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Maßnahmen zur finanziellen Bildung wirken – Deutschland sollte nationale Strategie für finanzielle Bildung entwickeln

DIW Wochenbericht 38 / 2021, S. 643-650

Tim Kaiser, Lukas Menkhoff

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  • Deutschland hat als fast einziges OECD-Land keine nationale Strategie zu finanzieller Bildung – begründet wird dies unter anderem mit Zweifeln an der Wirksamkeit
  • Dieser Bericht untersucht die Wirksamkeit finanzieller Bildungsmaßnahmen
  • Die in einer systematischen Literaturrecherche identifizierten 76 randomisierten experimentellen Studien werden mit dem Verfahren der quantitativen Metaanalyse untersucht
  • Finanzielle Bildung hat einen signifikant positiven Effekt auf das Finanzwissen und das Finanzverhalten
  • Wie von der OECD empfohlen, sollte daher eine Strategie zur finanziellen Bildung in Deutschland entwickelt werden

„Unsere Metastudie konnte die Hypothese einer fehlenden Wirksamkeit finanzieller Bildung entkräften. Nun steht der Entwicklung einer nationalen Strategie für finanzielle Bildung in Deutschland die Sorge um fehlende Wirksamkeit nicht mehr im Weg.“ Lukas Menkhoff

Die OECD empfiehlt die Implementierung nationaler Strategien für finanzielle Bildung. Auch viele weitere Länder, wie China und Indien, verfügen inzwischen über entsprechende Strategien, nicht hingegen Deutschland. Der stärkste Grund für eine ablehnende Haltung ist die Hypothese mangelnder Wirksamkeit von finanziellen Bildungsinterventionen. Diese Hypothese wird hier anhand aller verfügbaren, randomisierten Experimentalstudien untersucht und eindeutig abgelehnt. Finanzielle Bildungsinterventionen sind im Durchschnitt signifikant wirksam und das Ausmaß ist ähnlich zu vergleichbaren (Bildungs-)Interventionen. Dies schließt die Möglichkeit ein, dass einzelne Interventionen auch scheitern können; allerdings handelt es sich dabei um Ausnahmen. Finanzielle Bildung wirkt auch, wenn sie von kurzer Dauer ist, wenn ihre Wirksamkeit erst nach mehr als einem Jahr überprüft wird, wenn die Umstände schwierig sind und die Vermittlungsansätze konventionell bleiben. Das Argument der fehlenden Wirksamkeit ist daher entkräftet und die Politik kann vor diesem Hintergrund die OECD-Empfehlungen umsetzen.

Seit 2005 empfiehlt die OECD ihren Mitgliedsländern, finanzielle Bildung verbindlich in Schulcurricula aufzunehmen.infoOECD (2005): Recommendations on Principles and Good Practices for Financial Education, OECD Publishing. Inzwischen haben fast alle OECD-Mitglieder nationale Strategien zur finanziellen Bildung eingeführt. Seit 2012 werden zudem im Rahmen der OECD-Schulvergleichsstudie PISA auch Ergebnisse zur finanziellen Bildung erhoben.

Deutschland bleibt in diesen Entwicklungen jedoch zurück: Hierzulande gibt es kein bundesweites Schulfach für die finanzielle oder ökonomische Bildung. Als eines von zwei OECD-Ländern hat Deutschland zudem keine nationale Strategie für finanzielle Bildung und als eines von 18 OECD-Ländern nimmt Deutschland nicht am PISA-Vergleich zu finanzieller Bildung bei SchülerInnen teil.infoFür die Länder mit Strategien zu finanzieller Bildung siehe OECD (2015): National Strategies for Financial Education, OECD/INFE Policy Handbook, OECD Publishing; für die teilnehmenden Länder am PISA-Modul zu finanzieller Bildung siehe OECD (2020): PISA 2018 Results: Are Students Smart about Money? OECD Publishing. Offenbar gibt es hierzulande Vorbehalte gegen Maßnahmen der finanziellen Bildung. Neben einer Debatte um Bildungsziele (auf die hier nicht ausführlich eingegangen werden kann), ist das stärkste Gegenargument eine angenommene fehlende Wirksamkeit.infoIn der wissenschaftlichen Literatur wird dafür häufig herangezogen: Daniel Fernandes, John G. Lynch und Richard G. Netemeyer (2014): Financial Literacy, Financial Education, and Downstream Financial Behaviors. Management Science, 60 (8), 1861–1883. Diese Hypothese wird im Folgenden getestet und auf Grundlage der verfügbaren Evidenz entkräftet.

