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Bundestagswahl: Wie wär’s mit einem „Triell“ zum Klima?

Medienbeitrag vom 3. September 2021

Nichts verbieten wollen wird die Erde nicht retten - die Parteien bleiben Antworten schuldig.

Dieser Gastbeitrag von Claudia Kemfert erschien am 1. September 2021 in der Frankfurter Rundschau.

Stell dir vor, es ist Klimawahl, aber niemand stellt die entscheidenden Fragen. Es gäbe viele, aber zwei sind unausweichlich:

1. Ist Ihnen bewusst, dass Deutschland sich schon 2015 verpflichtet hat, die Emissionen bis 2035 auf Null zu senken?

2. Was werden Sie in den nächsten vier Jahren tun, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten?

Wer diese beiden Fragen nicht klar und entschlossen beantwortet, macht alle anderen Fragen hinfällig. Leider wurden sie in der gerade beginnenden heißen Schlußphase des Wahlkampfes noch nirgends gestellt.

Zwar geht es endlich auch um wichtige Sachthemen. Doch schon die erste große TV-Debatte mit den drei Spitzenkandidat:innen – neudeutsch „Triell“ – offenbarte schonungslos, dass noch immer rückwärts statt vorwärts gedacht wird.
Die Klimaschutz-Thematik reduzierte sich auf zwei Fragen:Was wollen Sie verbieten? Und: Was müssen wir den Menschen zumuten? Doch solche Fragen sind unzureichend und irreführend.

Klimaschutz tut nicht weh - Kein-Klimaschutz tut weh

Nein, Klimaschutz tut nicht weh. Kein-Klimaschutz tut weh, wie die Menschen im überfluteten Ahrtal oder in den brennenden Regionen Südeuropas gerade sehr brutal lernen. Und vernünftige und demokratisch ausgehandelte staatliche Ordnungspolitik ist keine Diktatur, sondern das A und O des Rechtsstaates.

Die fehlenden oder falschen Fragen sind Teil des Problems, warum wir in den letzten 15 Jahren wider besseres Wissen derart unzureichenden Klimaschutz betrieben haben. Routiniert antworteten beim „Triell“ beide Kandidaten der jetzigen Regierungskoalition, verbieten und zumuten wolle man selbstverständlich gar nichts. Doch Nichtstun ist kein Regierungsauftrag. So blieb es der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vorbehalten, dem Publikum zu erklären, wie zukunftsorientierte Politik aussehen kann und muss.

Haben die Medien nicht verstanden, wie ernst die Lage ist?

Wer es wissen will, weiß: Es geht nicht um Verbote, es geht um Ermöglichungen. Die Ermöglichung, auch in der Zukunft auf einem lebbaren Planeten zu wohnen, nachhaltigen Wohlstand zu generieren und Frieden der Gesellschaften zu schaffen. Kluger Klimaschutz kann das. Klimawandel kostet Geld, Klimaschutz spart Geld. Es ist das Einmaleins politischen Unternehmertums: Jeder Euro, den wir jetzt investieren, spart 15 Euro Klimaschäden ein. Klimaschutz zahlt sich aus. Es sind Investitionen in enorme wirtschaftliche Chancen.

Leider stellen offenbar manche Medien die einschläfernde Wirkung alter Schlager über den aufregenden Thrill neuer Ideen. Oder haben sie nicht verstanden, wie ernst die Lage ist? Verzicht und Verbote werden uns nicht die Energie-, Gebäude- und Verkehrswende abverlangen, sondern die immer teurere Anpassung an den ungebremsten Klimawandel.

Klimaschutz - ein Fragenkatalog

Doch die Verdrängung von Problemen funktioniert nicht mehr. Die kommenden Krisen sind hausgemacht. Die Welt heizt sich kontinuierlich auf. Politik muss handeln. Es ist nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch, wie wir den menschengemachten Klimawandel endlich bremsen.

In den USA mussten sich in der Vorwahlzeit alle Kandidat:innen zur besten Sendezeit zwei Stunden zu einem spezifischen Thema grillen lassen. Wir haben noch zwei deutsche Wahl-„Trielle“ vor uns. Wie wär’s mit einer Spezialrunde zum Thema Klimaschutz?! Sie hätte nicht nur Aufklärungs-, sondern vor allem höchsten Unterhaltungswert. Hier ein paar Ideen für den garantiert anregenden Fragenkatalog:

Warum investieren Sie mit Nord Stream 2 in fossile Infrastruktur?

Die Einhaltung der Pariser Klimabeschlüsse erfordert laut Wissenschaft einen Kohleausstieg bis 2030 und eine Verdreifachung des Ausbautempos erneuerbarer Energien. Wie werden Sie dies umsetzen? Warum wurden bisher die Klimaziele verfehlt? Warum ist es unter der jetzigen Regierung nicht gelungen, die Emissionen ausreichend zu senken? Warum investieren Sie in neue fossile Infrastrukturen wie die Erdgas-Pipeline nach Russland?

Um nach dem reinen Marktprinzip ausreichend Emissionen zu senken, müsste – wie Studien belegen – der CO2-Preis statt bei 25 Euro mindestens bei 150 Euro pro Tonne CO2 liegen. Werden Sie diesen Preis einführen? Wenn nein, warum nicht? Wie und in welchen Schritten wollen Sie die Emissionen im Verkehrssektor reduzieren? Wann berufen Sie (statt den nächsten Auto-) den ersten Mobilitätsgipfel ein? Was sind Ihre Ideen für die Emissionsminderung im Gebäudesektor? Welche sektorenübergreifenden Klimaschutz-Maßnahmen planen Sie? Was werden Sie in den ersten 100 Tagen tun, um die zentralen Weichen zu stellen?

Klimaschutz mit der Sesamstraße

„Wer nicht fragt, bleibt dumm“, lernt jedes Kind singend mit der Sesamstraße. „Tausend tolle Sachen gibt es überall zu sehen. Manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen.“ Das gilt auch für den Klimaschutz. Es ist höchste Zeit, die richtigen Fragen zu stellen. Man muss sich nur trauen.

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