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Keine Angst vor Klimapolitik! Sonst drohen der Wirtschaft Gefahren: Kommentar

DIW Wochenbericht 40 / 2021, S. 676

Karsten Neuhoff

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Der Übergang zur Klimaneutralität ist machbar, aber eine große Aufgabe, die nun angegangen werden muss. Denn eine zu zögerliche Klimapolitik birgt Gefahren für Gesellschaft und Wirtschaft.

Erstens: Zögerliche Industriepolitik führt zu Investitionsstau. Klimaneutralität ist die neue Norm nicht nur in Europa, sondern auch in Ländern wie den USA und China. Damit steigen die Risiken für Investitionen in CO2-intensive Industrieprozesse und Produkte. Zugleich fehlen jedoch noch klare Rahmenbedingungen für Investitionen in klimaneutrale Prozesse und Produkte. So wird zum Beispiel erst jetzt von der EU-Kommission ein Grenzausgleichsmechanismus für CO2-Preise vorgeschlagen. Die Bundesregierung kritisiert zwar die Unzulänglichkeit des Vorschlags, da er zum Beispiel Exporte benachteiligt, zögert jedoch auch, sich für eine wirksame alternative Ausgestaltung wie zum Beispiel einen Klimabeitrag einzusetzen.

Zweitens: Verzögerter Ausbau erneuerbarer Energien gefährdet Energieversorgung. Ein zögerlicher Ausbau von erneuerbaren Energien führt zu höheren Kosten und Abhängigkeiten beim künftigen Import von sauberer Energie. Wir brauchen dringend eine Politik, die klare Rahmenbedingungen für die Finanzierung erneuerbarer Energien schafft. Dazu sollten regulatorische Risiken für Investoren und Strompreisrisiken für KundInnen vermieden werden durch staatlich abgesicherte Differenzverträge.

Vereinfachte und verbesserte Finanzierungsbedingungen reduzieren nicht nur die Kosten, sondern erlauben es zugleich, mehr Projekte zu entwickeln und dabei mehr Aufmerksamkeit auf die Einbindung von AnwohnerInnen zu legen und damit Akzeptanz zu stärken.

Drittens: Unzureichende energetische Sanierungen verursachen Kostenrisiken. Seit Jahren verfehlen wir die Ziele für energetische Sanierungen und Energieeinsparungen im Gebäudebereich. Das führt zu steigenden Heizkosten und hohen Kostenrisiken für die wiederholte energetische Sanierung. Deswegen müssen in einer Sanierungsoffensive zunächst Förderprogramme verstetigt und gestärkt werden. Im Gegenzug müssen klare Anforderungen wie ein Sanierungsfahrplan an Eigentümer formuliert werden. Zugleich müssen konsequent Themen wie Mieterschutz weiterentwickelt werden.

Viertens: Ohne eine konkrete Vision von Klimaneutralität fehlt unserer Gesellschaft eine Perspektive. Das Klimaschutzgesetz ist eine wichtige Grundlage für Klimapolitik. Bisher beinhaltet es aber nur Emissionsminderungsziele für einzelne Sektoren. Daraus ergibt sich jedoch keine Klarheit, wie diese Minderungen erreicht werden sollen. In einem gemeinsamen politischen Prozess müssen dringend Visionen formuliert werden, wie sich Gebäude, Verkehrssektor oder Industrie verändern. Dann können auch klare politische Ansätze zum Erreichen dieser Ziele verabschiedet und umgesetzt werden, und das so wichtige Vertrauen in die Teilhabe an Entscheidungsprozessen wird gestärkt.

Fünftens: Chancen durch internationale Partnerschaften nicht verpassen. Die Vielzahl von Stimmen in Deutschland und Europa erschwert oftmals die internationale Zusammenarbeit und Verhandlungen. Eine gemeinsame Norm hilft, klare Positionen zu formulieren und zu verhandeln. Klimaneutralität kann solch eine Norm sein. Von Fridays for Future im Diskurs verankert, von der Wissenschaft als Notwendigkeit etabliert, von der Wirtschaft als machbar eingeschätzt ist Klimaneutralität jetzt eine Norm in der Mitte unserer Gesellschaft.

International wird Deutschland als eins der reichsten und technologisch fortschrittlichsten Länder angesehen. Im harten internationalen Wettbewerb können wir diese Stellung nur bewahren, wenn wir nicht zaudern und zögern, sondern eine klare Perspektive für den Übergang zur Klimaneutralität entwickeln. Davon lebt unsere Exportwirtschaft und daraus ergibt sich die Chance für neue Technologien.

Dieser Kommentar erschien zuerst am 15. September 2021 bei Focus Online.

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik

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