Mittels Metastudie wird vorhandene Evidenz systematisch gebündelt und ausgewertet

Die diesem Bericht zugrunde liegende wissenschaftliche Untersuchung sammelt zunächst alle bestehenden empirischen Studien zur Wirksamkeit finanzieller Bildung, die hohen methodischen Standards genügen.infoDieser Bericht basiert auf folgender Studie: Tim Kaiser, Annamaria Lusardi, Lukas Menkhoff und Carly Urban (im Erscheinen): Financial Education Affects Financial Knowledge and Downstream Behaviors. Journal of Financial Economics; DIW Discussion Paper Nr. 1864 (frühere Fassung, online verfügbar, abgerufen am 1. September 2021; dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders angegeben). Die Ergebnisse dieser Studien werden mit den Methoden einer quantitativen Metaanalyse zusammengefasst und ausgewertet. Dadurch lässt sich ein systematischer Literaturüberblick gewinnen und schließlich die Frage beantworten, ob finanzielle Bildung tatsächlich wirksam ist. Aufgrund einer stark wachsenden Literatur im Bereich finanzieller Bildung eignet sich das Verfahren der quantitativen Metastudie besonders gut (Abbildung 1).infoDie grundsätzliche Alternative zu einer Metastudie ist ein qualitativer Literaturüberblick, vgl. Annamaria Lusardi und Olivia Mitchell (2014): The Economic Importance of Financial Literacy: Theory and Evidence. Journal of Economic Literature, 52 (1), 4–44. Dieser hat den Nachteil, dass eine große Studienmenge nicht mehr einheitlich verarbeitet werden kann und die Schlussfolgerungen immer subjektive Einschätzungen der AutorInnen beinhalten. Die Literatur wächst im Feld der finanziellen Bildung sehr stark (Abbildung 1). Deshalb wird aus methodischen Gründen das Verfahren einer quantitativen Metastudie genutzt.

76 Studien zu finanzieller Bildung bilden die Basis der Metastudie

Der Anspruch einer Metastudie ist, die gesamte relevante Literatur einzubeziehen. Deshalb werden zahlreiche Datenbanken durchsucht, um eine möglichst vollständige Übersicht zu gewinnen. Im vorliegenden Fall werden drei Einschlusskriterien angewendet: Erstens müssen die Studien einen kausalen Effekt von Bildungsinterventionen auf finanzielles Wissen und/oder finanzielles Verhalten von Personen berichten. Zweitens muss eine zufällige Zuordnung von betrachteten Personen zu der Interventions- oder einer Kontrollgruppe erfolgen. Drittens müssen die Studien über die quantitative Wirkung berichten, sodass eine Effektstärke sowie der zugehörige Standardfehler aus den Studien entnommen werden können. Diese drei Kriterien werden von randomisierten Experimenten mit Kontrollgruppe (Randomized Controlled Trials, RCT) erfüllt. Solche Experimente messen die Wirkung von Interventionen sehr präzise und weisen empirisch eine tendenziell geringere Effektivität aus als weniger anspruchsvolle methodische Messungen, wie etwa einfache Vorher-Nachher-Vergleiche.infoVgl. bspw. Tim Kaiser und Lukas Menkhoff (2017): Schlechte Evaluierung rentiert sich kaum: Lehren aus dem Bereich der finanziellen Bildung. DIW Wochenbericht Nr. 26, 531–538 (online verfügbar).

Aufgrund dieser drei Kriterien sind im Januar 2019 insgesamt 76 randomisierte Experimente (RCTs) identifiziert worden, an denen mehr als 160000 Personen teilgenommen haben. Die Studien berichten aus 33 Ländern, unter denen die meiste Evidenz aus den USA und die zweitmeiste aus Indien kommt. Entwicklungsländer dominieren mit gut 60 Prozent, aber Deutschland und Österreich sind ebenfalls in den Daten vertreten. Die mittlere Studiengröße umfasst 840 Teilnehmende, die im Schnitt 33,5 Jahre alt sind. Die durchschnittliche Intervention dauert 11,7 Stunden und ihr Erfolg wird etwa sieben Monate nach der Intervention gemessen, mit erheblicher Bandbreite.

