DIW Wochenbericht 39 / 2021, S. 664
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Das Foto von Armin Laschets Wahlzettel steht emblematisch für die wenig überzeugende Figur, die der Kanzlerkandidat der CDU während der vergangenen Wochen im Wahlkampf abgegeben hat. Laschet zeigte sich bei seiner eigenen Stimmabgabe, die wie überall in der EU auch in Deutschland geheim bleiben muss, nicht in der Lage, seinen Wahlzettel geheim zu halten. Er stolzierte vor laufenden Kameras mit einem falsch gefalteten Zettel durchs Wahllokal und jeder konnte sehen, er hatte die CDU gewählt.
Genauso nachlässig wurde sein Wahlkampf in den letzten Wochen geführt, eine nicht endende Spur von Pleiten, Pech und Pannen. Früh hatte ihn sein schärfster Konkurrent Markus Söder von der Schwesterpartei CSU, der selbst gerne Kanzlerkandidat geworden wäre, davor gewarnt, dass man nicht im Schlafwagen ins Kanzleramt komme. Und so verwundert der Denkzettel der Wählerinnen und Wähler nicht: Die CDU erhält ihr schlechtestes Wahlergebnis im Nachkriegsdeutschland. Einmal mehr muss man von einer erdrutschartigen Niederlage bei Bundestagswahlen sprechen – dieses Mal für die CDU, so wie bei den vergangenen Wahlen für die SPD.
Paradox wirkt dagegen das Abschneiden der Grünen: Sie ist die Partei, die am meisten Stimmen bei dieser Bundestagswahl hinzugewonnen hat. Und doch fühlt sich die Partei wie eine Verliererin. Denn vor einem halben Jahr träumte man dort noch vom Kanzleramt, mit 28 Prozent in den Umfragen, etwa das Doppelte von dem, was sie jetzt bekommen hat.
Apropos SPD: Diese Partei – und nicht die Grünen – ist die Überraschungssiegerin des Abends. Wurden die Sozialdemokraten im Frühjahr des Jahres noch bei rund 15 Prozent taxiert, Tendenz fallend, wird die SPD nun zur stärksten Fraktion im Bundestag aufsteigen. Das Problem nur: Es könnte trotzdem nicht zum Kanzleramt reichen. Die SPD könnte in der Opposition landen – und das dürfte die zweite Überraschung der Bundestagswahl sein.
Denn Armin Laschet, bekannt als Stehaufmännchen, gibt sich auch dieses Mal kaum zerknirscht. Ganz im Gegenteil: Anstatt nach der historischen Niederlage mit einem Minus von immerhin knapp neun Prozentpunkten vom Parteivorsitz zurückzutreten, rief er gleich die Devise aus, mit FDP und Grünen eine Zukunftskoalition bilden zu wollen. Und damit könnte er, so sieht es zumindest am Tag nach der Wahl aus, auch durchkommen. Die FDP signalisiert eine klare Präferenz für Jamaika, also eine Koalition aus Union, Grünen und FDP; die Grünen zeigen sich offen für beide Optionen, also Jamaika wie auch eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Gleichzeitig ist der SPD das wichtigste Druckmittel verloren gegangen, nämlich mit einem linken Bündnis zu drohen und damit die FDP an den Verhandlungstisch zu zwingen. Insofern wird sich die Union nun voraussichtlich hinter ihrem geschlagenen Vorsitzenden scharen und versuchen, mit ihm zusammen in die nächste Regierung zu gehen.
Einig scheinen sich alle in einem Punkt zu sein. Eine große Koalition soll es nicht nochmals geben. Daher ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass mit Grünen und FDP zwei neue Parteien in die nächste Regierung einziehen werden. Und das ist auch gut so, denn es stehen große Herausforderungen und Zukunftsfragen in Deutschland an: Von Klimafragen über Digitalisierung bis hin zu erheblichen Investitionen in das Bildungssystem und in die Infrastruktur. Das ist bei weitem nicht alles: die Vertiefung des Euroraums und der Fachkräftemangel in Deutschland sind weitere Herausforderungen, ebenso wie eine bessere Migrationspolitik, der demographische Wandel und die Rentenpolitik.
All das waren Fragen, die auch schon vor vier Jahren auf der Agenda standen und bis heute kaum einen Deut gelöst wurden. Insofern bleibt zu hoffen, dass die nächste Regierung nicht wieder im Kleinklein verharrt wie die nun scheidende Regierung, sondern den großen Wurf wagt, egal ob in einer Jamaika- oder einer Ampelkoalition.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-39-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/245818