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Ampel-Sondierungen: Jetzt muss es schnell gehen: Kommentar

DIW Wochenbericht 41 / 2021, S. 692

Marcel Fratzscher

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SPD, Grüne und FDP nähern sich derzeit schneller an, als viele erwartet haben. Allen voran Grüne und FDP sind sich bereits erstaunlich einig über die Zielsetzung der Regierungspolitik in den kommenden vier Jahren. Klimaschutz, digitale Transformation und Umbau der Sozialsysteme sind drei der wichtigsten Prioritäten aller Beteiligten. Das größte Problem dürfte weniger das Überwinden der inhaltlichen Differenzen sein als vielmehr die Geschwindigkeit und Entschiedenheit, mit der die neue Bundesregierung ihre Politik umsetzen wird.

Aber der Reihe nach: Auf der einen Seite steht die FDP, die großes Vertrauen in den Markt setzt. Beim Klimaschutz möchte sie lieber den CO2-Preis als leitendes marktwirtschaftliches Instrument statt Verbote und Regeln vonseiten des Staates. Der dauerhaften Erhöhung der Schulden und Veränderung der Schuldenbremse steht sie skeptisch gegenüber. Und bei den Sozialsystemen legt sie einen höheren Wert auf das „Fordern“ als auf das „Fördern“. Auf der anderen Seite stehen die beiden Parteien links der Mitte, SPD und Grüne, die eine aktive und gestaltende Rolle beim Staat sehen, der nicht nur Marktmechanismen gewährleisten, sondern auch bei Regulierung und Förderung eine klare Richtung vorgeben müsse. Das gilt bei der Klimapolitik genauso wie in der Finanzpolitik und der Sozialpolitik.

Natürlich sind die Beschreibungen dieser zwei Positionen sehr vereinfachend und schematisch, aber sie treffen den Kern und sind wichtig, um viele der Meinungsunterschiede in den Koalitionsverhandlungen einordnen zu können. Die gute Nachricht ist, dass diese Differenzen nicht nur lösbar sind, sondern dass beide Seiten durchaus gute Argumente haben. Eine kluge Kombination beider Pole könnte zu einem deutlich überzeugenderen und inklusiveren Regierungsprogramm führen als eine Seite allein. Denn Staat und Markt stehen sich nicht gegensätzlich gegenüber. Ganz im Gegenteil, alle der genannten Herausforderungen werden nur mit einer klugen Symbiose zwischen Staat und Markt gemeistert werden können – zwischen Regulierung und Fördern auf der einen Seite und Wettbewerb und Innovation auf der anderen Seite.

So könnten die von der FDP geforderten Steuersenkungen für Unternehmen ein gutes Instrument sein, private Investitionen in die ökologische und digitale Transformation anzustoßen. Der Staat kann dabei mit seinen Investitionen in Infrastrukturen und Grundlagenforschung, wie SPD und Grüne immer wieder betonen, eine wichtige unterstützende Rolle spielen. Ähnliches gilt für die Europapolitik, bei der ein Festhalten an den europäischen Schuldenregeln vereinbar wäre mit einer eigenen fiskalischen Kapazität. In der Arbeitsmarktpolitik könnte ein Mindestlohn von zwölf Euro (wie ihn Grüne und SPD wollen) durchaus sinnvoll mit einer Initiative für Qualifizierung und Deregulierung kombiniert werden (wie es vor allem die FDP fordert).

Ungleich größer ist die Gefahr, dass die neue Bundesregierung die notwendige Transformation zu zaghaft und langsam angeht. Denn was sie in den kommenden vier Jahren nicht umsetzt, werden künftige Regierungen kaum mehr korrigieren können. Große wirtschaftliche Reformen haben in der Regel am besten funktioniert, wenn sie schnell und umfassend umgesetzt wurden. Beispielsweise der Kohleausstieg, der schon seit 50 Jahren in Planung ist. Er kostet Staat, Menschen und Unternehmen riesige Summen, hat die Umwelt und das Klima viel zu lange viel zu stark belastet, und die direkt betroffenen Menschen und Regionen befinden sich heute in keiner guten Lage. Die Reform zu verschleppen, hatte also für keine Seite Vorteile. Das gilt beispielsweise auch für die digitale Transformation.

Die entscheidende Frage für die neue Bundesregierung wird daher sein, ob sie genug Mut und politischen Willen aufbringt, die notwendigen Veränderungen schnell und überzeugend genug umzusetzen. Dies erfordert ein massives privates und öffentliches Investitionsprogramm mit ambitionierten Zielen. Nicht die inhaltlichen Prioritäten der neuen Bundesregierung werden entscheidend für einen langfristigen Erfolg der ökologischen und digitalen Transformation sein, sondern der Mut, die Geschwindigkeit und die Entschiedenheit der Umsetzung.

Dieser Beitrag ist in einer längeren Version am 1. Oktober 2021 als Kolumne bei ZEIT Online erschienen.

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