Um Ergebnisse verschiedener Studien vergleichen zu können, müssen Effekte standardisiert werden

Studien zu Interventionen im Bereich der finanziellen Bildung untersuchen in aller Regel nicht nur Effekte auf ein spezifisches Wissen oder Verhalten, sondern adressieren ein Bündel an interessierenden Auswirkungen. Geht es zum Beispiel um Interventionen in Entwicklungsländern, wird häufig untersucht, ob Teilnehmende erstmals ein formales Bankkonto eröffnen, ob sie Geld „unter der Matratze“ auf ein (formales oder informelles) Sparbuch einzahlen und/oder insgesamt ihre Ersparnisse steigern. In diesem Fall ergeben sich drei quantifizierbare Ziele, sodass in einem RCT in diesem vereinfachten Fall drei Effekte untersucht werden können.infoIn der exakten Modellierung werden im genannten Fall die Effekte nicht als vollkommen unabhängig voneinander behandelt (Kasten).

Die exakte Messung solcher Effekte kann zwar variieren, jedoch wird stets verglichen, wie sich die Interventionsgruppe relativ zur Kontrollgruppe verhält. Um obiges Beispiel aufzunehmen, mögen die Ersparnisse der Interventionsgruppe im Durchschnitt um 100 US-Dollar und die der Kontrollgruppe um 25 US-Dollar steigen, so dass die Intervention einen relativen Vorteil von 75 US-Dollar ergibt. Um Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen untersuchten Größen herzustellen, wird der beobachtete Effekt üblicherweise zur Streuung der Veränderung in der Kontrollgruppe in Beziehung gesetzt (hier beispielhaft 750 US-Dollar). Die relative Stärke einer Veränderung in Beziehung zur Streuung (Standardabweichung, SD) wäre im vorliegenden Beispiel 0,1 SD oder zehn Prozent einer Standardabweichung der Kontrollgruppe. Man spricht hierbei von Effekten in Form einer standardisierten Mittelwertdifferenz (SMD), also in vergleichbaren Standardabweichungseinheiten.

Im vorliegenden Fall berichten die 76 RCTs insgesamt 673 Effekte. 50 Studien berichten 215 Effekte auf das finanzielle Wissen und 64 Studien berichten 458 Effekte auf das finanzielle Verhalten. Im Durchschnitt über 673 Beobachtungen und ohne weitere Bereinigungen ergibt dies eine Effektstärke finanzieller Bildungsmaßnahmen von 0,123 Standardabweichungseinheiten, die auf dem 95-Prozent-Niveau statistisch signifikant ist. Diese Zahl liefert zwar einen ersten Hinweis auf die Wirksamkeit finanzieller Bildung. Allerdings handelt es sich um eine stark vereinfachte Berechnung, die wichtige methodische Aspekte außer Acht lässt.

Bei dieser einfachen Berechnung wurde beispielsweise die Wirksamkeit über alle erfassten Studien hinweg als einfacher Durchschnitt berechnet. Auch wenn dieses Verfahren in der Literatur verwendet wird,infoZum Beispiel David Card, Jochen Kluve und Andrea Weber (2018): What Works? A Meta Analysis of Recent Active Labor Market Program Evaluations. Journal of the European Economic Association, 16 (3), 894–931. bevorzugen die meisten WissenschaftlerInnen keine Gleichgewichtung der Studien oder Effekte, sondern favorisieren eine stärkere Gewichtung präziser geschätzter Effekte. In der folgenden Untersuchung wird eine derartige Gewichtung vorgenommen.infoPräzision wird meist als eine möglichst niedrige Varianz der einzelnen Studienergebnisse verstanden, so dass Studien mit einer größeren Zahl an TeilnehmerInnen tendenziell mehr Gewicht bekommen. Konkret werden Effekte hier mit ihrer inversen Varianz gewichtet.

Zudem werden im Folgenden weitere methodische Annahmen getroffen, um eine möglichst realistische Schätzung der Wirksamkeit finanzieller Bildung zu erhalten. Hierzu gehört beispielsweise die Annahme, dass es in Wirklichkeit nicht nur einen einzigen „wahren“ Effekt gibt, sondern eine Bandbreite an Effekten („Random Effects“, Details zur Methodik siehe Kasten).infoDie Annahme eines einheitlichen Effekts entspricht nicht der bisherigen Literatur zur finanziellen Bildung. Diese ist sehr heterogen, umfasst alle Altersgruppen, ganz unterschiedliche Intensitäten, verschiedene Vermittlungsformen usw. Folglich scheint ein empirisches Modell, das verschiedene wahre Effekte zulässt, weitaus angemessener.

