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Grundrente: Ein Anfang, aber noch kein Meilenstein: Kommentar

DIW Wochenbericht 42 / 2021, S. 708

Johannes Geyer

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Für die große Koalition war es ein sozialpolitischer Meilenstein: die Grundrente. Sie soll Rentnerinnen und Rentnern, die lange und hart (das wird gerne als Attribut ergänzt) gearbeitet, aber wenig verdient haben, einen kleinen Zuschlag zur Anerkennung ihrer Lebensleistung gewähren. Es war der letzten Regierung ein großes Anliegen, noch vor der Bundestagswahl diesen Meilenstein zu setzen. Doch bei der Umsetzung ist einiges auf der Kompromiss-Strecke geblieben, was die nächste Koalition dringend nachbessern müsste.

Überraschend geräuschlos ist es der großen Koalition gelungen, die Grundrente einzuführen: Einige Monate nach ihrem Inkrafttreten, im Januar 2021, wurden ab Juli die ersten Bescheide verschickt. Letztlich ist die Grundrente aber nur ein politischer Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD, der schwerlich zwei Ziele unter einen Hut bringt: die zusätzlichen Ausgaben zu deckeln und gleichzeitig die „Anerkennung von Lebensleistung“ zu verwirklichen.

Die Ausgaben sind nach aktuellen Schätzungen tatsächlich überschaubar. Etwa 1,3 Milliarden Euro kostet die Grundrente im Einführungsjahr. Dafür fällt aber die Anerkennung von Lebensleistung auch entsprechend gering aus. Im Schnitt erwartet die Begünstigten ein Rentenaufschlag von etwa 75 Euro. Die Grundrente kann dabei deutlich höher und auch niedriger ausfallen, denn sie ist im Wortsinn keine Grundrente, sondern ein einkommensgeprüfter, von der Erwerbsbiografie abhängiger individueller Rentenzuschlag.

Die Anerkennung von Lebensleistung ist offensichtlich eine sehr relative Angelegenheit. Das wird deutlich an denjenigen, die gar keinen Anspruch auf diese Leistung haben. So hat sich etwa die Gruppe der potenziell Begünstigten im Gesetzgebungsverfahren mehr als halbiert. Keinen Anspruch haben etwa Menschen, wenn deren Ehepartner oder Ehepartnerin das gemeinsame Haushaltseinkommen über bestimmte (niedrige) Schwellenwerte hebt – bei unverheirateten Menschen spielt das Einkommen eines anderen Haushaltsmitglieds dagegen keine Rolle. Ebenfalls keinen Anspruch haben Menschen, die lange selbstständig tätig waren und nicht auf die erforderlichen Versicherungszeiten kommen – selbst wenn sie im Alter arm sind. Keinen Anspruch haben in der Regel Menschen, die aufgrund von Krankheit früher aus dem Job ausscheiden mussten und gar keine Chance haben, auf die nötigen Beitragsjahre zu kommen – dies ist eine Gruppe mit erheblichen Armutsrisiken. Schwierig ist es auch für Menschen, die länger arbeitslos waren. Es fällt schwer aus diesen Beispielen abzuleiten, wie eine anerkennungswürdige Leistung eigentlich definiert ist.

Die kommende Regierung sollte sich mit dem Status Quo der Grundrente nicht zufriedengeben. Mit Grünen und FDP sind höchstwahrscheinlich zwei Parteien an der nächsten Koalition beteiligt, die ebenfalls Konzepte zur Mindesteinkommenssicherung im Alter vorgelegt haben. Die FDP bevorzugt eine Reform der Grundsicherung und will einen Freibetrag für Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung einführen. Die Grünen präferieren eine Lösung innerhalb des gesetzlichen Rentensystems, die Garantierente. Der Vorteil der Garantierente ist, dass die Mindestsicherung innerhalb der Rentenversicherung organisiert wird und langjährig Versicherte kaum Gefahr laufen, in die Grundsicherung abzurutschen. Beim Vorschlag der FDP stellt sich das Problem der Inanspruchnahme. Die Menschen müssten ihren Anspruch auf Grundsicherung beantragen, andernfalls ändert die Reform wenig. Nach aktuellen Schätzungen nehmen derzeit aber 50 bis 60 Prozent der Berechtigten ihre Ansprüche nicht wahr.

Es sollte allerdings auch nicht vergessen werden, dass die Rentenversicherung oder die Grundsicherung die Ursachen für Armut im Alter und niedrige Alterseinkommen nicht beseitigen kann. Die Grundlagen für ein auskömmliches Einkommen im Alter werden im Erwerbsleben gebildet. Deswegen sind gute Löhne und stabile Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzung dafür, dass die umverteilenden Maßnahmen zur Alterssicherung nicht so umfassend ausfallen müssen. Langfristig liegt der Schlüssel gegen Altersarmut auch und gerade in einer guten Arbeitsmarktentwicklung.

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

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