DIW Wochenbericht 44 / 2021, S. 736
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Dass Angela Merkel auf ihrer Abschiedstournee durch Europa auf einer der letzten Stationen Griechenland besucht hat, ist kein Zufall. In den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft waren Griechenland und Deutschland so eng miteinander verknüpft wie nie zuvor. Doch die Not bestimmte den Takt, das Verhältnis glich einer Schicksalsgemeinschaft, mit hässlichen Untertönen und schriller Begleitmusik. Doch ohne Merkel wäre es – trotz mancher Fehler – für alle Beteiligten wohl schlimmer gekommen.
Mit Griechenlands Staatsschuldenkrise stand auch das Schicksal der Europäischen Union auf dem Spiel. Entschieden wurde die Lage letztlich zwischen Deutschland und Griechenland. Früh wurden von Seiten der EU auch mit Billigung Merkels erste Rettungs- und Sparpakete für Griechenland geschnürt. Diese wie auch die weiteren Maßnahmen waren jedoch mit dramatischen Einschnitten für Griechenland verbunden. Hohe Arbeitslosigkeit und große Armut in einem Teil der Bevölkerung waren die Folge. Bis heute lässt sich streiten, ob ein Austritt aus dem Euroraum besser gewesen wäre, oder ob der wirtschaftliche Einbruch bei einer Rückkehr zur Drachme nicht mehr geschadet hätte.
Was aber in diesen Rettungspaketen zweifelsohne fehlte, war eine Investitionsperspektive. Und diesen Vorwurf muss sich auch Merkel gefallen lassen. Die von ihr mitgetragene Troika hat viel zu lang einseitig auf Strukturreformen beharrt, die dann über viele Jahre von griechischen Regierungen verschleppt wurden. Stattdessen wäre es besser gewesen, diese zu Recht geforderten Reformen an das Versprechen zu koppeln, parallel eine europäisch finanzierte Investitionsoffensive in Zukunftstechnologien in Griechenland zu starten.
Ein solcher Schritt blieb leider über all die Jahre aus. Das dürfte ein zentraler Grund gewesen sein, warum letztlich auch die Troika gescheitert ist, und schlimmer noch, warum sich die Erholung der griechischen Wirtschaft viel zu lang hingezogen hat. Dafür tragen zuallererst die griechischen Regierungen, aber auch Merkel Verantwortung.
Ihre Stärken lagen woanders: im aktiven Krisenmanagement, das den „europäischen Laden“ am Laufen hielt. Das hat sich vor allem im Jahr 2015 gezeigt. Zweimal stand es in diesem Jahr Spitz auf Knopf. Merkel machte sich immer wieder für den Verbleib Griechenlands im Euroraum stark. Ohne ihr besonnenes Eingreifen hätte sich womöglich die griechische Geschichte mit Grexit und dem Bankrott des ganzen Landes anders entwickelt. Aber auch die Europäische Union wäre heute eine andere.
Zahlreiche weitere Entscheidungen, wie die Flüchtlingspolitik, haben das Verhältnis zwischen beiden Ländern belastet. Auch der jüngste Türkei-Griechenland-Konflikt hat das Verhältnis zu Deutschland nicht verbessert. Die griechische Bevölkerung hatte von Merkel eigentlich erwartet, dass sie sich schützend vor den europäischen Nachbarn stellt. Stattdessen weigerte sie sich, Stellung zu beziehen, und sah sich lieber in der Rolle der Moderatorin.
Ihre Reise nach Griechenland war also kein leichter Gang. Der Respekt, der ihr in anderen europäischen Ländern gezollt wurde, blieb ihr in der griechischen Bevölkerung versagt. Zu groß und zu tief waren die Einschnitte. Doch waren in Athen nun auf beiden Seiten auch selbstkritische und versöhnliche Töne zu hören. Die Zeichen stehen gut, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert, auch weil es eine Reihe gemeinsamer Investitionen vor allem deutscher Unternehmen in Griechenland gibt, etwa im Energie- und im IT-Bereich. Ebenso wurden erste Leuchtturmprojekte angeschoben, etwa die Umstellung der Insel Astipalea auf E-Mobility als gemeinsame Investition mit Volkswagen. Mit solchen Investitionen haben sich die deutsch-griechischen Beziehungen endlich auf einen produktiveren Pfad begeben; Misstöne werden hoffentlich seltener. Wünschenswert wäre es jedenfalls für alle Seiten, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Merkels Nachfolger müsste dies aber konsequent fortschreiben.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 1. November 2021 in der taz erschienen.
Themen: Öffentliche Finanzen, Konjunktur, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-44-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/248522