Die betrachteten Studien berichten sowohl mit Messfehlern behaftete Ergebnisse als auch Ergebnisse zu unterschiedlichen „wahren Effekten“. Die Herausforderung bei Metaanalysen ist, diese zwei Ursachen von Varianz zu unterscheiden und in der Gewichtung der Studien zu berücksichtigen. Dass Studien nicht nur ein einziges, sondern meist mehrere Ergebnisse berichten, muss zudem berücksichtigt werden.

Grundlage dieses BerichtsinfoDetails zur Methodik finden sich in Kaiser et al. (im Erscheinen), a.a.O. ist ein Modell aus der Literatur:infoLarry V. Hedges, Elizabeth Tipton und Matthew C. Johnson (2010): Robust Variance Estimation in Meta regression with Dependent Effect Size Estimates. Research Synthesis Methods, 1 (1), 39–65. Betrachtet wird eine Reihe von j RCTs, die jeweils eine Zahl i Effekte (y) auf finanzielles Verhalten berichten. Hierzu wird ein Regressionsmodell formuliert, mit dem der Mittelwert der Verteilung von heterogenen Effekten (β0) geschätzt werden kann und das dabei zwei Arten von Fehlertermen (υj, ϵij) berücksichtigt:

yij=β0±υj+ϵij

Der erste Fehlerterm (υj) ist studienspezifisch. Der zweite Fehlerterm ist ein (zufälliger) Stichprobenfehler ϵij. Nach Ermittlung der Varianz für jeden Effekt (σij2) und der Schätzung des sogenannten Heterogenitätsparameters (τ2) wird die Gleichung in einer gewichteten Regression (WLS) geschätzt. Als Regressionsgewichte dienen eine Kombination aus den beobachteten Varianzen und dem Heterogenitätsparameter. Im konkreten Fall mit mehreren potentiell korrelierten Effekten pro Studie wird zusätzlich die Anzahl der Effekte (k) pro Studie und eine durch den Stichprobenfehler induzierte Korrelation der Effekte innerhalb der Studien angenommen (ρ). Formal werden die Gewichte (wij) für jeden Effekt wie folgt berechnet:

wij=τ2±1kjkj=1kiσij21+kj-1ρ-1

Die Standardannahme hierbei ist ρ = 0.8, aber die Ergebnisse sind nahezu identisch für alle Werte zwischen 0 und 1.infoDiese allgemeine Formel umfasst auch das alternative Modell, das einen einheitlichen „wahren Effekt“ annimmt (τ2=0). In diesem speziellen Fall reduzieren sich die Gewichte auf eine Kombination aus der Anzahl der Effekte pro Studie und deren Varianzen.

Ergebnisse zeigen robust die Wirksamkeit finanzieller Bildungsmaßnahmen

Das methodisch präferierte Modell („Random Effects“, gewichtet) zeigt für die definierten Studien eine Effektstärke bezogen auf das finanzielle Wissen von rund 0,2 SD-Einheiten. Bezogen auf das finanzielle Verhalten beträgt der Wert etwa 0,1 (Abbildung 2). Beide Werte sind statistisch signifikant. Der schwächere Effekt auf das Verhalten ist in der Literatur belegt und nachvollziehbar, da Wissen einfacher zu vermitteln ist als Verhalten zu ändern. Die Größenordnung dieser Effektstärken passt außerdem gut zur Wirksamkeit von Interventionen im Bildungsbereich, wenn sie mit Testleistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und LeseverständnisinfoBspw. Carolyn J. Hill et al. (2008): Empirical Benchmarks for Interpreting Effect Sizes in Research. Child Development Perspectives, 2 (3), 172–177. oder Verhaltensänderungsinterventionen im Gesundheitsbereich verglichen werden.infoBspw. Seth M. Noar, Christina N. Benac und Melissa S. Harris (2007): Does Tailoring Matter? Meta-analytic Review of Tailored Print Health Behavior Change Interventions. Psychological Bulletin, 133 (4), 673–693.

Eine durchschnittlich signifikante Wirksamkeit wird auch festgestellt, wenn andere Modelle und Annahmen verwendet werden: Bei Annahme nur eines einheitlichen „wahren“ Effekts sinken die Effektstärken deutlich, was bei tatsächlich heterogenen Effekten zu erwarten ist („Einheitlicher Effekt, gewichtet“ in Abbildung 2). Bei Gleichgewichtung aller Effekte („ungewichtet“) sind die durchschnittlichen Effektstärken leicht unterhalb der gewichteten Random-Effects-Schätzung. Zusammenfassend ist jedoch festzustellen, dass finanzielle Bildung im Durchschnitt deutlich wirkt, gleichgültig mit welchem der Modelle geschätzt wird.

