Vor allem Menschen in prosperierenden, sehr ländlichen Räumen engagieren sich für ein Ehrenamt: Interview

DIW Wochenbericht 35 / 2021, S. 580

Luise Burkhardt, Erich Wittenberg

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Frau Burkhardt, wie viele Menschen in Deutschland üben ein Ehrenamt aus und wo ist das ehrenamtliche Engagement am höchsten? Aktuell engagieren sich 32 Prozent, also rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland ab 17 Jahren ehrenamtlich. Wir haben uns die Unterschiede im Engagement in den ländlichen Räumen angeschaut und hier zeigt sich, dass sich besonders viele Menschen in sehr ländlichen Räumen mit guter sozioökonomischer Lage ehrenamtlich engagieren. Im Jahr 2017 waren hier 41 Prozent der Bevölkerung engagiert, das liegt weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt.

Wie ist es zu erklären, dass eine bessere sozioökonomische Lage mehr ehrenamtliches Engagement zur Folge hat? Diese prosperierenden Regionen zeichnen sich durch eine geringere Arbeitslosigkeit und einen höheren allgemeinen Bildungsstand aus. Sowohl Erwerbstätigkeit als auch eine hohe formale Bildung begünstigen die ehrenamtliche Beteiligung. Ein weiterer Grund könnte sein, dass diese strukturstarken Regionen attraktiver sind, gerade für junge, gut gebildete und potenziell engagierte Menschen. Diese finden hier ein größeres Angebot an Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten. Zudem sind diese Kommunen oft finanziell besser aufgestellt und können ehrenamtliche Strukturen besser finanziell unterstützen und fördern.

Betätigen sich mehr Männer oder mehr Frauen ehrenamtlich? Insgesamt sind Männer deutlich häufiger ehrenamtlich engagiert als Frauen. Allerdings sind Frauen mittlerweile deutlich öfter als früher engagiert. Die Annäherung des Engagements von Männern und Frauen gilt aber nicht für alle Regionen in Deutschland. Gerade in den sehr ländlichen Räumen mit guter sozioökonomischer Lage sind die Geschlechterunterschiede noch deutlich größer als in anderen Regionen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass in sehr ländlichen Regionen häufiger noch traditionelle Geschlechterrollen gelebt werden.

Welche Bedeutung hat der Erwerbsstatus für die Ausübung eines Ehrenamts? Auf dem Erwerbsmarkt werden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die natürlich auch für die ehrenamtlichen Tätigkeiten von Bedeutung sein können. Unsere Daten zeigen, dass Nichterwerbstätige deutlich seltener ehrenamtlich engagiert sind als Erwerbstätige. Das ist insbesondere in sehr ländlichen Räumen noch so. Es könnte auch sein, dass hier eine Stigmatisierung stattfindet, vor der sich Nichterwerbstätige fürchten, gerade in Gemeinden, in denen man sich gegenseitig kennt.

Welche Rolle spielen ethisch-moralische oder religiöse Einstellungen? Menschen, die regelmäßig die Kirche oder andere religiöse Veranstaltungen besuchen, sind häufiger in einem Ehrenamt tätig als Menschen, die das gar nicht oder seltener tun. Das kann zum einen den Grund haben, dass in den Weltreligionen die Werte der Nächstenliebe und der Orientierung am Gemeinwohl eine große Rolle spielen. Andererseits ist die Kirche auch ein großer Anbieter für ehrenamtliches Engagement. Menschen, die regelmäßig die Kirche besuchen, werden vielleicht auch einfach öfter gefragt, ob sie sich für ihre Gemeinde ehrenamtlich engagieren wollen.

Wie sollte oder könnte das Ehrenamt gestärkt werden? Das Ehrenamt ermöglicht die Mitgestaltung der Gesellschaft. Wenn Frauen oder Nichterwerbstätige hierzu keinen Zugang finden, dann sollte die Politik dort ansetzen. Gerade in den sehr ländlichen Regionen ist es zum Beispiel nötig, die digitale Infrastruktur auszubauen, um auch den Zugang zum Online-Engagement zu verbessern. Für die Frauen wäre es relevant, dass auch die Gleichberechtigung im Zugang zum ehrenamtlichen Engagement und zur Gestaltung der Gesellschaft erweitert wird.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Luise Burkhardt
Vor allem Menschen in prosperierenden, sehr ländlichen Räumen engagieren sich für ein Ehrenamt - Interview mit Luise Burkhardt

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