. Schon damals gab es intensive Diskussionen über Umwelt- und Klimaschutz. Wissenschaftliche Studien untersuchten die ökonomischen Wirkungen des Klimawandels. Und viele wissenschaftliche Studien – auch des DIW Berlin – bestätigten schon damals: Die Kosten den Nicht-Handelns sind weitaus höher als die Kosten des Handelns.

Die Politik reagierte. Europa legte die „20-20-20 Ziele“ vor: Bis zum Jahre 2020 sollten der Anteil erneuerbarer Energien bei 20 Prozent liegen, die Emissionen um 20 Prozent sinken und die Energieeffizienz um 20 Prozent verbessert werden. Es entstand jenes berühmte Foto von Kanzlerin Merkel mit Umweltminister Gabriel in roten Jacken vor Grönlands Eisbergen. Doch 2008 wurde die klimapolitische Aufbruchstimmung abrupt gestoppt. Nach der Finanzkrise musste sich die Klimapolitik „hinten anstellen“.

Im Jahr 2013 kostete die Flutkatastrophe die deutsche Volkswirtschaft fast 20 Milliarden Euro. Doch statt klimapolitischer Diskussionen dominierten diesmal Fake-News und Desinformationskampagnen der fossilen Industrie die Schlagzeilen. Warnende Stimmen der Wissenschaft wurden als „aktivistisch“ diffamiert. So wurde unnötig Zeit verplempert. Das macht es besonders bitter. Die Katastrophe Mitte Juli war ein Klima-Extremereignis mit Ansage. Die Kosten werden riesig sein. Aber wenigstens diskutieren wir endlich wieder über Ursachen und Wirkung. Wir stehen erst am Anfang vom globalen Klimawandel. Noch können wir handeln und die immer stärkere Häufung von Extremwetterereignissen bremsen. Damit retten wir Leben und sparen auch noch Geld. Zwei Dinge müssen wir unverzüglich anpacken: Katastrophenschutz und Klimaschutz.

Katastrophenschutz ist notwendig zur Anpassung an den fortschreitenden Klimawandel. Extreme Klimaereignisse werden wieder passieren. Also benötigen wir vorsorgende Maßnahmen gegen Überflutungen, extreme Hitze oder Dürren. Dafür brauchen wir grünere Städte, die Schatten spenden und Feuchtigkeit aufnehmen, weniger Bodenversiegelung, ausreichende Überflutungsflächen und mehr Deichschutz. Ein weiterer Schlüssel zur Risikovorsorge ist nachhaltige Landwirtschaft.

Und Klimaschutz ist notwendig, damit nicht alles noch viel schlimmer wird. Wir müssen den Super-Turbo einschalten: Die CO2-Emissionen so schnell wie möglich runter auf null senken, also Energiewende, Verkehrswende, Gebäudewende und Agrarwende. Wir haben keine Zeit mehr, nicht für Fake-News und auch nicht für „Whataboutism“. Weder „sollen die anderen zuerst“, noch „können wir uns das nicht leisten“ oder „es ist eh zu spät“. Es geht alles, wenn man will. Wir haben kein Erkenntnis-, wir haben nur ein Umsetzungsproblem. Die Zeit ist reif für echten Klimaschutz. Klimaschutz ist präventiver Katastrophenschutz. Und kluger Klimaschutz schafft soziale Gerechtigkeit. Wir müssen handeln. Sofort.

Der Kommentar ist am 17. Juli 2021 in der Tacheles-Kolumne von klimareporter.de erschienen.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

Themen: Klimapolitik

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