Finanzielle Bildung meist wirksam – nur wenige Ausnahmen

Dieser durchschnittlichen Wirksamkeit wird manchmal entgegengehalten, dass es auch Beispiele für Fehlschläge entsprechender Interventionen in der Literatur gibt. Interventionen können scheitern und nichts bewirken, im Grenzfall sogar entgegengesetzte Effekte zeigen.

Im vorliegenden Datensatz sind die allermeisten gemessenen Effektstärken positiv. Höhere negative Effekte treten fast nur bei Studien mit relativ wenigen Teilnehmenden auf. Zusammenfassend lässt sich daher aus der vorhandenen Studienlage festhalten, dass finanzielle Bildung meist wirkt, sie manchmal nichts bewirkt und sie nur sehr selten schadet.

Budgetierungs- und Sparverhalten reagieren am stärksten auf finanzielle Bildung, Verschuldungsverhalten am wenigsten

Eine genauere Untersuchung der fünf Verhaltensbereiche, die finanzielle Bildung im Idealfall beeinflussen sollte, zeigt deutliche Unterschiede in der Wirksamkeit der Bildungsmaßnahmen. In der Reihenfolge der Anzahl gemessener Effekte sind die fünf Hauptbereiche: Sparverhalten (mit 253 Effekten), VerschuldungsverhalteninfoBei Privatpersonen sollte durch finanzielle Bildung etwa Überschuldung vermieden werden, bei KleinunternehmerInnen geht es um die investive statt konsumtive Nutzung von Krediten. (115), Budgetierungsverhalten (55), Umgang mit Versicherungen (18) und Geldüberweisungen in die Heimat (17).

Das Budgetierungsverhalten weist die höchsten Effekte auf (Abbildung 3). In diesem Bereich geht es tendenziell um leicht zu erlernende und kostengünstige Verhaltensanpassungen, wie etwa die Führung eines Haushaltsbuchs. Die Stärke des Effekts ist daher plausibel. Im Vergleich dazu sind Versicherungen und Geldüberweisungen durch MigrantInnen in die Heimat schlecht erforscht, wie die großen Konfidenzbänder und die geringe Anzahl der vorliegenden Studien zeigen.

Interessant ist der Gegensatz zwischen hoher Effektstärke beim Sparen (0,1) und der geringen (knapp insignifikanten) Effektstärke beim Verschuldungsverhalten (0,04). Dieses Ergebnis zeigt, dass die Beeinflussung des Verschuldungsverhaltens durch finanzielle Bildung offenbar besonders schwer ist. Manche Studien zeigen sogar, dass ein Mehr an finanzieller Bildung zu mehr (konsumtiver) Kreditaufnahme und schlechterer Rückzahlung führt.infoMiriam Bruhn et al. (2016): The Impact of High School Financial Education: Evidence from a Large-scale Evaluation in Brazil. American Economic Journal: Applied Economics, 8 (4), 256–295; Tim Kaiser und Lukas Menkhoff (2021): Active Learning Improves Financial Education: Short- and Long-term Experimental Evidence, mimeo, DIW Berlin. Grund hierfür könnte sein, dass die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden. Aus der derzeitigen Studienlage ist jedoch unklar, ob dies das entscheidende Problem ist und wie man es gegebenenfalls beheben könnte. Festzuhalten bleibt, dass der uneinheitliche Befund beim Verschuldungsverhalten die Ausnahme darstellt.

Wirksamkeit finanzieller Bildung trotz Publikationsverzerrung bestätigt

Generell bleibt zu beachten, dass die hier betrachteten, publizierten Ergebnisse positiv verzerrt sein könnten. Solch eine systematische Verzerrung wird Publikationsverzerrung genannt. Demzufolge werden eher statistisch signifikante Ergebnisse publiziert als solche, die nicht signifikant sind. Diese Verzerrung ist auch in der Wirtschaftswissenschaft gut dokumentiert.infoJohn P. A. Ioannidis, Tom D. Stanley und Hristos Doucouliagos (2017): The Power of Bias in Economics Research. Economic Journal, 127 (605), F236–F265. Vermutlich liegt die Verzerrung darin begründet, dass für nicht signifikante Ergebnisse geringere Publikationschancen gesehen werden und diese Ergebnisse deshalb seltener berichtet werden.

