DIW Wochenbericht 43 / 2021, S. 720
Kai-Uwe Müller, Erich Wittenberg
get_appDownload (PDF 84 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 7.01 MB)
Herr Müller, wie hat sich der Frauenanteil im Bundestag seit 1980 entwickelt? Zu Beginn der 80er Jahre war der Frauenanteil mit unter zehn Prozent im Durchschnitt aller Parteien noch sehr gering. Bis zur Bundestagswahl 2002 sehen wir einen Anstieg auf knapp ein Drittel aller Mandate, der mehr oder weniger kontinuierlich verlaufen ist. Interessanterweise begann 2002 eine Stagnationsphase, in der der Frauenanteil kaum noch weiter gestiegen ist, stellenweise ist er sogar vorübergehend gesunken. Seit der jüngsten Bundestagswahl liegt der Frauenanteil im Parlament bei 34,7 Prozent.
Warum ist das Thema so wichtig? Die aktuelle Forschung zeigt mit Blick auf viele Bereiche Unterschiede auf, die Frauen machen, beispielsweise in Bezug auf den Politikstil oder die politische Partizipation. Es kann auch gezeigt werden, dass es in verschiedenen inhaltlichen Fragen einen Unterschied macht, ob Männer oder Frauen in wichtigen Positionen sind. Der Bundestag oder die Politik im Allgemeinen haben hier sicher auch eine Vorbildfunktion für andere gesellschaftliche Bereiche, in denen der Rückstand teilweise noch größer ist, zum Beispiel in der Wirtschaft, insbesondere bei Spitzenpositionen in Vorständen und Aufsichtsräten.
Wie groß ist der Frauenanteil in den verschiedenen Parteien? Interessant ist, dass der Mittelwert von knapp einem Drittel erhebliche Unterschiede überdeckt. Beispielsweise erreichen die Grünen seit 1994 regelmäßig mindestens eine Parität in ihrer Bundestagsfraktion. Die Linke liegt meistens ebenfalls bei einem Frauenanteil um die 50 Prozent, wenn sie es ins Parlament schafft. Bei CDU/CSU und SPD verlief die Entwicklung seit Anfang der 80er Jahre unterschiedlich. Beide starteten jeweils bei einem Frauenanteil von weniger als zehn Prozent. Bis 2002 hat es die Fraktion der SPD auf gut ein Drittel weiblicher Abgeordneter geschafft, die CDU jedoch nur auf etwa ein Fünftel. Seitdem stagniert die Union mehr oder weniger auf diesem relativ niedrigen Niveau und kommt, ebenso wie die FDP, aktuell auf nur knapp ein Viertel Frauen in der Fraktion, während die SPD immerhin einen Anstieg auf gut 40 Prozent geschafft hat. Schlusslicht ist seit ihrem Bundestagseinzug im Jahr 2017 die AfD mit jeweils weniger als 15 Prozent Frauen in ihren Fraktionsreihen.
Gibt es eine Erklärung für diese recht großen Unterschiede? Der Hauptfaktor ist, dass zu wenige Frauen nominiert werden. Bei den Direktmandaten ist der Abstand zwischen Frauen und Männern besonders groß. Das gilt mit Ausnahme der Grünen und der Linken für alle Parteien. Aber auch bei den ListenkandidatInnen liegt der Anteil von Frauen bei den Parteien mit geringerem Frauenanteil deutlich unter dem von Männern, sodass sie im Vergleich zu ihren männlichen Parteikollegen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit ein Bundestagsmandat erhalten.
Was kann getan werden, um den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen? Wenn wir uns die Anteile von Frauen insbesondere bei den ListenkandidatInnen anschauen, sehen wir, dass die Parteien, die sich selbst zu einer Quote für die Listen verpflichten, ihre Quotenziele auch erreichen. Diese Quotenziele unterscheiden sich jedoch und sind zum Teil nicht ambitioniert genug, um eine Parität zu erreichen. Deshalb sind Quotenregelungen beziehungsweise Selbstverpflichtungen wahrscheinlich das Mittel, mit dem die Parteien, die hier einen Rückstand haben, den Frauenanteil unter den Abgeordneten erhöhen könnten. Mit Blick auf Direktkandidatinnen ist auch ein Wandel der Kultur und der Nominierungsstrategien, gegebenenfalls auch eine Quote für DirektkandidatInnen, nötig. Dies beginnt auf der Kommunal- und Kreisebene. Letztlich hängen alle Maßnahmen vom politischen Willen der Parteien ab.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Gender
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-43-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/248526