Methodisch kann solch eine Publikationsverzerrung auf verschiedene Weisen dokumentiert werden. Bezogen auf das Feld finanzieller Bildung ist diese Verzerrung beispielsweise in einer graphisch inspirierten Analyse nachgewiesen worden, allerdings bleibt die Wirksamkeit erhalten.infoVgl. Online Appendix zu Tim Kaiser und Lukas Menkhoff (2017a): Does Financial Education Impact Financial Literacy and Financial Behavior? World Bank Economic Review 31(3), 611–630. Die Publikationsverzerrung spielt also eine Rolle und beschönigt tendenziell das Ausmaß der Wirksamkeit finanzieller Bildung.

Um abzuschätzen, wie groß die mögliche Verzerrung im vorliegenden Fall ist, wird ein statistischer TestinfoIsaiah Andrews und Maximilian Kasy (2019): Identification of and Correction for Publication Bias. American Economic Review, 109 (8), 2766–2794. herangezogen. Dieser Test sagt aus, wieviel wahrscheinlicher in publizierten Studien das wichtige Signifikanzniveau von fünf Prozent knapp erreicht statt verfehlt wird. Würden alle Ergebnisse publiziert, dann sollten Signifikanzwerte genauso wahrscheinlich über wie unter fünf Prozent liegen. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch klare Häufungen von Effekten an den Schwellenwerten für statistische Signifikanz. Studien mit statistisch insignifikanten Ergebnissen werden im Vergleich zu Studien mit signifikanten Ergebnissen lediglich mit 30 Prozent (finanzielles Verhalten) beziehungsweise 15 Prozent (finanzielles Wissen) Wahrscheinlichkeit publiziert.

Wird für eine Publikationsverzerrung in der vorliegenden Metaanalyse entsprechend korrigiert, ergibt sich eine korrigierte durchschnittliche Effektstärke von 0,057 für das Finanzverhalten und von 0,15 für das Finanzwissen, beide auf dem Fünf-Prozent-Niveau signifikant. Dieses korrigierte Ergebnis zeigt, dass die Wirksamkeit finanzieller Bildungsmaßnahmen bei Korrektur einer möglichen Publikationsverzerrung zwar etwas kleiner, aber weiterhin positiv und signifikant ausfällt.

Ergebnisse weitestgehend konsistent mit anderen Metastudien zu finanzieller Bildung

Die Ergebnisse der vorliegenden Metaanalyse verstärken den Befund anderer Metastudien, wonach finanzielle Bildung wirksam ist.infoWegen der Vergleichbarkeit werden nur Metastudien betrachtet, die eine Wirkung auf das finanzielle Verhalten berücksichtigen. Fernandes et al. (2014) hatten auf einer geringen Basis von 15 RCTs nur einen kleinen positiven, aber nicht signifikanten Effekt in Höhe von ca. 0,02 Effektstärken gefunden. Miller et al. (2015) erfassen 20 RCTs mit einer Effektstärke von durchschnittlich 0,04. Kaiser und Menkhoff (2017) errechnen auf Basis von 40 RCTs eine Effektstärke von 0,06. Zum Vergleich ergibt sich hier für 64 RCTs eine (unkorrigierte) Effektstärke von 0,10. Vgl. Fernandes et al. (2014) a.a.O.; Margret Miller, J Reichelstein, C Salas und Bilal Zia (2015): Can You Help Someone Become Financially Capable? A Meta-analysis of the Literature. World Bank Research Observer, 30 (2), 220–246; Kaiser und Menkhoff (2017a), a.a.O. In der Summe haben die Ergebnisse eine vergleichbare Größenordnung.infoDie entscheidende Ausnahme ist Fernandes et al. (2014), a.a.O. Im Rahmen einer Replikation lassen sich kleine Fehler in der Kodierung der Studien nachweisen. Allein deren Korrektur oder die Verwendung eines anderen empirischen Modells oder aber die Berücksichtigung einiger weiterer jüngerer Studien genügen jeweils, um statt einem insignifikanten Ergebnis ein positiv signifikantes zu erzielen. Vgl. Kaiser et al. (im Erscheinen), Anhang D, a.a.O. Über die Zeit hinweg mag es eine leicht steigende Tendenz der Effektstärken geben, die entweder ein Lernen bei der Konzeption von Studien anzeigt oder aber eine zunehmende Publikationsverzerrung. Das quantitative Verfahren der Metastudie macht – im Gegensatz zu einem rein qualitativen Literaturüberblick – die Ursachen für divergierende Einschätzungen nachvollziehbar. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Wirksamkeit finanzieller Bildungsmaßnahmen gut belegt ist.

Hinweise für wirtschaftspolitische Umsetzung

Aus der Tatsache, dass finanzielle Bildung verlässlich wirkt, können zunächst noch keine konkreten wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Zwar liegen 76 RCTs vor, aber diese sind so heterogen, dass sich schwer im Detail vergleichen lässt, warum die Wirksamkeit im Einzelfall höher oder niedriger ausfällt. Dennoch sind zusammenfassend zu vier Charakteristika dieser Studien Aussagen möglich, die bei der wirtschaftspolitischen Umsetzung berücksichtigt werden sollten.

Intensivere finanzielle Bildung verbessert Finanzverhalten stärker

Eine höhere Intensität der Bildungsintervention hilft für das Finanzverhalten, nicht jedoch unbedingt für das Finanzwissen. Die Mittelwerte der Effektstärken (Finanzverhalten) in den drei unterschiedenen Intensitätsgruppen steigen mit zunehmender Dauer der Intervention klar an (Tabelle, Panel a). Allerdings sind die Mittelwerte nicht immer signifikant unterschiedlich voneinander. Zugunsten der Wirkung steigender Intensität ist anzuführen, dass umfangreichere Interventionen in aller Regel auch mehr Ziele verfolgen, so dass die verfügbare Zeit pro Ziel nicht so stark zunimmt wie die hier gemessene Zeit pro Studie.

Tabelle: Effekte finanzieller Bildung in Untergruppen

Effekte in Standardabweichungen und 95-Prozent-Konfidenzintervalle

Untergruppe Effekt 95-Prozent-Konfidenzintervall Anzahl der Studien Anzahl der Effekte
Panel A: Effekte auf Finanzverhalten
(a) Umfang der Maßnahme
< 5 Stunden 0,0817 0,0407 0,1227 22 124
≥5 und < 20 Stunden 0,0992 0,0533 0,1450 29 251
≥ 20 Stunden 0,2319 0,0745 0,3893 8 54
(b) Abstand zwischen Maßnahme und Messung
< 6 Monate 0,0991 0,0645 0,1337 34 180
≥6 und < 18 Monate 0,0901 0,0520 0,1283 23 211
≥ 18 Monate 0,0653 0,0209 0,1098 10 49
(c) Ländergruppen
Hocheinkommensländer 0,1127 0,0478 0,1777 32 129
Entwicklungsländer 0,0928 0,0660 0,1195 32 329
(d) Art der Maßnahme
Unterricht im Klassenverbund 0,1064 0,0699 0,1428 50 331
Online-Maßnahme 0,0796 −0,0194 0,1786 5 55
Individuelle Beratung 0,1595 −0,1887 0,5077 2 48
Edukativer „Nudge“ 0,0597 0,0055 0,1138 8 24
Panel B: Effekte auf Finanzwissen
(a) Umfang der Maßnahme
< 5 Stunden 0,2192 0,1638 0,2746 24 86
≥5 und < 20 Stunden 0,1975 0,0968 0,2981 21 80
≥ 20 Stunden 0,1925 −0,0307 0,4157 6 9
(b) Abstand zwischen Maßnahme und Messung
< 6 Monate 0,2305 0,1654 0,2956 36 142
≥6 und < 18 Monate 0,1425 0,0787 0,2064 15 56
≥ 18 Monate 0,1400 −0,0518 0,2282 1 1
(c) Ländergruppen
Hocheinkommensländer 0,2591 0,1738 0,3443 29 135
Entwicklungsländer 0,1392 0,0934 0,1851 21 80
(d) Art der Maßnahme
Unterricht im Klassenverbund 0,1927 0,1306 0,2549 38 117
Online-Maßnahme 0,2618 0,1694 0,3542 10 96
Individuelle Beratung 0,3460 0,0636 0,6284 1 1
Edukativer „Nudge“ −0,0238 −0,1504 0,1028 1 1

Anmerkungen: Die Schätzung erfolgt mittels Random-Effects-Modell, das davon ausgeht, dass die Ursprungsstudien so unterschiedlich sind, dass sie mehrere wahre Effekte abdecken; Studien mit geringerer Streuung werden stärker gewichtet. Das 95-Prozent-Konfidenzintervall bedeutet, dass in 95 Prozent der Fälle der unbekannte tatsächliche Wert in diesem Intervall liegt. Die Fehlerwahrscheinlichkeit beträgt entsprechend fünf Prozent. Je enger das Intervall, desto genauer ist der geschätzte Effekt.

Quellen: Eigene Berechnungen auf Basis einer Metaanalyse.

Wirkung finanzieller Bildung ist nachhaltig

Außerdem wirken die Interventionen nachhaltig. Um Nachhaltigkeit zu untersuchen, werden Studien danach unterschieden, in welchem Abstand zur Intervention die Wirkung gemessen wird. Es zeigt sich, dass das Wissen schon nach sechs Monaten signifikant abnimmt, aber danach auch nicht komplett vergessen wird (Tabelle, Panel b). Dagegen fällt der Rückgang beim Finanzverhalten über die Zeit deutlich geringer aus. Insofern schwächen sich Wirkungen mit der Zeit ab, aber scheinen bei den vorliegenden Studien nicht zu verschwinden.

Kleinere Effekte in Entwicklungsländern zu beobachten

Für die Einführung von Bildungsmaßnahmen gibt es unterschiedlich schwierige Umstände. Da die Studien die Umstände der Intervention und ihre jeweiligen Zielgruppen nicht immer detailliert und vor allem nicht gut vergleichbar beschreiben, wird hier ein Proxy für die Schwierigkeit der Umstände gewählt: Man kann davon ausgehen, dass die Umstände finanzieller Bildung in Entwicklungsländern in aller Regel schwieriger als in Hocheinkommensländern sind. Dies wird von den Daten tendenziell bestätigt, da die erreichten Effektstärken in Entwicklungsländern niedriger sind (Tabelle, Panel c), obwohl die Bildungsprogramme an die jeweiligen Umstände angepasst werden.

Individuelle Beratung am wirksamsten

Zudem besteht die Vermutung, dass innovative Lehrformen dem typischen Unterricht überlegen sind. Unter den vier unterschiedenen Vermittlungsformen ist die individuelle Beratung am erfolgreichsten, aber sie ist auch am teuersten (Tabelle, Panel d). Bei der Wissensvermittlung schneiden Onlinekurse zudem gut ab. Bei dem Bemühen, Verhaltensänderungen zu bewirken, liegt dagegen der konventionelle Unterricht im Klassenraum tendenziell weiter vorn.

Fazit: Finanzielle Bildungsstrategie für Deutschland sollte wissenschaftlich begleitet werden

Die Entwicklung einer Strategie zur finanziellen Bildung hängt, neben der Wirksamkeit, von vielen weiteren Gesichtspunkten ab:infoVgl. Lukas Menkhoff und Doris Neuberger (2021): Editorial zu Finanzielle Bildung: Was soll die Politik tun? Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 90 (1), 5–9. Finanzielle Bildung wird im deutschen Kontext in aller Regel als Teil einer umfassenderen ökonomischen Bildung gesehen und nicht – wie beispielsweise häufig in den USA – als eigenständiger Kurs. Zudem geht es beim Thema Bildung in Deutschland immer auch um kritische Reflektion und nicht in erster Linie um die Vermittlung praktischen Wissens.infoVgl. Günther Seeber (2021): Finanzbildung in einem eigenen Schulfach? Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 90 (1), 61–73; Christian Fridrich (2021): Finanzerziehung versus Finanzbildung im Rahmen sozioökonomischer Bildung – oder: Zur Bedeutsamkeit sozialwissenschaftlicher Kontextualisierung. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 90 (1), 75–93. Schließlich ist finanzielle Bildung als Ergänzung und nicht als Ersatz für den Verbraucherschutz zu sehen.

Dies vorausgestellt zeigt der vorliegende Beitrag, dass finanzielle Bildung ihre selbst gesteckten Ziele verlässlich erreichen kann. Dies bedeutet nicht, dass jede Intervention in der Vergangenheit gut funktioniert hat. Aufgrund der immer noch begrenzten Datenlage ist auch nicht sicher, wie eine Einführung finanzieller Bildungsmaßnahmen in jedem Fall am besten vorgenommen werden sollte. Dennoch gibt es bereits sehr viele gut dokumentierte und evaluierte Interventionen, an denen sich die Politik orientieren kann, um Fehler zu vermeiden und eine angemessene Effektivität zu sichern.

Insofern gibt es keinen Grund, die Wirksamkeit finanzieller Bildung generell in Frage zu stellen. Es ist an der Zeit – sofern politisch gewollt – auch in Deutschland eine Strategie für finanzielle Bildung zu entwickeln und sie umzusetzen. Dieser Prozess sollte wissenschaftlich begleitet werden, um weiter zu lernen, welche Interventionen unter welchen Umständen besonders gut wirken, und somit die öffentlichen Ressourcen bestmöglich einzusetzen.

Lukas Menkhoff

Senior Research Associate in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: G53;I21
Keywords: financial education; financial literacy; financial behavior; meta-analysis
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-38-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/245814

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